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Gottesbund und Gnade im Deuteronomium

Gottesbund und Gnade im Deuteronomium Für Markus Tiwald∵Den Anstoß zu den folgenden Überlegungen gab die Habilitationsschrift von Joachim J. Krause „Die Bedingungen des Bundes“ (2019),1 deren Veröffentlichung mit viel Zustimmung begrüßt wurde.2 Sie fasst die vorliegende exegetische Forschung über die drei großen Bundeskonzeptionen des Gottesverhältnisses Israels, angefangen von der deuteronomisch-deuteronomistischen über die priesterliche bis zur prophetischen Fassung des neuen Bundes, zusammen, um die These von Jacob Milgrom zu bekräftigen: „In the Bible, there is no covenant without obligation. In other words, there is no such thing as an unconditional covenant.“3 Nach Krause „verfügt Jhwh frei über die vorab festgelegten Sanktionen. Es steht in seiner Gewalt, die Drohung in die Tat umzusetzen oder nicht. Israel hingegen kann, anders als die von Asarhaddon verpflichteten Vasallen, das drohende Unheil nicht selbst herbeiführen. Gewiss besteht nach deuteronomistischer Auffassung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ungehorsam und Unheil; auf ihm liegt alle Emphase. Aber dieser Zusammenhang funktioniert nicht automatisch, sondern wird von Jhwh je und je hergestellt. Durch den Ungehorsam seines menschlichen Partners lässt Jhwh sich dabei so wenig binden wie durch dessen Gehorsam.“4 Allerdings hat schon Dennis J. McCarthy für das altorientalische und alttestamentliche Vertrags- bzw. Bundesdenken festgestellt: „Law then was customary law and it must be understood as it was lived, that is, customarily interpreted, and custom was that the unfaithful subordinate was not automatically destroyed. In fact, he was thrown on the mercy of his lord without the possibility of appeal to stipulated rights, but in fact the lord was often, even usually, ready to restore a repentant felon or at least to reconstitute the relationship with the people […] Hence the emphasis on repentance and forgivness seen as an essential part of the Dtistic message by many authors […] is not foreign to the Dtic covenant concept.“5In diesem Artikel möchte ich die These von Kraus vor allem mit den drei im Deuteronomium ineinander verschränkten Bundesschlüssen, dem Väter-, Horeb- und Moabbund, konfrontieren. Dabei beziehe ich mich auf das definitive Buch Deuteronomium, nicht auf bestimmte Textstufen, lese also die hier entscheidenden Kap. 4 und 29–30 auf der synchronen Ebene. Meine literargeschichtlichen Voraussetzungen beschränke ich deshalb auf kurze Anmerkungen, ohne abweichende Positionen zu diskutieren. Die tragenden exegetischen Einzeluntersuchungen zum Thema des Artikels habe ich bereits zum Gutteil vorgelegt. Ich werte sie im Folgenden für die Theologie der Begnadigung Israels in den Bundesvorstellungen des Deuteronomiums aus.1Deuteronomium 4 und die Erzväter Israels – Gnadenbund und LiebeIn der Fiktion des Buches Deuteronomium lagert Israel nach achtunddreißig Jahren Wüstenwanderung in Moab im Ostjordanland, in der Talschlucht gegenüber Bet-Peor (3,29). Dort wendet sich Mose an die Generation, die schon den Exodus und den Horebbund erlebt hat (vgl. z.B. 4,9.20.33–35).6 Genauer: an diejenigen, die nicht wegen ihres Unglaubens in Kadesch-Barnea (1,36; 2,14–16) und später wegen des Abfalls zum Baal-Peor (4,3–4) sterben mussten. Zwar lehnte sich Israel ständig gegen JHWH auf (9,24). Auch brach „jeder, der dem Baal-Peor nachfolgte“, das erste Dekalogsgebot, das Fremdgötterverbot des Horebbundes, und wurde dafür von JHWH „in deiner Mitte“ vernichtet (4,3). Die Bestrafung betraf aber weder in Kadesch-Barnea noch in Bet-Peor das ganze Volk, sondern nur die Schuldiggewordenen.7 Die Zusage, die JHWH mit dem Aufbruchsbefehl vom Gottesberg Israel gegeben hatte, gilt auch in Moab noch immer: „Schau, ich lege hiermit das Land vor euch hin. Zieht ein, und nehmt das Land in Besitz, von dem ihr wisst: JHWH hat den Vätern geschworen – Abraham und Isaak und Jakob –, es ihrem Samen nach ihrem Tod zu geben.“ (1,8)8 Allerdings darf Mose selbst wegen seiner Verwicklung in die Sünde von Kadesch-Barnea das Land nicht betreten und muss die Leitung an Josua abtreten (1,37; 3,24–28; 4,21–22). Deshalb muss der Horebbund in einem neuen Bundesschluss, dem sogenannten Moabbund, bestätigt werden. Um ihn vorzubereiten eröffnet Mose in Kap. 4 eine Vollversammlung des Volkes.9 Auf ihr möchte er die bereits verschriftete Bundesurkunde, die deuteronomische Tora (Kap. 5–28), vorstellen. Hier erreicht die Moserede also ihre eigentliche Aussage. Das vorausgehende Geschichtsresümee (Kap. 1–3) sollte sie begründen und vorbereiten. In 4,5 konstituiert Mose eine Lehrsituation. Was er lehrt, enthält erst der zweite, mit Kap. 5 einsetzende Buchteil. Diese Gesetzesbelehrung wird in 4,26 mit einer Fluchsanktion für den Fall abgesichert, dass Israel das Hauptgebot nicht befolgt.101.1„Der Gott eurer Väter“ (4,1)Mose motiviert zu Beginn der Paränese des ersten Buchteils seine Mahnung, „auf die Gesetze und Rechtsentscheide zu hören“, mit der Inbesitznahme des Landes, das „JHWH, der Gott eurer Väter“ Israel gibt (4,1). Diese programmatische Gottesbezeichnung knüpft an den Aufbruchsbefehl Gottes (1,6–8) nach dem Abfall am Horeb und der Fürsprache Moses an, in der er Gott an die Patriarchen erinnerte (9,27). Denn 1,8 verweist auf die Landverheißung JHWHs für die Väter. 1,11 beruft sich danach ausdrücklich auch auf die Mehrungsverheißung.11 Beide Zusagen des Väterbundes (vgl. Gen 15,18; 22,17; 26,3–4) gehören zur Exposition der Geschichtsrückblende Moses im Ostjordanland. Sie liegen noch vor der Fabel, also den erzählten Ereignissen12, und bilden das Vorzeichen für den Zug vom Gottesberg und durch die Wüste (1,19). In Kadesch-Barnea angesichts des Verheißungslandes zitiert Mose das einleitende Gotteswort über die Auslieferung des Landes und verweist zurück auf das Versprechen „JHWHs, des Gottes deiner Väter“ (1,21). Dieses Prädikat wird erst 4,1 wieder gebraucht, wo die Tora im Deuteronomium thematisch zu werden beginnt, hat also Signalfunktion. Der Vers schweigt aber über die mit den Vätern verbundenen Zusagen von Landgabe und Vermehrung ihrer Nachkommen. Die Apposition „Gott eurer Väter“ in 4,1 präludiert 4,31.13 An dieser Schlüsselstelle beruft sich Mose auf den Bund mit den Vätern. Er erwähnt diesen Eid Gottes am Ende eines Rückblicks, der in Kap. 4 vom Standort der Moserede aus immer weiter in die Vergangenheit ausgreift. Diese Horizontverschiebung14 setzt mit der Sünde in Bet-Peor ein (V.3–4) und dehnt sich aus zum Horebbund (V.10–14), gleitet weiter zurück zur Herausführung aus Ägypten (V.20) und von dort nochmals zurück zu den Patriarchen (V.31). Für unsere Fragestellung ist zunächst 4,20 wichtig.1.2Die Bundesformel (4,20)Was zur besonderen Beziehung zwischen JHWH und Israel führte, wird von 4,20 in drei Sätzen erzählt. Sie besagen: Gott hat an diesem Volk anders als an den übrigen Völkern gehandelt. Durch sein machtvolles Eingreifen hat er Israel an sich gebunden:20 Euch aber hat JHWH genommen (lāqaḥ) und euch herausgeführt aus dem Schmelzofen, aus Ägypten, damit ihr ihm zum Erbeigentumsvolk (leꜥam naḥalāh) werdet – wie (es) heute (der Fall ist).lqḥ bezeichnet zwar keine Erwählung.15 Denn über sie spricht das Deuteronomium ausschließlich mit dem Verb bḥr. Die Herausführung ist nur eine ihrer Folgen (V.37). Aber das mit lqḥ eigens erwähnte persönliche Eingreifen unterstreicht die Initiative JHWHs zu dem außerordentlichen Akt der Befreiung (vgl. V.34). Gott holt Israel gewaltsam aus dem, was V.20 mit der originellen und seltenen Metapher vom „Eisenschmelzofen Ägypten“ für das sonst übliche „Sklavenhaus“ beschreibt, bei der sich „die Vorstellung vom äußerst harten Los der Knechtsarbeit am Eisenschmelzofen einstellen sollte“16. „Die Rettung aus diesem Leiden begründet den Anspruch Gottes auf Israel und bewirkt zugleich seine ausschließliche Bindung an JHWH, wie es die sogenannte Bundesformel – hyh mit doppeltem lāmēd – prägnant ausdrückt.“17 Dass nur ihre zweite Hälfte, nämlich „Israel als Volk JHWHs“, genannt wird, ist im Deuteronomium durchaus üblich. Doch weist sie in V.20 eine personal-rechtliche Besonderheit auf, die theologisch relevant ist: Nur hier ist Israel nicht bloß als „Volk“, sondern als „Volk des Erbeigentums“ das Bundesvolk JHWHs. Diese Identität bleibt Israel gegenüber allen anderen Völkern und sogar in einem künftigen Heilsuniversalismus immer erhalten.18 Seine privilegierte Gottesbeziehung überdauert auch tiefgreifende Schuld. Denn „Erbbesitz ist grundsätzlich unveräußerlich. Der Titel formuliert keinen Rechtsanspruch Jahwes, sondern ein Recht Israels auf Gnade.“19 Mose konnte sich sogar in seiner Fürbitte nach dem Abfall zum gegossenen Kalb auf JHWHs Verantwortung berufen, die er für Israel als „sein Erbeigentum“ übernommen hat (9,26 und 29). Darüber hinaus bezeichnet naḥalāh nicht nur Israel als das von JHWH dauerhaft angenommene Volk, sondern auch „das prächtige Land“, das JHWH im Begriffe ist, Israel als „Erbe“, naḥalāh, zu geben (4,21 und 38), während es sich anschickt, über den Jordan zu ziehen und es einzunehmen (V.22). Sollte der Besitz des Landes verloren gehen, bleibt doch der Anspruch darauf als Eigentum bestehen.1.3Horebbund und Väterbund (4,23–31)Unter dem Vorzeichen der Bundesformel blickt Mose in 4,23–31 auf die künftige Geschichte Israels, das seit Generationen im Land wohnt (V.25). Aus dieser Perspektive ist vorausgesetzt, dass Israels Gottesverhältnis aufgrund des Horebbundes durch den Moabbund bestätigt und durch die Tora als Bundesurkunde geregelt ist.20 Der Dekalog ist dadurch auch die Grundlage des Moabbundes, sein Kultbilderverbot gehört also zu beiden Bünden. Die kommende Zeit wird in zwei aufeinander folgenden Phasen entfaltet, die auch in unterschiedlichen Räumen ihren Ort haben. Im Hintergrund stehen „Segen“ und „Fluch“21 als modifizierte Bestandteile des altorientalischen Vertragsformulars22, das mit seinen konventionellen Elementen die V.9–31 insgesamt prägt.23 Doch sind beide nicht mehr konditioniert, sondern historisiert, sind also nicht als Alternativen, sondern als in umgekehrter Reihung aufeinander folgende Geschehnisse stilisiert. Die Brennpunkte der prophetischen Voraussage Moses bilden der Horeb- und der Patriarchenbund (V.23–24 und 31), die den Abschnitt rahmen; ihr Leitverb ist „vergessen“ (škḥ), das schon in V.9 den Rückblick auf die Offenbarung am Horeb eröffnet. Die einleitende Paränese verbindet mit der Mahnung, „den Bund JHWHs, eures Gottes, nicht zu vergessen“ (škḥ ͗æt berît JHWH ʾælohêkæm), die Warnung vor der kollektiven Übertretung des Kultbilderverbots (V.23), das hier praktisch dem Fremdgötterverbot entspricht. Im Übrigen ist der ganze Abschnitt der V.23–31 weithin in Antithesen formuliert.24Die Formulierungen von V.23 fassen den Horebbundesschluss mit der Verpflichtung Israels auf den Dekalog (V.9–13) und dessen Zuspitzung auf das „zweite“ Gebot (V.15–18) zusammen. Darüber wacht JHWH als „eifersüchtiger El“ (ʾel qannāʾ, vgl. 5,9) und „brennendes Feuer“ (4,24) – eine Metapher für Gottes Wesen, die der Theophanie am Gottesberg (4,11) entspricht. Die Sünde am Horeb (9,16.18) bildet das Paradigma und den geschichtstheologischen Ansatzpunkt für die Übertretung des Kultbilderverbots im Land.25 Doch unterscheiden sich die Konsequenzen für das am Gottesberg lagernde und das im Land heimisch gewordene Volk. Dann wird Israel ja den Moabbund übertreten, der den Horebbund um das deuteronomische Gesetz samt Segen und Fluchsanktionen erweitert hat. Für diese erst kommende Zeit ruft Mose Himmel und Erde als Zeugen an, dass Israel, wenn es sich ein Kultbild anfertigt, „unverzüglich aus dem Land ausgetilgt … und völlig vernichtet werden wird“ (4,25–26; vgl. 8,19 und 30,17–18). Die folgenden Strafmaßnahmen und religiöse Konsequenzen beschränken sich allerdings darauf, dass JHWH das Volk unter die Nationen zerstreuen und dass es dort als rechtlose Minorität „Göttern, Machwerk von Menschenhand“ dienen wird (4,27–28, vgl. 28,64). An die Stelle des Untergangs des Volkes, wie sie 4,26 und die Fluchsanktionen in 28, 20.24.45.48.61.63 vorsehen, wird also seine Deportation und Restexistenz unter den Völkern und Nationen treten (4,27).26 Dennoch werden damit praktisch Landbesitz und Vermehrung des Volkes zurückgenommen. Diese Gaben der Väterverheißung werden also verloren gehen, wenn Israel gegen den Ausschließlichkeitsanspruch JHWHs handelt. Der Nachdruck der angekündigten Strafen liegt aber spiegelbildlich zur Verfehlung Israels auf dem Dienst von Kultbildern. Israel leistet ihn außerhalb des eigenen Landes und zerstreut unter die Völker (V.28). Ob der Götterdienst zwangsweise erfolgt, bleibt offen. Jedenfalls können die ohnmächtigen Machwerke den Verbannten nicht helfen. Zukunft kann es nur durch eine erneute Zuwendung JHWHs und eine Bekehrung des übrig gebliebenen Restvolkes geben. Die Hoffnungsperspektiven, die Mose in den anschließenden V.29–31 entwickelt, knüpfen nicht an Segensverheißungen für einen Tora-Gehorsam, sondern an ein anderes Bundesverhältnis jenseits des Vertragsmechanismus an – an den Schwur JHWHs gegenüber den Vätern (vgl. Gen 17,7.19; Ex 2,24, ferner 6,2–5).27Es gibt also einen „ursächlichen Zusammenhang von Ungehorsam und Unheil“ (Dtn 4,26), auch wenn JHWH dann selbst Israel unter die Völker zerstreut (V.27). Doch bietet der Verpflichtungsbund nach der Übertretung des ersten Gebots und im Exil keine Zukunftschance. Was trotz der eingetroffenen Bundessanktionen bleibt, ist nur die Beziehung, soweit sie von Seiten Gottes zu seinem Volk besteht. Aber dieses Verhältnis dauert nicht an, weil JHWH in der „Freiheit, in der er sich allererst an sein Volk bindet“, auch darüber entscheidet, „ob, wann und wie er dessen Verletzung von Gehorsamsforderungen bestraft“,28 sondern weil es in einer anderen Selbstverpflichtung JHWHs gründet – in seinem Eid gegenüber den Vätern (4,31, vgl. 7,8; 9,5). Aus ihm kann Israel offenbar auch durch ein bundesvergessenes Verhalten nicht herausfallen. „Es ist Gnadentheologie: Die Verheißung ist nicht nur älter, sondern auch stärker als die Verpflichtung.“29 Natürlich muss Israel selbst in Freiheit zu JHWH zurückkehren und „auf seine Stimme hören“. Das heißt vom Kontext her: es muss dem Kultbilder-/Fremdgötterverbot gehorchen. Dagegen lassen sich die Einzelbestimmungen der Tora nur im Land verwirklichen und beanspruchen auch nur dort Gültigkeit (4,5.14). Ohne diesen kollektiven Willen zur ausschließlichen Bindung an JHWH ist eine Beziehung zu ihm nicht denkbar. Weil aber alles an diesem Gottesverhältnis Israels hängt, bleibt unkommentiert, wie seine Geschichte konkret weitergehen wird. Deshalb stellt Mose keine neuerlichen Segensgüter in Aussicht, obwohl der Bund mit den Vätern Land und Mehrung der Nachkommen zusagt. Auch von einer Rückkehr aus dem Exil wird nicht gesprochen. Weshalb und wie das von Israel gebrochene Gottesverhältnis erneuert werden kann, ist im Folgenden noch genauer theologisch zu klären.1.4Die Gnade des Väterbundes (4,29–31)Für den in 4,29–31 beschriebenen Vorgang ist entscheidend: Die Schicksalswende geht letztlich nicht von Israel selbst aus und wird auch nicht durch die Intensität seines Einsatzes getragen.30 Diese Deutung hängt an der Syntax von V.30, die allerdings diskutiert ist.31 Außerdem wird der Bund in V.31 von manchen Exegeten auch als Sinaibund identifiziert oder dieser als weiterhin gültig betrachtet. Meine Auslegung muss deshalb genauer begründet werden.Die folgende Wiedergabe orientiert sich im Wesentlichen an der Einheitsübersetzung32 :29 Und ihr werdet von dort JHWH, deinen Gott, suchen33, und du wirst (ihn) finden (ûmāṣāʾtā),wenn du mit ganzem Herzen und ganzer Seele nach ihm fragst.30a Wenn du in Not bist, dann werden alle diese Worte (kol haddebārîm haʾellæh) dich finden (ûmeṣāʾûkā).30b In den späteren Tagen, dann wirst du zu JHWH, deinem Gott, zurückkehren und auf seine Stimme hören.31 Denn JHWH, dein Gott, ist ein barmherziger Gott (ʾel rāḥûm).Er verlässt dich nicht und gibt dich nicht dem Verderben preis (weloʾ yašḥîtækā) und vergisst nicht den Bund mit deinen Vätern (weloʾ yiškaḥ ͗æt berît ͗abotækā), den er ihnen geschworen hat.Zunächst scheint Israel mit seiner Suche Gottes selbst den Anfang zu machen und Gott dabei auch zu finden. Doch führt V.30 diese Aussagen über die freie Entscheidung Israels in V.29 nicht weiter. Der Vers beginnt asyndetisch nochmals von vorne, setzt aber nicht räumlich, sondern zeitlich an und geht weiter zurück. „Der zweite Anlauf beginnt mit der Situation, in der Israel sich auf die Gottsuche begibt: ‚Wenn du in Not bist‘. In dieser Situation wird sich das ‚(Suchen und) Finden‘ ereignen. Das Wort mṣʾ kehrt wieder. Aber mit anderem Subjekt: ‚Dann werden dich alle diese Worte/Dinge finden.‘ Was in 4,29 zunächst als Aktivität Israels aussah, geht in 4,30a also auf eine andere, letztlich von Gott herkommende Aktivität zurück – wie immer man kol haddebārîm haʾellæh deutet. […] Daß es theologisch auf diese vom Redner mit seinen Zuhörern zusammen explizit durchgeführte Korrektur des Suchens und Findens ankommt, zeigt wiederum der begründende Vers 4,31, in den alles mündet“.34 Ausschlaggebend ist: V.30a und 30b bilden einen syntaktischen Parallelismus, dessen pendierende Zeitangaben von einem Verbalsatz syndetisch aufgenommen werden.35 „Alle diese Worte“ (V.30a) setzen bereits die eingetretene Not voraus, beziehen sich also kaum auf die Unheilsankündigungen der V.26–28, deren Eintreffen ja erst diese Bedrängnis schaffen. „V.30 präzisiert also V.29 und klärt die Reihenfolge des ‚Findens‘: Wenn diese Worte JHWHs Israel gefunden haben, wird Israel umkehren und JHWH finden können. Das führt dann zu der gnadentheologischen Deutung“.36Dass der Erneuerungsprozess überhaupt zustande kommen und JHWH gegenläufig zu Israel handeln wird, liegt nach V.31 an seinem Wesen und seinem Eid gegenüber den Patriarchen. Er ist ein „barmherziger El“ (ʾel rāḥûm), der den zugeschworenen Bund nicht „vergisst“. Wie auch sonst im Deuteronomium wird die Beschreibung des Wesens Gottes mit „denn“ (kî) eingeleitet, sie formuliert also keine neuen Erkenntnisse.37 Diese Begründung übergreift als Rahmensatz letztlich sogar die gesamte Zukunftsschau der V.25–30. Die Gottesbezeichnung „El“ wird verwendet, weil sie – im Deuteronomium so vielfältig und häufig wie in keinem anderen Buch der Hebräischen Bibel – mit göttlichen Attributen verbunden wird. Sie hat die Funktion, „Jhwh als einen Gott darzustellen, von dem bestimmte charakteristische Eigenschaften oder Verhaltensweisen ausgesagt werden können.“38 Das nur in V.31 belegte für sich stehende JHWH-Prädikat ʾel rāḥûm wurde in Analogie zu ʾel qannāʾ (V.24) gebildet. Es spielt zwar auf die Gnadenformel vom Sinai (Ex 34,6) an – „die Antwort Gottes auf die Sünde vor dem Stierbild“39 –, lässt aber deren zweite Hälfte, das Adjektiv „gnädig“ (ḥannûn), weg. Schon dieses für Deuteronomium 4 auch sonst typische Abweichen vom stereotypen Sprachgebrauch der Vorlagen signalisiert den Unterschied des Sinai-/Horebbundes gegenüber dem Väterbund. Außerdem spricht Kap. 4 nicht wie Ex 34,7 von „Schuld, Frevel und Sünde“, ebenso nicht von Vergebung. Ebenso schweigt es vom „Starrsinn, dem Verschulden und der Sünde“ des Volkes, die nicht zu beachten Mose am Horeb in Dtn 9,27 Gott bittet. In 4,31 verhält sich Gott nach der Umkehr nicht zum Versagen, sondern wendet sich Israel zu. Mit berît ʾabotækā greift 4,31 wie 7,(8).12 und 8,18 „auf den priesterschriftlich verstandenen Erzväterbund“ zurück.40 Auch die Formulierungen der Gegensatzspannung zwischen der Schuld Israels und dem Erbarmen JHWHs sprechen dafür, dass es sich nicht um die gleiche berît handelt.41 Sie unterstreichen ferner, dass es vordringlich um die Gottesbeziehung Israels geht. Der Vertragsbund vom Horeb verweist nur auf die Strafandrohung des Dekalogs mit „dem eifersüchtigen Gott“ (4,24), der ahndet (5,9), wenn Israel diesen „Bund vergessen hat, den JHWH mit ihm geschnitten hat,“ (4,23) und „ins Verderben gelaufen ist“ (4,25). Seine Logik bietet keine Aussicht auf einen „barmherzigen Gott“. Was dieses zweite El-Epitheton bedeutet, erläutern die anschließenden drei Sätze (4,31aβ.bα). Zwei davon sind bewusst gegensätzlich zum Verhalten Israels formuliert:42 „der dich nicht dem Verderben preisgibt (loʾ yašḥîtækā, vgl. 4,25 wehišḥatæm) und den Bund nicht vergisst (weloʾ yiškaḥ ʾæt berît, vgl. 4,23)“, zu dem er sich „eidlich den Vätern“ verpflichtet hat (4,31). Gott handelt also in pointiertem Gegensatz zu dem Verderben, das Israel durch das Anfertigen eines Kultbildes angerichtet hat. Das Verb šḥt Hifil mit Gott als Subjekt ist im Deuteronomium auf 4,31 und 9,26 (10,10) beschränkt. Die Zusage in 4,31 ist also ein geschichtlicher Rück- und ein intratextueller Vorverweis auf die Mosefürbitte am Horeb (9,26).43 Anstelle der kontextbedingten Formulierung loʾ škḥ berît in Dtn 4,31 sprechen die priesterlichen Texte Ex 2,24; 6,5; Lev 26,42 von zkr berît, „des Bundes“ – nämlich mit den Vätern – „gedenken“. Der Appell Moses an Gott, der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob als „seiner Knechte“ zu gedenken (zkr), findet sich auch in der Mosefürbitte am Horeb in Dtn 9,27.44 Sie verstärkt indirekt den Bezug von 4,31 auf den Patriarchenbund. Beiden Texten ist ferner gemeinsam, dass eine Zusage an die Väter, ihre Nachkommen zu mehren und ihnen das Land zu geben, fehlt. Beides findet sich in der Parallele zu Dtn 9,27, nämlich in Ex 32,13. Das Schweigen von Dtn 4,31 ist aber angesichts der auch sonst in Kap. 445 üblichen Rhetorik durchaus beredt. JHWH ist also bundestreu, aber er ist es nicht aufgrund des Horeb-/Moabbundes, sondern aufgrund jenes Bundes, den er den Patriarchen einseitig geschworen hat. Dabei wird nicht gesagt, dass der Horeb-/Moabbund nicht mehr gilt, weil Israel ihn vergessen hat, aber auch nicht, dass aufgrund des Väterbundes „der Sinaibund potentiell noch existiert und jederzeit wieder aktualisiert werden kann“, sodass man „bloß der Rückkehr zur Beobachtung des Bundes (der Umkehr)“ bedarf.46Exkurs: Bleibt Israel nur bedingt im Abrahamsbund?Die Vorstellung vom Bund, den JHWH nach 4,31 den Patriarchen zugeschworen hat, verdeutlicht bzw. entfaltet den priesterschriftlichen Abrahamsbund in Genesis 17. Vom fast einmütigen Forschungskonsens wird dieser Bund als „reiner Gnadenbund“47 erklärt, vor allem als eine Gottesbeziehung, die zwar persönliche Zustimmung erfordert, deren Bestehen aber danach an keine Gehorsamsforderung gegenüber dem menschlichen Partner geknüpft ist. Der Abrahamsbund kann deshalb vom menschlichen Bundespartner nicht gebrochen werden.48 Gegen diese Interpretation hat J. J. Krause Bedenken erhoben. Seine These, der Bund sei auch nach der priesterlichen Konzeption konditional strukturiert,49 hat Auswirkungen für das Verständnis von Dtn 4,31. Denn hier wird ein für das Volk unbedingtes, von JHWH allein begründetes und ihn verpflichtendes „Bleiben im Bund“ vorausgesetzt. Ich muss deshalb auf Krauses Argumentation ausführlicher eingehen.50Der Gottesbund mit Abraham bezeichnet ein Verhältnis, das einseitig von JHWH gestiftet wird: Er „gibt“ seinen Bund (berîtî, Gen 17,2) bzw. „richtet“ ihn „auf“ als „ewigen Bund“ (berît Ꜥôlām, V.7.19), also einen Bund von unbestimmter Dauer. Durch ihn verpflichtet sich Gott selbst, Abraham zu einer Menge von Völkern zu machen (V.4–5), für ihn und seine Nachkommen Gott zu sein (V.7b.8b) und ihnen das ganze Land Kanaan zu bleibendem Eigentum zu geben (V.8a). Diese Verheißungen gelten zwar dem Kollektiv Israel. Aber sie müssen durch die Beschneidung als dem „Zeichen des Bundes“ (V.11) von jeder männlichen Person angenommen werden (V.11). Mit diesem rituellen Vollzug zeigt sie, dass sie ein Glied des Bundes werden möchte. Trotzdem ist die Beschneidung kein „Element der Gegenseitigkeit“, auch keine gesetzliche Leistung, sondern „ein zwar notwendiger, aber selbstverständlicher Bekenntnisakt“51. Anders gesagt: Es geht um die Annahme, nicht um ein „Bleiben im Bund“.52 Die Bestimmung ist singularisch formuliert. „Aus dem Stammesverband ausgemerzt“ (wenikretāh), also aus der Volks- und Religionsgemeinschaft Israels ausgeschlossen, wird deshalb nur „ein einzelner männlicher Unbeschnittener“, der sich der Beschneidung verweigert und dadurch den Bund bricht (V.14). Diese krt-Sanktion lässt unerwähnt, wer sie durchsetzt. Sie betrifft, wo sie sonst gebraucht wird, schwerwiegende Verstöße, die in die Verantwortung des Einzelnen vor Gott fallen und wo eine Kontrolle durch die Gemeinschaft nicht möglich erscheint. Hinter der Passivkonstruktion steht deshalb keine menschliche Instanz, sondern Gott als Subjekt eines Passivum divinum. Ihm bleibt überlassen, wie das „Abgeschnittenwerden“ konkret verwirklicht wird.53 Diese für die Verweigerung der Beschneidung eines einzelnen angekündigte Strafe kann deshalb nicht die Gemeinschaft der im Bund JHWHs Lebenden gefährden,54 weil Gott als der Strafende „nicht die Gemeinschaft belangen, sondern sie von ihrem sündigen Glied befreien“ wird.55 Zusammenfassend: „Empfänger der berît als Zusage und Gebot sind alle Israeliten. Subjekt des Bundesbruchs und Objekt seiner Folgen ist der einzelne israelitische Mann. […] Damit verschiebt die Priesterschrift den Bundesbruch samt seiner Folgen in die individuelle Sphäre, während auf kollektiver Ebene keine Katastrophe des Gottesverhältnisses mehr ins Auge gefasst wird. […] Durch die Individualisierung des Bundesbruchs hat die priesterliche Theologie sichergestellt, dass der Bundesbruch nur noch Delikte Einzelner meinen kann.“56Krause hat nicht nur die Individualisierung, sondern auch die pragmatische Plausibilität eines reinen Gnadenbundes in Frage gestellt: Ist es überhaupt denkbar, „dass sich eine – je nach Ansatz – exilisch oder frühnachexilisch konzipierte Überlieferung derart selbst zur geschichtstheologischen Sprachlosigkeit verurteilt. Sollte ausgerechnet die priesterliche Bundestheologie, die die feierlichen Zusagen des Landes und – vor allem – der Einwohnung Jhwhs im Kult dezidiert ins Zentrum ihrer Konzeption rückt, zum faktischen Verlust von Land und Tempel nichts zu bemerken wissen?“57 Krause sieht zurecht das Gottsein JHWHs für Israel nach priesterlichem Verständnis als „die Verheißung des Bundes“ mit Abraham (Gen 17,7b.8b).58 Genau um diese theozentrische Perspektive und nur um das Gottesverhältnis geht es Dtn 4,31 mit seiner Begründung dafür, dass Israel noch Zukunft hat. In diesem Vers fehlt gerade all das, was Krause für die geschichtstheologische Funktion der priesterschriftlichen Bundesvorstellung als unentbehrlich ansieht: Weder die Zusage einer Mehrung des Volkes noch einer erneuten Inbesitznahme des Landes noch die für den deuteronomischen Kult wesentliche „von JHWH erwählte Stätte“ im Land werden erwähnt. Was in der Situation der Verbannung buchstäblich Not wendend ist und allein zählt, ist die Bindung an den barmherzigen Gott des Väterschwures. Mose würde nicht auf die zwar gnadenhafte und unbedingte, aber zuverlässige Wiederaufnahme des Volks in das Verhältnis zu seinem Gott JHWH verweisen, dürfte er nicht voraussetzen, dass das Volk aus dem Bund dieses Gottes mit den Patriarchen nicht herausfallen kann. Dtn 4,31 versteht also offenkundig die Sanktion von Gen 17,14 nicht als eine kollektive Möglichkeit. Das Bleiben im Väterbund JHWHs wird nicht eingeschärft, sondern gilt als sicher zugesagt. Es genügt aber auch zur theologischen Erklärung und Bewältigung der Katastrophe.Was geschieht, wenn Israel die Verheißung des Väterbundes von der Inbesitznahme des Landes ablehnt? Die Priesterschrift behandelt in der Kundschaftergeschichte (Numeri 13–14*) den Verlust des Landes „spiegelbildlich als Gefahr, in das Land gar nicht hineinzukommen“.59 Verantwortlich dafür sind die politischen Führer und die Generation der von Ägypten Ausgezogenen, die das Land als „Menschenfresserin“ verleumden und die angebotene Heilsgabe Gottes verschmähen (Num 13,32; 14,36; vgl. Ez 36,13).60 Sie müssen noch in der Wüste sterben. Das Verhängnis betrifft zwar das Schicksal des ganzen Volks, wird aber nicht mit der Bundeskategorie bearbeitet, sondern mit Hilfe des Gegensatzes zwischen zwei Generationen bewältigt: „Israel ist mehr als eine ganze Generation, es ist ein Generationenverbund, und unter der versagenden Generation wächst bereits eine neue Generation heran, die weder an diesem Versagen teilgenommen hat noch für dieses Versagen mit in Verantwortung genommen wird. So kann JHWH eine Kollektivstrafe über Israel verhängen, ohne dass ganz Israel ihr verfällt, weil es in Gestalt der sich ablösenden Generationen Unterkollektive in Israel gibt.“61 Auf das Exil umgelegt heißt das: „Die Bundesgabe Land ist ewig. Israel hat es gar nicht verloren. Lediglich die schuldig gewordene Generation ist seiner durch das Exil verlustig gegangen.“62 Diese Feststellung widerlegt den Einwand von Krause, bei der Bestrafung der Kundschafter handle es sich nur um eine zeitlich begrenzte Verzögerung der Landgabe, nicht um den Verlust des seit Generationen gegebenen Landes.63 Dagegen spricht außerdem, dass die Priesterschrift die Ereignisse paradigmatisch und transparent für den tatsächlichen Geschichtsverlauf erzählt, auf den ihre Adressaten zurückblicken.64Deuteronomium 1 hat die vorpriesterschriftliche Darstellung der Sünde der Kundschafter, des Volkes und Moses in einer einzigen, an den Anfang des Buches gestellten „Ursünde“ konzentriert.65 Die dabei geschilderten Verhaltensmuster von Auflehnung und Unglauben sind paradigmatisch und werden von der Gesellschaft Israels in der späteren Geschichte wiederholt. Die Vergeltung der Kollektivschuld des Volkes erfolgt äußerst differenziert, jeweils dem Maß der Verwicklung in die Schuld entsprechend. Doch ist auch hier entscheidend: Die Exodus-Horebgeneration der waffenfähigen Männer hat die den Patriarchen verheißene Übereignung des Landes (Dtn 1,8.21) abgelehnt und muss deshalb in der Wüste umkommen. Doch kann ihre Sünde die Selbstverpflichtung Gottes im Vätereid nicht vereiteln. Sie wird danach wieder wirksam und erfüllt sich an der nächsten, der Moabgeneration.Ende des Exkurses1.5Gottes Liebe und Erwählung (4,37; 7,7–11)Die Zukunft, die Mose in 4,25–31 für den Aufenthalt Israels im Land, seine Verbannung unter die Völker und seine Begnadigung prophetisch entwirft, findet in V.32–39 ihre letzte Vergewisserung. Die Verse schließen mit „denn“ (kî) begründend an den gesamten paränetischen Block V.9–31 an.66 Sie klären endgültig das Verhältnis JHWHs zu den Göttern und beweisen, dass das gesamte Wirken Gottes an seinem Volk noch über die Selbstverpflichtung Gottes im Patriarchenbund hinaus in seiner Liebe zu den Vätern ihren Ursprung hat. Weil mit den „Vätern“ im Vorausgehenden und zuletzt in V.31 Abraham, Isaak und Jakob gemeint sind, bezieht sich die Bezeichnung auch in V.37 auf diese Personen67 :37 Und weil er deine Väter liebgewonnen (ʾāhab) und die Nachkommen [den Samen] eines jeden von ihnen68 erwählt hatte (wayyibḥar), hat er dich dann in eigener Person durch seine große Kraft aus Ägypten geführt,38 um Nationen, größer und stärker als du, vor dir zu vernichten, um dich in ihr Land zu führen, um es dir zum Erbbesitz zu geben, wie es jetzt geschieht.Die Rettung umfasst die „kanonische“ Geschichte bis in die mosaische Gegenwart, darin unausgesprochen auch Auflehnung und Unglauben der Wüstenzeit. Nur die Horeboffenbarung wird im Vorausgehenden eigens herausgehoben (V.36). Alles Heilshandeln Gottes aber wurzelt in seiner Liebe, hinter die man nicht mehr zurückgehen kann, und in seiner Erwählung, die sich daraus ergibt und jetzt Israel betrifft. Die Erfahrung dieser unvergleichlichen Geschichte macht es Israel möglich, JHWH als den einzigen Gott im Himmel und auf Erden zu erkennen (V.39).Dass Liebe und Erwählung die letzte Begründung für das unverbrüchliche Gnadenhandeln Gottes an seinem Volk bilden, wird durch andere, teilweise ältere und bereits zur Tora des Moabbundes gehörende Belege des Deuteronomiums verdeutlicht.69 Ich beschränke mich dabei auf 7,7–11. Was 4,37 von den Patriarchen und jeweils ihren Nachkommen anführt, wird in 7,7–8 breit entfaltet und theologisch qualifiziert:7 Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch JHWH ins Herz geschlossen (ḥāšaq) und ausgewählt (wayyibḥar); ihr seid das kleinste unter allen Völkern.8 Wegen der Liebe (kî meʾahabat) JHWHs zu euch und weil er den Schwur bewahrt (miššamrô), den er euren Vätern geschworen hat, deshalb hat JHWH euch mit starker Hand herausgeführt und dich aus dem Sklavenhaus freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.Gottes Liebe (V.8) gilt hier unmittelbar Israel. Sie wird rhetorisch noch dadurch verstärkt, dass er das Volk „ins Herz geschlossen hat“, sich „an es gehängt hat“ (V.7). Wenn er dann Israel erwählt hat, ist diese Prärogative ein Geheimnis seines Verliebtseins und lässt sich nicht aus natürlichen Vorzügen erklären. Vor allem diese Liebe – nur an dieser Stelle des Deuteronomiums wird das Nomen ʾahabāh verwendet, das ihr Bleiben ausdrückt, – hat JHWH dazu bewegt, das Volk aus dem Sklavenstaat Ägypten zu befreien. Der Liebe nachgeordnet war es auch die Treue zu seinem Schwur (haššebuꜥāh) gegenüber den Vätern, der wie in 4,31 inhaltlich nicht näher bestimmt wird. Die Auswirkungen in der gewaltsamen Herausführung und Befreiung aus dem Sklavenhaus des Pharao (7,8) sollen sich in einer erkenntnismäßigen (V.9–10) wie praktischen Folgerung Israels (V.11) auswirken. In diesem Zusammenhang wird erstmals „bewahren“ (šmr), das Grundverb deuteronomischer Gebotsparänese, als Schlüsselwort für göttliche Selbstverpflichtung gebraucht (V.8). Es wird auch im Folgenden zusammen mit „lieben“ wechselweise von Gott und Israel verwendet (V.9). Denn „Gottes Gnade will angenommen werden, sie drängt zur Gegenliebe und ermöglicht sie zugleich.“70 Israels Liebe soll ihren konkreten Ausdruck im Gehorsam gegenüber den Geboten, das heißt, in der gottgewollten Sozial- und Gesellschaftsordnung des Moabbundes, finden:9 Daran sollst du erkennen: JHWH, dein Gott, ist ‚der Gott‘ (hāʾælohîm); er ist der treue El (hāʾel hannæʾæmān); noch nach tausend Generationen bewahrt er den Bund (habberît) und die Huld (haḥæsæd) denen, die ihn lieben (leʾohabāw) und seine Gebote bewahren (lešomrê miṣwotāw).„Der Bund als eidliche Selbstverpflichtung und die Huld als frei schenkende Gnade sind einander ergänzende Formen der göttlichen Zuwendung. Zugleich sind auch die Liebe und der Gehorsam Israels in diese Beschreibung Gottes eingeschlossen.“71 Hier besteht eine Gegenseitigkeit zwischen dem Verhalten Gottes und Israels, doch geht dabei die Treue „Els“ dem Gebotsgehorsam Israels voraus. In Abwandlung des Dekalogs als der Urkunde des Horebbundes (5,9) erreicht die Strafe jetzt ausschließlich diejenigen, die ihn hassen (7,10).72Wie die Selbstverpflichtung JHWHs, aufgrund seines Bundes mit Abraham für seine Nachkommen Gott zu sein (Gen 17,8), ein für Israel unverbrüchliches Verhältnis geschaffen hat, so hört nach der Theologie des Deuteronomiums auch JHWHs Liebe zu ihm nicht auf und wird seine Erwählung niemals zurückgenommen.2Deuteronomium 29–30 und der Moabbund – Herzensbeschneidung und GottesliebeDer dritte Buchteil des Deuteronomiums enthält seiner Überschrift in 28,69 zufolge die Worte, durch die Mose im Auftrag JHWHs den Bund in Moab geschlossen hat.73 Mit ihnen wendet sich Mose an die gleiche Volksversammlung von ganz Israel, die er schon in 5,1 zusammengerufen hatte. Die dibrê habberît (28,69) des dritten Buchteils beziehen sich auf rituelle und andere Worte wie Handlungen des Moabbundes in Deuteronomium 29–30. Die beiden Kapitel bilden eine Redeeinheit, die Ergänzungen zur Bundesurkunde der Tora (Kap. 5–28) bringt. Man darf allerdings von ihrer erzählerischen Abfolge nicht auf den Handlungsverlauf bei der Bundeszeremonie schließen. Denn die performativen Aktionen des Vertragsabschlusses in Moab finden sich sowohl im zweiten (26,17–19; 27,1.9–10) als auch im dritten Buchteil (29,9–14; 30,15–20) und können von ihrem Inhalt her nicht nacheinander vollzogen werden.2.1Die Gnade des Moabbundes (29,1–7)Die Bundesschlüsse am Horeb und in Moab folgen zwar geschichtlich nacheinander, doch konvergieren sie im „Heute“ (hayyôm 5,3; ꜥad hayyôm hazzæh 29,3) der Redesituation Moses. Stellt er vom Bundesschluss JHWHs am Horeb in 5,3 einfach fest: „nicht mit unseren Vätern hat JHWH diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, uns diesen hier, heute, (uns) allen, den Lebenden“, so begründet er in 29,1–7, weshalb JHWH diesen Horebbund mit dem Moabbund identifizieren kann. Der Rückblick dieser Verse zu Beginn der Ritualtexte von Kap. 29–30 auf die Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden Bundespartnern lässt die Gnade des Moabbundes erkennen.7429,1b setzt fast wortgleich mit Ex 19,4 und Jos 23,3 zu Beginn der Reden Josuas vor seinem Tod ein: „Ihr habt alles gesehen, was ich / JHWH vor euren Augen getan habe / hat …“ „Was erstmals am Sinai geschah, wiederholt sich als Bundesbestätigung jeweils dann, wenn die Führungsgestalt Israels dem Tod nahekommt und die Leitung abgeben muss.“75 29,1b–6a umfasst zunächst „alles, was JHWH vor euren Augen im Land Ägypten getan hat,“ (V.1b) und – als Gottesrede stilisiert – seine Führung durch die Wüste „bis ihr an diesen Ort kamt“ (V.6a). Anschließend berichten die V.6b–7 rein innergeschichtlich vom Sieg Moses und der Israeliten über die beiden Könige Sihon und Og sowie die Verteilung ihres Landes. In diesem zweiten, untheologischen Resümee spricht Mose nicht mehr zu den versammelten Israeliten, sondern schließt sich mit ihnen im „Wir“ zusammen. Wie 5,3 identifiziert auch 29,1–7 die Exodus-Horeb- mit der Moabgeneration. Israel war also Augenzeuge der „schweren Prüfungen, Zeichen und Wunder“ in Ägypten (V.1b–2) und erlebte auf der Wüstenwanderung eine wunderbare Versorgung mit Kleidung, Schuhwerk und Nahrung (V.4–5a). Allerdings hat es nur die Faktizität der göttlichen Großtaten und seiner eigenen Wunderexistenz wahrgenommen, nicht jedoch begriffen, was eigentlich geschah. Seine Reaktion war also nicht angemessen, trotzdem aber nicht schuldhaft.76 Denn Gott hat Israel bisher weder „ein Herz zum Erkennen“ (leb lādaꜥat) noch seine Voraussetzungen, nämlich „Augen zum Sehen und Ohren zum Hören“, gegeben (V.3). Was Gott damit beabsichtigte, sagt er erst nach der Ankunft des Volkes in Moab: die Erkenntnis der Israeliten (lemaꜥan tedeꜥû) „Ich bin JHWH, euer Gott“ (V.5b). Auf diese theologische Einsicht war also die ganze bisherige Zeit des Noch-Nicht-Erkennens ausgerichtet. Die Formel eröffnet (mit kleinen Abwandlungen) nicht nur den Horebbundestext, den Dekalog, sondern sie weist auch voraus auf den Bundesschluss in Moab, dessen Inhalt sie bildet: „dich heute für sich als Volk einzusetzen und dir Gott zu werden, wie er es dir zugesagt und deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat.“ (V.12). „Im Moabbund findet also das Sehen, Hören und Erkennen statt, das Israel bisher noch nicht geschenkt worden war. Dazu ist es ‚bis zu diesem Tag‘ (V.3) und ‚bis zu diesem Ort‘ (V.6a) gekommen. Durch diesen Unterschied übertrifft der Moabbund auf Seiten des menschlichen Partners den Horebbund.“77 Der anschließende Kurzbericht der 29,6b-7 beinhaltet nur die beiden letzten Jahre des Wüstenaufenthalts und die Eroberungen im Ostjordanland (2,24–3,17).Der Geschichtsrückblick 29,1–7 bildet im Deuteronomium den „Deutungsschlüssel für alles, was vorher über die Zeit vom Auszug aus Ägypten bis zur Ankunft am Ostufer des Jordan gelesen werden konnte.“78 Er ist an die Erzählungen der Kap. 1–3 zurückgebunden. Im Einzelnen: 29,1b–6a greift in seiner Darstellung der Zeit von Ägypten bis zum Befehl Gottes zur Überschreitung des Arnontales, der Grenze von Sihons Königsreich, nur an den beiden strukturellen Schnittstellen 29,1b und 6a auf die Kap. 1–2, nämlich auf 1,30b und 31, zurück. Dagegen bildet 29,6b–7 ein Formelmosaik aus 2,32–3,13. Was schweigend übergangen wird, sind die Ursünde des Unglaubens in Kadesch-Barnea (1,32) und als ihre Folge die achtunddreißig Jahre des strafweisen Aussterbens der Ägypten-Horeb-Generation (2,14). Aus den vierzig Jahren Wüstenzug (29,3) ausgeklammert werden aber auch der Horeb und die anderen Orte, an denen Israel „die göttliche Ungnade provoziert“ hatte (9,7.8.22). Die Erinnerung an die JHWH-Taten in der eigenen Vergangenheit ist somit klar akzentuiert. Sie bereitet den Bundesschluss in Moab als gnadenhaft gewährte Verpflichtung vor. „Da verblassen Sünde und ergangene Strafen, nur die wunderbare Führung durch Jahwe auf diesen Punkt hin steht vor Augen. Alles, was die Zeit der Wüste füllte, war gottgeschenkte und gottgetragene Vorgeschichte, noch ohne eigentliche Begegnung mit Gott, hin auf diesen Augenblick, wo Israel seinen Gott Jahwe erkennen wird.“79Das Eidesritual in Moab soll also Sinn und Ziel der gesamten Volksgeschichte erkennen lassen. Die unverändert gültige Zusage „Ich bin JHWH, euer Gott“ (29,5) wird zwar nicht im einseitig durchgehaltenen Patriarchenbund verortet. Dennoch beabsichtigt JHWH, für Israel „Gott zu werden“, wie er es Abraham nach Gen 17,7–8 geschworen hatte, und es „als sein Volk einzusetzen“, wie er es Mose nach Ex 6,7 zugesagt hatte (Dtn 29,12). Horeb- und Moabbund bleiben zwar, obwohl sie auf verschiedene Bundesschlussakte und in Moab auch auf eine erweiterte Horeb-Bundesurkunde zurückgehen, „nach 28,69 deutlich voneinander unterschieden. Doch ist das Bundesverhältnis zwischen JHWH und Israel ein und dasselbe. Wenn YHWH mit dem Volk aufgrund des verlesenen Vertragsdokuments vom Horeb ‚heute‘ in Moab einen Bund schließt (29,9–14; 26,17–19; 30,15–20; 27,1.9–10),80 bestätigt er damit seine niemals aufgegebene Beziehung zu Israel. Deshalb kann auch die Exodus-Horeb- mit der Moabgeneration identifiziert werden“ und bilden Horeb- und Moabbund „in ihren Verpflichtungen eine vollkommene Einheit.“812.2Der Bruch des Moabbundes, Gottes Zorn über das Land und die Gnade (29,15–30,14)Der Textverlauf von Kap. 29–30 entspricht locker dem Aufbau altorientalischer Vasallenvertragsurkunden.82 Dazu gehören nach den Vertragsbestimmungen, die beeidet werden, präventive Flüche, um den Vertrag zu schützen, aber auch Segensverheißungen für den Gehorsam. Es fehlt jedoch eine Zukunftsaussage, die über diesen Horizont hinausreicht. Während dem kollektiven Bundesbrecher Israel die vereinbarten Sanktionen drohen, ist eine Erneuerung des Bundesverhältnisses nicht vorgesehen. Doch kann JHWH als Bundespartner wie als Vertragsgott die Strafe zugunsten Israels modifizieren und ihm Zukunft ermöglichen. Deshalb umfasst die prophetische Voraussage Moses in Kap. 30 nach dem angekündigten Flucheintritt eine die alten Verheißungen überbietende Segenszeit. Sie ermöglicht mit dem erneuerten Gottesverhältnis auch einen vertieften Tora-Gehorsam und durch ihn eine gelingende und Gott wie Volk beglückende Gesellschaft.Auf die Vorgeschichte des Moabbundes samt abschließender Paränese (29,1–8) folgt in 29,9–14 kein formeller Bundesschluss. Vielmehr werden die menschlichen Partner des Bundes und der Zweck der Zusammenkunft, nämlich die Bundesschließungszeremonie, bestimmt. Wichtig ist dabei, dass auch die abwesenden Israeliten und die Menschen künftiger Generationen zu den Partnern des Bundes gerechnet werden (29,14). Daran schließen wiederum nicht die zu erwartenden performativ vollziehenden Worte des Vertrags, sondern Segen und Fluch an,83 und zwar wie 4,25–31 in historisierter Form und in einer gegenüber dem Vasallenvertragsformular umgekehrt angeordneten Reihenfolge. Die bedingten Drohungen der Tora-Urkunde aus dem Sanktionskapitel 28 betreffen in 29,15–20 zunächst einzelne Israeliten, „Mann oder Frau, Sippe oder Stamm“, die den Göttern der Völker dienen und die Verwünschungen mit einem geheimen Vorbehalt verbinden. Das Volk ist also von einzelnen Sündern oder Sündergruppen zu unterscheiden, weshalb der Zorn Gottes nicht sofort gegen ganz Israel entbrennen muss. Im Übrigen werden dabei aus den Drohworten Unheilsansagen. Danach durchbricht Mose die fiktive Situation in Moab und blickt auf den bereits wirksam gewordenen Fluch voraus. Die Drohungen von Kap. 28 nennen zwar Folgen des Bundesbruchs, erwähnen aber nicht den „Zorn“ Gottes. „Die Bundesverwünschungen sind also kein Mechanismus, der automatisch Gottes Zorn auslösen könnte. […] Sobald Mose in Deuteronomium 29 in den Mantel eines Propheten schlüpft, der als solcher auch die in der Freiheit Gottes liegende Zukunft sieht, spricht er auch vom künftigen Gotteszorn.“84 Er entbrennt, „weil sie den Bund verlassen haben (ꜥāzebû), den JHWH, der Gott ihrer Väter, mit ihnen geschlossen hatte, als er sie aus Ägypten führte, weil sie angefangen haben, anderen Göttern zu dienen und sich vor ihnen niederzuwerfen“ (V.24–25). Israel wird also wegen der Nichtbeachtung des Fremdgötterverbots des Horebbundes vom Zorn Gottes getroffen werden, der „den ganzen Fluch, der in dieser Urkunde aufgezeichnet ist“, über das Land bringt (V.26). ʾæræṣ, „Land“, dient in den V.21–27 als Leitwort, das sieben Mal in palindromischer Anordnung gebraucht und dadurch rhetorisch unterstrichen wird. Und der Gotteszorn, der in chiastischer Anordnung die V.21–22.26–27 durchzieht, ist fast ausschließlich auf das Land konzentriert, das durch ihn alle Lebensfähigkeit verliert. Er gipfelt in der Verbannung der späteren Generation der Israeliten: „JHWH riss sie von ihrem Lande weg in Zorn und Glut und großer Ungnade und schleuderte sie in ein anderes Land“ (V.27). Zwischen dem Verhalten Israels und dem von Gott gewirkten Unheil besteht also ein Kausalzusammenhang. Die Vergeltungslogik ist nach dem Motiv der „Strafgrundbefragung“ angelegt, das in biblischen und neuassyrischen Texten (nämlich den Annalen Assurbanipals) belegt ist.85 Darin fragen Menschen nach dem Grund einer als Strafe Gottes erlebten Not und die Antwort verweist auf einen politischen bzw. religiösen Vertragsbruch. Die Folgen des Abfalls sind in Kap. 29 andere als in 4,27 und 28,64 bzw. 28,62, die Israels Zerstreuung unter die Völker oder seine bloße Restexistenz androhen, oder in 4,28 und 28,64, die die Verehrung der Völkergötter in der Verbannung voraussagen. In allen Fällen aber setzt Gott selbstverständlich seine Fluchandrohung in die Tat um, auch wenn sich ihre Werkzeuge dem Kontext entsprechend unterscheiden. Mit gleicher prophetischer Sicherheit entwirft Mose für die spätere Geschichte in 30,1–14 eine neue Segenszeit. In ihr verschiebt sich aber gegenüber 29,21–27 der Blick vom Land auf das Volk.30,1–10 ist der einzige Text des Deuteronomiums, der ausdrücklich von einer Rückkehr Israels aus der Verbannung in sein Land spricht. Dabei werden die Flüche von 28,62–64 in Segen verwandelt: JHWH wird die Versprengten sammeln, aus der Zerstreuung unter die Völker herausholen, wieder in ihr Land heimbringen und „dich glücklicher und zahlreicher machen als deine Väter“ (30,3–5); er wird sich wie an den Vorfahren auch an der Heimkehrergeneration wieder freuen und ihr Gutes tun, weil sie auf seine Stimme hört (V.9–10). Nach der durch „denn“ (kî) zumindest redaktionell fest angebundenen Passage 30,11–14 über „das nahe Wort“ braucht Israel dann für seinen Gebotsgehorsam niemals auf die Suche nach der Tora zu gehen. Die Verse integrieren die Lernparänese von 6,6–7 und beziehen sich auf das Liebesgebot 30,6 – wie auch 6,6–7 an das Liebesgebot von 6,5 anschließt. Jedenfalls übertrifft 30,1–14 bei Weitem alles, was von der Bundesurkunde her zu erwarten wäre. Die mosaische Zukunftsschau erfolgt in 4,25–31 und 29,15–30,14 zwar in zwei klar unterschiedenen Sprechakten. Doch wird die Tora der Kap. 5–28, die offenbar nicht mehr verändert werden konnte, näher hin die bedingten Segens- und Fluchaussagen in Kap. 28, durch ihr Neuverständnis in 4,25–31 und 29,15–30,14 gerahmt, kommentiert und uminterpretiert. „Die zukunftsoffene Tora vom Horeb wird in Moab also durch die sie umgebenden Textstücke in einer mosaischen Voraussage der Zukunft verpackt.“86 Überraschend folgt danach in 30,15–20 die Aufforderung, jetzt in Moab den Bundesschluss zu vollziehen. Sachlich setzt sie zwar seine Ankündigung in 29,9–14 fort, entspricht aber nicht dem alten Ritual. Vor allem bleibt am Ende offen, ob das versammelte Israel diesem Aufruf folgt.2.3Die Verheißung der Herzensbeschneidung (30,6) und der Fülle des SegensDie Segenseinheit 30,1–10 entfaltet die Wende-Theologie von 4,29–3187 und akzentuiert sie neu. JHWH wird das Volk wieder ins Land seiner Vorfahren zurückbringen, es mehren und überreich segnen. Allerdings fehlt jeder Hinweis auf die Patriarchen und einen Bund. Das Gottesverhältnis und die Tora-Beobachtung sowie die Fülle der Güter hängen vielmehr an einer Beschneidung des Herzens Israels durch JHWH selbst.30,1 wird durch ein Temporalsatzgefüge eingeleitet. Es hat wie alle Segens- und Fluchgefüge des Deuteronomiums nur einen einzigen verbalen Hauptsatz, sodass der Nachsatz bereits in 30,1b einsetzt: Wenn Israel unter die Völker zerstreut ist, dann wird es sich die eingetroffene Vertragslogik von Segen und Fluch zu Herzen nehmen. Sein Verhalten, das 30,2 voraussagt, ist bereits aus 4,30 bekannt, ist also keine Bedingung mehr.88 Die angekündigte Wende ist also nicht von einer vorausgehenden Umkehr Israels und seiner Bereitschaft zum Gebotsgehorsam abhängig, sondern Ergebnis der nicht erwarteten, zuvorkommenden und bedingungslosen Gnade Gottes. Sie bewirkt zunächst und vor allem anderen die Rückkehr zum Gott Israels89 :30,1 Und wenn alle diese Worte über dich gekommen sind (yāboʾû ꜥalækā kål haddebārîm hāʾellæh), der Segen und der Fluch, die ich dir vorgelegt habe, dann wirst du sie dir zu Herzen nehmen mitten unter den Völkern, unter die JHWH, dein Gott, dich versprengt hat, 2 und zu JHWH, deinem Gott, zurückkehren und auf seine Stimme hören in allem, wozu ich dich heute verpflichte, du und deine Kinder, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele …Zunächst charakterisiert 30,1 „den Segen und den Fluch“ als „Worte“, das heißt Äußerungen Moses, die primär Sprechakte sind. Ob aus ihnen „tatsächlich das Schicksal bestimmende Wirklichkeiten werden, hängt von JHWH ab, dem Spender des Segens (28,8) und dem Sender des Unheils (28,20). Hinter den Konditionalsätzen 28,2.15 steht kein Automatismus von Ursache und Wirkung, sondern es wird der Geltungsbereich von Worten festgelegt und die Tätigkeitsweise JHWHs konzediert. Wenn Israel gehorcht – und Israel will ja beim Bundesschluss gehorchen – soll JHWH den Segnungen entsprechen, wenn es aber tatsächlich einmal ungehorsam werden sollte, dann mögen die Verfluchungen seine Handlungsprinzipien sein.“90 Im Übrigen hebt das Deuteronomium mit dem bedingten Segen und Fluch „keineswegs grundsätzlich die Unbedingtheit und Unverfügbarkeit des göttlichen Segens auf und lässt Gott lediglich auf Toragehorsam und – ungehorsam Israels reagieren. Es geht ihm vielmehr um den Umgang mit dem gratis geschenkten Segen. Es zielt auf die menschliche Bestätigung und Betätigung der Bundesbeziehung, die Gott voraussetzungslos eröffnet hat und die er je neu durch seine Segensgaben aufrechterhält.“91 Das alles heißt also nicht: „Der Bund ist in seiner Valenz eben nicht abhängig vom Gehorsam des menschlichen Partners. […] so wenig Jhwh gebunden ist durch den Gehorsam Israels, so wenig ist er auch gebunden durch dessen Ungehorsam.“92 Das Eintreffen „aller Worte“ von Segen und Fluch beweist, dass sich JHWH als Partner und Garant des Moabbundes ihnen grundsätzlich verpflichtet weiß und nicht willkürlich handelt. Dennoch wird – wie Mose ebenfalls voraussagt – Gottes unverdiente Gnade in der Geschichte das letzte Wort behalten.93Was die Verse 30,1–7 inhaltlich entwickeln, wird von V.8 an zusammengefasst und in V.10 – wie in V.2, aber erweitert und chiastisch rückläufig – begründet. Die V.11–14 könnten sich auf diese Situation beziehen, in der die „Weisung“ aufgrund der göttlichen Zuwendung jetzt Mund und Herz ganz nah ist. Sie könnten aber auch noch weiter zurückgreifen und begründen, wie es im Exil möglich ist, die göttliche Willensoffenbarung im Lehrganzen der Tora „zu hören“ und „zu bewahren“: weil nämlich Gott selbst das Herz Israels und aller künftigen Generationen beschneiden wird (V.6).94Diese göttlich gewirkte Herzensbeschneidung95 steht im Zentrum des künftigen Segen, ob man ihn mit 30,1–10 oder aufgrund der übergreifenden Stichwortstruktur mit 30,1–14 abgrenzt. Beide Einheiten sind palindromisch aufgebaut, wobei die größere die kleine überlagert.96 Leitwörter sind „zurück-“ bzw. „umkehren, wenden“ (šûb), abwechselnd auf das Volk und auf Gott bezogen, und das „Herz“ (lebāb). Beide Wörter werden hier wie sonst nirgendwo im Deuteronomium gehäuft, nämlich jeweils sieben Mal, verwendet und damit rhetorisch unterstrichen. V.6 ist außerdem dadurch ausgezeichnet, dass er das numerische Zentrum in der Nennung des Gottesnamens bildet: JHWH ist je 6-mal in V.1–5 und in V.7–10 und 2-mal in V.6 belegt, fehlt jedoch in den V.11–14.97 Auch dadurch ist V.6 als literarische Mitte und theologische Zentralaussage hervorvorgehoben:30,6 Und JHWH, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen [deines Samens] beschneiden98, so dass du JHWH, deinen Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben kannst (leʾahabāh), damit du Leben hast.Entscheidend ist zunächst, dass der verheißene Eingriff Gottes trotz der palindromischen Abfolge der Aussagen und der zentralen Stellung der Herzensbeschneidung für die geschilderte Bekehrung und den Wandel der Lebensumstände die theologische Voraussetzung bildet.99 Das an keine Bedingung gebundene Handeln Gottes selbst ist dann vor allem vor dem Hintergrund der Forderung in 10,16 zu verstehen:10,16 Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein.Sie knüpft an 10,15 und die liebevolle Hinwendung JHWHs zu den Vätern an – „nur sie hat er ins Herz geschlossen, nur sie hat er geliebt“ –, ferner an die ausschließliche Zugehörigkeit Israels zu ihm – „euch, ihre Nachkommen [ihren Samen], hat er später unter allen Völkern ausgewählt“. Der Appell, die Herzensvorhaut zu beschneiden, ergibt sich somit als Konsequenz aus der Erwählung Israels, auch wenn dieser Auftrag jedem einzelnen gilt. Trotz des Rückbezugs auf 10,15–16 unterscheidet sich 30,6 von seiner Vorlage. Jetzt ist die Beschneidung erstens nicht in die Selbstbestimmung und Wahl Israels gestellt, sondern ist Entscheidung JHWHs, der die Beschneidung des Herzens (Singular) Israels vornimmt.100 Zweitens fehlt in 30,6 ein Bezug auf die Patriarchen bzw. auf den Väterbund, wahrscheinlich deshalb, weil in ihm die Beschneidung das von Menschen gesetzte Zeichen des Abrahambundes ist. Dieses Schweigen des Textes ist jedenfalls ernst zu nehmen.101 JHWH ist somit völlig frei in seinem Erbarmen, das Geschick seines Volkes zu wenden (30,3).102 Drittens: Nach 10,16a blockiert die Vorhaut gewissermaßen den Zugang zum Herzen als dem Ort der Gottesbeziehung, symbolisiert also die Selbstverweigerung und Verstockung. Sie zu beseitigen hieße, sich den Verpflichtungen des Bundes zu öffnen: „dass du JHWH, deinen Gott fürchtest, indem du auf all seinen Wegen gehst, ihn liebst und JHWH, deinem Gott mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dienst.“ (10,12). Der in 30,6 zugesagte Eingriff Gottes beschränkt sich aber nicht nur auf die „Vorhaut“, sondern betrifft das Herz selbst. Er schafft nicht bloß einen Zugang zum Herzen, wo alles Denken und Wollen seinen Sitz hat, sondern er beseitigt die Untauglichkeit des Organs. Das in 10,16b anschließende Bild der Halsstarrigkeit verweist auf die Revolte am Gottesberg und die ganze Widersetzlichkeit auf dem Wüstenzug (9,6.13.27; vgl. 31,27), die inzwischen zum Typus der Geschichte Israels vom Gottesberg Horeb bis zum babylonischen Exil geworden ist. Wenn Kap. 30 nicht davor warnt, „nicht länger halsstarrig zu sein“ (10,16b), dann braucht Israel dieses Hindernis nicht mehr durch menschliche Anstrengung zu überwinden. Denn mit der Beschneidung des Herzens beendet Gott auch die Halsstarrigkeit des Volkes. Die ganze Verwandlung betrifft viertens nicht nur die Heimkehrergeneration, sondern alle kommenden Generationen des Volkes: Sie können ihren Gott wieder „mit ganzem Herzen und ganzer Seele lieben“. Israel wird also dazu befähigt, das Hauptgebot der Gottesliebe, das zu beobachten es bisher ermahnt wurde (6,5 und öfter), in ganzem Umfang zu erfüllen. Das heißt aber zugleich: Es kann auch die deuteronomische Sozial- und Gesellschaftsordnung – „alle Gebote, auf die ich dich heute verpflichte“ – als Konkretisierung dieser Gottesliebe bewahren und halten (vorausgesagt in 30,8). Ihre „Gebote und Satzungen“ sind in der Tora, der „Urkunde“ des Moabbundes, aufgezeichnet (V.10). Trotzdem wird nicht von „Bund“ gesprochen, auch nicht von seiner Erneuerung oder einem „neuen Bund“.103 Die Bestimmungen der Tora können befolgt werden. Denn dieses „Wort“ ist jetzt „ganz nahe, in deinem [Israels] Mund und deinem Herzen“ (V.14). Aufgrund der Herzensbeschneidung ist „das Gebot“ (V.11), also „Einheit und Gesamt des JHWH-Willens“, wie er konkret in Deuteronomium 6–26 vorliegt,104 nicht mehr „Forderung von außen, sondern Teil des Innersten und seiner Beziehung zu Gott“, ist es „ein Wort der Gnade und des sie annehmenden Glaubens“105 (vgl. Röm 10,8). Die Beschneidung des Herzens ist zwar physisch nicht greifbar. Aber sie wird in der Fülle des Segens erfahrbar, die von 30,3–5 und 7–9 – die Verheißung in V.6 rahmend – beschrieben wird: Sammlung und Rückkehr ins Land der Väter, aber nicht als neuer Exodus (dessen Termini fehlen)106 und ohne Feindbedrängnis, ferner Gutes im Überfluss bei der Arbeit, in Vieh- und Landwirtschaft, Mehrung der Nachkommen. V.10 begründet diesen Segen mit dem Hören auf die Stimme JHWHs, dem Bewahren der Gebote der Weisung und der Bekehrung.107 Wenn Gott also im Exil das Herz des Volkes beschneiden wird, wird wieder die Liebe des Anfangs da sein.3Väterbund, Horebbund, Moabbund und die Begnadigung IsraelsEs sind drei Bundesschlüsse, die im Deuteronomium voneinander unterschieden und zugleich miteinander verwoben werden.108 Die Referenzen von berît beziehen sich auf den Bund Gottes mit den Erzvätern (4,31; 8,18), auf Pentateuchebene ein Rückbezug auf das Buch Genesis. Ferner auf den Bund Gottes mit Israel im Zusammenhang des Auszugs aus Ägypten am Horeb (4,13.23; 5,2; 9,9.11.15; 10,8; 28,69b; 31,9.25.26), das ist auf Pentateuchebene ein Rückbezug auf das Buch Exodus. Schließlich einen Bund Gottes mit Israel in Moab, am Ende des Wüstenzugs, und zwar mit der zweiten Generation (5,3; 28,69a; 29,8.11.13.20). Dabei geht es um den Großteil des Buches Deuteronomium. Wenn das Deuteronomium also von berît spricht, kommt dabei nicht nur der Inhalt der Bundessetzung in den Blick, sondern lässt sich aus dem Kontext auch jeweils der Gründungsakt Väter-, Horeb- oder Moabbund erschließen.Horeb- und Moabbund werden zu Beginn des zweiten Buchteils und in der Überschrift des dritten Buchteils aufeinander bezogen – in 5,2.3 eher identifizierend, in 28,69 genau differenzierend. Vom „Bund im Land Moab“ spricht nur 28,69. Das Besondere dieses Moabbundes besteht darin, „dass Mose zum Propheten wird. Er droht nicht nur für den Fall des Ungehorsams, sondern er prophezeit die schreckliche Zukunft, die sich aus Israels Untreue ergeben wird, doch sofort auch, dass Gott sich am Ende erbarmen wird, sodass Israel sich bekehren und neu in sein Land zurückkehren kann“.109 Mose übersteigt also in 4,25–31 und 29,21–30,10 die Zukunftsperspektive, die Fluch und Segen in einem üblichen altorientalischen Vertrag enthalten. Noch im Rahmen des Moabbundesschlusses wird seine prophetische Vorschau von Gott in einer Theophanie ratifiziert (31,16–18) und anschließend im Moselied (31,19–21; vollständig und endgültig in 32,1–43) bestätigt. Während sich 4,31 ausdrücklich auf „den Bund mit deinen Vätern, den er ihnen geschworen hat,“ bezieht und Mose nach der Auflehnung Israels am Horeb Gott bittet, „seiner Knechte Abraham, Isaak und Jakob“ zu gedenken (9,27), fehlen in Kap. 30 sowohl die Patriarchen wie das Wort „Bund“.110 Denn die Beschneidung des Herzens Israels durch Gott selbst ist eine durch nichts verursachte, völlig freie Begnadigung, nachdem sich das Volk im Exil das Eintreffen der Segens- und Fluchworte zu Herzen genommen hat (30,1). Die Konzeption des Abraham- bzw. Väterbundes wurde schon ausführlich behandelt. Deshalb beschränke ich mich im Folgenden auf die Begnadigung Israels im Horeb- und Moabbund des Deuteronomiums.3.1Horebbund und VerschonungDer Bundesschluss am Horeb, über den Mose in Kap. 5 berichtet, wird von JHWH mit der Versammlung ganz Israels geschlossen.111 Seine Urkunde ist der in theophaner Szenerie proklamierte Dekalog, den Gott auf den Tafeln verschriftet und Mose übergeben hat (5,22; 9,10). Während dieser Bundesschluss noch im Gange war – sein Dokument war ausgefertigt, aber noch nicht offiziell hinterlegt – wurde der Vorgang durch die Anfertigung eines gegossenen Kalbes (9,12.16) unterbrochen. Angesichts dieser Sünde zerschmettert Mose die Bundestafeln (9,17). Der Zorn Gottes droht den Prozess des Bundesschlusses abzubrechen und das Volk zu vernichten, wird aber durch Sühne und Fürbitte Moses aufgehalten (9,18–21). 9,26–29 gibt das Gebet Moses wörtlich wieder. Eine Reaktion JHWHs wird nicht erzählt. Er befiehlt nur Mose, die zerbrochenen Tafeln durch neue zu ersetzen, und beschreibt sie wie die ersten. Danach werden sie von Mose in der Lade deponiert (10,1–5). Erst jetzt ist das komplexe Geschehen des Horebbundes mit Israel abgeschlossen.112 Die Darstellung des Deuteronomiums skizziert also nur das Problem und deutet es theologisch. Im Unterschied zu Exodus 32–34 gibt es nach Deuteronomium 9 am Horeb weder einen Bundesbruch noch eine Bundeserneuerung. Vor allem kennt das Deuteronomium nur die eine Fürsprache Moses für Israel am Horeb. Sie bezieht alle Verfehlungen der Wüstenzeit ein, die im Pentateuch vom Auszug aus Ägypten an erzählt werden (Dtn 9,22–24), und vereint auch alle Gebete, die Mose bei verschiedenen Gelegenheiten zuvor gesprochen hatte. 9,26–29 „ist das Fürbittgebet Moses, und als solches ist es hier in den Kontext der Horebsünde gestellt. In der Geschichte von der Horebsünde entwickelt Mose eine Erzählung, die alles vereint, was in den 40 Jahren an Sünde und an göttlicher Nachsicht mit Israel vor sich ging.“113Für unser Thema vordringlich sind 9,26–27a. Die Einleitung des Gebets „bring nicht ins Verderben dein Volk und deinen Erbbesitz (ʾal tašḥet ꜥamekā wenaḥalātekā), die du […] aus Ägypten geführt hast“ (V.26) nimmt zwar das sich distanzierende Urteil JHWHs auf: „Dein [Moses] Volk, das du [Mose] aus Ägypten geführt hast, läuft ins Verderben“ (V.12). Aber die eigentliche Bitte, die schon auf das Erbarmen Gottes zielt, liegt nur im „Vernichte nicht!“. Sie wird mit theologisch-juristischen Formulierungen fortgesetzt: „Jahwe wird an sein eingegangenes Beziehungsverhältnis und die daraus erwachsende Treueverpflichtung erinnert. Diese Aussageabsicht wird dann – spätestens jetzt unmißverständlich – in der Herausführungsaussage weitergeführt, die sich an die Qualifizierung Israels als ‚dein Volk und dein Erbbesitz‘ in beiden Fällen anschließt (V.26aβb.29b)“.114 Die privilegierte Existenz des Volkes, die Israel ausschließlich der Befreiung und Herausführung aus der Sklaverei durch JHWH verdankt, und die Annahme als „sein Volk und sein unveräußerliches Erbeigentum“ unterstreichen die Verantwortung, die er damit für das von ihm gestiftete Beziehungsverhältnis übernommen hat. Er kann sie nicht zugunsten einer von Mose stammenden „mächtigeren und zahlreicheren Nation“ aufgeben (V.14). „Dennoch ist angesichts Israels Sünde letztlich alles Bitte um unverdiente Gnade, und nicht ‚Recht‘.“115 4,20 hat die Qualifizierung Israels als Gottes „Erbeigentumsvolk“ (ꜥam naḥalāh) im Zusammenhang mit der Bundesformel genannt und damit formulierungsmäßig vorweggenommen, was der Fabel nach aber bereits in der auch literarhistorisch älteren Mosefürbitte auf dem Horeb vorausging. Das Gebet Moses am Gottesberg wurde erhört, denn JHWH weigerte sich, „dich dem Verderben preiszugeben“ (10,10). Wenn Israel dann im Land „ins Verderben läuft und ein Kultbild anfertigt“ (4,25), kann Mose an die Horeberfahrung anknüpfen und prophezeien, dass Gott auch in Zukunft nicht dem Fehlverhalten des Volkes entsprechend handeln wird (4,31). Entscheidend ist, dass sowohl am Horeb wie in der Bedrängnis des Exils die Erinnerung an die Erzväter (9,27a)116 bzw. das „Nicht-Vergessen“ des Väterbundes (4,31) die letzte Motivation für die Begnadigung Israels bilden. An beiden Stellen fehlt offenbar bewusst die Klischeeformel für die Land- und Nachkommensverheißung.117 Fordert Mose in 9,27a Gott auf: „Denk an deine Knechte, an Abraham, Isaak und Jakob!“,118 so spricht er in 4,31 nur vom „Bund mit deinen Vätern, den er ihnen geschworen hat“.Weil die Horeberzählung den Wüstenaufenthalt als Zeit der Auflehnung (9,7.24) und Halsstarrigkeit Israels (V.6.27) typologisch zusammenfasst, erhält die Mosefürsprache „auch eine Fundierungsfunktion für jede Zuwendung Gottes zu Israel nach allen in der Wüste geschehenen Sünden.“119 In ihr „sind einerseits Erzväter- und Exodusverweis Grund der Erhörung: als die beiden grundlegenden Aspekte, mit denen Mose Jahwe nicht aus seiner Bindung an Israel entlässt. Aber ebenso gilt: Das letztlich ‚eigentliche‘ Argument – das nämlich nach einer durchgehenden Sündengeschichte Israels noch bleibt – liegt in V.27“, also in der Gottesbeziehung Abrahams, Isaaks und Jakobs, die vor der Zeit des Volkes als „deine Knechte“ JHWH dienten.1203.2Moabbund und NeuanfangDer Moabbund ist nur möglich, weil sich JHWH trotz des Abfalls am Horeb und der Halsstarrigkeit des Volkes nicht seiner frei übernommenen Verantwortung und einem weiteren Heilswirken für Israel entzogen hat, sondern „euer Gott“ geblieben ist (vgl. 29,5). 5,2–3 konnte deshalb behaupten, dass das Gottesverhältnis Israels beim Bund auf dem Horeb und in Moab trotz des zeitlichen und räumlichen Abstands ein und dasselbe ist. Die Verse holen also die Vollversammlung Israels in Moab gewissermaßen in den Horebbund hinein. Zugleich konnte 28,69 unmittelbar nach dem Ende der Toraschrift feststellen, dass sich die sprachlichen und rituellen Vorgänge, durch die der Gottesbund am Horeb zustande kam und später in Moab bestätigt und konkretisiert wurde, unterscheiden. „Der Moabbund beruht auf einem neuen Vereidigungsverfahren, bringt aber in der Sache (d. h. vor allem bei den Bundesverpflichtungen Israels) letztlich nichts Neues gegenüber dem Horebbund. Das ergibt sich vor allem auch daraus, dass der Dekalog, vor allem sein erstes Gebot, weiter auch der Kern des Moabbundes ist, und dass die Bundesurkunde des Moabbundes, die ‚Tora‘, Israel zwar erst jetzt vorgelegt wird, Mose aber schon am Horeb mitgeteilt worden war. Erst jetzt, vor dem Einzug in das verheißene Land, wird sie in ihrer definitiven Gestalt durch Mose verkündet und von Israel angenommen.“121Im Moabbundesschluss bildet das „Hören auf die Stimme JHWHs, deines Gottes“ (šmꜥ beqôl JHWH ʾælohækā) die entscheidende Verpflichtung.122 Im Gegensatz zu 4,29–31 wird sie in 30,1–10 nicht gemeinsam mit dem Begriff „Bund“ (berît) verwendet.123 Die Wendung findet sich aber in den zwei performativen Erklärungen, die das Vertragsverhältnis bewirken: in 26,17, der rechtrelevanten Erklärung Israels im Bundesschluss,124 und in 27,10 innerhalb der Bundeserklärung, die Mose zusammen mit den Priestern im Namen JHWHs abgibt. Die „Stimme JHWHs“ äußert sich im Deuteronomium meist konkret in „seinen Geboten und Satzungen“ (miṣwôtāw weḥuqqotāw), also der Sammlung der Einzelgebote (Kap. 12–26), auf die Mose in Moab Israel verpflichtet. Deshalb gehört im Protokoll des Bundesschlusses das „Hören auf die Stimme JHWHs“ zu dem, was Israel übernommen hat, nämlich „alle seine [JHWHs] Gebote bewahren“ (26,18), und nach der Bundeserklärung Gottes auch „seine [JHWHs] Gebote und Gesetze zu halten“ (27,10). Insbesondere hängen Segen und Fluch daran, dass die Rechtsbestimmungen des Moabbundes „bewahrt“ (šmr) und „gehalten, getan“ (ꜥśh) werden (z.B. 28,1.15.45). „Auf JHWHs Stimme hören“ wird also in übertragenem Sinn gebraucht. Dieses „Hören auf die Stimme“ unterscheidet sich sachlich und formulierungsmäßig von der akustischen Wahrnehmung des Dekalogs am Horeb. Sie besteht im „Hören der Stimme JHWHs“ (šmꜥ ʾæt qôl JHWH) (5,23.24.25; vgl. 4,12.36[Hifil]). Die durch Mose vermittelte Gebotsmitteilung und die direkte Verkündigung der Zehn Worte durch Gott werden somit syntaktisch als Präpositionalausdruck (beqôl) und als Objekt (ʾæt qôl) voneinander unterschieden. Außerdem hängt das Hören auf die Stimme Gottes nach 13,5 mit der Haltung „JHWH fürchten, ihm dienen, ihm anhangen“ zusammen. Letztlich drückt sich in ihr nach 30,20 die Liebe zu JHWH aus: „Liebe JHWH, deinen Gott – nämlich indem du auf seine Stimme hörst – und halte dich an ihm fest“.In der von Mose vorausgesagten Zukunft äußert sich die Umkehr Israels im erneuten Hören auf JHWHs Stimme. Die beiden Wendungen šûb ꜥad / ʾæl JHWH und šmꜥ beqôl JHWH werden in der Hebräischen Bibel nur in Dtn 4,30 und 30,2.8 (ohne den Präpositionalausdruck beqôl JHWH).10 miteinander verbunden, charakterisieren also die Bekehrung nach dem Bruch des Moabbundes. 4,30 beschreibt damit die Abkehr von den Völkergöttern und die Hinwendung zu JHWH. In 30,1–10 finden sich die beiden Formulierungen an drei strukturell wichtigen Stellen und werden schrittweise erweitert und inhaltlich entwickelt.125 Noch im Exil bezeichnet „auf seine Stimme hören“ in 30,2 die Bereitschaft zu allem, was Mose am fiktionalen Tag des Moabbundesschlusses an Rechtstexten verbindlich vorgetragen hat. Erst nach der Herzensbeschneidung (V.6) bezeichnet die Wendung dann als ihre selbstverständliche Folge in V.8 und 10 das tatsächliche Halten der in der deuteronomischen Tora aufgezeichneten Gebote und Satzungen im Land, verbunden mit Segen im Überfluss (V.9).Nach dem Bruch des Moabbundes – „weil sie angefangen haben, anderen Göttern zu dienen und sich vor ihnen niederzuwerfen“ (29,25) – brachte JHWH „den ganzen in der Tora verzeichneten Fluch“ über das Land und warf Israel in ein anderes Land (V.26–27). Zwar blieb Gott frei, die performativen Fluchworte Moses eintreffen zu lassen. Doch sind „alle diese Worte“, nämlich der von Mose in Kap. 28 vorgelegte „Segen und der Fluch“, an den 30,1–10 anschließt, nach V.1 eingetroffen. Israel hat keinen Rechtsanspruch auf eine neue, bessere Zukunft, Gott bleibt auch nach dem Gericht frei zu Erbarmen und Zuwendung (vgl. V.3). Aber sie wird damit einsetzen, dass sich Israel die vergangenen Erfahrungen zu Herzen nimmt und zu seinem Gott JHWH umkehrt (V.1b–2). Durch die Beschneidung Herzens der Verbannten und aller künftigen Generationen wird Gott eine radikale innere Erneuerung und damit die innere Voraussetzung für die Liebe zu ihm schaffen und mit ihr ein erfülltes Leben (V.6).126 Kann nämlich das Hauptgebot befolgt werden (vgl. 6,5), dann auch seine gesellschaftliche Konkretisierung in den Bestimmungen der Tora. Diesem Gehorsam aber ist reicher Segen Gottes zugesagt (30,10 als Begründung für V.9). Dieses „Gebot“ des Moabbundes geht dann „nicht über deine Kraft“ (V.11), das „Wort“ ist in Mund und Herz ganz nahe und kann immer gehalten werden (V.14). Das Heil Israels bleibt in der angenommenen Gnade verankert. Ein Rekurs auf den Abrahams- bzw. Väterbund, oder ein weiterer Bundesschluss sind unnötig. Die Entscheidungssituation, in die Israel nach 30,15–20 gestellt ist, gehört zum „heute“ in Moab zu schließenden Bund. Ein späterer Artikel wird das Verhältnis des Moabbundes zum Neuen Bund Jeremias 31,31–34 behandeln.4Der Epilog der Heiligkeitsgesetzes – ein Sieg des priesterschriftlichen Väter-Bundes über den deuteronomistischen Sinai-Bund? (Lev 26,40–45)127Der Moabbund unterscheidet sich von dem Modell, mit dem am Ende des Heiligkeitsgesetzes Lev 26,40–45128 den Bundesbruch und das Exil theologisch bewältigt.129 Zunächst besagt dieses „heilsgeschichtliche Schlusswort“: Schon in der Gründungszeit Israels „seien das Scheitern, die Strafe und der Neuanfang nach Reue und Bekenntnis mit einkalkuliert worden. Nur auf diese Weise kann der ethische Anspruch der Gültigkeit der göttlichen Weisung aufrechterhalten bleiben und zugleich das Scheitern der Menschen an dieser Weisung aufgefangen werden, sodass weder das Fehlverhalten der Menschen an ihren endgültigen Untergang führt noch die Barmherzigkeit Gottes das sittliche Tun der Menschen irrelevant macht.“130 In der fiktiven Zukunft, wenn der Rest Israels wegen der eigenen Schuld und der Sündenlast seiner Vorfahren im Feindesland „dahinsiechen“ wird, kann sich – im Unterschied zu Deuteronomium 28 – das Schicksal der „Übriggebliebenen“ ändern, wenn sie sich zu ihrer Schuld verhalten (Lev 26,40–41). Während nach der Prophetie Moses in Deuteronomium 4 und 30 die unter die Völker Zerstreuten aufgrund göttlicher Initiative zu JHWH umkehren und auf seine Stimme hören werden, werden sie nach der Voraussage Gottes selbst in Levitikus 26 zunächst von sich aus ihre Treulosigkeit ihm gegenüber bekennen (V.40) und die Exilsleiden als deren gerechte Folge annehmen: „Ihr unbeschnittenes Herz muss sich dann beugen und für ihre Schuld müssen sie Genugtuung leisten.“ (V.41).131 Angesichts dieses Wandels bedarf es offenbar keiner ausdrücklichen Vergebung Gottes mehr. Dagegen muss nach Dtn 30,6 schon Gott selbst das Herz beschneiden, damit sich Israel bekehren kann und Gott sein Schicksal wendet. In Lev 26 äußert sich Gottes Gnadenhandeln in seinem „Gedenken des Bundes“, das die V.42–45 rahmend umschließt. Zunächst wird JHWH seines Bundes mit den Erzvätern wie auch des Landes „gedenken“ (wezākartî) (V.42). Im betontem Gegensatz zu Israel, das „Gottes Satzungen verabscheut, seine Rechtsentscheide verworfen und seinen Bund gebrochen hat“ (V.15 und 43) – was wegen dieser Verpflichtungen Israels nur der Bund vom Sinai sein kann –, hat Gott das Volk „nicht verworfen“, „nicht verabscheut“ und „seinen Bund mit ihm nicht gebrochen“ (V.44). Wie in Dtn 4,31 widerspricht also das Verhalten Gottes ausdrücklich den Vergehen Israels. Weil Gott in Lev 26,44 gegenläufig zum Bundesbruch Israels handelt, kann der Bund, den er nicht bricht, nur der Sinaibund sein. V.45 unterstreicht schließlich, dass Gott des „Bundes mit den Früheren, die (berît riʾšonîm ʾašær) ich aus dem Land Ägypten vor den Augen der Nationen herausgeführt habe“, „gedenken“ (wezākartî lāhæm) will, „um ihr Gott zu sein“. Dieser Bund ist der Sinaibund und nicht der Patriarchenbund.132 Denn diese berît unterscheidet sich von der berît mit Jakob, Isaak und Abraham (V.42), weil sie die Exodusgeneration133 betrifft (V.45).134 Auch nach Dtn 29,24 hat „JHWH, der Gott ihrer Väter, mit ihnen [den Israeliten] einen Bund geschlossen, als er sie aus dem Land Ägypten führte“.In Lev 26,42–45 bleiben beide Bundesausprägungen in Kraft – der Väterbund, dessen JHWH nur gedenkt, und der Sinaibund, den Israel gebrochen, JHWH aber nicht gebrochen hat und dessen er ebenfalls gedenkt. Sie ergänzen einander, wobei der Väterbund die Landverheißung, der Sinaibund das Versprechen Israels, die Satzungen und Rechtsentscheide zu befolgen, akzentuiert. Weil also Gott135 nach dem Sündenbekenntnis Israels sowohl des Väterbundes als auch des Sinaibundes gedenkt und auf diese Weise als Bundespartner handelt, verschmelzen die beiden Bünde in der Vorstellung eines einzigen umfassenden Bundes. Er gleicht aufgrund seiner bedingten Gesetzesgehorsamsforderungen und weil er von Israel gebrochen werden kann, dem deuteronomisch-deuteronomistischen Sinai-/Horebbund. Zugleich aber stimmt er auch mit dem ewigen priesterschriftlichen Bund mit Abraham überein, weil er durch JHWHs souveräne Bundestreue diesen Bedingungen letztlich enthoben ist und nicht gebrochen werden kann. Welche Zukunft dieses Bundesgedenken JHWHs den Verbannten eröffnet, bleibt allerdings ebenso offen wie die Möglichkeit, dass Israel den Bund von neuem brechen wird. Diese Bundeskonzeption spricht weder von Heimkehr noch geht sie auf die Gesetze und ihre Geltung ein. Ganz anders dagegen Dtn 30,1–10. Nach der Beschneidung des Herzens, dem für die Wende des Exils entscheidenden JHWH-Handeln, schildert Mose in immer weiter zurückgehenden Begründungen, was sich dann ändert, wenn Israel wieder sein Land in Besitz nehmen und dort glücklicher und zahlreicher als zuvor leben wird. „Mose sagt nicht, von der Wende im Exil an werde Israel neu verpflichtet sein, die deuteronomischen Gesetze zu beobachten. Er sagt, Israel werde sie beobachten, und damit ist die Fortdauer ihrer Geltung im Land, in das Israel heimgekehrt ist, wie selbstverständlich vorausgesetzt. Nur hier im ganzen Pentateuch wird so etwas gesagt. Aber die Aussage steht an prominentem Ort. Sie bezieht sich direkt allein auf die deuteronomische Tora. Diese wird nach der Heimkehr gelten und verwirklicht werden.“136 http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Biblische Zeitschrift Brill

Gottesbund und Gnade im Deuteronomium

Biblische Zeitschrift , Volume 67 (1): 42 – Jan 23, 2023

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ISSN
0006-2014
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2589-0468
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10.30965/25890468-06701001
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Abstract

Für Markus Tiwald∵Den Anstoß zu den folgenden Überlegungen gab die Habilitationsschrift von Joachim J. Krause „Die Bedingungen des Bundes“ (2019),1 deren Veröffentlichung mit viel Zustimmung begrüßt wurde.2 Sie fasst die vorliegende exegetische Forschung über die drei großen Bundeskonzeptionen des Gottesverhältnisses Israels, angefangen von der deuteronomisch-deuteronomistischen über die priesterliche bis zur prophetischen Fassung des neuen Bundes, zusammen, um die These von Jacob Milgrom zu bekräftigen: „In the Bible, there is no covenant without obligation. In other words, there is no such thing as an unconditional covenant.“3 Nach Krause „verfügt Jhwh frei über die vorab festgelegten Sanktionen. Es steht in seiner Gewalt, die Drohung in die Tat umzusetzen oder nicht. Israel hingegen kann, anders als die von Asarhaddon verpflichteten Vasallen, das drohende Unheil nicht selbst herbeiführen. Gewiss besteht nach deuteronomistischer Auffassung ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ungehorsam und Unheil; auf ihm liegt alle Emphase. Aber dieser Zusammenhang funktioniert nicht automatisch, sondern wird von Jhwh je und je hergestellt. Durch den Ungehorsam seines menschlichen Partners lässt Jhwh sich dabei so wenig binden wie durch dessen Gehorsam.“4 Allerdings hat schon Dennis J. McCarthy für das altorientalische und alttestamentliche Vertrags- bzw. Bundesdenken festgestellt: „Law then was customary law and it must be understood as it was lived, that is, customarily interpreted, and custom was that the unfaithful subordinate was not automatically destroyed. In fact, he was thrown on the mercy of his lord without the possibility of appeal to stipulated rights, but in fact the lord was often, even usually, ready to restore a repentant felon or at least to reconstitute the relationship with the people […] Hence the emphasis on repentance and forgivness seen as an essential part of the Dtistic message by many authors […] is not foreign to the Dtic covenant concept.“5In diesem Artikel möchte ich die These von Kraus vor allem mit den drei im Deuteronomium ineinander verschränkten Bundesschlüssen, dem Väter-, Horeb- und Moabbund, konfrontieren. Dabei beziehe ich mich auf das definitive Buch Deuteronomium, nicht auf bestimmte Textstufen, lese also die hier entscheidenden Kap. 4 und 29–30 auf der synchronen Ebene. Meine literargeschichtlichen Voraussetzungen beschränke ich deshalb auf kurze Anmerkungen, ohne abweichende Positionen zu diskutieren. Die tragenden exegetischen Einzeluntersuchungen zum Thema des Artikels habe ich bereits zum Gutteil vorgelegt. Ich werte sie im Folgenden für die Theologie der Begnadigung Israels in den Bundesvorstellungen des Deuteronomiums aus.1Deuteronomium 4 und die Erzväter Israels – Gnadenbund und LiebeIn der Fiktion des Buches Deuteronomium lagert Israel nach achtunddreißig Jahren Wüstenwanderung in Moab im Ostjordanland, in der Talschlucht gegenüber Bet-Peor (3,29). Dort wendet sich Mose an die Generation, die schon den Exodus und den Horebbund erlebt hat (vgl. z.B. 4,9.20.33–35).6 Genauer: an diejenigen, die nicht wegen ihres Unglaubens in Kadesch-Barnea (1,36; 2,14–16) und später wegen des Abfalls zum Baal-Peor (4,3–4) sterben mussten. Zwar lehnte sich Israel ständig gegen JHWH auf (9,24). Auch brach „jeder, der dem Baal-Peor nachfolgte“, das erste Dekalogsgebot, das Fremdgötterverbot des Horebbundes, und wurde dafür von JHWH „in deiner Mitte“ vernichtet (4,3). Die Bestrafung betraf aber weder in Kadesch-Barnea noch in Bet-Peor das ganze Volk, sondern nur die Schuldiggewordenen.7 Die Zusage, die JHWH mit dem Aufbruchsbefehl vom Gottesberg Israel gegeben hatte, gilt auch in Moab noch immer: „Schau, ich lege hiermit das Land vor euch hin. Zieht ein, und nehmt das Land in Besitz, von dem ihr wisst: JHWH hat den Vätern geschworen – Abraham und Isaak und Jakob –, es ihrem Samen nach ihrem Tod zu geben.“ (1,8)8 Allerdings darf Mose selbst wegen seiner Verwicklung in die Sünde von Kadesch-Barnea das Land nicht betreten und muss die Leitung an Josua abtreten (1,37; 3,24–28; 4,21–22). Deshalb muss der Horebbund in einem neuen Bundesschluss, dem sogenannten Moabbund, bestätigt werden. Um ihn vorzubereiten eröffnet Mose in Kap. 4 eine Vollversammlung des Volkes.9 Auf ihr möchte er die bereits verschriftete Bundesurkunde, die deuteronomische Tora (Kap. 5–28), vorstellen. Hier erreicht die Moserede also ihre eigentliche Aussage. Das vorausgehende Geschichtsresümee (Kap. 1–3) sollte sie begründen und vorbereiten. In 4,5 konstituiert Mose eine Lehrsituation. Was er lehrt, enthält erst der zweite, mit Kap. 5 einsetzende Buchteil. Diese Gesetzesbelehrung wird in 4,26 mit einer Fluchsanktion für den Fall abgesichert, dass Israel das Hauptgebot nicht befolgt.101.1„Der Gott eurer Väter“ (4,1)Mose motiviert zu Beginn der Paränese des ersten Buchteils seine Mahnung, „auf die Gesetze und Rechtsentscheide zu hören“, mit der Inbesitznahme des Landes, das „JHWH, der Gott eurer Väter“ Israel gibt (4,1). Diese programmatische Gottesbezeichnung knüpft an den Aufbruchsbefehl Gottes (1,6–8) nach dem Abfall am Horeb und der Fürsprache Moses an, in der er Gott an die Patriarchen erinnerte (9,27). Denn 1,8 verweist auf die Landverheißung JHWHs für die Väter. 1,11 beruft sich danach ausdrücklich auch auf die Mehrungsverheißung.11 Beide Zusagen des Väterbundes (vgl. Gen 15,18; 22,17; 26,3–4) gehören zur Exposition der Geschichtsrückblende Moses im Ostjordanland. Sie liegen noch vor der Fabel, also den erzählten Ereignissen12, und bilden das Vorzeichen für den Zug vom Gottesberg und durch die Wüste (1,19). In Kadesch-Barnea angesichts des Verheißungslandes zitiert Mose das einleitende Gotteswort über die Auslieferung des Landes und verweist zurück auf das Versprechen „JHWHs, des Gottes deiner Väter“ (1,21). Dieses Prädikat wird erst 4,1 wieder gebraucht, wo die Tora im Deuteronomium thematisch zu werden beginnt, hat also Signalfunktion. Der Vers schweigt aber über die mit den Vätern verbundenen Zusagen von Landgabe und Vermehrung ihrer Nachkommen. Die Apposition „Gott eurer Väter“ in 4,1 präludiert 4,31.13 An dieser Schlüsselstelle beruft sich Mose auf den Bund mit den Vätern. Er erwähnt diesen Eid Gottes am Ende eines Rückblicks, der in Kap. 4 vom Standort der Moserede aus immer weiter in die Vergangenheit ausgreift. Diese Horizontverschiebung14 setzt mit der Sünde in Bet-Peor ein (V.3–4) und dehnt sich aus zum Horebbund (V.10–14), gleitet weiter zurück zur Herausführung aus Ägypten (V.20) und von dort nochmals zurück zu den Patriarchen (V.31). Für unsere Fragestellung ist zunächst 4,20 wichtig.1.2Die Bundesformel (4,20)Was zur besonderen Beziehung zwischen JHWH und Israel führte, wird von 4,20 in drei Sätzen erzählt. Sie besagen: Gott hat an diesem Volk anders als an den übrigen Völkern gehandelt. Durch sein machtvolles Eingreifen hat er Israel an sich gebunden:20 Euch aber hat JHWH genommen (lāqaḥ) und euch herausgeführt aus dem Schmelzofen, aus Ägypten, damit ihr ihm zum Erbeigentumsvolk (leꜥam naḥalāh) werdet – wie (es) heute (der Fall ist).lqḥ bezeichnet zwar keine Erwählung.15 Denn über sie spricht das Deuteronomium ausschließlich mit dem Verb bḥr. Die Herausführung ist nur eine ihrer Folgen (V.37). Aber das mit lqḥ eigens erwähnte persönliche Eingreifen unterstreicht die Initiative JHWHs zu dem außerordentlichen Akt der Befreiung (vgl. V.34). Gott holt Israel gewaltsam aus dem, was V.20 mit der originellen und seltenen Metapher vom „Eisenschmelzofen Ägypten“ für das sonst übliche „Sklavenhaus“ beschreibt, bei der sich „die Vorstellung vom äußerst harten Los der Knechtsarbeit am Eisenschmelzofen einstellen sollte“16. „Die Rettung aus diesem Leiden begründet den Anspruch Gottes auf Israel und bewirkt zugleich seine ausschließliche Bindung an JHWH, wie es die sogenannte Bundesformel – hyh mit doppeltem lāmēd – prägnant ausdrückt.“17 Dass nur ihre zweite Hälfte, nämlich „Israel als Volk JHWHs“, genannt wird, ist im Deuteronomium durchaus üblich. Doch weist sie in V.20 eine personal-rechtliche Besonderheit auf, die theologisch relevant ist: Nur hier ist Israel nicht bloß als „Volk“, sondern als „Volk des Erbeigentums“ das Bundesvolk JHWHs. Diese Identität bleibt Israel gegenüber allen anderen Völkern und sogar in einem künftigen Heilsuniversalismus immer erhalten.18 Seine privilegierte Gottesbeziehung überdauert auch tiefgreifende Schuld. Denn „Erbbesitz ist grundsätzlich unveräußerlich. Der Titel formuliert keinen Rechtsanspruch Jahwes, sondern ein Recht Israels auf Gnade.“19 Mose konnte sich sogar in seiner Fürbitte nach dem Abfall zum gegossenen Kalb auf JHWHs Verantwortung berufen, die er für Israel als „sein Erbeigentum“ übernommen hat (9,26 und 29). Darüber hinaus bezeichnet naḥalāh nicht nur Israel als das von JHWH dauerhaft angenommene Volk, sondern auch „das prächtige Land“, das JHWH im Begriffe ist, Israel als „Erbe“, naḥalāh, zu geben (4,21 und 38), während es sich anschickt, über den Jordan zu ziehen und es einzunehmen (V.22). Sollte der Besitz des Landes verloren gehen, bleibt doch der Anspruch darauf als Eigentum bestehen.1.3Horebbund und Väterbund (4,23–31)Unter dem Vorzeichen der Bundesformel blickt Mose in 4,23–31 auf die künftige Geschichte Israels, das seit Generationen im Land wohnt (V.25). Aus dieser Perspektive ist vorausgesetzt, dass Israels Gottesverhältnis aufgrund des Horebbundes durch den Moabbund bestätigt und durch die Tora als Bundesurkunde geregelt ist.20 Der Dekalog ist dadurch auch die Grundlage des Moabbundes, sein Kultbilderverbot gehört also zu beiden Bünden. Die kommende Zeit wird in zwei aufeinander folgenden Phasen entfaltet, die auch in unterschiedlichen Räumen ihren Ort haben. Im Hintergrund stehen „Segen“ und „Fluch“21 als modifizierte Bestandteile des altorientalischen Vertragsformulars22, das mit seinen konventionellen Elementen die V.9–31 insgesamt prägt.23 Doch sind beide nicht mehr konditioniert, sondern historisiert, sind also nicht als Alternativen, sondern als in umgekehrter Reihung aufeinander folgende Geschehnisse stilisiert. Die Brennpunkte der prophetischen Voraussage Moses bilden der Horeb- und der Patriarchenbund (V.23–24 und 31), die den Abschnitt rahmen; ihr Leitverb ist „vergessen“ (škḥ), das schon in V.9 den Rückblick auf die Offenbarung am Horeb eröffnet. Die einleitende Paränese verbindet mit der Mahnung, „den Bund JHWHs, eures Gottes, nicht zu vergessen“ (škḥ ͗æt berît JHWH ʾælohêkæm), die Warnung vor der kollektiven Übertretung des Kultbilderverbots (V.23), das hier praktisch dem Fremdgötterverbot entspricht. Im Übrigen ist der ganze Abschnitt der V.23–31 weithin in Antithesen formuliert.24Die Formulierungen von V.23 fassen den Horebbundesschluss mit der Verpflichtung Israels auf den Dekalog (V.9–13) und dessen Zuspitzung auf das „zweite“ Gebot (V.15–18) zusammen. Darüber wacht JHWH als „eifersüchtiger El“ (ʾel qannāʾ, vgl. 5,9) und „brennendes Feuer“ (4,24) – eine Metapher für Gottes Wesen, die der Theophanie am Gottesberg (4,11) entspricht. Die Sünde am Horeb (9,16.18) bildet das Paradigma und den geschichtstheologischen Ansatzpunkt für die Übertretung des Kultbilderverbots im Land.25 Doch unterscheiden sich die Konsequenzen für das am Gottesberg lagernde und das im Land heimisch gewordene Volk. Dann wird Israel ja den Moabbund übertreten, der den Horebbund um das deuteronomische Gesetz samt Segen und Fluchsanktionen erweitert hat. Für diese erst kommende Zeit ruft Mose Himmel und Erde als Zeugen an, dass Israel, wenn es sich ein Kultbild anfertigt, „unverzüglich aus dem Land ausgetilgt … und völlig vernichtet werden wird“ (4,25–26; vgl. 8,19 und 30,17–18). Die folgenden Strafmaßnahmen und religiöse Konsequenzen beschränken sich allerdings darauf, dass JHWH das Volk unter die Nationen zerstreuen und dass es dort als rechtlose Minorität „Göttern, Machwerk von Menschenhand“ dienen wird (4,27–28, vgl. 28,64). An die Stelle des Untergangs des Volkes, wie sie 4,26 und die Fluchsanktionen in 28, 20.24.45.48.61.63 vorsehen, wird also seine Deportation und Restexistenz unter den Völkern und Nationen treten (4,27).26 Dennoch werden damit praktisch Landbesitz und Vermehrung des Volkes zurückgenommen. Diese Gaben der Väterverheißung werden also verloren gehen, wenn Israel gegen den Ausschließlichkeitsanspruch JHWHs handelt. Der Nachdruck der angekündigten Strafen liegt aber spiegelbildlich zur Verfehlung Israels auf dem Dienst von Kultbildern. Israel leistet ihn außerhalb des eigenen Landes und zerstreut unter die Völker (V.28). Ob der Götterdienst zwangsweise erfolgt, bleibt offen. Jedenfalls können die ohnmächtigen Machwerke den Verbannten nicht helfen. Zukunft kann es nur durch eine erneute Zuwendung JHWHs und eine Bekehrung des übrig gebliebenen Restvolkes geben. Die Hoffnungsperspektiven, die Mose in den anschließenden V.29–31 entwickelt, knüpfen nicht an Segensverheißungen für einen Tora-Gehorsam, sondern an ein anderes Bundesverhältnis jenseits des Vertragsmechanismus an – an den Schwur JHWHs gegenüber den Vätern (vgl. Gen 17,7.19; Ex 2,24, ferner 6,2–5).27Es gibt also einen „ursächlichen Zusammenhang von Ungehorsam und Unheil“ (Dtn 4,26), auch wenn JHWH dann selbst Israel unter die Völker zerstreut (V.27). Doch bietet der Verpflichtungsbund nach der Übertretung des ersten Gebots und im Exil keine Zukunftschance. Was trotz der eingetroffenen Bundessanktionen bleibt, ist nur die Beziehung, soweit sie von Seiten Gottes zu seinem Volk besteht. Aber dieses Verhältnis dauert nicht an, weil JHWH in der „Freiheit, in der er sich allererst an sein Volk bindet“, auch darüber entscheidet, „ob, wann und wie er dessen Verletzung von Gehorsamsforderungen bestraft“,28 sondern weil es in einer anderen Selbstverpflichtung JHWHs gründet – in seinem Eid gegenüber den Vätern (4,31, vgl. 7,8; 9,5). Aus ihm kann Israel offenbar auch durch ein bundesvergessenes Verhalten nicht herausfallen. „Es ist Gnadentheologie: Die Verheißung ist nicht nur älter, sondern auch stärker als die Verpflichtung.“29 Natürlich muss Israel selbst in Freiheit zu JHWH zurückkehren und „auf seine Stimme hören“. Das heißt vom Kontext her: es muss dem Kultbilder-/Fremdgötterverbot gehorchen. Dagegen lassen sich die Einzelbestimmungen der Tora nur im Land verwirklichen und beanspruchen auch nur dort Gültigkeit (4,5.14). Ohne diesen kollektiven Willen zur ausschließlichen Bindung an JHWH ist eine Beziehung zu ihm nicht denkbar. Weil aber alles an diesem Gottesverhältnis Israels hängt, bleibt unkommentiert, wie seine Geschichte konkret weitergehen wird. Deshalb stellt Mose keine neuerlichen Segensgüter in Aussicht, obwohl der Bund mit den Vätern Land und Mehrung der Nachkommen zusagt. Auch von einer Rückkehr aus dem Exil wird nicht gesprochen. Weshalb und wie das von Israel gebrochene Gottesverhältnis erneuert werden kann, ist im Folgenden noch genauer theologisch zu klären.1.4Die Gnade des Väterbundes (4,29–31)Für den in 4,29–31 beschriebenen Vorgang ist entscheidend: Die Schicksalswende geht letztlich nicht von Israel selbst aus und wird auch nicht durch die Intensität seines Einsatzes getragen.30 Diese Deutung hängt an der Syntax von V.30, die allerdings diskutiert ist.31 Außerdem wird der Bund in V.31 von manchen Exegeten auch als Sinaibund identifiziert oder dieser als weiterhin gültig betrachtet. Meine Auslegung muss deshalb genauer begründet werden.Die folgende Wiedergabe orientiert sich im Wesentlichen an der Einheitsübersetzung32 :29 Und ihr werdet von dort JHWH, deinen Gott, suchen33, und du wirst (ihn) finden (ûmāṣāʾtā),wenn du mit ganzem Herzen und ganzer Seele nach ihm fragst.30a Wenn du in Not bist, dann werden alle diese Worte (kol haddebārîm haʾellæh) dich finden (ûmeṣāʾûkā).30b In den späteren Tagen, dann wirst du zu JHWH, deinem Gott, zurückkehren und auf seine Stimme hören.31 Denn JHWH, dein Gott, ist ein barmherziger Gott (ʾel rāḥûm).Er verlässt dich nicht und gibt dich nicht dem Verderben preis (weloʾ yašḥîtækā) und vergisst nicht den Bund mit deinen Vätern (weloʾ yiškaḥ ͗æt berît ͗abotækā), den er ihnen geschworen hat.Zunächst scheint Israel mit seiner Suche Gottes selbst den Anfang zu machen und Gott dabei auch zu finden. Doch führt V.30 diese Aussagen über die freie Entscheidung Israels in V.29 nicht weiter. Der Vers beginnt asyndetisch nochmals von vorne, setzt aber nicht räumlich, sondern zeitlich an und geht weiter zurück. „Der zweite Anlauf beginnt mit der Situation, in der Israel sich auf die Gottsuche begibt: ‚Wenn du in Not bist‘. In dieser Situation wird sich das ‚(Suchen und) Finden‘ ereignen. Das Wort mṣʾ kehrt wieder. Aber mit anderem Subjekt: ‚Dann werden dich alle diese Worte/Dinge finden.‘ Was in 4,29 zunächst als Aktivität Israels aussah, geht in 4,30a also auf eine andere, letztlich von Gott herkommende Aktivität zurück – wie immer man kol haddebārîm haʾellæh deutet. […] Daß es theologisch auf diese vom Redner mit seinen Zuhörern zusammen explizit durchgeführte Korrektur des Suchens und Findens ankommt, zeigt wiederum der begründende Vers 4,31, in den alles mündet“.34 Ausschlaggebend ist: V.30a und 30b bilden einen syntaktischen Parallelismus, dessen pendierende Zeitangaben von einem Verbalsatz syndetisch aufgenommen werden.35 „Alle diese Worte“ (V.30a) setzen bereits die eingetretene Not voraus, beziehen sich also kaum auf die Unheilsankündigungen der V.26–28, deren Eintreffen ja erst diese Bedrängnis schaffen. „V.30 präzisiert also V.29 und klärt die Reihenfolge des ‚Findens‘: Wenn diese Worte JHWHs Israel gefunden haben, wird Israel umkehren und JHWH finden können. Das führt dann zu der gnadentheologischen Deutung“.36Dass der Erneuerungsprozess überhaupt zustande kommen und JHWH gegenläufig zu Israel handeln wird, liegt nach V.31 an seinem Wesen und seinem Eid gegenüber den Patriarchen. Er ist ein „barmherziger El“ (ʾel rāḥûm), der den zugeschworenen Bund nicht „vergisst“. Wie auch sonst im Deuteronomium wird die Beschreibung des Wesens Gottes mit „denn“ (kî) eingeleitet, sie formuliert also keine neuen Erkenntnisse.37 Diese Begründung übergreift als Rahmensatz letztlich sogar die gesamte Zukunftsschau der V.25–30. Die Gottesbezeichnung „El“ wird verwendet, weil sie – im Deuteronomium so vielfältig und häufig wie in keinem anderen Buch der Hebräischen Bibel – mit göttlichen Attributen verbunden wird. Sie hat die Funktion, „Jhwh als einen Gott darzustellen, von dem bestimmte charakteristische Eigenschaften oder Verhaltensweisen ausgesagt werden können.“38 Das nur in V.31 belegte für sich stehende JHWH-Prädikat ʾel rāḥûm wurde in Analogie zu ʾel qannāʾ (V.24) gebildet. Es spielt zwar auf die Gnadenformel vom Sinai (Ex 34,6) an – „die Antwort Gottes auf die Sünde vor dem Stierbild“39 –, lässt aber deren zweite Hälfte, das Adjektiv „gnädig“ (ḥannûn), weg. Schon dieses für Deuteronomium 4 auch sonst typische Abweichen vom stereotypen Sprachgebrauch der Vorlagen signalisiert den Unterschied des Sinai-/Horebbundes gegenüber dem Väterbund. Außerdem spricht Kap. 4 nicht wie Ex 34,7 von „Schuld, Frevel und Sünde“, ebenso nicht von Vergebung. Ebenso schweigt es vom „Starrsinn, dem Verschulden und der Sünde“ des Volkes, die nicht zu beachten Mose am Horeb in Dtn 9,27 Gott bittet. In 4,31 verhält sich Gott nach der Umkehr nicht zum Versagen, sondern wendet sich Israel zu. Mit berît ʾabotækā greift 4,31 wie 7,(8).12 und 8,18 „auf den priesterschriftlich verstandenen Erzväterbund“ zurück.40 Auch die Formulierungen der Gegensatzspannung zwischen der Schuld Israels und dem Erbarmen JHWHs sprechen dafür, dass es sich nicht um die gleiche berît handelt.41 Sie unterstreichen ferner, dass es vordringlich um die Gottesbeziehung Israels geht. Der Vertragsbund vom Horeb verweist nur auf die Strafandrohung des Dekalogs mit „dem eifersüchtigen Gott“ (4,24), der ahndet (5,9), wenn Israel diesen „Bund vergessen hat, den JHWH mit ihm geschnitten hat,“ (4,23) und „ins Verderben gelaufen ist“ (4,25). Seine Logik bietet keine Aussicht auf einen „barmherzigen Gott“. Was dieses zweite El-Epitheton bedeutet, erläutern die anschließenden drei Sätze (4,31aβ.bα). Zwei davon sind bewusst gegensätzlich zum Verhalten Israels formuliert:42 „der dich nicht dem Verderben preisgibt (loʾ yašḥîtækā, vgl. 4,25 wehišḥatæm) und den Bund nicht vergisst (weloʾ yiškaḥ ʾæt berît, vgl. 4,23)“, zu dem er sich „eidlich den Vätern“ verpflichtet hat (4,31). Gott handelt also in pointiertem Gegensatz zu dem Verderben, das Israel durch das Anfertigen eines Kultbildes angerichtet hat. Das Verb šḥt Hifil mit Gott als Subjekt ist im Deuteronomium auf 4,31 und 9,26 (10,10) beschränkt. Die Zusage in 4,31 ist also ein geschichtlicher Rück- und ein intratextueller Vorverweis auf die Mosefürbitte am Horeb (9,26).43 Anstelle der kontextbedingten Formulierung loʾ škḥ berît in Dtn 4,31 sprechen die priesterlichen Texte Ex 2,24; 6,5; Lev 26,42 von zkr berît, „des Bundes“ – nämlich mit den Vätern – „gedenken“. Der Appell Moses an Gott, der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob als „seiner Knechte“ zu gedenken (zkr), findet sich auch in der Mosefürbitte am Horeb in Dtn 9,27.44 Sie verstärkt indirekt den Bezug von 4,31 auf den Patriarchenbund. Beiden Texten ist ferner gemeinsam, dass eine Zusage an die Väter, ihre Nachkommen zu mehren und ihnen das Land zu geben, fehlt. Beides findet sich in der Parallele zu Dtn 9,27, nämlich in Ex 32,13. Das Schweigen von Dtn 4,31 ist aber angesichts der auch sonst in Kap. 445 üblichen Rhetorik durchaus beredt. JHWH ist also bundestreu, aber er ist es nicht aufgrund des Horeb-/Moabbundes, sondern aufgrund jenes Bundes, den er den Patriarchen einseitig geschworen hat. Dabei wird nicht gesagt, dass der Horeb-/Moabbund nicht mehr gilt, weil Israel ihn vergessen hat, aber auch nicht, dass aufgrund des Väterbundes „der Sinaibund potentiell noch existiert und jederzeit wieder aktualisiert werden kann“, sodass man „bloß der Rückkehr zur Beobachtung des Bundes (der Umkehr)“ bedarf.46Exkurs: Bleibt Israel nur bedingt im Abrahamsbund?Die Vorstellung vom Bund, den JHWH nach 4,31 den Patriarchen zugeschworen hat, verdeutlicht bzw. entfaltet den priesterschriftlichen Abrahamsbund in Genesis 17. Vom fast einmütigen Forschungskonsens wird dieser Bund als „reiner Gnadenbund“47 erklärt, vor allem als eine Gottesbeziehung, die zwar persönliche Zustimmung erfordert, deren Bestehen aber danach an keine Gehorsamsforderung gegenüber dem menschlichen Partner geknüpft ist. Der Abrahamsbund kann deshalb vom menschlichen Bundespartner nicht gebrochen werden.48 Gegen diese Interpretation hat J. J. Krause Bedenken erhoben. Seine These, der Bund sei auch nach der priesterlichen Konzeption konditional strukturiert,49 hat Auswirkungen für das Verständnis von Dtn 4,31. Denn hier wird ein für das Volk unbedingtes, von JHWH allein begründetes und ihn verpflichtendes „Bleiben im Bund“ vorausgesetzt. Ich muss deshalb auf Krauses Argumentation ausführlicher eingehen.50Der Gottesbund mit Abraham bezeichnet ein Verhältnis, das einseitig von JHWH gestiftet wird: Er „gibt“ seinen Bund (berîtî, Gen 17,2) bzw. „richtet“ ihn „auf“ als „ewigen Bund“ (berît Ꜥôlām, V.7.19), also einen Bund von unbestimmter Dauer. Durch ihn verpflichtet sich Gott selbst, Abraham zu einer Menge von Völkern zu machen (V.4–5), für ihn und seine Nachkommen Gott zu sein (V.7b.8b) und ihnen das ganze Land Kanaan zu bleibendem Eigentum zu geben (V.8a). Diese Verheißungen gelten zwar dem Kollektiv Israel. Aber sie müssen durch die Beschneidung als dem „Zeichen des Bundes“ (V.11) von jeder männlichen Person angenommen werden (V.11). Mit diesem rituellen Vollzug zeigt sie, dass sie ein Glied des Bundes werden möchte. Trotzdem ist die Beschneidung kein „Element der Gegenseitigkeit“, auch keine gesetzliche Leistung, sondern „ein zwar notwendiger, aber selbstverständlicher Bekenntnisakt“51. Anders gesagt: Es geht um die Annahme, nicht um ein „Bleiben im Bund“.52 Die Bestimmung ist singularisch formuliert. „Aus dem Stammesverband ausgemerzt“ (wenikretāh), also aus der Volks- und Religionsgemeinschaft Israels ausgeschlossen, wird deshalb nur „ein einzelner männlicher Unbeschnittener“, der sich der Beschneidung verweigert und dadurch den Bund bricht (V.14). Diese krt-Sanktion lässt unerwähnt, wer sie durchsetzt. Sie betrifft, wo sie sonst gebraucht wird, schwerwiegende Verstöße, die in die Verantwortung des Einzelnen vor Gott fallen und wo eine Kontrolle durch die Gemeinschaft nicht möglich erscheint. Hinter der Passivkonstruktion steht deshalb keine menschliche Instanz, sondern Gott als Subjekt eines Passivum divinum. Ihm bleibt überlassen, wie das „Abgeschnittenwerden“ konkret verwirklicht wird.53 Diese für die Verweigerung der Beschneidung eines einzelnen angekündigte Strafe kann deshalb nicht die Gemeinschaft der im Bund JHWHs Lebenden gefährden,54 weil Gott als der Strafende „nicht die Gemeinschaft belangen, sondern sie von ihrem sündigen Glied befreien“ wird.55 Zusammenfassend: „Empfänger der berît als Zusage und Gebot sind alle Israeliten. Subjekt des Bundesbruchs und Objekt seiner Folgen ist der einzelne israelitische Mann. […] Damit verschiebt die Priesterschrift den Bundesbruch samt seiner Folgen in die individuelle Sphäre, während auf kollektiver Ebene keine Katastrophe des Gottesverhältnisses mehr ins Auge gefasst wird. […] Durch die Individualisierung des Bundesbruchs hat die priesterliche Theologie sichergestellt, dass der Bundesbruch nur noch Delikte Einzelner meinen kann.“56Krause hat nicht nur die Individualisierung, sondern auch die pragmatische Plausibilität eines reinen Gnadenbundes in Frage gestellt: Ist es überhaupt denkbar, „dass sich eine – je nach Ansatz – exilisch oder frühnachexilisch konzipierte Überlieferung derart selbst zur geschichtstheologischen Sprachlosigkeit verurteilt. Sollte ausgerechnet die priesterliche Bundestheologie, die die feierlichen Zusagen des Landes und – vor allem – der Einwohnung Jhwhs im Kult dezidiert ins Zentrum ihrer Konzeption rückt, zum faktischen Verlust von Land und Tempel nichts zu bemerken wissen?“57 Krause sieht zurecht das Gottsein JHWHs für Israel nach priesterlichem Verständnis als „die Verheißung des Bundes“ mit Abraham (Gen 17,7b.8b).58 Genau um diese theozentrische Perspektive und nur um das Gottesverhältnis geht es Dtn 4,31 mit seiner Begründung dafür, dass Israel noch Zukunft hat. In diesem Vers fehlt gerade all das, was Krause für die geschichtstheologische Funktion der priesterschriftlichen Bundesvorstellung als unentbehrlich ansieht: Weder die Zusage einer Mehrung des Volkes noch einer erneuten Inbesitznahme des Landes noch die für den deuteronomischen Kult wesentliche „von JHWH erwählte Stätte“ im Land werden erwähnt. Was in der Situation der Verbannung buchstäblich Not wendend ist und allein zählt, ist die Bindung an den barmherzigen Gott des Väterschwures. Mose würde nicht auf die zwar gnadenhafte und unbedingte, aber zuverlässige Wiederaufnahme des Volks in das Verhältnis zu seinem Gott JHWH verweisen, dürfte er nicht voraussetzen, dass das Volk aus dem Bund dieses Gottes mit den Patriarchen nicht herausfallen kann. Dtn 4,31 versteht also offenkundig die Sanktion von Gen 17,14 nicht als eine kollektive Möglichkeit. Das Bleiben im Väterbund JHWHs wird nicht eingeschärft, sondern gilt als sicher zugesagt. Es genügt aber auch zur theologischen Erklärung und Bewältigung der Katastrophe.Was geschieht, wenn Israel die Verheißung des Väterbundes von der Inbesitznahme des Landes ablehnt? Die Priesterschrift behandelt in der Kundschaftergeschichte (Numeri 13–14*) den Verlust des Landes „spiegelbildlich als Gefahr, in das Land gar nicht hineinzukommen“.59 Verantwortlich dafür sind die politischen Führer und die Generation der von Ägypten Ausgezogenen, die das Land als „Menschenfresserin“ verleumden und die angebotene Heilsgabe Gottes verschmähen (Num 13,32; 14,36; vgl. Ez 36,13).60 Sie müssen noch in der Wüste sterben. Das Verhängnis betrifft zwar das Schicksal des ganzen Volks, wird aber nicht mit der Bundeskategorie bearbeitet, sondern mit Hilfe des Gegensatzes zwischen zwei Generationen bewältigt: „Israel ist mehr als eine ganze Generation, es ist ein Generationenverbund, und unter der versagenden Generation wächst bereits eine neue Generation heran, die weder an diesem Versagen teilgenommen hat noch für dieses Versagen mit in Verantwortung genommen wird. So kann JHWH eine Kollektivstrafe über Israel verhängen, ohne dass ganz Israel ihr verfällt, weil es in Gestalt der sich ablösenden Generationen Unterkollektive in Israel gibt.“61 Auf das Exil umgelegt heißt das: „Die Bundesgabe Land ist ewig. Israel hat es gar nicht verloren. Lediglich die schuldig gewordene Generation ist seiner durch das Exil verlustig gegangen.“62 Diese Feststellung widerlegt den Einwand von Krause, bei der Bestrafung der Kundschafter handle es sich nur um eine zeitlich begrenzte Verzögerung der Landgabe, nicht um den Verlust des seit Generationen gegebenen Landes.63 Dagegen spricht außerdem, dass die Priesterschrift die Ereignisse paradigmatisch und transparent für den tatsächlichen Geschichtsverlauf erzählt, auf den ihre Adressaten zurückblicken.64Deuteronomium 1 hat die vorpriesterschriftliche Darstellung der Sünde der Kundschafter, des Volkes und Moses in einer einzigen, an den Anfang des Buches gestellten „Ursünde“ konzentriert.65 Die dabei geschilderten Verhaltensmuster von Auflehnung und Unglauben sind paradigmatisch und werden von der Gesellschaft Israels in der späteren Geschichte wiederholt. Die Vergeltung der Kollektivschuld des Volkes erfolgt äußerst differenziert, jeweils dem Maß der Verwicklung in die Schuld entsprechend. Doch ist auch hier entscheidend: Die Exodus-Horebgeneration der waffenfähigen Männer hat die den Patriarchen verheißene Übereignung des Landes (Dtn 1,8.21) abgelehnt und muss deshalb in der Wüste umkommen. Doch kann ihre Sünde die Selbstverpflichtung Gottes im Vätereid nicht vereiteln. Sie wird danach wieder wirksam und erfüllt sich an der nächsten, der Moabgeneration.Ende des Exkurses1.5Gottes Liebe und Erwählung (4,37; 7,7–11)Die Zukunft, die Mose in 4,25–31 für den Aufenthalt Israels im Land, seine Verbannung unter die Völker und seine Begnadigung prophetisch entwirft, findet in V.32–39 ihre letzte Vergewisserung. Die Verse schließen mit „denn“ (kî) begründend an den gesamten paränetischen Block V.9–31 an.66 Sie klären endgültig das Verhältnis JHWHs zu den Göttern und beweisen, dass das gesamte Wirken Gottes an seinem Volk noch über die Selbstverpflichtung Gottes im Patriarchenbund hinaus in seiner Liebe zu den Vätern ihren Ursprung hat. Weil mit den „Vätern“ im Vorausgehenden und zuletzt in V.31 Abraham, Isaak und Jakob gemeint sind, bezieht sich die Bezeichnung auch in V.37 auf diese Personen67 :37 Und weil er deine Väter liebgewonnen (ʾāhab) und die Nachkommen [den Samen] eines jeden von ihnen68 erwählt hatte (wayyibḥar), hat er dich dann in eigener Person durch seine große Kraft aus Ägypten geführt,38 um Nationen, größer und stärker als du, vor dir zu vernichten, um dich in ihr Land zu führen, um es dir zum Erbbesitz zu geben, wie es jetzt geschieht.Die Rettung umfasst die „kanonische“ Geschichte bis in die mosaische Gegenwart, darin unausgesprochen auch Auflehnung und Unglauben der Wüstenzeit. Nur die Horeboffenbarung wird im Vorausgehenden eigens herausgehoben (V.36). Alles Heilshandeln Gottes aber wurzelt in seiner Liebe, hinter die man nicht mehr zurückgehen kann, und in seiner Erwählung, die sich daraus ergibt und jetzt Israel betrifft. Die Erfahrung dieser unvergleichlichen Geschichte macht es Israel möglich, JHWH als den einzigen Gott im Himmel und auf Erden zu erkennen (V.39).Dass Liebe und Erwählung die letzte Begründung für das unverbrüchliche Gnadenhandeln Gottes an seinem Volk bilden, wird durch andere, teilweise ältere und bereits zur Tora des Moabbundes gehörende Belege des Deuteronomiums verdeutlicht.69 Ich beschränke mich dabei auf 7,7–11. Was 4,37 von den Patriarchen und jeweils ihren Nachkommen anführt, wird in 7,7–8 breit entfaltet und theologisch qualifiziert:7 Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch JHWH ins Herz geschlossen (ḥāšaq) und ausgewählt (wayyibḥar); ihr seid das kleinste unter allen Völkern.8 Wegen der Liebe (kî meʾahabat) JHWHs zu euch und weil er den Schwur bewahrt (miššamrô), den er euren Vätern geschworen hat, deshalb hat JHWH euch mit starker Hand herausgeführt und dich aus dem Sklavenhaus freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.Gottes Liebe (V.8) gilt hier unmittelbar Israel. Sie wird rhetorisch noch dadurch verstärkt, dass er das Volk „ins Herz geschlossen hat“, sich „an es gehängt hat“ (V.7). Wenn er dann Israel erwählt hat, ist diese Prärogative ein Geheimnis seines Verliebtseins und lässt sich nicht aus natürlichen Vorzügen erklären. Vor allem diese Liebe – nur an dieser Stelle des Deuteronomiums wird das Nomen ʾahabāh verwendet, das ihr Bleiben ausdrückt, – hat JHWH dazu bewegt, das Volk aus dem Sklavenstaat Ägypten zu befreien. Der Liebe nachgeordnet war es auch die Treue zu seinem Schwur (haššebuꜥāh) gegenüber den Vätern, der wie in 4,31 inhaltlich nicht näher bestimmt wird. Die Auswirkungen in der gewaltsamen Herausführung und Befreiung aus dem Sklavenhaus des Pharao (7,8) sollen sich in einer erkenntnismäßigen (V.9–10) wie praktischen Folgerung Israels (V.11) auswirken. In diesem Zusammenhang wird erstmals „bewahren“ (šmr), das Grundverb deuteronomischer Gebotsparänese, als Schlüsselwort für göttliche Selbstverpflichtung gebraucht (V.8). Es wird auch im Folgenden zusammen mit „lieben“ wechselweise von Gott und Israel verwendet (V.9). Denn „Gottes Gnade will angenommen werden, sie drängt zur Gegenliebe und ermöglicht sie zugleich.“70 Israels Liebe soll ihren konkreten Ausdruck im Gehorsam gegenüber den Geboten, das heißt, in der gottgewollten Sozial- und Gesellschaftsordnung des Moabbundes, finden:9 Daran sollst du erkennen: JHWH, dein Gott, ist ‚der Gott‘ (hāʾælohîm); er ist der treue El (hāʾel hannæʾæmān); noch nach tausend Generationen bewahrt er den Bund (habberît) und die Huld (haḥæsæd) denen, die ihn lieben (leʾohabāw) und seine Gebote bewahren (lešomrê miṣwotāw).„Der Bund als eidliche Selbstverpflichtung und die Huld als frei schenkende Gnade sind einander ergänzende Formen der göttlichen Zuwendung. Zugleich sind auch die Liebe und der Gehorsam Israels in diese Beschreibung Gottes eingeschlossen.“71 Hier besteht eine Gegenseitigkeit zwischen dem Verhalten Gottes und Israels, doch geht dabei die Treue „Els“ dem Gebotsgehorsam Israels voraus. In Abwandlung des Dekalogs als der Urkunde des Horebbundes (5,9) erreicht die Strafe jetzt ausschließlich diejenigen, die ihn hassen (7,10).72Wie die Selbstverpflichtung JHWHs, aufgrund seines Bundes mit Abraham für seine Nachkommen Gott zu sein (Gen 17,8), ein für Israel unverbrüchliches Verhältnis geschaffen hat, so hört nach der Theologie des Deuteronomiums auch JHWHs Liebe zu ihm nicht auf und wird seine Erwählung niemals zurückgenommen.2Deuteronomium 29–30 und der Moabbund – Herzensbeschneidung und GottesliebeDer dritte Buchteil des Deuteronomiums enthält seiner Überschrift in 28,69 zufolge die Worte, durch die Mose im Auftrag JHWHs den Bund in Moab geschlossen hat.73 Mit ihnen wendet sich Mose an die gleiche Volksversammlung von ganz Israel, die er schon in 5,1 zusammengerufen hatte. Die dibrê habberît (28,69) des dritten Buchteils beziehen sich auf rituelle und andere Worte wie Handlungen des Moabbundes in Deuteronomium 29–30. Die beiden Kapitel bilden eine Redeeinheit, die Ergänzungen zur Bundesurkunde der Tora (Kap. 5–28) bringt. Man darf allerdings von ihrer erzählerischen Abfolge nicht auf den Handlungsverlauf bei der Bundeszeremonie schließen. Denn die performativen Aktionen des Vertragsabschlusses in Moab finden sich sowohl im zweiten (26,17–19; 27,1.9–10) als auch im dritten Buchteil (29,9–14; 30,15–20) und können von ihrem Inhalt her nicht nacheinander vollzogen werden.2.1Die Gnade des Moabbundes (29,1–7)Die Bundesschlüsse am Horeb und in Moab folgen zwar geschichtlich nacheinander, doch konvergieren sie im „Heute“ (hayyôm 5,3; ꜥad hayyôm hazzæh 29,3) der Redesituation Moses. Stellt er vom Bundesschluss JHWHs am Horeb in 5,3 einfach fest: „nicht mit unseren Vätern hat JHWH diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, uns diesen hier, heute, (uns) allen, den Lebenden“, so begründet er in 29,1–7, weshalb JHWH diesen Horebbund mit dem Moabbund identifizieren kann. Der Rückblick dieser Verse zu Beginn der Ritualtexte von Kap. 29–30 auf die Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden Bundespartnern lässt die Gnade des Moabbundes erkennen.7429,1b setzt fast wortgleich mit Ex 19,4 und Jos 23,3 zu Beginn der Reden Josuas vor seinem Tod ein: „Ihr habt alles gesehen, was ich / JHWH vor euren Augen getan habe / hat …“ „Was erstmals am Sinai geschah, wiederholt sich als Bundesbestätigung jeweils dann, wenn die Führungsgestalt Israels dem Tod nahekommt und die Leitung abgeben muss.“75 29,1b–6a umfasst zunächst „alles, was JHWH vor euren Augen im Land Ägypten getan hat,“ (V.1b) und – als Gottesrede stilisiert – seine Führung durch die Wüste „bis ihr an diesen Ort kamt“ (V.6a). Anschließend berichten die V.6b–7 rein innergeschichtlich vom Sieg Moses und der Israeliten über die beiden Könige Sihon und Og sowie die Verteilung ihres Landes. In diesem zweiten, untheologischen Resümee spricht Mose nicht mehr zu den versammelten Israeliten, sondern schließt sich mit ihnen im „Wir“ zusammen. Wie 5,3 identifiziert auch 29,1–7 die Exodus-Horeb- mit der Moabgeneration. Israel war also Augenzeuge der „schweren Prüfungen, Zeichen und Wunder“ in Ägypten (V.1b–2) und erlebte auf der Wüstenwanderung eine wunderbare Versorgung mit Kleidung, Schuhwerk und Nahrung (V.4–5a). Allerdings hat es nur die Faktizität der göttlichen Großtaten und seiner eigenen Wunderexistenz wahrgenommen, nicht jedoch begriffen, was eigentlich geschah. Seine Reaktion war also nicht angemessen, trotzdem aber nicht schuldhaft.76 Denn Gott hat Israel bisher weder „ein Herz zum Erkennen“ (leb lādaꜥat) noch seine Voraussetzungen, nämlich „Augen zum Sehen und Ohren zum Hören“, gegeben (V.3). Was Gott damit beabsichtigte, sagt er erst nach der Ankunft des Volkes in Moab: die Erkenntnis der Israeliten (lemaꜥan tedeꜥû) „Ich bin JHWH, euer Gott“ (V.5b). Auf diese theologische Einsicht war also die ganze bisherige Zeit des Noch-Nicht-Erkennens ausgerichtet. Die Formel eröffnet (mit kleinen Abwandlungen) nicht nur den Horebbundestext, den Dekalog, sondern sie weist auch voraus auf den Bundesschluss in Moab, dessen Inhalt sie bildet: „dich heute für sich als Volk einzusetzen und dir Gott zu werden, wie er es dir zugesagt und deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen hat.“ (V.12). „Im Moabbund findet also das Sehen, Hören und Erkennen statt, das Israel bisher noch nicht geschenkt worden war. Dazu ist es ‚bis zu diesem Tag‘ (V.3) und ‚bis zu diesem Ort‘ (V.6a) gekommen. Durch diesen Unterschied übertrifft der Moabbund auf Seiten des menschlichen Partners den Horebbund.“77 Der anschließende Kurzbericht der 29,6b-7 beinhaltet nur die beiden letzten Jahre des Wüstenaufenthalts und die Eroberungen im Ostjordanland (2,24–3,17).Der Geschichtsrückblick 29,1–7 bildet im Deuteronomium den „Deutungsschlüssel für alles, was vorher über die Zeit vom Auszug aus Ägypten bis zur Ankunft am Ostufer des Jordan gelesen werden konnte.“78 Er ist an die Erzählungen der Kap. 1–3 zurückgebunden. Im Einzelnen: 29,1b–6a greift in seiner Darstellung der Zeit von Ägypten bis zum Befehl Gottes zur Überschreitung des Arnontales, der Grenze von Sihons Königsreich, nur an den beiden strukturellen Schnittstellen 29,1b und 6a auf die Kap. 1–2, nämlich auf 1,30b und 31, zurück. Dagegen bildet 29,6b–7 ein Formelmosaik aus 2,32–3,13. Was schweigend übergangen wird, sind die Ursünde des Unglaubens in Kadesch-Barnea (1,32) und als ihre Folge die achtunddreißig Jahre des strafweisen Aussterbens der Ägypten-Horeb-Generation (2,14). Aus den vierzig Jahren Wüstenzug (29,3) ausgeklammert werden aber auch der Horeb und die anderen Orte, an denen Israel „die göttliche Ungnade provoziert“ hatte (9,7.8.22). Die Erinnerung an die JHWH-Taten in der eigenen Vergangenheit ist somit klar akzentuiert. Sie bereitet den Bundesschluss in Moab als gnadenhaft gewährte Verpflichtung vor. „Da verblassen Sünde und ergangene Strafen, nur die wunderbare Führung durch Jahwe auf diesen Punkt hin steht vor Augen. Alles, was die Zeit der Wüste füllte, war gottgeschenkte und gottgetragene Vorgeschichte, noch ohne eigentliche Begegnung mit Gott, hin auf diesen Augenblick, wo Israel seinen Gott Jahwe erkennen wird.“79Das Eidesritual in Moab soll also Sinn und Ziel der gesamten Volksgeschichte erkennen lassen. Die unverändert gültige Zusage „Ich bin JHWH, euer Gott“ (29,5) wird zwar nicht im einseitig durchgehaltenen Patriarchenbund verortet. Dennoch beabsichtigt JHWH, für Israel „Gott zu werden“, wie er es Abraham nach Gen 17,7–8 geschworen hatte, und es „als sein Volk einzusetzen“, wie er es Mose nach Ex 6,7 zugesagt hatte (Dtn 29,12). Horeb- und Moabbund bleiben zwar, obwohl sie auf verschiedene Bundesschlussakte und in Moab auch auf eine erweiterte Horeb-Bundesurkunde zurückgehen, „nach 28,69 deutlich voneinander unterschieden. Doch ist das Bundesverhältnis zwischen JHWH und Israel ein und dasselbe. Wenn YHWH mit dem Volk aufgrund des verlesenen Vertragsdokuments vom Horeb ‚heute‘ in Moab einen Bund schließt (29,9–14; 26,17–19; 30,15–20; 27,1.9–10),80 bestätigt er damit seine niemals aufgegebene Beziehung zu Israel. Deshalb kann auch die Exodus-Horeb- mit der Moabgeneration identifiziert werden“ und bilden Horeb- und Moabbund „in ihren Verpflichtungen eine vollkommene Einheit.“812.2Der Bruch des Moabbundes, Gottes Zorn über das Land und die Gnade (29,15–30,14)Der Textverlauf von Kap. 29–30 entspricht locker dem Aufbau altorientalischer Vasallenvertragsurkunden.82 Dazu gehören nach den Vertragsbestimmungen, die beeidet werden, präventive Flüche, um den Vertrag zu schützen, aber auch Segensverheißungen für den Gehorsam. Es fehlt jedoch eine Zukunftsaussage, die über diesen Horizont hinausreicht. Während dem kollektiven Bundesbrecher Israel die vereinbarten Sanktionen drohen, ist eine Erneuerung des Bundesverhältnisses nicht vorgesehen. Doch kann JHWH als Bundespartner wie als Vertragsgott die Strafe zugunsten Israels modifizieren und ihm Zukunft ermöglichen. Deshalb umfasst die prophetische Voraussage Moses in Kap. 30 nach dem angekündigten Flucheintritt eine die alten Verheißungen überbietende Segenszeit. Sie ermöglicht mit dem erneuerten Gottesverhältnis auch einen vertieften Tora-Gehorsam und durch ihn eine gelingende und Gott wie Volk beglückende Gesellschaft.Auf die Vorgeschichte des Moabbundes samt abschließender Paränese (29,1–8) folgt in 29,9–14 kein formeller Bundesschluss. Vielmehr werden die menschlichen Partner des Bundes und der Zweck der Zusammenkunft, nämlich die Bundesschließungszeremonie, bestimmt. Wichtig ist dabei, dass auch die abwesenden Israeliten und die Menschen künftiger Generationen zu den Partnern des Bundes gerechnet werden (29,14). Daran schließen wiederum nicht die zu erwartenden performativ vollziehenden Worte des Vertrags, sondern Segen und Fluch an,83 und zwar wie 4,25–31 in historisierter Form und in einer gegenüber dem Vasallenvertragsformular umgekehrt angeordneten Reihenfolge. Die bedingten Drohungen der Tora-Urkunde aus dem Sanktionskapitel 28 betreffen in 29,15–20 zunächst einzelne Israeliten, „Mann oder Frau, Sippe oder Stamm“, die den Göttern der Völker dienen und die Verwünschungen mit einem geheimen Vorbehalt verbinden. Das Volk ist also von einzelnen Sündern oder Sündergruppen zu unterscheiden, weshalb der Zorn Gottes nicht sofort gegen ganz Israel entbrennen muss. Im Übrigen werden dabei aus den Drohworten Unheilsansagen. Danach durchbricht Mose die fiktive Situation in Moab und blickt auf den bereits wirksam gewordenen Fluch voraus. Die Drohungen von Kap. 28 nennen zwar Folgen des Bundesbruchs, erwähnen aber nicht den „Zorn“ Gottes. „Die Bundesverwünschungen sind also kein Mechanismus, der automatisch Gottes Zorn auslösen könnte. […] Sobald Mose in Deuteronomium 29 in den Mantel eines Propheten schlüpft, der als solcher auch die in der Freiheit Gottes liegende Zukunft sieht, spricht er auch vom künftigen Gotteszorn.“84 Er entbrennt, „weil sie den Bund verlassen haben (ꜥāzebû), den JHWH, der Gott ihrer Väter, mit ihnen geschlossen hatte, als er sie aus Ägypten führte, weil sie angefangen haben, anderen Göttern zu dienen und sich vor ihnen niederzuwerfen“ (V.24–25). Israel wird also wegen der Nichtbeachtung des Fremdgötterverbots des Horebbundes vom Zorn Gottes getroffen werden, der „den ganzen Fluch, der in dieser Urkunde aufgezeichnet ist“, über das Land bringt (V.26). ʾæræṣ, „Land“, dient in den V.21–27 als Leitwort, das sieben Mal in palindromischer Anordnung gebraucht und dadurch rhetorisch unterstrichen wird. Und der Gotteszorn, der in chiastischer Anordnung die V.21–22.26–27 durchzieht, ist fast ausschließlich auf das Land konzentriert, das durch ihn alle Lebensfähigkeit verliert. Er gipfelt in der Verbannung der späteren Generation der Israeliten: „JHWH riss sie von ihrem Lande weg in Zorn und Glut und großer Ungnade und schleuderte sie in ein anderes Land“ (V.27). Zwischen dem Verhalten Israels und dem von Gott gewirkten Unheil besteht also ein Kausalzusammenhang. Die Vergeltungslogik ist nach dem Motiv der „Strafgrundbefragung“ angelegt, das in biblischen und neuassyrischen Texten (nämlich den Annalen Assurbanipals) belegt ist.85 Darin fragen Menschen nach dem Grund einer als Strafe Gottes erlebten Not und die Antwort verweist auf einen politischen bzw. religiösen Vertragsbruch. Die Folgen des Abfalls sind in Kap. 29 andere als in 4,27 und 28,64 bzw. 28,62, die Israels Zerstreuung unter die Völker oder seine bloße Restexistenz androhen, oder in 4,28 und 28,64, die die Verehrung der Völkergötter in der Verbannung voraussagen. In allen Fällen aber setzt Gott selbstverständlich seine Fluchandrohung in die Tat um, auch wenn sich ihre Werkzeuge dem Kontext entsprechend unterscheiden. Mit gleicher prophetischer Sicherheit entwirft Mose für die spätere Geschichte in 30,1–14 eine neue Segenszeit. In ihr verschiebt sich aber gegenüber 29,21–27 der Blick vom Land auf das Volk.30,1–10 ist der einzige Text des Deuteronomiums, der ausdrücklich von einer Rückkehr Israels aus der Verbannung in sein Land spricht. Dabei werden die Flüche von 28,62–64 in Segen verwandelt: JHWH wird die Versprengten sammeln, aus der Zerstreuung unter die Völker herausholen, wieder in ihr Land heimbringen und „dich glücklicher und zahlreicher machen als deine Väter“ (30,3–5); er wird sich wie an den Vorfahren auch an der Heimkehrergeneration wieder freuen und ihr Gutes tun, weil sie auf seine Stimme hört (V.9–10). Nach der durch „denn“ (kî) zumindest redaktionell fest angebundenen Passage 30,11–14 über „das nahe Wort“ braucht Israel dann für seinen Gebotsgehorsam niemals auf die Suche nach der Tora zu gehen. Die Verse integrieren die Lernparänese von 6,6–7 und beziehen sich auf das Liebesgebot 30,6 – wie auch 6,6–7 an das Liebesgebot von 6,5 anschließt. Jedenfalls übertrifft 30,1–14 bei Weitem alles, was von der Bundesurkunde her zu erwarten wäre. Die mosaische Zukunftsschau erfolgt in 4,25–31 und 29,15–30,14 zwar in zwei klar unterschiedenen Sprechakten. Doch wird die Tora der Kap. 5–28, die offenbar nicht mehr verändert werden konnte, näher hin die bedingten Segens- und Fluchaussagen in Kap. 28, durch ihr Neuverständnis in 4,25–31 und 29,15–30,14 gerahmt, kommentiert und uminterpretiert. „Die zukunftsoffene Tora vom Horeb wird in Moab also durch die sie umgebenden Textstücke in einer mosaischen Voraussage der Zukunft verpackt.“86 Überraschend folgt danach in 30,15–20 die Aufforderung, jetzt in Moab den Bundesschluss zu vollziehen. Sachlich setzt sie zwar seine Ankündigung in 29,9–14 fort, entspricht aber nicht dem alten Ritual. Vor allem bleibt am Ende offen, ob das versammelte Israel diesem Aufruf folgt.2.3Die Verheißung der Herzensbeschneidung (30,6) und der Fülle des SegensDie Segenseinheit 30,1–10 entfaltet die Wende-Theologie von 4,29–3187 und akzentuiert sie neu. JHWH wird das Volk wieder ins Land seiner Vorfahren zurückbringen, es mehren und überreich segnen. Allerdings fehlt jeder Hinweis auf die Patriarchen und einen Bund. Das Gottesverhältnis und die Tora-Beobachtung sowie die Fülle der Güter hängen vielmehr an einer Beschneidung des Herzens Israels durch JHWH selbst.30,1 wird durch ein Temporalsatzgefüge eingeleitet. Es hat wie alle Segens- und Fluchgefüge des Deuteronomiums nur einen einzigen verbalen Hauptsatz, sodass der Nachsatz bereits in 30,1b einsetzt: Wenn Israel unter die Völker zerstreut ist, dann wird es sich die eingetroffene Vertragslogik von Segen und Fluch zu Herzen nehmen. Sein Verhalten, das 30,2 voraussagt, ist bereits aus 4,30 bekannt, ist also keine Bedingung mehr.88 Die angekündigte Wende ist also nicht von einer vorausgehenden Umkehr Israels und seiner Bereitschaft zum Gebotsgehorsam abhängig, sondern Ergebnis der nicht erwarteten, zuvorkommenden und bedingungslosen Gnade Gottes. Sie bewirkt zunächst und vor allem anderen die Rückkehr zum Gott Israels89 :30,1 Und wenn alle diese Worte über dich gekommen sind (yāboʾû ꜥalækā kål haddebārîm hāʾellæh), der Segen und der Fluch, die ich dir vorgelegt habe, dann wirst du sie dir zu Herzen nehmen mitten unter den Völkern, unter die JHWH, dein Gott, dich versprengt hat, 2 und zu JHWH, deinem Gott, zurückkehren und auf seine Stimme hören in allem, wozu ich dich heute verpflichte, du und deine Kinder, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele …Zunächst charakterisiert 30,1 „den Segen und den Fluch“ als „Worte“, das heißt Äußerungen Moses, die primär Sprechakte sind. Ob aus ihnen „tatsächlich das Schicksal bestimmende Wirklichkeiten werden, hängt von JHWH ab, dem Spender des Segens (28,8) und dem Sender des Unheils (28,20). Hinter den Konditionalsätzen 28,2.15 steht kein Automatismus von Ursache und Wirkung, sondern es wird der Geltungsbereich von Worten festgelegt und die Tätigkeitsweise JHWHs konzediert. Wenn Israel gehorcht – und Israel will ja beim Bundesschluss gehorchen – soll JHWH den Segnungen entsprechen, wenn es aber tatsächlich einmal ungehorsam werden sollte, dann mögen die Verfluchungen seine Handlungsprinzipien sein.“90 Im Übrigen hebt das Deuteronomium mit dem bedingten Segen und Fluch „keineswegs grundsätzlich die Unbedingtheit und Unverfügbarkeit des göttlichen Segens auf und lässt Gott lediglich auf Toragehorsam und – ungehorsam Israels reagieren. Es geht ihm vielmehr um den Umgang mit dem gratis geschenkten Segen. Es zielt auf die menschliche Bestätigung und Betätigung der Bundesbeziehung, die Gott voraussetzungslos eröffnet hat und die er je neu durch seine Segensgaben aufrechterhält.“91 Das alles heißt also nicht: „Der Bund ist in seiner Valenz eben nicht abhängig vom Gehorsam des menschlichen Partners. […] so wenig Jhwh gebunden ist durch den Gehorsam Israels, so wenig ist er auch gebunden durch dessen Ungehorsam.“92 Das Eintreffen „aller Worte“ von Segen und Fluch beweist, dass sich JHWH als Partner und Garant des Moabbundes ihnen grundsätzlich verpflichtet weiß und nicht willkürlich handelt. Dennoch wird – wie Mose ebenfalls voraussagt – Gottes unverdiente Gnade in der Geschichte das letzte Wort behalten.93Was die Verse 30,1–7 inhaltlich entwickeln, wird von V.8 an zusammengefasst und in V.10 – wie in V.2, aber erweitert und chiastisch rückläufig – begründet. Die V.11–14 könnten sich auf diese Situation beziehen, in der die „Weisung“ aufgrund der göttlichen Zuwendung jetzt Mund und Herz ganz nah ist. Sie könnten aber auch noch weiter zurückgreifen und begründen, wie es im Exil möglich ist, die göttliche Willensoffenbarung im Lehrganzen der Tora „zu hören“ und „zu bewahren“: weil nämlich Gott selbst das Herz Israels und aller künftigen Generationen beschneiden wird (V.6).94Diese göttlich gewirkte Herzensbeschneidung95 steht im Zentrum des künftigen Segen, ob man ihn mit 30,1–10 oder aufgrund der übergreifenden Stichwortstruktur mit 30,1–14 abgrenzt. Beide Einheiten sind palindromisch aufgebaut, wobei die größere die kleine überlagert.96 Leitwörter sind „zurück-“ bzw. „umkehren, wenden“ (šûb), abwechselnd auf das Volk und auf Gott bezogen, und das „Herz“ (lebāb). Beide Wörter werden hier wie sonst nirgendwo im Deuteronomium gehäuft, nämlich jeweils sieben Mal, verwendet und damit rhetorisch unterstrichen. V.6 ist außerdem dadurch ausgezeichnet, dass er das numerische Zentrum in der Nennung des Gottesnamens bildet: JHWH ist je 6-mal in V.1–5 und in V.7–10 und 2-mal in V.6 belegt, fehlt jedoch in den V.11–14.97 Auch dadurch ist V.6 als literarische Mitte und theologische Zentralaussage hervorvorgehoben:30,6 Und JHWH, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen [deines Samens] beschneiden98, so dass du JHWH, deinen Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben kannst (leʾahabāh), damit du Leben hast.Entscheidend ist zunächst, dass der verheißene Eingriff Gottes trotz der palindromischen Abfolge der Aussagen und der zentralen Stellung der Herzensbeschneidung für die geschilderte Bekehrung und den Wandel der Lebensumstände die theologische Voraussetzung bildet.99 Das an keine Bedingung gebundene Handeln Gottes selbst ist dann vor allem vor dem Hintergrund der Forderung in 10,16 zu verstehen:10,16 Ihr sollt die Vorhaut eures Herzens beschneiden und nicht länger halsstarrig sein.Sie knüpft an 10,15 und die liebevolle Hinwendung JHWHs zu den Vätern an – „nur sie hat er ins Herz geschlossen, nur sie hat er geliebt“ –, ferner an die ausschließliche Zugehörigkeit Israels zu ihm – „euch, ihre Nachkommen [ihren Samen], hat er später unter allen Völkern ausgewählt“. Der Appell, die Herzensvorhaut zu beschneiden, ergibt sich somit als Konsequenz aus der Erwählung Israels, auch wenn dieser Auftrag jedem einzelnen gilt. Trotz des Rückbezugs auf 10,15–16 unterscheidet sich 30,6 von seiner Vorlage. Jetzt ist die Beschneidung erstens nicht in die Selbstbestimmung und Wahl Israels gestellt, sondern ist Entscheidung JHWHs, der die Beschneidung des Herzens (Singular) Israels vornimmt.100 Zweitens fehlt in 30,6 ein Bezug auf die Patriarchen bzw. auf den Väterbund, wahrscheinlich deshalb, weil in ihm die Beschneidung das von Menschen gesetzte Zeichen des Abrahambundes ist. Dieses Schweigen des Textes ist jedenfalls ernst zu nehmen.101 JHWH ist somit völlig frei in seinem Erbarmen, das Geschick seines Volkes zu wenden (30,3).102 Drittens: Nach 10,16a blockiert die Vorhaut gewissermaßen den Zugang zum Herzen als dem Ort der Gottesbeziehung, symbolisiert also die Selbstverweigerung und Verstockung. Sie zu beseitigen hieße, sich den Verpflichtungen des Bundes zu öffnen: „dass du JHWH, deinen Gott fürchtest, indem du auf all seinen Wegen gehst, ihn liebst und JHWH, deinem Gott mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dienst.“ (10,12). Der in 30,6 zugesagte Eingriff Gottes beschränkt sich aber nicht nur auf die „Vorhaut“, sondern betrifft das Herz selbst. Er schafft nicht bloß einen Zugang zum Herzen, wo alles Denken und Wollen seinen Sitz hat, sondern er beseitigt die Untauglichkeit des Organs. Das in 10,16b anschließende Bild der Halsstarrigkeit verweist auf die Revolte am Gottesberg und die ganze Widersetzlichkeit auf dem Wüstenzug (9,6.13.27; vgl. 31,27), die inzwischen zum Typus der Geschichte Israels vom Gottesberg Horeb bis zum babylonischen Exil geworden ist. Wenn Kap. 30 nicht davor warnt, „nicht länger halsstarrig zu sein“ (10,16b), dann braucht Israel dieses Hindernis nicht mehr durch menschliche Anstrengung zu überwinden. Denn mit der Beschneidung des Herzens beendet Gott auch die Halsstarrigkeit des Volkes. Die ganze Verwandlung betrifft viertens nicht nur die Heimkehrergeneration, sondern alle kommenden Generationen des Volkes: Sie können ihren Gott wieder „mit ganzem Herzen und ganzer Seele lieben“. Israel wird also dazu befähigt, das Hauptgebot der Gottesliebe, das zu beobachten es bisher ermahnt wurde (6,5 und öfter), in ganzem Umfang zu erfüllen. Das heißt aber zugleich: Es kann auch die deuteronomische Sozial- und Gesellschaftsordnung – „alle Gebote, auf die ich dich heute verpflichte“ – als Konkretisierung dieser Gottesliebe bewahren und halten (vorausgesagt in 30,8). Ihre „Gebote und Satzungen“ sind in der Tora, der „Urkunde“ des Moabbundes, aufgezeichnet (V.10). Trotzdem wird nicht von „Bund“ gesprochen, auch nicht von seiner Erneuerung oder einem „neuen Bund“.103 Die Bestimmungen der Tora können befolgt werden. Denn dieses „Wort“ ist jetzt „ganz nahe, in deinem [Israels] Mund und deinem Herzen“ (V.14). Aufgrund der Herzensbeschneidung ist „das Gebot“ (V.11), also „Einheit und Gesamt des JHWH-Willens“, wie er konkret in Deuteronomium 6–26 vorliegt,104 nicht mehr „Forderung von außen, sondern Teil des Innersten und seiner Beziehung zu Gott“, ist es „ein Wort der Gnade und des sie annehmenden Glaubens“105 (vgl. Röm 10,8). Die Beschneidung des Herzens ist zwar physisch nicht greifbar. Aber sie wird in der Fülle des Segens erfahrbar, die von 30,3–5 und 7–9 – die Verheißung in V.6 rahmend – beschrieben wird: Sammlung und Rückkehr ins Land der Väter, aber nicht als neuer Exodus (dessen Termini fehlen)106 und ohne Feindbedrängnis, ferner Gutes im Überfluss bei der Arbeit, in Vieh- und Landwirtschaft, Mehrung der Nachkommen. V.10 begründet diesen Segen mit dem Hören auf die Stimme JHWHs, dem Bewahren der Gebote der Weisung und der Bekehrung.107 Wenn Gott also im Exil das Herz des Volkes beschneiden wird, wird wieder die Liebe des Anfangs da sein.3Väterbund, Horebbund, Moabbund und die Begnadigung IsraelsEs sind drei Bundesschlüsse, die im Deuteronomium voneinander unterschieden und zugleich miteinander verwoben werden.108 Die Referenzen von berît beziehen sich auf den Bund Gottes mit den Erzvätern (4,31; 8,18), auf Pentateuchebene ein Rückbezug auf das Buch Genesis. Ferner auf den Bund Gottes mit Israel im Zusammenhang des Auszugs aus Ägypten am Horeb (4,13.23; 5,2; 9,9.11.15; 10,8; 28,69b; 31,9.25.26), das ist auf Pentateuchebene ein Rückbezug auf das Buch Exodus. Schließlich einen Bund Gottes mit Israel in Moab, am Ende des Wüstenzugs, und zwar mit der zweiten Generation (5,3; 28,69a; 29,8.11.13.20). Dabei geht es um den Großteil des Buches Deuteronomium. Wenn das Deuteronomium also von berît spricht, kommt dabei nicht nur der Inhalt der Bundessetzung in den Blick, sondern lässt sich aus dem Kontext auch jeweils der Gründungsakt Väter-, Horeb- oder Moabbund erschließen.Horeb- und Moabbund werden zu Beginn des zweiten Buchteils und in der Überschrift des dritten Buchteils aufeinander bezogen – in 5,2.3 eher identifizierend, in 28,69 genau differenzierend. Vom „Bund im Land Moab“ spricht nur 28,69. Das Besondere dieses Moabbundes besteht darin, „dass Mose zum Propheten wird. Er droht nicht nur für den Fall des Ungehorsams, sondern er prophezeit die schreckliche Zukunft, die sich aus Israels Untreue ergeben wird, doch sofort auch, dass Gott sich am Ende erbarmen wird, sodass Israel sich bekehren und neu in sein Land zurückkehren kann“.109 Mose übersteigt also in 4,25–31 und 29,21–30,10 die Zukunftsperspektive, die Fluch und Segen in einem üblichen altorientalischen Vertrag enthalten. Noch im Rahmen des Moabbundesschlusses wird seine prophetische Vorschau von Gott in einer Theophanie ratifiziert (31,16–18) und anschließend im Moselied (31,19–21; vollständig und endgültig in 32,1–43) bestätigt. Während sich 4,31 ausdrücklich auf „den Bund mit deinen Vätern, den er ihnen geschworen hat,“ bezieht und Mose nach der Auflehnung Israels am Horeb Gott bittet, „seiner Knechte Abraham, Isaak und Jakob“ zu gedenken (9,27), fehlen in Kap. 30 sowohl die Patriarchen wie das Wort „Bund“.110 Denn die Beschneidung des Herzens Israels durch Gott selbst ist eine durch nichts verursachte, völlig freie Begnadigung, nachdem sich das Volk im Exil das Eintreffen der Segens- und Fluchworte zu Herzen genommen hat (30,1). Die Konzeption des Abraham- bzw. Väterbundes wurde schon ausführlich behandelt. Deshalb beschränke ich mich im Folgenden auf die Begnadigung Israels im Horeb- und Moabbund des Deuteronomiums.3.1Horebbund und VerschonungDer Bundesschluss am Horeb, über den Mose in Kap. 5 berichtet, wird von JHWH mit der Versammlung ganz Israels geschlossen.111 Seine Urkunde ist der in theophaner Szenerie proklamierte Dekalog, den Gott auf den Tafeln verschriftet und Mose übergeben hat (5,22; 9,10). Während dieser Bundesschluss noch im Gange war – sein Dokument war ausgefertigt, aber noch nicht offiziell hinterlegt – wurde der Vorgang durch die Anfertigung eines gegossenen Kalbes (9,12.16) unterbrochen. Angesichts dieser Sünde zerschmettert Mose die Bundestafeln (9,17). Der Zorn Gottes droht den Prozess des Bundesschlusses abzubrechen und das Volk zu vernichten, wird aber durch Sühne und Fürbitte Moses aufgehalten (9,18–21). 9,26–29 gibt das Gebet Moses wörtlich wieder. Eine Reaktion JHWHs wird nicht erzählt. Er befiehlt nur Mose, die zerbrochenen Tafeln durch neue zu ersetzen, und beschreibt sie wie die ersten. Danach werden sie von Mose in der Lade deponiert (10,1–5). Erst jetzt ist das komplexe Geschehen des Horebbundes mit Israel abgeschlossen.112 Die Darstellung des Deuteronomiums skizziert also nur das Problem und deutet es theologisch. Im Unterschied zu Exodus 32–34 gibt es nach Deuteronomium 9 am Horeb weder einen Bundesbruch noch eine Bundeserneuerung. Vor allem kennt das Deuteronomium nur die eine Fürsprache Moses für Israel am Horeb. Sie bezieht alle Verfehlungen der Wüstenzeit ein, die im Pentateuch vom Auszug aus Ägypten an erzählt werden (Dtn 9,22–24), und vereint auch alle Gebete, die Mose bei verschiedenen Gelegenheiten zuvor gesprochen hatte. 9,26–29 „ist das Fürbittgebet Moses, und als solches ist es hier in den Kontext der Horebsünde gestellt. In der Geschichte von der Horebsünde entwickelt Mose eine Erzählung, die alles vereint, was in den 40 Jahren an Sünde und an göttlicher Nachsicht mit Israel vor sich ging.“113Für unser Thema vordringlich sind 9,26–27a. Die Einleitung des Gebets „bring nicht ins Verderben dein Volk und deinen Erbbesitz (ʾal tašḥet ꜥamekā wenaḥalātekā), die du […] aus Ägypten geführt hast“ (V.26) nimmt zwar das sich distanzierende Urteil JHWHs auf: „Dein [Moses] Volk, das du [Mose] aus Ägypten geführt hast, läuft ins Verderben“ (V.12). Aber die eigentliche Bitte, die schon auf das Erbarmen Gottes zielt, liegt nur im „Vernichte nicht!“. Sie wird mit theologisch-juristischen Formulierungen fortgesetzt: „Jahwe wird an sein eingegangenes Beziehungsverhältnis und die daraus erwachsende Treueverpflichtung erinnert. Diese Aussageabsicht wird dann – spätestens jetzt unmißverständlich – in der Herausführungsaussage weitergeführt, die sich an die Qualifizierung Israels als ‚dein Volk und dein Erbbesitz‘ in beiden Fällen anschließt (V.26aβb.29b)“.114 Die privilegierte Existenz des Volkes, die Israel ausschließlich der Befreiung und Herausführung aus der Sklaverei durch JHWH verdankt, und die Annahme als „sein Volk und sein unveräußerliches Erbeigentum“ unterstreichen die Verantwortung, die er damit für das von ihm gestiftete Beziehungsverhältnis übernommen hat. Er kann sie nicht zugunsten einer von Mose stammenden „mächtigeren und zahlreicheren Nation“ aufgeben (V.14). „Dennoch ist angesichts Israels Sünde letztlich alles Bitte um unverdiente Gnade, und nicht ‚Recht‘.“115 4,20 hat die Qualifizierung Israels als Gottes „Erbeigentumsvolk“ (ꜥam naḥalāh) im Zusammenhang mit der Bundesformel genannt und damit formulierungsmäßig vorweggenommen, was der Fabel nach aber bereits in der auch literarhistorisch älteren Mosefürbitte auf dem Horeb vorausging. Das Gebet Moses am Gottesberg wurde erhört, denn JHWH weigerte sich, „dich dem Verderben preiszugeben“ (10,10). Wenn Israel dann im Land „ins Verderben läuft und ein Kultbild anfertigt“ (4,25), kann Mose an die Horeberfahrung anknüpfen und prophezeien, dass Gott auch in Zukunft nicht dem Fehlverhalten des Volkes entsprechend handeln wird (4,31). Entscheidend ist, dass sowohl am Horeb wie in der Bedrängnis des Exils die Erinnerung an die Erzväter (9,27a)116 bzw. das „Nicht-Vergessen“ des Väterbundes (4,31) die letzte Motivation für die Begnadigung Israels bilden. An beiden Stellen fehlt offenbar bewusst die Klischeeformel für die Land- und Nachkommensverheißung.117 Fordert Mose in 9,27a Gott auf: „Denk an deine Knechte, an Abraham, Isaak und Jakob!“,118 so spricht er in 4,31 nur vom „Bund mit deinen Vätern, den er ihnen geschworen hat“.Weil die Horeberzählung den Wüstenaufenthalt als Zeit der Auflehnung (9,7.24) und Halsstarrigkeit Israels (V.6.27) typologisch zusammenfasst, erhält die Mosefürsprache „auch eine Fundierungsfunktion für jede Zuwendung Gottes zu Israel nach allen in der Wüste geschehenen Sünden.“119 In ihr „sind einerseits Erzväter- und Exodusverweis Grund der Erhörung: als die beiden grundlegenden Aspekte, mit denen Mose Jahwe nicht aus seiner Bindung an Israel entlässt. Aber ebenso gilt: Das letztlich ‚eigentliche‘ Argument – das nämlich nach einer durchgehenden Sündengeschichte Israels noch bleibt – liegt in V.27“, also in der Gottesbeziehung Abrahams, Isaaks und Jakobs, die vor der Zeit des Volkes als „deine Knechte“ JHWH dienten.1203.2Moabbund und NeuanfangDer Moabbund ist nur möglich, weil sich JHWH trotz des Abfalls am Horeb und der Halsstarrigkeit des Volkes nicht seiner frei übernommenen Verantwortung und einem weiteren Heilswirken für Israel entzogen hat, sondern „euer Gott“ geblieben ist (vgl. 29,5). 5,2–3 konnte deshalb behaupten, dass das Gottesverhältnis Israels beim Bund auf dem Horeb und in Moab trotz des zeitlichen und räumlichen Abstands ein und dasselbe ist. Die Verse holen also die Vollversammlung Israels in Moab gewissermaßen in den Horebbund hinein. Zugleich konnte 28,69 unmittelbar nach dem Ende der Toraschrift feststellen, dass sich die sprachlichen und rituellen Vorgänge, durch die der Gottesbund am Horeb zustande kam und später in Moab bestätigt und konkretisiert wurde, unterscheiden. „Der Moabbund beruht auf einem neuen Vereidigungsverfahren, bringt aber in der Sache (d. h. vor allem bei den Bundesverpflichtungen Israels) letztlich nichts Neues gegenüber dem Horebbund. Das ergibt sich vor allem auch daraus, dass der Dekalog, vor allem sein erstes Gebot, weiter auch der Kern des Moabbundes ist, und dass die Bundesurkunde des Moabbundes, die ‚Tora‘, Israel zwar erst jetzt vorgelegt wird, Mose aber schon am Horeb mitgeteilt worden war. Erst jetzt, vor dem Einzug in das verheißene Land, wird sie in ihrer definitiven Gestalt durch Mose verkündet und von Israel angenommen.“121Im Moabbundesschluss bildet das „Hören auf die Stimme JHWHs, deines Gottes“ (šmꜥ beqôl JHWH ʾælohækā) die entscheidende Verpflichtung.122 Im Gegensatz zu 4,29–31 wird sie in 30,1–10 nicht gemeinsam mit dem Begriff „Bund“ (berît) verwendet.123 Die Wendung findet sich aber in den zwei performativen Erklärungen, die das Vertragsverhältnis bewirken: in 26,17, der rechtrelevanten Erklärung Israels im Bundesschluss,124 und in 27,10 innerhalb der Bundeserklärung, die Mose zusammen mit den Priestern im Namen JHWHs abgibt. Die „Stimme JHWHs“ äußert sich im Deuteronomium meist konkret in „seinen Geboten und Satzungen“ (miṣwôtāw weḥuqqotāw), also der Sammlung der Einzelgebote (Kap. 12–26), auf die Mose in Moab Israel verpflichtet. Deshalb gehört im Protokoll des Bundesschlusses das „Hören auf die Stimme JHWHs“ zu dem, was Israel übernommen hat, nämlich „alle seine [JHWHs] Gebote bewahren“ (26,18), und nach der Bundeserklärung Gottes auch „seine [JHWHs] Gebote und Gesetze zu halten“ (27,10). Insbesondere hängen Segen und Fluch daran, dass die Rechtsbestimmungen des Moabbundes „bewahrt“ (šmr) und „gehalten, getan“ (ꜥśh) werden (z.B. 28,1.15.45). „Auf JHWHs Stimme hören“ wird also in übertragenem Sinn gebraucht. Dieses „Hören auf die Stimme“ unterscheidet sich sachlich und formulierungsmäßig von der akustischen Wahrnehmung des Dekalogs am Horeb. Sie besteht im „Hören der Stimme JHWHs“ (šmꜥ ʾæt qôl JHWH) (5,23.24.25; vgl. 4,12.36[Hifil]). Die durch Mose vermittelte Gebotsmitteilung und die direkte Verkündigung der Zehn Worte durch Gott werden somit syntaktisch als Präpositionalausdruck (beqôl) und als Objekt (ʾæt qôl) voneinander unterschieden. Außerdem hängt das Hören auf die Stimme Gottes nach 13,5 mit der Haltung „JHWH fürchten, ihm dienen, ihm anhangen“ zusammen. Letztlich drückt sich in ihr nach 30,20 die Liebe zu JHWH aus: „Liebe JHWH, deinen Gott – nämlich indem du auf seine Stimme hörst – und halte dich an ihm fest“.In der von Mose vorausgesagten Zukunft äußert sich die Umkehr Israels im erneuten Hören auf JHWHs Stimme. Die beiden Wendungen šûb ꜥad / ʾæl JHWH und šmꜥ beqôl JHWH werden in der Hebräischen Bibel nur in Dtn 4,30 und 30,2.8 (ohne den Präpositionalausdruck beqôl JHWH).10 miteinander verbunden, charakterisieren also die Bekehrung nach dem Bruch des Moabbundes. 4,30 beschreibt damit die Abkehr von den Völkergöttern und die Hinwendung zu JHWH. In 30,1–10 finden sich die beiden Formulierungen an drei strukturell wichtigen Stellen und werden schrittweise erweitert und inhaltlich entwickelt.125 Noch im Exil bezeichnet „auf seine Stimme hören“ in 30,2 die Bereitschaft zu allem, was Mose am fiktionalen Tag des Moabbundesschlusses an Rechtstexten verbindlich vorgetragen hat. Erst nach der Herzensbeschneidung (V.6) bezeichnet die Wendung dann als ihre selbstverständliche Folge in V.8 und 10 das tatsächliche Halten der in der deuteronomischen Tora aufgezeichneten Gebote und Satzungen im Land, verbunden mit Segen im Überfluss (V.9).Nach dem Bruch des Moabbundes – „weil sie angefangen haben, anderen Göttern zu dienen und sich vor ihnen niederzuwerfen“ (29,25) – brachte JHWH „den ganzen in der Tora verzeichneten Fluch“ über das Land und warf Israel in ein anderes Land (V.26–27). Zwar blieb Gott frei, die performativen Fluchworte Moses eintreffen zu lassen. Doch sind „alle diese Worte“, nämlich der von Mose in Kap. 28 vorgelegte „Segen und der Fluch“, an den 30,1–10 anschließt, nach V.1 eingetroffen. Israel hat keinen Rechtsanspruch auf eine neue, bessere Zukunft, Gott bleibt auch nach dem Gericht frei zu Erbarmen und Zuwendung (vgl. V.3). Aber sie wird damit einsetzen, dass sich Israel die vergangenen Erfahrungen zu Herzen nimmt und zu seinem Gott JHWH umkehrt (V.1b–2). Durch die Beschneidung Herzens der Verbannten und aller künftigen Generationen wird Gott eine radikale innere Erneuerung und damit die innere Voraussetzung für die Liebe zu ihm schaffen und mit ihr ein erfülltes Leben (V.6).126 Kann nämlich das Hauptgebot befolgt werden (vgl. 6,5), dann auch seine gesellschaftliche Konkretisierung in den Bestimmungen der Tora. Diesem Gehorsam aber ist reicher Segen Gottes zugesagt (30,10 als Begründung für V.9). Dieses „Gebot“ des Moabbundes geht dann „nicht über deine Kraft“ (V.11), das „Wort“ ist in Mund und Herz ganz nahe und kann immer gehalten werden (V.14). Das Heil Israels bleibt in der angenommenen Gnade verankert. Ein Rekurs auf den Abrahams- bzw. Väterbund, oder ein weiterer Bundesschluss sind unnötig. Die Entscheidungssituation, in die Israel nach 30,15–20 gestellt ist, gehört zum „heute“ in Moab zu schließenden Bund. Ein späterer Artikel wird das Verhältnis des Moabbundes zum Neuen Bund Jeremias 31,31–34 behandeln.4Der Epilog der Heiligkeitsgesetzes – ein Sieg des priesterschriftlichen Väter-Bundes über den deuteronomistischen Sinai-Bund? (Lev 26,40–45)127Der Moabbund unterscheidet sich von dem Modell, mit dem am Ende des Heiligkeitsgesetzes Lev 26,40–45128 den Bundesbruch und das Exil theologisch bewältigt.129 Zunächst besagt dieses „heilsgeschichtliche Schlusswort“: Schon in der Gründungszeit Israels „seien das Scheitern, die Strafe und der Neuanfang nach Reue und Bekenntnis mit einkalkuliert worden. Nur auf diese Weise kann der ethische Anspruch der Gültigkeit der göttlichen Weisung aufrechterhalten bleiben und zugleich das Scheitern der Menschen an dieser Weisung aufgefangen werden, sodass weder das Fehlverhalten der Menschen an ihren endgültigen Untergang führt noch die Barmherzigkeit Gottes das sittliche Tun der Menschen irrelevant macht.“130 In der fiktiven Zukunft, wenn der Rest Israels wegen der eigenen Schuld und der Sündenlast seiner Vorfahren im Feindesland „dahinsiechen“ wird, kann sich – im Unterschied zu Deuteronomium 28 – das Schicksal der „Übriggebliebenen“ ändern, wenn sie sich zu ihrer Schuld verhalten (Lev 26,40–41). Während nach der Prophetie Moses in Deuteronomium 4 und 30 die unter die Völker Zerstreuten aufgrund göttlicher Initiative zu JHWH umkehren und auf seine Stimme hören werden, werden sie nach der Voraussage Gottes selbst in Levitikus 26 zunächst von sich aus ihre Treulosigkeit ihm gegenüber bekennen (V.40) und die Exilsleiden als deren gerechte Folge annehmen: „Ihr unbeschnittenes Herz muss sich dann beugen und für ihre Schuld müssen sie Genugtuung leisten.“ (V.41).131 Angesichts dieses Wandels bedarf es offenbar keiner ausdrücklichen Vergebung Gottes mehr. Dagegen muss nach Dtn 30,6 schon Gott selbst das Herz beschneiden, damit sich Israel bekehren kann und Gott sein Schicksal wendet. In Lev 26 äußert sich Gottes Gnadenhandeln in seinem „Gedenken des Bundes“, das die V.42–45 rahmend umschließt. Zunächst wird JHWH seines Bundes mit den Erzvätern wie auch des Landes „gedenken“ (wezākartî) (V.42). Im betontem Gegensatz zu Israel, das „Gottes Satzungen verabscheut, seine Rechtsentscheide verworfen und seinen Bund gebrochen hat“ (V.15 und 43) – was wegen dieser Verpflichtungen Israels nur der Bund vom Sinai sein kann –, hat Gott das Volk „nicht verworfen“, „nicht verabscheut“ und „seinen Bund mit ihm nicht gebrochen“ (V.44). Wie in Dtn 4,31 widerspricht also das Verhalten Gottes ausdrücklich den Vergehen Israels. Weil Gott in Lev 26,44 gegenläufig zum Bundesbruch Israels handelt, kann der Bund, den er nicht bricht, nur der Sinaibund sein. V.45 unterstreicht schließlich, dass Gott des „Bundes mit den Früheren, die (berît riʾšonîm ʾašær) ich aus dem Land Ägypten vor den Augen der Nationen herausgeführt habe“, „gedenken“ (wezākartî lāhæm) will, „um ihr Gott zu sein“. Dieser Bund ist der Sinaibund und nicht der Patriarchenbund.132 Denn diese berît unterscheidet sich von der berît mit Jakob, Isaak und Abraham (V.42), weil sie die Exodusgeneration133 betrifft (V.45).134 Auch nach Dtn 29,24 hat „JHWH, der Gott ihrer Väter, mit ihnen [den Israeliten] einen Bund geschlossen, als er sie aus dem Land Ägypten führte“.In Lev 26,42–45 bleiben beide Bundesausprägungen in Kraft – der Väterbund, dessen JHWH nur gedenkt, und der Sinaibund, den Israel gebrochen, JHWH aber nicht gebrochen hat und dessen er ebenfalls gedenkt. Sie ergänzen einander, wobei der Väterbund die Landverheißung, der Sinaibund das Versprechen Israels, die Satzungen und Rechtsentscheide zu befolgen, akzentuiert. Weil also Gott135 nach dem Sündenbekenntnis Israels sowohl des Väterbundes als auch des Sinaibundes gedenkt und auf diese Weise als Bundespartner handelt, verschmelzen die beiden Bünde in der Vorstellung eines einzigen umfassenden Bundes. Er gleicht aufgrund seiner bedingten Gesetzesgehorsamsforderungen und weil er von Israel gebrochen werden kann, dem deuteronomisch-deuteronomistischen Sinai-/Horebbund. Zugleich aber stimmt er auch mit dem ewigen priesterschriftlichen Bund mit Abraham überein, weil er durch JHWHs souveräne Bundestreue diesen Bedingungen letztlich enthoben ist und nicht gebrochen werden kann. Welche Zukunft dieses Bundesgedenken JHWHs den Verbannten eröffnet, bleibt allerdings ebenso offen wie die Möglichkeit, dass Israel den Bund von neuem brechen wird. Diese Bundeskonzeption spricht weder von Heimkehr noch geht sie auf die Gesetze und ihre Geltung ein. Ganz anders dagegen Dtn 30,1–10. Nach der Beschneidung des Herzens, dem für die Wende des Exils entscheidenden JHWH-Handeln, schildert Mose in immer weiter zurückgehenden Begründungen, was sich dann ändert, wenn Israel wieder sein Land in Besitz nehmen und dort glücklicher und zahlreicher als zuvor leben wird. „Mose sagt nicht, von der Wende im Exil an werde Israel neu verpflichtet sein, die deuteronomischen Gesetze zu beobachten. Er sagt, Israel werde sie beobachten, und damit ist die Fortdauer ihrer Geltung im Land, in das Israel heimgekehrt ist, wie selbstverständlich vorausgesetzt. Nur hier im ganzen Pentateuch wird so etwas gesagt. Aber die Aussage steht an prominentem Ort. Sie bezieht sich direkt allein auf die deuteronomische Tora. Diese wird nach der Heimkehr gelten und verwirklicht werden.“136

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Biblische ZeitschriftBrill

Published: Jan 23, 2023

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