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Die Gestaltung von Wandel und Innovation im Mehrebenensystem der Militärverwaltung Österreich-Ungarns um 1900

Die Gestaltung von Wandel und Innovation im Mehrebenensystem der Militärverwaltung... EinleitungBei Innovationen wird im Kontext von Armeen zumeist an technologische Phänomene gedacht. Jedoch unterliegen Armeen, sofern sie als Organisationen ›wettbewerbsfähig‹ sein sollen, in allen Bereichen einem hohen Wettbewerbsdruck: Um im Kriegsfall siegreich zu sein, gilt es nicht nur waffentechnische Neuerungen rechtzeitig zu implementieren, sondern ebenso über eine bestmögliche Versorgung und Ausbildung sowie effiziente Verwaltungs- und Kommunikationsstrukturen zu verfügen. So unterscheidet etwa Ulf von Krause drei Bereiche militärischer Innovationen: primär technologische Innovationen, Innovationen im strategischen und operativen Denken und militärische Innovationen in der Organisation.Vgl. Ulf von Krause: Innovation im Militär, in: Manfred Mai (Hg.): Handbuch Innovationen. Interdisziplinäre Grundlagen und Anwendungsfelder, Wiesbaden 2014, S. 299–317, hier S. 301–312. Neuerungen in den ersten beiden Bereichen werden oftmals als radikale oder disruptive Innovationen wahrgenommen, wie etwa der Panzer oder der ›Blitzkrieg‹. Dagegen werden militärische Innovationen in der Organisation selten als Innovationen charakterisiert, sondern häufiger als Wandel im Sinne einer stetigen Änderung. Als Folge werden sie zumeist als eine organische Entwicklung wahrgenommen, wodurch intentionale und prozesshafte Aspekte in ihrem Werden aus dem Blick geraten.Im Folgenden sollen eben diese intentionalen und prozesshaften Aspekte von militärischen Innovationen in der Organisation im Fokus stehen, wobei im Konkreten das Vorgehen der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung bei der Ausgestaltung von Innovationen untersucht wird. War die Hauptaufgabe der Militärverwaltung neben der Verwaltung des Status quo dessen Adaption an die Erfordernisse einer unbekannten Zukunft,Nach Fabrizio Battistelli changieren militärische Organisationen zwischen den Polen Innovationsfreude und Konservatismus, denn die permanente Vorbereitung auf zukünftige Kriege, deren Prämissen bestenfalls antizipiert werden können, ist im hohen Grad mit Unsicherheit behaftet. Diese steigt mit der Dauer der Friedenszeit bezüglich der Art der zukünftigen Kriegsführung, wobei gleichzeitig aber Möglichkeiten der Rückkoppelungen, also der Leistungsüberprüfung, fehlen. Vgl. Fabrizio Battistelli: Four Dilemmas for Military Organizations, in: Jürgen Kuhlmann / Christopher Dandeker (Hg.): Stress and Change in the Military Profession of Today: Papers Presented at the XIIth World Congress of Sociology, International Sociological Association, Madrid, Spain, July 1990, Sessions of Research Committee 01: Armed Forces and Conflict Resolution, München 1991, S. 1–19, hier S. 11–13. zeigte sich die hohe Gestaltungskraft der Militärverwaltung in der steigenden Regelungsdichte im Bereich des Militärwesens im 19. Jahrhundert. Auf diesen Umstand verweisen indirekt die organisationsgeschichtlichen Arbeiten der traditionellen Militärgeschichte mit ihrem normativ-strukturgeschichtlichen Zugang,Vgl. etwa Walter Wagner: Die k. (u.) k. Armee – Gliederung und Aufgabenstellung, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, S. 142–633. jedoch schweigen sie hinsichtlich der Frage der Arbeitsweise der Militärverwaltung bei der Ausgestaltung von militärischen Innovationen in der Organisation. Zugleich zeigte auch die sich in den letzten Jahrzehnten formierende ›Neue Militärgeschichte‹Zur Ausrichtung der ›Neuen Militärgeschichte‹ vgl. Thomas Kühne / Benjamin Ziemann: Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte, in: Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 9–46. bisher kaum Interesse an der Militärverwaltung, weshalb Arbeiten zu einer Kulturgeschichte der Militärverwaltung in der Neuzeit weitestgehend fehlen,Vgl. hierzu auch Christoph Nübel: Armee und Bürokratie. Zur historischen Analyse einer Herrschaftskonstellation im neuzeitlichen Staat, in: Portal Militärgeschichte (2020), Themenschwerpunkt: Armee und Bürokratie. Organisationsgeschichtliche Perspektiven auf das Militärische im 20. Jahrhundert, URL: http://portal-militaergeschichte.de/nuebel_armee, DOI: 10.15500/akm.06.07.2020 (28. 01. 2021). Im Portal-Militärgeschichte vom Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. erschienen im Jahr 2020 mehrere Beiträge zum Thema Verwaltung und Militär in Deutschland im 20. Jahrhundert, vgl. URL: http://portal-militaergeschichte.de/schwerpunktthema/armee-und-b%C3%BCrokratie-organisationsgeschichtliche-perspektiven-auf-das-milit%C3%A4rische (28. 01. 2021). insbesondere zu jener der Habsburgermonarchie.Als eine der wenigen Ausnahmen sei hier auf die Arbeit von Jonathan Gumz verwiesen, der die Besatzung Serbiens im Ersten Weltkrieg aus der Sicht der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung untersucht und dabei auch Aushandlungs- und Kommunikationsprozesse in den Blick nimmt. Vgl. Jonathan E. Gumz: The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914–1918, Cambridge 2009. Damit bleibt das Bild einer streng hierarchischen Organisation, in der nur den höchsten Verwaltungs- und Kommandostellen Gestaltungskraft zugesprochen wird, vorherrschend, wie sich dies in der Fokussierung der Forschung auf den Generalstab oder einzelne Generäle zeigt.Hinsichtlich der Fokussierung auf die oberste Führungsebene sei für Österreich-Ungarn etwa auf die Studie von Günther Kronenbitter verwiesen: »Krieg im Frieden«. Die Führung der k. u. k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906–1914, Oldenburg / München 2003. Stellvertretend für die zahlreichen Biographien vgl. etwa J. P. Harris: Douglas Haig and the First World War, Cambridge 2012 und Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, Berlin 2011. Der vorliegende Beitrag möchte diesen eingeschränkten Blick öffnen, indem er die Rolle und Gestaltungskraft der mittleren und unteren Verwaltungsebene bei der Ausgestaltung von Innovationen in der Organisation untersucht.Die Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres wird im vorliegenden Beitrag als ein Mehrebenensystem verstanden. Der Begriff des Mehrebenensystems wurde bisher vornehmlich von der Politikwissenschaft zur Untersuchung von komplexen Beziehungsgefügen bei politischen Entscheidungen herangezogen, wobei vor allem die Verwaltungen der Europäischen Union und internationalen Organisationen in der Zusammenarbeit mit nationalen Verwaltungen als Mehrebenenverwaltungen charakterisiert wurden.Zur politikwissenschaftlichen Verwendung des Konzepts vgl. Arthur Benz: Politik im Mehrebenensystemen, Wiesbaden 2009. In der Geschichtswissenschaft wurde das Konzept in jüngster Zeit für die Erforschung der vertikalen und horizontalen Verflechtungen föderaler Staatsgefüge, wie dem Deutschen Reich und der Habsburgermonarchie nach dem Ausgleich von 1867, fruchtbar gemacht.Vgl. etwa Jana Osterkamp: Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918), Göttingen 2020; Felix Selgert: Die politische Entscheidungsfindung im Mehrebenensystem des Deutschen Kaiserreiches am Beispiel des Aktienrechts (1873–1897), in: Gerold Ambrosius / Christian Henrich-Franke / Cornelius Neutsch (Hg.): Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive, Bd. 6: Integrieren durch Regieren, Baden-Baden 2018, S. 151–196; Jana Osterkamp: Föderale Schwebelage – Die Habsburgermonarchie als politisches Mehrebenensystem, in: Gerold Ambrosius / Christian Henrich-Franke / Cornelius Neutsch (Hg.): Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive, Bd. 2: Föderale Systeme. Kaiserreich – Donaumonarchie – Europäische Union, Baden-Baden 2015, S. 221–246. Den Anwendungen des Konzepts ist gemein, dass sie den Fokus auf Formen der Kooperation und Koordination zwischen den vertikalen und horizontalen Ebenen von territorial gegliederten Verwaltungseinheiten legen.Nach Arthur Benz ermöglicht die Untersuchung von nationalen Verwaltungen als Mehrebenensysteme, »das überkommene Konzept einer hierarchischen Verwaltungsorganisation, in der die dezentralen Einheiten Anweisungen der Zentrale vollziehen, […] zu ersetzen« und den Blick auf das Beziehungsgeflecht zwischen den Ebenen zu richten.Arthur Benz: Verwaltung als Mehrebenensystem, in: Sylvia Veit / Christoph Richard / Göttrik Wewer (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Wiesbaden 2019, S. 87–98, hier S. 89. Zwar verfügt die Leitungsinstanz in einem hierarchischen Mehrebenensystem über die Macht Anweisungen zu erteilen und Sanktionen zu setzen, jedoch stößt die autoritäre Steuerung aufgrund von Informationsasymmetrien und Interessensdivergenzen der Akteure auf den verschiedenen Ebenen in der Praxis an ihre Grenzen. Dieses Dilemma wird nach Benz durch Kooperation gelöst, die durch eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Ebenen gekennzeichnet ist, die Lösung von Konflikten in Verhandlungen ermöglicht und Informationsasymmetrie abschwächen kann.Vgl. Benz: Verwaltung als Mehrebenensystem, S. 90–91. Zu den Eigenarten der Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres gehörte, dass die Truppenkörper nicht nur für den Verwaltungsvollzug verantwortlich waren, sondern als operative Einheiten des Heeres zugleich Ziel des Verwaltungsvollzugs waren. Anders gesagt, Verwalter und Verwaltete waren in der Militärverwaltung im Vergleich zu den meisten zivilen Verwaltungsbereichen in einem hohen Grad deckungsgleich.Die Militärverwaltung des österreichischungarischen Heeres agierte in einem vertikalen und horizontalen Mehrebenensystem. Die vertikale Ausrichtung bestand in einem territorial gegliederten, dreistufigen Verwaltungsaufbau, an dessen oberster Stelle das Kriegsministerium mit seiner Leitungsfunktion stand. Die unterste Ebene bildeten die Truppenkörper und Anstalten, deren Verwaltungsvollzug durch die Mittelbehörden, die 16 Militärterritorialbereiche, koordiniert und überwacht wurde. Die funktionsdifferenzierte dreistufige Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres war zugleich in einem horizontalen Mehrebenensystem eingebettet. So bestanden neben dem österreichischungarischen Heer als überstaatliche Einrichtung beider Reichshälften die organisatorisch eigenständigen Landwehren Österreichs und Ungarns, wodurch eine Koordination des Kriegsministeriums mit den beiden Landesverteidigungsministerien erforderlich war. Die österreichisch-ungarische Marine war jedoch Teil der dualistischen Einrichtungen des Gesamtstaates und formal als Sektion im Kriegsministerium eingegliedert, wenngleich sie von den Landstreitkräften getrennt organisiert wurde. Dem Mehrebenensystem übergeordnet, stand die Allerhöchste Militärkanzlei, die zwischen dem Oberbefehlshaber, Kaiser Franz Joseph, und den Zentralstellen vermittelte. Zuletzt sei auch auf die Delegationen, also die parlamentarischen Vertretungskörper der beiden Reichshälften, hingewiesen, die durch ihre Budgethoheit in gemeinsamen Angelegenheiten weitere Akteurinnen im Mehrebenensystem der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung waren.Bezüglich der Verortung der einzelnen Akteurinnen und Akteure im Mehrebenensystem siehe unten im passim.Die vertikalen und horizontalen Ebenen waren durch Kommunikationsprozesse verbunden, anhand derer der vorliegende Beitrag die Gestaltung von Wandel und Innovation im österreichisch-ungarischen Heer untersuchen möchte, wobei drei übergeordnete Aspekte fokussiert werden. Erstens soll das Vorgehen der Militärverwaltung bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Neuerungen beleuchtet werden, wobei insbesondere die einzelnen Schritte und ihre Funktionen von Interesse sind. Zweitens soll der Blick auf Formen der Kooperation im Mehrebenensystem gelegt und insbesondere nach der Rolle und Gestaltungskraft der unteren Verwaltungsebenen in der Ausgestaltung von Wandel und Innovation gefragt werden. Drittens sollen die Beziehungen zwischen den Ebenen, die durch rechtliche Rahmenbedingungen strukturiert sind, und ihre Funktionen im Ausgestaltungsprozess beleuchtet werden.Im Konkreten wird der Beitrag mittels einer mikrohistorischen Analyse das Zustandekommen neuer Disziplinarstrafnormen im Jahr 1903, die erstmals Körperstrafen in Friedenszeiten weitestgehend verboten, untersuchen. Als Sanktionsmittel der Kommandanten gegenüber ihren Untergebenen dienten Disziplinarstrafen der Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin in den Truppenkörpern, also der Sanktionierung von Fehlverhalten im militärischen Alltag. Die Disziplinarstrafnormen definierten die Strafarten (Verweis, Ordnungsstrafen, Arreststrafen und Degradierung), den Strafumfang und die Strafbefugnisse.Vgl. Dienst-Reglement für das kaiserlich-königliche Heer, Wien 1873, 1. Teil, § 87, 88 und 89. Dagegen blieben die strafbaren Handlungen weitestgehend unbestimmt, weshalb Christa Hämmerle in Anlehnung an Hubert Treiber von einer »Normenfalle« für Soldaten spricht.Vgl. Christa Hämmerle: »… dort wurden wir dressiert und sekiert und geschlagen…« Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868–1914), in: Laurence Cole / Christa Hämmerle / Martin Scheutz (Hg.): Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), Essen 2011, S. 31–54, hier S. 33–34. Der nahezu unbegrenzte Spielraum der Kommandanten bei der Bestimmung von strafbaren Handlungen war im Grunde nur dahingehend eingeschränkt, dass militärische und gemeine Vergehen und Verbrechen durch das Militärstrafrecht zu sanktionieren waren. Dabei überschnitten sich Militär- und Disziplinarstrafrecht dahingehend, dass Vergehen, welche nach Militärstrafrecht mit einem bis zu dreimonatlichem einfachem oder strengem Arrest bedroht waren, auch durch das Disziplinarstrafrecht geahndet werden konnten.Vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, § 86, Punkt 648. Aus Sicht des Militärs bot dies den Vorteil der unmittelbaren Sanktionierung von unerwünschten Verhalten bei gleichzeitiger Entlastung des Militärstrafapparates. Indem die Disziplinarstrafnomen der Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin im Alltag dienten, betrafen die neuen Normen einen Kernbereich der militärischen Organisation.Im Folgenden wird die Entstehung der neuen Disziplinarstrafnormen in ihrem chronologischen Verlauf untersucht, wobei nach einem externen Anstoß zur Innovation aus der Zivilgesellschaft vier Phasen der Ausgestaltung – erste Meinungsbildung, das Involvieren der mittleren und untersten Verwaltungsebene, die Inklusion der Expertenstimmen und die Beschlussfassung – identifiziert werden können. Bei der Betrachtung der einzelnen Phasen werden zunächst die Vorgänge anhand der binnenadministrativen Kommunikation dargelegt, anschließend die Akteure im Mehrebenensystem verortet und hinsichtlich ihrer Gestaltungskraft diskutiert. Den Abschluss der Untersuchung bildet die Darstellung des Zustandekommens der neuen Disziplinarvorschrift in der Öffentlichkeit und damit wieder ein Blick auf das Zusammenspiel von Militär und Zivilgesellschaft. Wie der Beitrag zeigen wird, waren die verschiedenen vertikalen und horizontalen Ebenen in der Ausgestaltung der neuen Normen in unterschiedlicher Weise involviert. Der Prozess war dabei in einem hohen Maße von Kooperation geprägt, wobei vor allem die Rolle der unteren Verwaltungsebenen der hierarchisch strukturierten Militärverwaltung durch ihre Gestaltungskraft überrascht.Aufgrund der Fokussierung des Beitrages auf die binnenadministrative Perspektive bei gleichzeitig hoher Komplexität des Mehrebenensystems der Militärverwaltung bleiben nicht-staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure in der vorliegenden Fallstudie weitgehend unberücksichtigt, da sie in den Prozess der Ausgestaltung der neuen Normen nicht direkt involviert wurden. Dies gilt jedoch nicht unbedingt für alle militärischen Innovationen, sodass die Analyse des Mehrebenensystems erweitert um nichtstaatliche Akteure in anderen Bereichen fruchtbare Erkenntnisse verspricht.So erkannten etwa Firmen der modernen Lebensmittelindustrie die Militärverpflegung als Markt für ihre innovativen Produkte und versuchten dementsprechend auf die Militärverwaltung einzuwirken. Vgl. Elisabeth Berger: Ernährung im österreichisch-ungarischen Heer. Militärwissenschaftlicher Diskurs, Ernährungsvorschriften und Ernährungspraxis (1868–1914), in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 35 (2017), S. 67–96, hier S. 69, Fußnote 10.Die Rolle von nicht-staatlichen Akteuren in der Militärverwaltung im Allgemeinen, auch abseits von Innovationen, ist nahezu unerforscht. Fruchtbare Untersuchungsgegenstände abseits von Rüstungsfirmen und Industriebetrieben könnten möglicherweise das Rote Kreuz, die Anti-Duell-Liga oder Religionsgemeinschaften sein. Die stärkere Berücksichtigung von nicht-staatlichen Akteuren in der Forschung würde interessante Einblicke hinsichtlich des zivilmilitärischen Verhältnisses im Allgemeinen versprechen.Am Anfang stand eine ResolutionAm Beginn der neuen Normen stand eine Intervention von außen: die Resolution des Delegierten Enrico Conci »die Strafe des Eisens und des Anbindens an die Säule abzuschaffen«, angenommen von der Delegation des Reichsrates am 7. Juni 1902.Vgl. Stenographisches Protokoll der Delegation des Reichsrates, 38. Session, 7. Sitzung, Budapest, 7. 6. 1902, S. 327–516, hier S. 329. Der Antrag betraf die seit beinahe dreißig Jahren unverändert in Kraft stehenden Disziplinarstrafen gegen Angehörige der Mannschaft vom Zugsführer abwärts. Wurde bei der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1868 zunächst die körperliche Züchtigung, also Stockstreiche und die Kettenstrafe des Kurz- oder Langschließens bei Arreststrafen, verboten,Im Jahr 1869 wurde eine entsprechende Disziplinarvorschrift erlassen, welche auf die körperliche Züchtigung durch Stockstreiche und das Kurz- oder Langschließen bei Arreststrafen verzichtete, im Gegenzug jedoch eine erhebliche Ausweitung der Dauer der Arreststrafen normierte. Vgl. Disciplinar-Strafvorschrift für das k. k. Heer, in: Armeeverordnungsblatt, 36. Stück, 22. 4. 1869, Zirkularverordnung vom 21. 4. 1869, Präs. Nr. 1366. normierte das Dienstreglement von 1873 als ihre Substitution das sechststündige Schließen in Spangen (»die Strafe des Eisens«) und das zweistündige Anbinden. Sie konnten als selbstständige Ordnungsstrafen verhängt werden, wobei das Schließen in Spangen bei Arreststrafen neben dem Fasten, dem harten Lager und der Verdunkelung der Zelle auch als Strafverschärfung diente.Vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, § 87 und 89. Allgemein zum komplexen System des Disziplinarstrafrechts vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, XIII. Abschnitt. Das Schließen in Spangen erfolgte, indem der rechte Arm und das linke Bein in je eine Spange gelegt, und beide Spangen mit einem Vorhängeschloss verbunden wurden. Bei der Strafe des Anbindens wurde die betroffene Person mit dem Rücken stehend an eine Wand oder Säule fixiert, wobei die am Rücken überkreuzten Arme und die Beine mittels Spangen gefesselt waren.Vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, Beilage: Bestimmungen über das Anbinden und das Schließen in Spangen.Nach Conci sei es »überflüssig, Worte zu verlieren, um zu beweisen, daß diese Strafarten, welche an die mittelalterliche Tortur erinnern, und die in keinem anderen Staate mehr vorkommen, auch nur aus Humanitätsrücksichten beseitigt werden sollen.« Dabei zeigte er sich überzeugt, dass ihm »niemand widersprechen [wird], wenn [er] sage, dass diese Strafarten mit den gegenwärtigen Kulturverhältnissen nicht in Einklang zu bringen sind, […].«Stenographisches Protokoll der Delegation des Reichsrates, 38. Session, 6. Sitzung, Budapest, 6. 6. 1902, S. 273–325, hier S. 319. Kriegsminister General der Kavallerie (GdK) Edmund Freiherr von Krieghammer verteidigte dagegen diese Strafarten vor der Delegation, indem er auf die genaue Normierung hinsichtlich ihres Einsatzes verwies. Zudem seien sie, wie er ausführte, nicht »[g]anz entbehrlich« und zwar »in Fällen, wo längere Arreststrafen wegen Mangels an Localitäten nicht vollstreckbar sind oder wenn störisch [sic] widerspenstige Elemente zur Ordnung gewiesen werden müssen«.Vgl. Stenographisches Protokoll der Delegation des Reichsrates, 38. Session, 7. Sitzung, Budapest, 7. 6. 1902, S. 327–516, hier S. 330. Von der Disziplinarstrafnorm nicht intendiert, war jedoch gerade das Schließen in Spangen eine im Alltag gängige und sehr häufige Form der Bestrafung und damit tief in der militärischen Kultur verankert.Grundlegend zur Häufigkeit der Disziplinarstrafen in der militärischen Praxis das Dissertationsprojekt der Autorin »Militärkultur und Soldatenleben in Österreich-Ungarn anhand der Garnison Graz«. Gleichzeitig korrespondierte die Forderung der Delegation zur Abschaffung dieser Formen der körperlichen Bestrafung mit der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung, die sich in einer seit Jahren zunehmenden Kritik am Militär zeigte und die österreichisch-ungarische Militärverwaltung unter einen immer stärkeren Legitimationsdruck setzte.Für einen Einblick in den Diskurs über Disziplinarstrafen im Allgemeinen und den Körperstrafen im Speziellen vgl. Hämmerle: Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen, S. 35–41.Als gesamtstaatliche Einrichtung fiel das österreichisch-ungarische Heer in die Kompetenz der Delegationen, die gemäß dem Ausgleich von 1867 für die gemeinsamen Angelegenheiten der Doppelmonarchie zuständig waren und von den parlamentarischen Vertretungskörpern der österreichischen und ungarischen Reichshälfte beschickt wurden. Der Kriegsminister hatte das Recht und die Pflicht bei den einmal jährlich getrennt tagenden Sitzungen vor den Delegationen zu erscheinen, um sich zu Fragen zu äußern und die Anträge bezüglich der gemeinsamen Angelegenheiten vorzulegen. Alle Angelegenheiten betreffend den militärischen Oberbefehl, wie etwa Heeresorganisation, Ausbildung und innerer Dienstbetrieb, gehörten zu den Prärogativen der Krone, ebenso die Bestellung des Kriegsministers. Dieser wäre im Bereich der Militärverwaltung zwar grundsätzlich den Delegationen gegenüber verantwortlich gewesen, jedoch fehlten die diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen. Zudem verfügten die Delegationen über keine Gesetzgebungsbefugnisse, konnten jedoch über ihr Budgetbewilligungsrecht indirekt auf das gemeinsame Heer gestaltend einwirken. Während die Delegationen versuchten, die Erfüllung von Sonderwünschen als Gegenleistung zur Bewilligung des Budgets durchzusetzen,Vgl. Éva Somogyi: Die Delegation als Verbindungsinstitution zwischen Cis- und Transleithanien, in: Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, Teilbd. 1: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, Zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1107–1176, hier S. 1130–1149; Karin Olechowski-Hrdlicka: Die gemeinsamen Angelegenheiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Vorgeschichte – Ausgleich 1867 – Staatsrechtliche Kontroversen, Frankfurt am Main 2000, S. 266–270. war es gleichzeitig aus Sicht des Kriegsministers zielführend, sich bei Wünschen – und eine Resolution war im Grunde lediglich die Äußerung eines Wunsches – kooperativ zu zeigen, um eine positive Verhandlungsbasis zu schaffen. Als besonders schwierig gestalteten sich dabei immer wieder die Verhandlungen um die Erhöhung der Rekrutenkontingente und des Budgets, und so führte auch das Scheitern von Kriegsminister GdK Krieghammer bei der Verhandlung der Wehrvorlage von 1902 schlussendlich zu seiner Amtsenthebung im Dezember 1902.Vor seiner Berufung in das Amt des Kriegsministers 1893 diente Krieghammer durchgehend als Truppenoffizier und verfügte damit über wenig Erfahrung für diese Position. Es gelang ihm nicht, die großen Herausforderungen seiner Amtszeit, wie die waffentechnische Aufrüstung und die Wehrfrage, zu bewältigen. Zunehmend kam es zu Auseinandersetzungen mit den parlamentarischen Vertretungskörpern, wobei das Verhältnis zur ungarischen Delegation besonders angespannt war. Vgl. Rainer Egger: Krieghammer, Edmund Freiherr von (1832–1906), in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 4: Knolz–Lan, Wien 1968, S. 271–272, URL: https://biographien.ac.at/ID-0.3032232-1 (30. 06. 2021); Walter Wagner: Krieghammer, Edmund Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13: Krell–Laven, Berlin 1982, S. 44–45, URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd136534406.html#ndbcontent (30. 06. 2021). Sein Nachfolger wurde Feldmarschallleutnant (FML) Heinrich Ritter von Pitreich.Im Gegensatz zu Krieghammer diente FML Pitreich ab 1876, nur durch kurze Phasen von Truppendienst unterbrochen, auf verschiedenen Positionen im Kriegsministerium und ab 1883 in leitenden Funktionen. In seiner Amtszeit von 1902 bis 1906 gelangen ihm wesentliche Schritte zur Modernisierung der Armee, jedoch scheiterte auch er schlussendlich am Widerstand Ungarns bei einem Wehrgesetz mit einer Erhöhung des Rekrutenkontingents. Vgl. Peter Broucek: Pitreich, Heinrich Freiherr von (1841–1920), in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 8: Pet–Raz, Wien 1983, S. 105, URL: https://biographien.ac.at/ID-0.3044900-1 (30. 06. 2021); Manfried Rauchensteiner: Pitreich, Heinrich Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20: Pagenstecher–Püterich, Berlin 2001, S. 489, URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd126639604.html#ndbcontent (30. 06. 2021).Ein erster Meinungsbildungsprozess auf ministerieller EbeneAls erste Reaktion auf die Forderung der Delegation ließ das Kriegsministerium ab Juli 1902 die Begründung, dass es bei fremden Heeren keine Körperstrafen mehr gebe, überprüfen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Bericht des Militärattachés für Frankreich und Belgien an das Kriegsministerium, Nr. 107, Paris, 6. 10. 1902. Die Erkundigungen über Militärattachés und dem Evidenzbüro bestätigten diese Information bis Ende Oktober, ergaben jedoch auch, dass es im deutschen Heer die Versetzung in Arbeiterabteilungen als Strafe gebe und in Kriegszeiten das Anbinden erlaubt sei, und in Russland im Krieg die Versetzung in Strafklassen, in denen als Disziplinarstrafe unter anderem Rutenhiebe normiert seien, möglich sei. In Frankreich und Italien gebe es wiederum Disziplinarkompagnien, in denen als momentane Zwangsmaßnahme die Fesselung erlaubt sei.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Gutachten der 4. Abteilung, Präs. Nr. 6348 ex 1902, 11. 11. 1902.Ausgestattet mit dieser Information, begann im Kriegsministerium im November 1902 ein erster Meinungsbildungsprozess mittels eines schriftlichen Rundlaufs zwischen den Ressortabteilungen.Bezüglich der einzelnen Stellungnahmen vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902). Auf das von der 4. Abteilung (Justiz) erstellte Fachgutachten äußerten sich bis Weihnachten 1902 die für Personalangelegenheiten der Unteroffiziere und Mannschaft zuständige 2. Abteilung (Rekrutierung und Stand), die für die Truppenausbildung zuständige 5. Abteilung (Generalstab und Operativer Dienst) und das Präsidialbüro; das abschließende und vermutlich entscheidende Votum wurde vom Chef des Generalstabes, Feldzeugmeister (FZM) Friedrich Freiherr von Beck, abgegeben. Dabei zeigte sich hinsichtlich des Kernthemas, der Abschaffung der Körperstrafen, ein erstaunlich einheitliches Meinungsbild: So plädierten alle, mit Ausnahme des Chefs des Generalstabes, der sich einer Position enthielt, für die Abschaffung des Schließens in Spangen und des Anbindens in Friedenszeiten, jedoch wurde erwogen, sie als Strafverschärfung im Krieg und unter besonderen Verhältnissen, wie etwa auf Fußmärschen, weiterhin zu erlauben. Zudem sollte die Möglichkeit der Fesselung als momentanes Zwangsmittel, etwa bei Wutausbrüchen oder Gewalttätigkeiten, während der Dauer des Zustands weiterhin möglich sein. Lediglich der Vorstand des Präsidialbüros, Generalmajor (GM) Joseph Freiherr von Weigl, plädierte für das vollständige Verbot des Anbindens »als eine den heutigen Zeitverhältnissen absolut nicht mehr entsprechende, entwürdigende Strafe«.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Stellungnahme des Präsidialbüros, 13. 12. 1902. Einen Bedarf für einen Ersatz dieser Disziplinarstrafen sah man im Allgemeinen nicht.Ebenfalls wurde die Einführung der bei fremden Heeren üblichen Korrektionsabteilungen diskutiert, jedoch aufgrund eigener Erfahrungen respektive Bedenken bezüglich ihrer Wirkung auf die militärische Disziplin und Kultur abgelehnt. So brachte die 5. Abteilung in ihrem Gutachten vor, dass sich Disziplinarabteilungen gemäß Aktenlage während ihres Bestehens im österreichischen Heer von 1850 bis 1868 respektive 1870 nicht bewährt hätten. Das Präsidialbüro gab zu bedenken, dass gegen sie zudem die Erfahrung spreche, dass »moralisch minderwertige Individuen bei der Unterabtheilung besser geleitet und überwacht werden können, als durch das Zusammensein mit lauter disqualificierten Personen, wobei der angestrebte Zweck moralischer Besserung meist illusorisch« sei. Bezüglich der Errichtung von Arbeitsabteilungen, also der Heranziehung von Disziplinararrestanten zu »beschwerlichen, lästigen oder niederen Diensten«, erinnerte das Präsidialbüro an ein diesbezügliches Gutachten von 1901, wonach Arbeitsabteilungen dem Wesen der meist kurzen Disziplinarstrafen widersprechen würden. Zudem müssten alle für den Dienst erforderlichen Tätigkeiten geleistet werden und »[w]as in dem einen Falle Pflicht ist, darf im anderen Falle nicht zur Strafe werden.«ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Stellungnahme des Präsidialbüros, 13. 12. 1902.In der ersten Phase des Innovationsprozesses wurde also nach einem externen Innovationsanstoß aus der Zivilgesellschaft eine gemeinsame Position gesucht, wobei Informationen über vergleichbare Organisationen, vorangegangene Erfahrungen und auch Überlegungen zur militärischen Kultur eine Rolle spielten. Der Rundlauf stellte ein Koordinierungsverfahren dar, um die unterschiedlichen Interessen jener Abteilungen, in deren Ressort die Angelegenheit fiel, zu wahren.Bezüglich der Geschäftsbereiche der Abteilungen vgl. Normalverordnungsblatt, 4. Stück ex 1877, Zirkularverordnung Präs. Nr. 494, Geschäftsordnung für das k. k. Heer, II. Abschnitt: Für das Reichskriegsministerium und dessen Hilfsorgane, Beilage: Geschäftseinteilung im Reichskriegsministerium, 23–37. Auffällig ist, dass die 14. Abteilung (Sanität) nicht involviert wurde, um ihre Fachkompetenz hinsichtlich gesundheitlicher Aspekte berücksichtigen zu können. Dass im Gegenzug der Chef des Generalstabes persönlich hinzugezogen wurde, obwohl bereits Vertreter der 5. Abteilung (Generalstab und Operativer Dienst) am Meinungsbildungsprozess beteiligt waren, begründete sich in einer ihm 1874 zugestandenen Kompetenz, die seinen persönlichen Einfluss bei allen Fragen betreffend die Schlagfertigkeit des Heeres wahren sollte.Vgl. Walter Wagner: Geschichte des k. k. Kriegsministeriums, Bd. 2: 1866–1888, Wien 1971, S. 128.Aufgrund des sehr übereinstimmenden Meinungsbildes wäre eine Abänderung der Disziplinarstrafen bereits in dieser ersten Phase naheliegend gewesen, jedoch fiel eine gänzlich andere Entscheidung, wofür das abschließende Gutachten des Chefs des Generalstabes FZM Beck ausschlaggebend gewesen sein dürfte. Er enthielt sich weitestgehend einer Position und stellte fest, dass bezüglich einer Aufhebung von Körperstrafen in Friedenszeiten, die Gutachten der Militärterritorialkommandanten und eventuell erfahrener Truppenkommandanten einzuholen wären und begründete dies damit, dass »[d]ie große Verschiedenheit der Charakter-Eigenschaften und des Bildungsgrades unserer Nationalitäten […] einen directen Vergleich dieses Strafverfahrens mit jener in den übrigen Staaten […] nicht zu[lässt].«ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Stellungnahme des Chefs des Generalstabes, Res. Nr. 2829, 23. 12. 1902. Die Option, die unteren Ebenen in die Ausgestaltung der neuen Disziplinarstrafnormen miteinzubeziehen, wurde bereits von der 4. Abteilung als mögliche Vorgehensweise vorgeschlagen, aber etwa von der 5. Abteilung als nicht unbedingt erforderlich abgelehnt. Zudem könnten durch diese Vorgehensweise ebenso Anhaltspunkte, ob ein Ersatz für diese Strafarten im Falle eines Verbotes erforderlich sei, gewonnen werden. Das Votum des Chefs des Generalstabes plädierte damit für die Öffnung des Ausgestaltungsprozesses gegenüber den vertikalen Ebenen in der Militärverwaltung.Die Diversität innerhalb des österreichischungarischen Heeres wie auch die Heterogenität des Staates waren Aspekte, die von der Militärverwaltung bei der Adaption von Innovationen in einheitlichen Standards und Normen stets bedacht werden mussten.Dieser Umstand zeigte sich nachdrücklich etwa im Bereich der Ernährung der Soldaten, vgl. Berger: Ernährung, S. 86–90. So waren nicht nur die lokalen Bedingungen der im gesamten Territorium der Habsburgermonarchie stationierten Garnisonen höchst verschieden; nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1868 spiegelte sich auch die soziale, ethnische und religiöse Vielfalt der Bevölkerung des Gesamtstaates in der Mannschaft des österreichisch-ungarischen Heeres wider.So kamen etwa auf hundert Soldaten durchschnittlich 25 Deutsche, 23 Magyaren, 13 Tschechen, neun Serben und Kroaten, je acht Polen und Ruthenen, sieben Rumänen, vier Slowaken, zwei Slowenen und ein Italiener. Vgl. Christoph Allmayer-Beck: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, S. 1–141, hier S. 93. Für das Jahr 1910 vgl. István Deák: Der k. (u.) k. Offizier 1848–1918, Wien / Köln / Weimar 1995, S. 216, Tabelle 10.4. Aufgrund der Vorstellung, dass mit einem höheren Bildungsgrad ein höheres Fein- und Ehrgefühl des Individuums einhergehe,Die Verknüpfung von Ehr- und Feingefühl mit dem Bildungsgrad war eine Vorstellung, die sich über Jahrzehnte trotz teilweise gegenteiliger Diskurse hielt. So wies etwa das Kriegsministerium bereits beim Verbot der Stockstrafe 1867 die Vorstellung zurück, dass den Personen mit geringem Bildungsgrad »nur durch den Stock aufzukommen sei«, weil auch diesen das Ehrgefühl nicht fremd sei. Vgl. Präsidialerlass des Kriegsministeriums, Nr. 218, 22. 1. 1867, verlautbart in: ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2127, Präs 82, Präsidialerlass des 3. Korpskommandos, 29. 1. 1867. wurde im Kontext von Körperstrafen häufig die Inhomogenität der Mannschaft hinsichtlich der Bildung thematisiert. Diesbezüglich gab es in der Bevölkerung der Habsburgermonarchie in der Tat enorme Unterschiede: Während in den westlichen Regionen des Gesamtstaates eine Alphabetisierungsrate von 70–80 % erreicht wurde, lag sie in den östlichen Regionen jedoch häufig unter 30 %.Vgl. Helmut Rumpler / Martin Seger (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. IX: Soziale Strukturen, Teilbd. 2: Die Gesellschaft der Habsburgermonarchie im Kartenbild. Verwaltungs-, Sozial- und Infrastrukturen. Nach dem Zensus von 1910, Wien 2010, S. 228–229. Die Diversität innerhalb des österreichisch-ungarischen Heeres wie auch die unterschiedlichen lokalen Verhältnisse mussten vonseiten der mittleren und unteren Verwaltungsebene in der Vollzugspraxis bewältigt werden.Die Involvierung der mittleren und unteren VerwaltungsebeneDie Involvierung der mittleren und unteren Verwaltungsebene in den Innovationsprozess kann als der Beginn einer neuen Phase identifiziert werden. Dabei sollte die organisationsinterne Expertise bezüglich der heterogenen Zusammensetzung des österreichisch-ungarischen Heeres und des Vollzugs der Disziplinarstrafnormen in der Praxis für die inhaltliche Ausgestaltung nutzbar gemacht werden. Zu diesem Zweck wurden die 16 Militärterritorialkommanden Ende Jänner 1903 mittels Erlasses aufgefordert, sich nach eventueller Anhörung einzelner erfahrener Truppenkommandanten bis Ende Februar zur Frage des Verbots von Körperstrafen zu äußern. Dabei wurde der Mehrheitsbeschluss des ministeriellen Rundlaufs zur Diskussion gestellt und erläutert, inwiefern dieser den Disziplinarstrafnormen bei fremden Heeren entspreche. Zudem sollten sich die Militärterritorialkommandanten auch zu jenen Punkten äußern, bei denen auf ministerieller Ebene keine eindeutige Position erzielt werden konnte, respektive es an praktischen Kenntnissen und Erfahrungen mangelte: dies betraf die Fragen, ob im Falle eines Verbotes der Körperstrafen ein Ersatz erforderlich sei und ob eine der beiden Strafen für den Krieg oder unter besonderen Verhältnisse normiert bleiben solle. Zudem wurden die Militärterritorialkommandanten explizit aufgefordert – es sei dabei an die Position des Präsidialbüros im ministeriellen Rundlauf erinnert –, »in Erwägung zu ziehen, ob das ›Anbinden‹ als eine den heutigen Zeitverhältnissen nicht mehr entsprechende, entwürdigende Maßnahme nicht ganz abzuschaffen wäre.«ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Erlass Präs. Nr. 6348 ex 1902 (Konzeptschreiben), 26. 1. 1903. Das Konzeptschreiben erging unverändert an die Militärterritorialkommanden, vgl. ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 247.Wie die einlangenden Gutachten der Militärterritorialkommanden zeigen, entschied sich die überwiegende Mehrheit der Kommandanten auf der mittleren Verwaltungsebene, vermutlich nahezu alle, für die Involvierung der untersten Ebene in den Meinungsbildungsprozess.Neun von 16 Militärterritorialkommandanten erwähnten, dass sie diesbezügliche Gutachten bei Truppenkommandanten einholten, wobei angenommen werden kann, dass dies auch bei den übrigen sieben der Fall war. So lässt sich etwa aus dem Gutachten des Kommandanten des 3. Militärterritorialbereichs nicht schließen, dass eine Befragung von Truppenkommandanten stattfand, jedoch befinden sich im Akt des Korpskommandos die Stellungnahmen von elf Truppenkommandanten und acht Brigade- bzw. Divisionskommandanten. Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Sammlung der Einzelgutachten der Militärterritorialkommanden; ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 98, Präsidialerlass des 3. Korpskommandos, 4. 2. 1903. Dieses Vorgehen war naheliegend, da die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin in den Truppenkörpern und die Aufsicht der Handhabung der Disziplinarstrafnormen in den Unterabteilungen zu den Aufgaben der Truppenkommandanten gehörte.Vgl. Dienstreglement 1873, § 91, Punkt 694. Zudem konnte die maximale Dauer von Arreststrafen gegenüber Angehörigen der Mannschaft nur von den Truppenkommandanten ausgesprochen werden. Vgl. Dienstreglement 1873, § 88, Punkt 665. Damit lag die Expertise hinsichtlich der Praxis im Allgemeinen, aber auch in Bezug auf die vom Chef des Generalstabes postulierte „große Verschiedenheit der Charakter-Eigenschaften und des Bildungsgrades unserer Nationalitäten« primär auf der untersten Verwaltungsebene als Vollzugsebene. Die Stellungnahmen der Truppenkommandanten vermittelten der mittleren Verwaltungsebene sodann auch nicht nur ein Meinungsbild hinsichtlich der Frage des Verbots von Körperstrafen, sondern gaben in vielen Fällen aufgrund der argumentativen Erläuterung der Positionen, die teilweise auch mit erhobenen Daten gestützt wurden, ebenso einen generellen Einblick in die praktische Handhabung der Disziplinarstrafnormen. Sie bildeten die Basis für die Gutachten der Militärterritorialkommandanten an das Kriegsministerium, wobei sie zuvor noch eine Art Begutachtung durchliefen, indem die verschiedenen Positionen, Argumente und Vorschläge von den Brigade-und Divisionskommandanten evaluiert wurden.Vgl. hierzu die Stellungnahmen der Truppenkommandanten des 3. Militärterritorialbereichs: ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 247. Nachdem die Kommandanten des 7., 8. und 12. Militärterritorialbereichs ihren Gutachten die eingeholten Stellungnahmen der Truppenkommandanten beilegten, finden sich diese im Ministerialakt ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Sammlung der Einzelgutachten der Militärterritorialkommanden.Brigaden und Divisionen sind Teil der organisatorischen Parallelstruktur für die operative Kriegsführung; als operative Großverbände stellen sie Zusammenschlüsse von Truppenkörper zu Kampfverbänden dar.Die Herausforderung der Militärterritorialkommanden bestand nun darin, die Stimmenvielfalt der untersten Verwaltungsebene zu verarbeiten, wobei dieser Prozess einerseits eine Komplexitätsreduktion und damit einen Wissensverlust bedeutete, andererseits aber auch eine Form der Qualitätssicherung darstellte. Wie die schematische Auswertung der Berichte der Truppenkommandanten im 3. Militärterritorialbereich zeigt, wollte das Militärterritorialkommando zunächst die Mehrheitsmeinung auf der Ebene der Truppenkommandanten in Erfahrung bringen, um diese anschließend in der gutachterlichen Stellungnahme an das Ministerium widerzuspiegeln. Bei der Frage nach möglichen Strafalternativen stand dagegen die Mehrheitsmeinung nicht im Vordergrund, sondern es wurden ausgewählte Einzelvorschläge aufgegriffen, die als Grundlage für die beantragten Alternativstrafen dienten.Vgl. ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 247. In den Gutachten der Militärterritorialkommanden verringerten sich im Vergleich zu den Stellungnahmen der Truppenkommandanten die Informationen über die Vollzugspraxis merklich. Die oberste Verwaltungsebene erhielt damit in vielen Fällen nur mehr die Schlussfolgerungen aus der Praxis mitgeteilt, wodurch sich die Informationsasymmetrie hinsichtlich der Vollzugspraxis schlussendlich nur geringfügig verbesserte.Parallel zum Meinungsbildungsprozess auf der mittleren und unteren Ebene traten in der zweiten Phase des Ausgestaltungsprozesses erstmals die Akteure des horizontalen Mehrebenensystems, mit Ausnahme des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministeriums, in Erscheinung. So nahmen die Marine-Sektion, das kaiserlich-königliche Landesverteidigungsministerium und die Allerhöchste Militärkanzlei Einsicht in die Akten und baten um weitere Mitteilungen in dieser Angelegenheit,Vgl. die Vermerke auf dem Aktenbogen ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902). wobei die Marine-Sektion offensichtlich auch die Miteinbeziehung in den Ausgestaltungsprozess begehrte. So wurde der Hafen-Admiralat in Pola mittels eines Erlasses vom 9. Februar 1903, also neun Tage nach Einsichtnahme in die Akten durch die Marine-Sektion und damit insgesamt 14 Tage später als die Militärterritorialkommenden, aufgefordert, ebenso ein Gutachten in dieser Angelegenheit zu erstellen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Hafen-Admiralat Präs. Nr. 508 M.A., 24. 2. 1903.Die Stellung der Marine-Sektion im Mehrebenensystem war schwierig, was ihr später noch wiederholtes Begehren zur Miteinbeziehung in die Ausgestaltung der neuen Disziplinarvorschriften zeigt. Um den Anspruch der ungarischen Reichshälfte auf einen zweiten Ministerposten im gemeinsamen Ministerrat zu verhindern, wurde die Schaffung eines vierten gemeinsamen Ministeriums vermieden und die Kriegsmarine der Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres formal als Sektion eingegliedert. Faktisch agierte sie jedoch selbstständig, so verfügte der Chef der Marine-Sektion wie ein Minister über eine eigene Präsidialkanzlei,Vgl. Lothar Höbelt: Die Marine, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, S. 687–763, hier S. 733. Die Selbstständigkeit der Marine-Sektion zeigte sich auch in ihrer vom Kriegsministerium getrennten Unterbringung, die sich nicht allein durch die räumliche Begrenzung der Regierungsgebäude erklärt. So wurden auch beim Neubau nach 1900 je ein Gebäude für die Marine-Sektion und das Kriegsministerium errichtet. Bezüglich der Neubauten vgl. Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Bd. 4: Le–Ro, Wien 1995, S. 183 (Marinesektion) und S. 646 (Regierungsgebäude). hatte das direkte Vortragsrecht beim Kaiser und war persönlich für die Schlagfertigkeit der Flotte verantwortlich. Gegenüber den Delegationen wurde er jedoch vom Kriegsminister vertreten, dem ebenso die Allerhöchsten Vorträge des Chefs der Marine-Sektion zur Ansicht und Unterfertigung zugeleitet wurden.1885 wurde die Stellung des Chefs der Marine-Sektion noch insofern gestärkt, indem er fortan als Stellvertreter des Kriegsministers fungierte. Vgl. Wagner: Kriegsministerium, S. 40–41 und 250. Wenngleich die Marine-Sektion selbstständig agierte und etwa auch über ihre eigenen Dienstvorschriften verfügte, war sie formal Teil des vertikalen Mehrebenensystems, wodurch sie ihre Miteinbeziehung in der Ausgestaltung der neuen Disziplinarvorschrift durchsetzen konnte.Inklusion der Expertenstimmen in den ministeriellen BeschlussDie dritte Phase des Ausgestaltungsprozesses, in dessen Zentrum ein neuer und abschließender Meinungsbildungsprozess im Kriegsministerium stand, begann mit dem Einlangen der Gutachten der mittleren Verwaltungsebene Ende Februar 1903. Wie bereits in der ersten Phase übernahm die 4. Abteilung (Justiz) dabei die Federführung. Ihr oblag es, die gutachterlichen Stellungnahmen der 16 Militärterritorialkommandanten wie auch des Hafen-Admiralats von Pola inhaltlich aufzubereiten, wozu die Positionen bezüglich der einzelnen Fragen zunächst tabellarisch erfasst wurden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), zu Präs. Nr. 1260 v. 1903, Zusammenstellung der Anträge der Militär-Territorial-Commandanten und des Hafen-Admiralats zu Pola bezüglich der Aufhebung des »Anbindens« und des »Schließens in Spangen«. Diese schematische Darstellung bildete die Basis für die anschließend verfassten Gutachten der 4. Abteilung und des Präsidialbüros.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung) und Referat über beantragte Änderung der Disziplinarstrafen bei der Mannschaft (Präsidialbüro). Eine zunächst geplante Erprobung geänderter Strafnormen, für die bereits eine Allerhöchste Ermächtigung vorlag, wurde aus unbekannten Gründen kurzfristig gestoppt.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Präsidialerlass Nr. 1260 (Konzept). Im Wesentlichen entsprachen die für eine Erprobung vorgesehenen Strafnormen dem späteren kommissionellen Beschluss für Friedenszeiten.Anstelle der Erprobung neu konzipierter Disziplinarstrafnormen wurde eine kommissionelle Beratung für den 2. April 1903 unter dem Vorsitz des Stellvertretenden Kriegsministers, Sektionschef FML Arthur Ritter Pino von Friedenthal, einberufen, an der die Vorstände der 1., 2., 4. und 5. Abteilung, zudem zwei weitere Militär-Auditoren der 4. Abteilung, darunter der Schriftführer, und der Chef des Generalstabes teilnahmen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Einladung zur kommissionellen Beratung, Präs. Nr. 1942, 30. 3. 1903. Wurden bei der ersten ministeriellen Beratung Ende des Jahres 1902 das gänzliche Verbot des Anbindens und Schließens in Spangen in Friedenszeiten erwogen und die Beibehaltung des Schließens in Spangen für Kriegszeiten in Betracht gezogen, ergaben sich nun aufgrund der gutachterlichen Stellungsnahmen der mittleren Verwaltungsebene deutliche Verschiebungen, wobei das Ergebnis nicht nur komplexer, sondern auch umfangreicher wurde und über das Verbot der Körperstrafen hinausreichte. So verständigte sich die Kommission nun auf ein Verbot der Ordnungsstrafe des sechsstündigen Schließens in Spangen in Friedenzeiten und im Krieg; das zweistündige Anbinden sollte in Friedenszeiten ebenso verboten werden, jedoch einigte man sich auf dessen Beibehaltung für Kriegszeiten.Die Strafe des Anbindens soll im Ersten Weltkrieg exzessiv angewendet worden sein, vgl. Hämmerle: Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen, S. 38. Dieser kommissionelle Beschluss entsprach damit den Gutachten der Militärterritorialkommandanten, die sich mit großer Mehrheit für Verbote ausgesprochen hatten und lediglich bei der Frage des Anbindens in Kriegszeiten geteilter Meinung gewesen waren. Hinsichtlich der Verwendung beider Strafen als Strafverschärfung bei Arreststrafen wurde eine ähnliche Entscheidung getroffen: Im Frieden sollten sie unter normalen Verhältnissen verboten werden, jedoch seien das Schließen in Spangen als Strafverschärfung unter besonderen Verhältnissen, wie etwa Fußmärsche, und das Anbinden für Kriegszeiten weiterhin zu normieren. Zudem sollten diese Formen der Strafen generell auf Angehörige der Mannschaft ohne Charge, zuvor waren sie vom Zugsführer abwärts erlaubt, eingeschränkt werden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen, betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen.Die Beschlüsse der Kommission veränderten sich gegenüber der ersten ministeriellen Meinungsfindung aufgrund der Einblicke in die Praxis der Disziplinarstrafen durch die Involvierung der mittleren und unteren Verwaltungsebene in den Ausgestaltungsprozess. So wurde das zweistündige Anbinden vergleichsweise selten als Strafe ausgesprochen. Dagegen wurde das sechsstündige Schließen in Spangen als Ordnungsstrafe, entgegen der Intention der Disziplinarvorschrift,Bei der Strafbemessung sollte die Anzahl der bereits erhaltenen Bestrafungen berücksichtigt werden und eine sukzessive Steigerung der Strafstrenge stattfinden, vgl. Dienstreglement 1873, § 86, Punkt 647. Nachdem das Schließen in Spangen gemeinsam mit dem Anbinden die strengste der sechs Ordnungsstrafen gegen die Mannschaft war, vgl. Dienstreglement 1873, § 87, Punkt 657, C., 2. a–f., sollte sie nach Intention der Disziplinarstrafnormen relativ selten Anwendung finden. sehr häufig angewendet und war als Strafverschärfung bei den Arreststrafen dauerpräsent.Vgl. Dienstreglement 1873, § 89, Punkt 686. Die Schlussfolgerung der 4. Abteilung (Justiz) war folglich auch, dass dem Schließen in Spangen »daher die Eigenschaften einer empfindlichen, abschreckenden Strafe nicht innewohne«, weswegen für die Kriegszeit das Anbinden als Ordnungsstrafe normiert bleiben sollte.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung), Hervorhebung im Original durch eine Unterstreichung. Der kommissionelle Beschluss, die verbliebenen Anwendungsbereiche der Körperstrafen auf Angehörige der Mannschaft ohne Chargengrad zu beschränken, basierte ebenso auf den Gutachten der Militärterritorialkommanden,Für die Beschränkung der verbliebenen Körperstrafen auf Angehörige der Mannschaft ohne Chargengrad sprachen sich das 6., 11., 13. und 15. Militärterritorialkommando aus. Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung). wobei man sich dadurch die Hebung des Ansehens der Unteroffiziere erhoffte und darin wohl auch eine Maßnahme gegen den oftmals beklagten Unteroffiziersmangel erblickte.Zudem wurde aufgrund der Gutachten der Militärterritorialkommanden eine zusätzliche Änderung beschlossen, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem geplanten Verbot der Körperstrafen stand. Während eine knappe Mehrheit der Kommandanten die Einführung neuer Disziplinarstrafen als Alternative zu den Körperstrafen für entbehrlich hielt, machten die Übrigen verschiedenste Vorschläge. Unter anderem wurde auch die Einführung der auf ministerieller Ebene bereits diskutierten und abgelehnten Korrektionsabteilungen beantragt, was von der Kommission wieder abgelehnt wurde. Dagegen griff die Kommission den Antrag der Kommandanten des 1., 3. und 4. Militärterritorialbereichs auf,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung). und einigte sich auf eine Abänderung des verschärften Arrestes: Zukünftig sollten diese Arrestanten die Zeit von der Tagwache bis zur Befehlsausgabe nicht im Arrestlokal verbringen, sondern dem Dienst beigezogen werden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen. Dieser Antrag war von der Vorstellung motiviert, dass manche Soldaten aufgrund der Anstrengungen des militärischen Dienstes den Arrest bevorzugen würden.Vgl. etwa ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Gutachterliche Stellungnahme des 3. Korpskommandos, Präs. Nr. 247, 27. 2. 1903. Zudem bot es den Vorteil, dass die Soldaten weiterhin an der militärischen Ausbildung teilnahmen, denn ein Nachdienen für die Dauer der Disziplinararreststrafen war rechtlich nicht möglich, sodass die bis zu 30 Tage dauernden Arreststrafen die militärische Ausbildung aus Sicht der Militärs empfindlich beeinträchtigen konnten.Wie der kommissionelle Beschluss in der dritten Phase des Innovationsprozesses zeigt, wirkte sich die Befragung der mittleren und unteren Verwaltungsebene in der zweiten Phase direkt auf die inhaltliche Ausgestaltung der neuen Normen aus. Dabei ermöglichte die Aktivierung des Mehrebenensystems eine stärkere Orientierung an der Praxis, indem es das Verständnis für die Handhabung der Disziplinarstrafnormen in den Truppenkörpern vertiefte. Zudem öffnete es den Prozess gegenüber einem größeren Personenkreis und damit zu unterschiedlichen Überlegungen und Ideen. Der große Einfluss der Gutachten der Militärterritorialkommandanten auf den Kommissionsbeschluss zeigt einerseits das Vertrauen in die Expertise der unteren Ebenen und belegt andererseits ihren Gestaltungsspielraum. Das Bemühen, bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Normen die Mehrheitsmeinung zu berücksichtigen, versprach zugleich, die Zufriedenheit und Anerkennung mit den neu konzipierten Disziplinarstrafnormen auf der Vollzugsebene zu erhöhen. Das Involvieren der mittleren und untersten Verwaltungsebene machte das Kommissionsergebnis aber auch komplexer, wie es ebenso eine radikale Streichung aller Körperstrafen verhinderte. Warum die geplante und bereits von Kaiser Franz Joseph genehmigte Erprobung neuer Disziplinarstrafnormen unterblieb, kann aufgrund der Aktenlage nicht mehr geklärt werden. Es beschleunigte das Verfahren deutlich, war jedoch ungewöhnlich. So entsprach es der üblichen Vorgehensweise, Neuerungen vor ihrer endgültigen Einführung zunächst zu erproben, um ihre Praktikabilität aufgrund des heterogenen Staatsgebietes und der Diversität innerhalb des Heeres zu testen.Dies traf etwa auf den Bereich der soldatischen Ernährung zu, vgl. beispielsweise den Versuch zur Akzeptanz von Milchprodukten: Erlass, KM-Abt. 12, Nr. 1293, 25. 5. 1908, zitiert nach: A. Rubin (Hg.): Schulmeisters Normaliensammlung für das k. u. k. Heer. 2. Band (Nr. 4701–8000). 3., umgearb. und vervollst. Aufl. Wien 1913, Nr. 6552; Erlass, Abt. 12, Nr. 2089, 26. 8. 1909. Verlautbart in: Korpskommandobefehl (3. Militärterritorialbereich), Nr. 74, 14. 09. 1909, J 9755. ÖStA, KA, Terr Befehle, Kt. 36. Erprobungen und schrittweise Weiterentwicklungen waren auch im Bereich der Ausbildung häufig, vgl. etwa ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2209, Präs 2811, Berichte über probeweise Verlegung der Spezialschulen.Mit der kommissionellen Beschlussfassung endete die Meinungsbildung innerhalb des vertikalen Gefüges der Militärverwaltung und der Prozess öffnete sich nun stärker gegenüber den horizontalen Ebenen. Mitte April wurden die Landwehren beider Reichshälften erstmals offiziell über die geplante Änderung der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft informiert, wobei ihnen das Ergebnis der Beratungen der eingesetzten Kommission mitgeteilt und sie um ihre diesbezügliche »Wohlmeinung« gebeten wurden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Zuschrift an die Landesverteidigungsminister (Konzept), Präs. Nr. 2482, 15. 4. 1903. Während der königlich-ungarische Landesverteidigungsminister FZM Géza Freiherr von Fejérváry de Komlós-Keresztes für eine stärkere Zurückdrängung der Körperstrafen eintrat,ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Wohlmeinung des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministers, 3005 szám/eln., 23. 4. 1903. sprach sich der kaiserlich-königliche Landesverteidigungsminister FZM Zeno Graf Welser von Welserheimb für ein weniger weitgehendes Verbot der Körperstrafen im Frieden aus und sah das Problem der Körperstrafen in ihrer häufigen und inkorrekten Anwendung.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Wohlmeinung des kaiserlich-königlichen Landesverteidigungsministers, Nr. 1296 Präs. VI., 27. 4. 1903. Ihre Ausführungen wurden zur Kenntnis genommen, beeinflussten jedoch nicht mehr das bestehende Ergebnis.Dass die beiden Landwehren lediglich in Form einer Anhörung in den Prozess involviert, aber nicht Teil der Verhandlungen waren, liegt in ihrer staatsrechtlichen Stellung begründet, die sie im Mehrebenensystem auf eine horizontale Ebene verwies. Mit dem Ausgleich von 1867 wurden neben dem österreichisch-ungarischen Heer als gesamtstaatliche Einrichtung die beiden Landwehren als eigenständige Institutionen der beiden Reichshälften konstituiert.In den folgenden Jahren erfolgte der sukzessive Ausbau der beiden Landwehren zu eigenständigen Truppen, bis sie schlussendlich 1912 mit dem österreichisch-ungarischen Heer hinsichtlich Ergänzung, Organisation, Ausbildung und Kriegsdienstbestimmungen gleichgestellt wurden. Zum Aufbau der Landwehren als eigenständige Heere vgl. Wagner: Armee, S. 417–430. Im Grunde bestanden damit drei Heere, die gemeinsam mit dem Landsturm die »bewaffnete Macht« bildeten.Vgl. etwa das Wehrgesetz von 1912: Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretene Königreiche und Länder, Jahrgang 1912, LIV. Stück, 8. 7. 1913, 128. Gesetz vom 5. 7. 1912 betreffend die Einführung eines neuen Wehrgesetzes, 411–439, hier 411. Ihr räumlicher Wirkungsbereich wie auch ihre staatsrechtliche Stellung unterschieden sich jedoch grundlegend. So war das österreichisch-ungarische Heer die militärische Formation des Gesamtstaates Österreich-Ungarns und gehörte als dualistische Einrichtung in den Aufgabenbereich der Delegationen. Dagegen beschränkte sich der Wirkungsbereich der Landwehren ausschließlich auf die jeweilige Reichshälfte, aus der sich ihre Truppen rekrutierten und die ihre Finanzierung bestritten; im Bereich der Militärverwaltung waren die Landesverteidigungsminister sodann auch ihrem jeweiligen parlamentarischen Vertretungskörper verantwortlich.Dies zeigt sich etwa auch darin, dass der Kriegsminister nur vor den Delegationen, jedoch nie im Reichstag oder Reichsrat erschien. Anfragen das gemeinsame Heer betreffend wurde in den parlamentarischen Vertretungskörper der beiden Reichshälften von Seiten der jeweiligen Landesverteidigungsminister beantwortet. Aufgrund dieser eigenständigen Stellung der Landwehren gegenüber dem österreichischungarischen Heer wurden sie im Ausgestaltungsprozess der neuen Vorschrift als Dritte angehört, wobei der Begriff der Wohlmeinung bereits auf den Charakter der Beziehung zwischen diesen drei Militärverwaltungen verweist. Gleichlautende Vorschriften der drei Landstreitkräfte waren aus Sicht der operativen Führung aus praktischen Gründen wünschenswert, jedoch kein Automatismus, sondern mussten von allen Parteien selbstständig erlassen werden.Das Erscheinen einer zweiten AgendaZugleich mit der Benachrichtigung über die geplanten Änderungen der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft wurden die Landesverteidigungsminister informiert, dass ebenso eine Änderung der Disziplinarstrafen wider Offiziere aufgrund der Allerhöchsten Entschließung von 2. März 1903 erwogen werde.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigster Vortrag, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903. Gemäß dem Schreiben an die Landesverteidigungsminister sei »nämlich geltend gemacht [worden], daß die Erduldung eines Arrestes einer körperlichen Züchtigung ähnlich ist und demütigt, sowie, daß durch den Zimmerarrest oft die Gesundheit geschädigt wird.«Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Zuschrift an die Landesverteidigungsminister (Konzept), Präs. Nr. 2482, 15. 4. 1903. Damit kam in der dritten Phase eine zweite Agenda hinzu, die sich der Begründung für die Abschaffung der Körperstrafen gegen Angehörige des Mannschaftsstandes bediente, wenngleich die Strafarten aus objektiver Sicht keinesfalls vergleichbar waren. Die Gleichsetzung der Strafe des Zimmerarrests für Offiziere mit den Körperstrafen gegen Angehörige des Mannschaftsstandes verweist dabei auf die Vorstellung innerhalb des Offizierskorps, dass Würde und Ehre einer Person kein universaler und absoluter, sondern ein nach Rang der Person abgestufter und zugesprochener Wert sei.Der Aushandlungsprozess der neuen Agenda lief sehr ähnlich, wenngleich beschleunigt ab: So wurden wiederum zunächst Informationen über die diesbezüglichen Regelungen in Deutschland, Russland und Frankreich eingeholt,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Auszug aus der Disziplinar-Strafordnung für das deutsche Heer vom Jahr 1872, aus dem französischen Dienst-Reglement vom Jahr 1892 und aus dem Disziplinar-Strafgesetz für die russische Armee vom Jahr 1888. jedoch erfolgte im Anschluss kein ministerieller Rundlauf zur Meinungsbildung, sondern es wurden Studien von der 4. Abteilung (Justiz) und vom Präsidialbüro erstellt, die sehr unterschiedliche Positionen zeigten. So befürwortete das Präsidialbüro die drei geplanten Änderungen – vollständige Aufhebung der Disziplinararreststrafen, Aufhebung des ProfossenarrestsOffiziere, Stabsparteien und Militärbeamte sowie Kadetten, Feldwebel und diesen gleichgestellten Chargen wurden im Gegensatz zur Mannschaft vom Korporal abwärts nicht mit Garnisonsarrest, also die Verbüßung einer Militärarreststrafe im Garnisonsgefängnis, sondern mit Profossenarrest bestraft. Die Militärarreststrafe wurde dabei auf eigene Kosten im »Quartier des Profoßen«, also dem Gefängnisaufseher, oder einem dazu »sonst gewidmeten Zimmer« abgebüßt. Vgl. Militär-Strafgesetz über Verbrechen und Vergehen vom 15. Jänner 1855 sammt den darauf bezüglichen, bis auf die neueste Zeit erschienen Verordnungen und Erläuterungen zusammengestellt von Karl Skala, Hauptmann-Auditor im k. k. Linien-Infanterie-Regimente Ludwig II., König von Baiern Nr. 5, Teschen 1881, § 55–58. im Militärstrafrecht und die Einführung einer disziplinären Entlassung von Offizieren –, weil dies für die »Hebung der Würde und des Ansehens derselben, Pflege der Berufsfreudigkeit, Festigung des Standesbewußtseins« geeignet sei.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Studie über die Änderung der Strafen für Offiziere (Präsidialbüro). Dagegen erhob die 4. Abteilung schwerwiegende rechtliche Bedenken und stand dem Vorhaben wohl auch grundsätzlich nur mäßig wohlwollend gegenüber. So könne der Profossenarrest als Teil der Militärstrafprozessordnung nur auf legislativer Ebene abgeschafft werden und die Einführung einer disziplinären Entlassung sei nicht erforderlich, da die bestehenden Normen hierfür ausreichend seien. Bezüglich der Disziplinararreststrafen sprach sich die 4. Abteilung gegen eine generelle Abschaffung aus und erinnerte, dass es analoge Strafen bei allen Großmächten gebe, wobei dies nicht hieße, »dass nicht wir mit einer Neuerung vorangehen könnten«. Nachdem jedoch das Disziplinarstrafrecht ebenso militärische und gemeine Vergehen, die im neu konzipierten Militärstrafrecht mit bis zu sechs Monaten bedroht seien, ahnde, müssten bei einer völligen Aufhebung der Disziplinararreststrafen, diese Fälle nach Militärstrafrecht sanktioniert werden, wobei dies aufgrund des »schwerfällige[n] gerichtliche[n] Apparat[s]« nicht empfehlenswert sei und der Intention des Entwurfs der neuen Militärstrafprozessordnung zuwiderlaufe. Sollte jedoch die Aufhebung der disziplinären Arreststrafen für alle anderen Fälle »als eine wünschenswerte Maßnahme in moralischer Beziehung zur Stärkung, Hebung des Selbstgefühls und des Ansehens des Officiersstandes« erachtet werden, würde die 4. Abteilung dem nicht entgegenstehen.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Studie über die Änderung der Strafen für Offiziere (4. Abteilung).Aufgrund des beschleunigten Ablaufes konnte basierend auf den beiden Studien die kommissionelle Beratung in dieser Angelegenheit gemeinsam mit der Beratung über die Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft am 2. April 1903 beginnen und fand am 5. April 1903 ihren Abschluss. Die Kommission berücksichtigte die juristischen Bedenken der 4. Abteilung in ihrer Beratung, einigte sich jedoch mittels Alternativanträgen auf eine möglichst starke Einschränkung der Disziplinarstrafen: Die Disziplinararreststrafen sollten auf militärische und gemeine Vergehen beschränkt werden, die im Militärstrafrecht mit bis zu sechs Monaten bedroht seien, wobei der Zimmerarrest nur mehr von den mit der Gerichtsbarkeit betrauten Kommandanten verhängt werden dürfe. Zudem sollte den Offizieren im Stationsarrest erlaubt werden, den Mittagstisch mit ihren Kameraden in der Offiziersmesse einzunehmen. Als Ersatz sollte neben dem einfachen und strengen Verweis zusätzlich ein vor Zeugen ausgesprochener Verweis eingeführt werden. Analog zu den Bestimmungen bei den Militärbeamten beantragte die Kommission ebenso die Einführung einer Verwarnung von Offizieren durch die Militärterritorialkommandanten, die im Falle des Zuwiderhandelns zu einer strafgerichtlichen Behandlung führen sollte. Als letzten Punkt beantragte die Kommission die Gleichsetzung der Kadettoffiziersstellvertreter und Kadetten mit den Offizieren hinsichtlich der Disziplinarstrafen und die ausnahmsweise Umwandlung von Kerkerstrafen in Profossenarrest im Bereich der Militärstrafprozessordnung.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen.»[D]a eine so einschneidende Änderung des bisherigen Disziplinarstrafsystems nur auf Grund der bei Anwendung desselben gemachten Erfahrungen vorgenommen werden kann«,ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen. empfahl die Kommission, diesbezügliche Gutachten der Militärterritorialkommanden einzuholen, was mittels Erlasses vom 15. April 1903 auch geschah.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Sammlung der Einzelgutachten der Militärterritorialkommanden. Wie bereits bei der Befragung bezüglich der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft verlangte die Marine-Sektion auch diesmal, in der Angelegenheit durch die Stellungnahme des Hafen-Admiralats von Pola gehört zu werden.Vgl. die Vermerke auf dem Aktenbogen ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903); ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/4 (1903), Gutachten des Hafen-Admiralats, Präs. Nr. 1195 M.A., 6. 5. 1903. Nach Einlangen der Gutachten wertete sie die 4. Abteilung (Justiz) wieder in einer schematischen Übersicht aus und erstellte ein diesbezügliches Gutachten.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Zusammenstellung der Anträge der Militär-Territorialkommandanten bezüglich der Änderung der Disziplinarstrafen der Offiziere, zu Präs. Nr. 3048 ex 1903; Referat (4. Abteilung), zu Präs. Nr. 3048 von 1903. Eine abschließende kommissionelle Beratung fand bereits am 13. Mai 1903 statt, an der Vertreter der 1., 2., 4. und 5. Abteilung sowie des Präsidialbüros teilnahmen. Die Kommission bestätigte im Wesentlichen den ersten kommissionellen Beschluss von Anfang April, nachdem er von der überwiegenden Mehrheit der Militärterritorialkommandanten vollinhaltlich befürwortet worden war.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/4 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 13. Mai 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen.Das abschließende Ergebnis wurde wie bereits bei der Änderung der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft den Landesverteidigungsministern zur Äußerung ihrer Wohlmeinungen übermittelt,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/4 (1903), Schreiben an die Landesverteidigungsminister (Konzept), Präs. Nr. 3283, 17. 5. 1903. die Ende Mai 1903 einlangten. Beide lehnten die vorgeschlagenen Änderungen grundsätzlich ab, wobei der kaiserlich-königliche Landesverteidigungsminister FZM Welser von Welserheimb selbst das Motiv infrage stellte, da gegen die Disziplinararreststrafen gegen die Offiziere im Gegensatz zu den Körperstrafen wider die Mannschaft vom »Humanitätsstandpunkte« nichts spreche und fraglich sei, ob das Niveau des Offiziersstandes durch diese Änderung gehoben würde. Folglich sah er keinen Bedarf einer Änderung und befürwortete lediglich die Einführung einer dritten Kategorie von Verweisen und die Teilnahme von Offizieren im Zimmerarrest an den Mittagsmahlzeiten in der Offiziersmesse.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Wohlmeinung des kaiserlich-königlichen Landesverteidigungsministers, Präs. Nr. 1730/V, 24. 5. 1903. Für Letzteres sprach sich auch der königlich-ungarische Landesverteidigungsminister FZM Fejérváry de Komlós-Keresztes aus, der zudem die Gleichstellung der Kadettoffiziersstellvertreter sowie der Kadetten mit den Offizieren befürwortete.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Wohlmeinung des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministers, 3771 szám/elnöki, 30. 5. 1903.Das Erscheinen einer neuen Agenda in der dritten Phase des Ausgestaltungsprozesses zeigt, dass dieser für verschiedene Einflüsse und Interessen offen war, wie er ebenso Begehrlichkeiten verschiedener Akteure wecken konnte. Bei der Aushandlung dieser Agenda bewährte sich der inhaltliche Abstimmungsprozess zwischen den verschiedenen Ressortabteilung, indem unerwünschte Nebenwirkungen der geplanten Normen verhindert werden konnten. So hätte die Aufhebung der Disziplinararreststrafen gegen Offiziere die grundlegende Reform der Militärgerichtsbarkeit, die seit 1869 in einem langwierigen Prozess zwischen dem Kriegsministerium, den Justizministerien beider Reichshälften und den Landwehren ausgehandelt wurde und kurz vor dem Abschluss stand, gefährdet.Die Reform bezweckte die Anpassung der Militärstrafprozessordnung von 1855 an die moderne Strafrechtswissenschaft, wobei gleichzeitig die militärischen Interessen zu berücksichtigen waren. Ein endgültiger Kompromiss wurde 1911 gefunden und das Gesetz wurde 1912 erlassen. Nach einer zweijährigen Vorbereitungszeit trat es am 1. Juli 1914 in Kraft. Vgl. Olechowski-Hrdlicka: Gemeinsame Angelegenheiten, S. 268, Fußnote 125; Wagner: Armee, S. 544–557. Andererseits zeigte die neue Agenda auch die Grenzen eines kooperativen Abstimmungsprozesses auf. Die geplanten Normen begünstigten die Angehörigen des Offizierskorps und stärkten die Position der Militärterritorialkommandanten im Bereich des Disziplinarstrafrechts wie sie jene der Truppenkommandanten schwächte. Dass sich eine überwiegende Mehrheit der Militärterritorialkommandanten für die Neuerung aussprach, überraschte daher kaum und es wäre fraglich gewesen, ob eine Ausweitung der Befragung auf die unterste Verwaltungsebene aufgrund des Korpsgeistes ein anderes Resultat gebracht hätte.Das Vorgehen der Militärverwaltung bei der Ausgestaltung neuer Disziplinarstrafnormen gegen Offiziere deckte sich in auffälliger Weise mit jenem im Falle der Änderung der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft: Zunächst wurden Informationen bezüglich vergleichbarer Organisationen eingeholt, eine erste Mehrheitsmeinung auf ministerieller Ebene erarbeitet, die anschließend durch die Vollzugsebenen evaluiert wurde, um die Erfahrung aus der Praxis in das Endergebnis einfließen zu lassen. Die geringfügigen Unterschiede im Vorgehen dienten wohl einer Beschleunigung des Verfahrens. Damit war es möglich, beide Agenden gemeinsam der Allerhöchsten Sanktionierung vorzulegen und den Prozess rechtzeitig abzuschließen, um die neue Vorschrift bei der nächsten Sitzung der Delegation, die 39. Session begann erst am 15. Dezember 1903, präsentieren zu können. Die Einbeziehung des horizontalen Mehrebenensystems durch die Anhörung der beiden Landesverteidigungsminister zeigte zunächst keinen direkten Einfluss auf die Ausgestaltung der neuen Disziplinarvorschriften, jedoch gewann sie in der abschließenden Phase noch an Bedeutung.Eine neue Disziplinarvorschrift erscheint…Mit der Überreichung des Alleruntertänigsten Vortrages durch Kriegsminister FML Heinrich Ritter von Pitreich am 18. Juni 1903 begann die vierte und abschließende Phase des Innovationsprozesses. Dem 14-seitigen Vortrag waren zwanzig Beilagen, unter anderem die verschiedenen Stellungnahmen der ministeriellen Abteilungen, die Protokolle der kommissionellen Beratungen, die Zusammenstellung der Anträge der Militärterritorialkommanden und die Wohlmeinungen der Landesverteidigungsminister, angeschlossen, wodurch die Allerhöchste Militärkanzlei auch einen Einblick in das Meinungsbild erhielt. Im Alleruntertänigsten Vortrag selbst wurde das Endergebnis der kommissionellen Beratungen präsentiert, und erläutert, inwiefern sie den Positionen der Landesverteidigungsminister entsprechen. Zudem enthielt es das abschließende Gutachten von Kriegsminister FML Pitreich bezüglich der beantragten Änderung der Disziplinarstrafnormen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigste Vortrag, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903.Kriegsminister FML Pitreich unterstützte die kommissionellen Anträge bezüglich der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft, votierte jedoch gegen eine Änderung der Disziplinarstrafen wider Offiziere. So stellte er fest, die Kommission habe »es sich zur Aufgabe gemacht, die Strafen der Offiziere möglichst einzuschränken und hat auch die überwiegende Mehrheit der Militärterritorialkommanden den Vorschlägen der Kommission beigepflichtet«, jedoch schließe er sich den Landesverteidigungsministern an, wonach bezüglich des Zimmerarrests nichts zu ändern und die Einführung einer Verwarnung »weder nötig noch zweckmäßig« sei. Er befürwortete lediglich die Teilnahme am Mittagstisch der Offiziere während des Zimmerarrests und die Gleichstellung der Kadettoffiziersstellvertreter und der Kadetten mit den Offizieren hinsichtlich der Disziplinarstrafen und der ausnahmsweisen Umwandlung von Kerkerstrafen in Profossenarrest. Zudem beantragte er abschließend, dass die im Mannschaftsstand erhaltenen Disziplinarstrafen bei der Beförderung zum Berufsoffizier, Militärbeamten oder Gagist ohne Rangklasse gelöscht und zukünftig nicht mehr in das Offiziersstrafprotokoll übertragen werden. Dies sei, wie er anmerkte, ein geeignetes Mittel, das Ansehen und Selbstbewusstsein dieser Personengruppe zu heben.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigste Vortrag, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903.Mit Allerhöchstem Entschluss vom 28. September 1903 genehmigte Kaiser Franz Joseph die Änderung der Disziplinarvorschriften entsprechend dem Votum des Kriegsministers FML Pitreich,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigste Vortrag Nr. 652, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903. also die weitgehende Abschaffung von Körperstrafen als Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft und die grundlegende Beibehaltung der Disziplinarstrafnormen gegen Offiziere. Die Ausarbeitung der neuen Vorschrift begann jedoch bereits zuvor, wohl unmittelbar nach der Überreichung des Alleruntertänigsten Vortrages, da bereits binnen eines Monats korrigierte Druckfahnen von der Hof- und Staatsdruckerei, datierend auf den 14. Juli 1903, vorlagen. Diese Vorgehensweise ermöglichte ein zügiges Fortschreiten der Arbeiten, sodass bereits am 10. Oktober 1903, kurz nach der Allerhöchsten Entschließung, der Druckauftrag für die neue Vorschrift an die Hof- und Staatsdruckerei erteilt werden konnte. Nachdem die korrigierten Druckfahnen inhaltlich bereits dem Votum des Kriegsministers entsprachen, legt die Vorgehensweise nahe, dass Kriegsminister FML Pitreich die Genehmigung seines Votums erwartete und möglicherweise auch von Seiten der Militärkanzlei diesbezüglich vorab informiert worden war.Zur Ausarbeitung der neuen Disziplinarvorschrift, unter anderem die Erstfassung des Textes, die Rückmeldungen der verschiedenen Fachabteilungen und Korrekturfahnen, vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/5 (1903) und 28-16/6 (1903). Nach Erteilung des Druckauftrages erfolgte die Ausarbeitung der Zirkularverordnung und des Normalverordnungsblattes, mittels derer die neue Vorschrift verlautbart wurde.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Entwurf der Zirkularverordnung vom 24. Oktober 1903, Präs. Nr. 7500, zu Präs. Nr. 6700 von 1903; Beitrag für das Normal-Verordnungsblatt, zu Präs. Nr. 6700 von 1903. Die Militärterritorialkommanden wurden zudem bereits vorab, am 20. Oktober 1903, über die zentralen Änderungen informiert, und die neue Vorschrift trat am 15. November 1903 in Kraft.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/11 (1903), Abschrift des an sämtliche Militärterritorialkommanden ergangenen Reichskriegsministerial-Erlasses Präs. Nr. 7500 vom 20. Oktober 1903. Zeitgleich traten analoge Vorschriften in der kaiserlich-königlichen und königlich-ungarischen Landwehr in Kraft.Die Änderungen im militärischen Disziplinarstrafrechte, in: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 14070 (28. 10.1903), S. 8–9, hier S. 9.Dass die neue Disziplinarvorschrift damit 15 Tage später als geplant in Kraft trat, lag an den Aktivitäten des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministers FZM Fejérváry de Komlós-Keresztes. Bereits ab Mitte Juli begann er, trotz der Zusicherung von Seiten des Kriegsministers über alle Schritte rechtzeitig informiert zu werden, sich wiederholt nach dem aktuellen Stand der Arbeiten, ob eine Allerhöchste Entscheidung bereits vorliege und wann die Veröffentlichung der neuen Vorschriften geplant sei, zu erkundigen. Der Anlass seines Vorgehens war, dass das königlich-ungarische Landesverteidigungsministerium nun selbst plante, im Anschluss an die Allerhöchste Entschließung für das österreichisch-ungarische Heer, analoge Bestimmungen für die königlich-ungarische Landwehr zu erwirken, wobei er darauf drängte, dass die neuen Bestimmungen tagesgleich veröffentlicht werden.Vgl. die Korrespondenz zwischen Kriegsministerium und königlichungarischen Landesverteidigungsministerium in: ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), 28-16/7 (1903), 28-16/8 (1903) und 28-16/9 (1903). Die neue Disziplinarvorschriften für die königlich-ungarische Landwehr wurden mit der Allerhöchsten Entschließung vom 14. 10. 1903 sanktioniert, vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/10 (1903), Schreiben des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministeriums, 7728 szám/elnöki, 17. 10. 1903. Das Motiv hierfür dürfte wohl symbolischer Natur gewesen sein und verweist auf Konkurrenzverhältnisse im horizontalen Mehrebenensystem: Die ungarische Reichshälfte versuchte zunehmend ihre staatsrechtliche Stellung gegenüber der österreichischen Reichshälfte und dem Gesamtstaat auszubauen, wie sie auch die Magyarisierung vorantrieb. Beide Bestrebungen wurden auch im militärischen Bereich verfolgt, weshalb unter anderem die königlich-ungarische Landwehr, und als Reaktion dann ebenso die kaiserlich-königliche Landwehr, zunehmend zu eigenständigen Territorialarmeen neben dem österreichisch-ungarischen Heer ausgebaut wurden.Vgl. etwa Lázló Péter: Die Verfassungsentwicklung in Ungarn, in: Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, Teilbd. 1: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, Zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 239–540, hier S. 504–529; Wagner: Armee, S. 417–430. In diesem Konkurrenzverhältnis konnte die königlich-ungarische Landwehr der Armee des Gesamtstaates bei einer Modernisierung nicht nachstehen, wobei die tagesgleiche Publikation hinsichtlich des Anspruchs der Gleichrangigkeit von symbolischer Bedeutung war.Das horizontale Mehrebenensystem war augenscheinlich nicht nur von Kooperation, sondern auch von Konkurrenzverhältnissen geprägt. Die Interventionen der Marine-Sektion, die sich mittels Akteneinsicht stets am Laufenden hielt, bezeugen ihr aktives Bemühen, als Teil des gemeinsamen Heeres gleichrangig mit den Landstreitkräften in den Prozess involviert zu werden. Laufend Akteneinsicht nahm auch die kaiserlich-königliche Landwehr, die dabei infolge ihres Behördensitzes in Wien gegenüber der königlich-ungarischen Landwehr, die auf die Informationsübermittlung durch das Kriegsministerium angewiesen war, über einen praktischen Vorteil verfügte. Spielten die Wohlmeinungen der beiden Landesverteidigungsminister in der inhaltlichen Ausgestaltung keine Rolle, gewannen sie in der abschließenden Phase an Bedeutung: So verwendete Kriegsminister FML Pitreich die ablehnende Position der beiden Landesverteidigungsminister gegenüber den Änderungen der Disziplinarstrafen wider Offiziere als argumentative Bekräftigung seines Votums im Alleruntertänigsten Vortrag an Kaiser Franz Joseph, das in Opposition zum Kommissionsbeschluss stand.Im vertikalen Mehrebenensystem bestand ein Bemühen, die neuen Vorschriften in Kooperation mit der mittleren und unteren Verwaltungsebene auszuarbeiten, wofür pragmatische Überlegungen ausschlaggebend waren. Als Vollzugsebenen verfügten sie über einen Informationsvorsprung hinsichtlich der praktischen Handhabung der Disziplinarvorschriften, der von der obersten Verwaltungsebene auch als solcher anerkannt wurde. Dies zeigt sich nicht nur durch ihre Involvierung in den Prozess, sondern vor allem im großen Einfluss ihrer gutachterlichen Stellungnahmen auf die inhaltliche Ausgestaltung der neuen Vorschriften. Auf der anderen Seite wurde von der mittleren und unteren Verwaltungsebene vermutlich genau beobachtet, inwieweit ihre Stimmen gehört wurden. So überprüfte das 3. Militärterritorialkommando nach Bekanntgabe der neuen Vorschrift Punkt für Punkt, inwieweit sie der eigenen gutachterlichen Stellungnahme entsprach und die eigenen Anträge berücksichtigt wurden.Vgl. ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2184, Präs 2078, Handschriftliche Auflistung: Vom Korpskommando beantragt / durchgeführt. Schlussendlich zeigen sich aber auch die Grenzen eines kooperativen Aushandlungsprozesses in einem hierarchischen System: Das ausschlaggebende Votum lag bei Kriegsminister FML Pitreich.Mit den neuen Disziplinarstrafnormen wurde der Resolution der österreichischen Delegation in der 38. Session zur Abschaffung der Körperstrafen in Form des Schließens in Spangen und des Anbindens genüge getan. Es war damit die einzige von insgesamt fünf Resolutionen die entsprechend den Wünschen der Delegation erfüllt werden konnte.Vgl. Stenographische Protokoll der Delegation des Reichsrates, 39. Session, 10. Sitzung, Budapest, 16. 2. 1904, S. 429–524, hier S. 493–495. Dass ihre Umsetzung noch rechtzeitig bis zur 39. Session gelang, war dem späten Beginn dieser Session am 15. Dezember 1903 geschuldet, aber auch Resultat der beschleunigten Vorgehensweise in der Ausarbeitung der neuen Vorschrift. Kriegsminister FML Pitreich, erst seit Dezember 1902 im Amt, konnte so bei seinem ersten Erscheinen vor der Delegation sein Bemühen um eine kooperative Zusammenarbeit mit den Delegationen ausdrücken. Zudem war diese neue Vorschrift mit keinen Opportunitätskosten für die Militärverwaltung verbunden: So sprach sich die überwiegende Mehrheit der Kommandanten für die Abschaffung der Körperstrafen aus und die Umsetzung der neuen Normen verursachte keine monetären Kosten. Im Gegenteil ermöglichte sie das Bild der Armee in der Öffentlichkeit positiver zu zeichnen, eine Chance, die von Kriegsminister FML Pitreich auch persönlich genützt wurde. So gab er nach Erscheinen der neuen Vorschrift dem Neuen Wiener Journal ein Interview, in dem er vorgab, dass die Abschaffung der Körperstrafen »schon seit langer Zeit den Gegenstand eifrigen Studiums« innerhalb der Militärverwaltung bilden würde. Zugleich betonte er, dass »man in der österreichischen Armee [stets] bestrebt gewesen [ist], die Mannschaft nach den Grundsätzen der Humanität zu behandeln« und sich nahezu alle Territorialkommandanten für die Abschaffung ausgesprochen haben. Dabei war es ihm wichtig, hervorzuheben, dass die Militärverwaltung bei diesem Schritt »keiner Pression gefolgt«, sondern es »vielmehr das Product [ihrer] Überzeugung« gewesen sei.Die moderne Armee. Ein Interview mit dem Reichskriegsminister FML R. v. Pitreich, in: Neues Wiener Journal. Unparteiisches Tagblatt, Nr. 3597 (1. 11. 1903), S. 4–5, hier S. 5. Dieser Storyline folgte auch die Neue Freie Presse, die sich dabei auf einen »in militärischen Angelegenheiten wohlinformierten Parlamentarier« berief. Dabei erläuterte sie auch das Vorgehen der Militärverwaltung bei der Ausarbeitung der neuen Disziplinarstrafnormen und die Verzögerung ihrer Publikation wurde mit »drucktechnischen Gründen« erklärt.Die Änderungen im militärischen Disziplinarstrafrechte, in: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 14070 (28. 10. 1903), S. 8–9, hier S. 9. Obwohl die Arbeiten noch in der Amtszeit von Kriegsminister GdK Krieghammer begannen, wurde ihre Durchführung von der Presse der Amtsübernahme von FML Pietreich zugerechnet. So seien, wie das Welt-Neuigkeits-Blatt schrieb, die bisherigen Wünsche »unter dem Regime einer Kriegsverwaltung, welche überhaupt ihre Kraft hauptsächlich in der starren Negation finden zu können glaubt, ungehört verhallt.« Diese Zeit sei »gottlob vorüber und der verdienstvolle General [Pitreich], welcher heute an der Spitze der Heeresverwaltung steht, hat ein von dem vorigen grundverschiedenes System in das alte Haus ›Am Hof‹ [das Kriegsministerium] mitgebracht.«»Anbinden« und »Spangenschließen«. Milderungen im militärischen Disziplinar-Strafrechte, in: Welt-Neuigkeits-Blatt, Nr. 247 (29. 10. 1903), 4. Bogen.ConclusioDie mikrohistorische Analyse des Zustandekommens der neuen Disziplinarstrafnormen von 1903 konnte zeigen, dass Innovationen in der Organisation nicht vom Kriegsministerium als oberste Verwaltungsebene im hierarchischen Mehrebenensystem autoritär bestimmt, sondern in einem hierarchisch gesteuerten, für verschiedene Akteure offenen Prozess ausgestaltet wurden. Im Falle des österreichisch-ungarischen Heeres galt es, die Diversität der Organisationsmitglieder infolge der Allgemeinen Wehrpflicht wie auch die heterogenen lokalen Bedingungen innerhalb der Habsburgermonarchie zu berücksichtigen. Das Kriegsministerium versuchte diese Herausforderung durch die Involvierung der mittleren und unteren Verwaltungsebene zu bewältigen. Als regionale Kommandoebenen verfügten sie über das praktische Wissen hinsichtlich des Verwaltungsvollzugs auf lokaler Ebene, wie sie zugleich Adressaten des Verwaltungshandelns waren. Durch ihre Involvierung konnte ausgelotet werden, ob und inwiefern Innovationen sinnvoll und durchführbar waren, wodurch sie einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Innovationen im österreichisch-ungarischen Heer erlangten. War diese Vorgehensweise geeignet, die Zustimmung innerhalb der Organisation zu erhöhen, machte sie das Ergebnis aber auch komplexer und verhinderte zugleich eine vollständige Abschaffung von Körperstrafen.Inwiefern die hohe Gestaltungskraft der mittleren und unteren Ebene der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung ein Resultat der spezifischen Bedingungen des österreichisch-ungarischen Heeres war oder als Kennzeichen moderner Bürokratien im Allgemeinen angenommen werden kann, muss hier als Frage offenbleiben. Die binnenadministrative Kommunikation wurde bisher primär als Steuerungs- und Kontrollinstrument hinsichtlich des Verwaltungsvollzugs wahrgenommen.Vgl. etwa Peter Collin: Die Organisation der binnenadministrativen Kommunikation in der preußischen Verwaltung des 19. Jahrhunderts, in: Peter Becker (Hg.): Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2011, S. 335–359. Wie die Analyse des Zustandekommens der neuen Disziplinarvorschrift von 1903 jedoch zeigen konnte, wurde sie auch dazu verwendet, um die interne Verwaltungsexpertise auf den unteren Verwaltungsebenen für die Ausgestaltung von Reformen und Normen oder die Implementation von Innovationen zu nutzen, wie dies etwa auch durch Anhörungsverfahren von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen im 19. Jahrhundert gemacht wurde.Vgl. etwa Peter Becker: Der Staat als umstrittene Organisation. Die Verwaltungsreform der Habsburgermonarchie in den 1910er Jahren, in: Marcus Böick / Marcel Schmeer (Hg.): Im Kreuzfeuer der Kritik. Umstrittene Organisationen im 20 Jahrhundert, Frankfurt am Main 2020, S. 263–284. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, inwieweit diese Berücksichtigung von verschiedenen Akteuren, ihren Interessen und Positionen gemeinsam mit dem Anspruch von einheitlichen Regelungen und Stabilität die Neigung von inkrementellen Innovationen in Bürokratien erhöht und damit dem Bild von veränderungsresistenten Bürokratien Vorschub leistet. Historische Untersuchungen von verschiedenen zivilen und militärischen Verwaltungen als Mehrebenensysteme könnten hierzu Aufschluss geben, da sie den Blick für Formen der Kooperation und Aushandlungsprozesse schärfen, wie sie ebenso Rückschlüsse auf die Kultur der Verwaltung innerhalb einer Organisation im Allgemeinen erlauben. So konnte die Mikroanalyse des Zustandekommens der Disziplinarvorschrift von 1903 zeigen, dass entgegen dem Bild des österreichisch-ungarischen Heeres als eine streng hierarchische Organisation, in der nur die oberste Verwaltungsebene Gestaltungskraft besäße, der mittleren und unteren Verwaltungsebenen bei der Ausgestaltung von Innovationen in der Organisation eine bedeutende Rolle zukam. http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Administory de Gruyter

Die Gestaltung von Wandel und Innovation im Mehrebenensystem der Militärverwaltung Österreich-Ungarns um 1900

Administory , Volume 6 (1): 20 – Dec 1, 2021

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de Gruyter
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© 2022 Elisabeth Berger, published by Sciendo
eISSN
2519-1187
DOI
10.2478/adhi-2022-0006
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Abstract

EinleitungBei Innovationen wird im Kontext von Armeen zumeist an technologische Phänomene gedacht. Jedoch unterliegen Armeen, sofern sie als Organisationen ›wettbewerbsfähig‹ sein sollen, in allen Bereichen einem hohen Wettbewerbsdruck: Um im Kriegsfall siegreich zu sein, gilt es nicht nur waffentechnische Neuerungen rechtzeitig zu implementieren, sondern ebenso über eine bestmögliche Versorgung und Ausbildung sowie effiziente Verwaltungs- und Kommunikationsstrukturen zu verfügen. So unterscheidet etwa Ulf von Krause drei Bereiche militärischer Innovationen: primär technologische Innovationen, Innovationen im strategischen und operativen Denken und militärische Innovationen in der Organisation.Vgl. Ulf von Krause: Innovation im Militär, in: Manfred Mai (Hg.): Handbuch Innovationen. Interdisziplinäre Grundlagen und Anwendungsfelder, Wiesbaden 2014, S. 299–317, hier S. 301–312. Neuerungen in den ersten beiden Bereichen werden oftmals als radikale oder disruptive Innovationen wahrgenommen, wie etwa der Panzer oder der ›Blitzkrieg‹. Dagegen werden militärische Innovationen in der Organisation selten als Innovationen charakterisiert, sondern häufiger als Wandel im Sinne einer stetigen Änderung. Als Folge werden sie zumeist als eine organische Entwicklung wahrgenommen, wodurch intentionale und prozesshafte Aspekte in ihrem Werden aus dem Blick geraten.Im Folgenden sollen eben diese intentionalen und prozesshaften Aspekte von militärischen Innovationen in der Organisation im Fokus stehen, wobei im Konkreten das Vorgehen der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung bei der Ausgestaltung von Innovationen untersucht wird. War die Hauptaufgabe der Militärverwaltung neben der Verwaltung des Status quo dessen Adaption an die Erfordernisse einer unbekannten Zukunft,Nach Fabrizio Battistelli changieren militärische Organisationen zwischen den Polen Innovationsfreude und Konservatismus, denn die permanente Vorbereitung auf zukünftige Kriege, deren Prämissen bestenfalls antizipiert werden können, ist im hohen Grad mit Unsicherheit behaftet. Diese steigt mit der Dauer der Friedenszeit bezüglich der Art der zukünftigen Kriegsführung, wobei gleichzeitig aber Möglichkeiten der Rückkoppelungen, also der Leistungsüberprüfung, fehlen. Vgl. Fabrizio Battistelli: Four Dilemmas for Military Organizations, in: Jürgen Kuhlmann / Christopher Dandeker (Hg.): Stress and Change in the Military Profession of Today: Papers Presented at the XIIth World Congress of Sociology, International Sociological Association, Madrid, Spain, July 1990, Sessions of Research Committee 01: Armed Forces and Conflict Resolution, München 1991, S. 1–19, hier S. 11–13. zeigte sich die hohe Gestaltungskraft der Militärverwaltung in der steigenden Regelungsdichte im Bereich des Militärwesens im 19. Jahrhundert. Auf diesen Umstand verweisen indirekt die organisationsgeschichtlichen Arbeiten der traditionellen Militärgeschichte mit ihrem normativ-strukturgeschichtlichen Zugang,Vgl. etwa Walter Wagner: Die k. (u.) k. Armee – Gliederung und Aufgabenstellung, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, S. 142–633. jedoch schweigen sie hinsichtlich der Frage der Arbeitsweise der Militärverwaltung bei der Ausgestaltung von militärischen Innovationen in der Organisation. Zugleich zeigte auch die sich in den letzten Jahrzehnten formierende ›Neue Militärgeschichte‹Zur Ausrichtung der ›Neuen Militärgeschichte‹ vgl. Thomas Kühne / Benjamin Ziemann: Militärgeschichte in der Erweiterung. Konjunkturen, Interpretationen, Konzepte, in: Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hg.): Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, S. 9–46. bisher kaum Interesse an der Militärverwaltung, weshalb Arbeiten zu einer Kulturgeschichte der Militärverwaltung in der Neuzeit weitestgehend fehlen,Vgl. hierzu auch Christoph Nübel: Armee und Bürokratie. Zur historischen Analyse einer Herrschaftskonstellation im neuzeitlichen Staat, in: Portal Militärgeschichte (2020), Themenschwerpunkt: Armee und Bürokratie. Organisationsgeschichtliche Perspektiven auf das Militärische im 20. Jahrhundert, URL: http://portal-militaergeschichte.de/nuebel_armee, DOI: 10.15500/akm.06.07.2020 (28. 01. 2021). Im Portal-Militärgeschichte vom Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. erschienen im Jahr 2020 mehrere Beiträge zum Thema Verwaltung und Militär in Deutschland im 20. Jahrhundert, vgl. URL: http://portal-militaergeschichte.de/schwerpunktthema/armee-und-b%C3%BCrokratie-organisationsgeschichtliche-perspektiven-auf-das-milit%C3%A4rische (28. 01. 2021). insbesondere zu jener der Habsburgermonarchie.Als eine der wenigen Ausnahmen sei hier auf die Arbeit von Jonathan Gumz verwiesen, der die Besatzung Serbiens im Ersten Weltkrieg aus der Sicht der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung untersucht und dabei auch Aushandlungs- und Kommunikationsprozesse in den Blick nimmt. Vgl. Jonathan E. Gumz: The Resurrection and Collapse of Empire in Habsburg Serbia, 1914–1918, Cambridge 2009. Damit bleibt das Bild einer streng hierarchischen Organisation, in der nur den höchsten Verwaltungs- und Kommandostellen Gestaltungskraft zugesprochen wird, vorherrschend, wie sich dies in der Fokussierung der Forschung auf den Generalstab oder einzelne Generäle zeigt.Hinsichtlich der Fokussierung auf die oberste Führungsebene sei für Österreich-Ungarn etwa auf die Studie von Günther Kronenbitter verwiesen: »Krieg im Frieden«. Die Führung der k. u. k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906–1914, Oldenburg / München 2003. Stellvertretend für die zahlreichen Biographien vgl. etwa J. P. Harris: Douglas Haig and the First World War, Cambridge 2012 und Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, Berlin 2011. Der vorliegende Beitrag möchte diesen eingeschränkten Blick öffnen, indem er die Rolle und Gestaltungskraft der mittleren und unteren Verwaltungsebene bei der Ausgestaltung von Innovationen in der Organisation untersucht.Die Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres wird im vorliegenden Beitrag als ein Mehrebenensystem verstanden. Der Begriff des Mehrebenensystems wurde bisher vornehmlich von der Politikwissenschaft zur Untersuchung von komplexen Beziehungsgefügen bei politischen Entscheidungen herangezogen, wobei vor allem die Verwaltungen der Europäischen Union und internationalen Organisationen in der Zusammenarbeit mit nationalen Verwaltungen als Mehrebenenverwaltungen charakterisiert wurden.Zur politikwissenschaftlichen Verwendung des Konzepts vgl. Arthur Benz: Politik im Mehrebenensystemen, Wiesbaden 2009. In der Geschichtswissenschaft wurde das Konzept in jüngster Zeit für die Erforschung der vertikalen und horizontalen Verflechtungen föderaler Staatsgefüge, wie dem Deutschen Reich und der Habsburgermonarchie nach dem Ausgleich von 1867, fruchtbar gemacht.Vgl. etwa Jana Osterkamp: Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918), Göttingen 2020; Felix Selgert: Die politische Entscheidungsfindung im Mehrebenensystem des Deutschen Kaiserreiches am Beispiel des Aktienrechts (1873–1897), in: Gerold Ambrosius / Christian Henrich-Franke / Cornelius Neutsch (Hg.): Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive, Bd. 6: Integrieren durch Regieren, Baden-Baden 2018, S. 151–196; Jana Osterkamp: Föderale Schwebelage – Die Habsburgermonarchie als politisches Mehrebenensystem, in: Gerold Ambrosius / Christian Henrich-Franke / Cornelius Neutsch (Hg.): Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive, Bd. 2: Föderale Systeme. Kaiserreich – Donaumonarchie – Europäische Union, Baden-Baden 2015, S. 221–246. Den Anwendungen des Konzepts ist gemein, dass sie den Fokus auf Formen der Kooperation und Koordination zwischen den vertikalen und horizontalen Ebenen von territorial gegliederten Verwaltungseinheiten legen.Nach Arthur Benz ermöglicht die Untersuchung von nationalen Verwaltungen als Mehrebenensysteme, »das überkommene Konzept einer hierarchischen Verwaltungsorganisation, in der die dezentralen Einheiten Anweisungen der Zentrale vollziehen, […] zu ersetzen« und den Blick auf das Beziehungsgeflecht zwischen den Ebenen zu richten.Arthur Benz: Verwaltung als Mehrebenensystem, in: Sylvia Veit / Christoph Richard / Göttrik Wewer (Hg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Wiesbaden 2019, S. 87–98, hier S. 89. Zwar verfügt die Leitungsinstanz in einem hierarchischen Mehrebenensystem über die Macht Anweisungen zu erteilen und Sanktionen zu setzen, jedoch stößt die autoritäre Steuerung aufgrund von Informationsasymmetrien und Interessensdivergenzen der Akteure auf den verschiedenen Ebenen in der Praxis an ihre Grenzen. Dieses Dilemma wird nach Benz durch Kooperation gelöst, die durch eine kontinuierliche Kommunikation zwischen den Ebenen gekennzeichnet ist, die Lösung von Konflikten in Verhandlungen ermöglicht und Informationsasymmetrie abschwächen kann.Vgl. Benz: Verwaltung als Mehrebenensystem, S. 90–91. Zu den Eigenarten der Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres gehörte, dass die Truppenkörper nicht nur für den Verwaltungsvollzug verantwortlich waren, sondern als operative Einheiten des Heeres zugleich Ziel des Verwaltungsvollzugs waren. Anders gesagt, Verwalter und Verwaltete waren in der Militärverwaltung im Vergleich zu den meisten zivilen Verwaltungsbereichen in einem hohen Grad deckungsgleich.Die Militärverwaltung des österreichischungarischen Heeres agierte in einem vertikalen und horizontalen Mehrebenensystem. Die vertikale Ausrichtung bestand in einem territorial gegliederten, dreistufigen Verwaltungsaufbau, an dessen oberster Stelle das Kriegsministerium mit seiner Leitungsfunktion stand. Die unterste Ebene bildeten die Truppenkörper und Anstalten, deren Verwaltungsvollzug durch die Mittelbehörden, die 16 Militärterritorialbereiche, koordiniert und überwacht wurde. Die funktionsdifferenzierte dreistufige Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres war zugleich in einem horizontalen Mehrebenensystem eingebettet. So bestanden neben dem österreichischungarischen Heer als überstaatliche Einrichtung beider Reichshälften die organisatorisch eigenständigen Landwehren Österreichs und Ungarns, wodurch eine Koordination des Kriegsministeriums mit den beiden Landesverteidigungsministerien erforderlich war. Die österreichisch-ungarische Marine war jedoch Teil der dualistischen Einrichtungen des Gesamtstaates und formal als Sektion im Kriegsministerium eingegliedert, wenngleich sie von den Landstreitkräften getrennt organisiert wurde. Dem Mehrebenensystem übergeordnet, stand die Allerhöchste Militärkanzlei, die zwischen dem Oberbefehlshaber, Kaiser Franz Joseph, und den Zentralstellen vermittelte. Zuletzt sei auch auf die Delegationen, also die parlamentarischen Vertretungskörper der beiden Reichshälften, hingewiesen, die durch ihre Budgethoheit in gemeinsamen Angelegenheiten weitere Akteurinnen im Mehrebenensystem der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung waren.Bezüglich der Verortung der einzelnen Akteurinnen und Akteure im Mehrebenensystem siehe unten im passim.Die vertikalen und horizontalen Ebenen waren durch Kommunikationsprozesse verbunden, anhand derer der vorliegende Beitrag die Gestaltung von Wandel und Innovation im österreichisch-ungarischen Heer untersuchen möchte, wobei drei übergeordnete Aspekte fokussiert werden. Erstens soll das Vorgehen der Militärverwaltung bei der inhaltlichen Ausgestaltung von Neuerungen beleuchtet werden, wobei insbesondere die einzelnen Schritte und ihre Funktionen von Interesse sind. Zweitens soll der Blick auf Formen der Kooperation im Mehrebenensystem gelegt und insbesondere nach der Rolle und Gestaltungskraft der unteren Verwaltungsebenen in der Ausgestaltung von Wandel und Innovation gefragt werden. Drittens sollen die Beziehungen zwischen den Ebenen, die durch rechtliche Rahmenbedingungen strukturiert sind, und ihre Funktionen im Ausgestaltungsprozess beleuchtet werden.Im Konkreten wird der Beitrag mittels einer mikrohistorischen Analyse das Zustandekommen neuer Disziplinarstrafnormen im Jahr 1903, die erstmals Körperstrafen in Friedenszeiten weitestgehend verboten, untersuchen. Als Sanktionsmittel der Kommandanten gegenüber ihren Untergebenen dienten Disziplinarstrafen der Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin in den Truppenkörpern, also der Sanktionierung von Fehlverhalten im militärischen Alltag. Die Disziplinarstrafnormen definierten die Strafarten (Verweis, Ordnungsstrafen, Arreststrafen und Degradierung), den Strafumfang und die Strafbefugnisse.Vgl. Dienst-Reglement für das kaiserlich-königliche Heer, Wien 1873, 1. Teil, § 87, 88 und 89. Dagegen blieben die strafbaren Handlungen weitestgehend unbestimmt, weshalb Christa Hämmerle in Anlehnung an Hubert Treiber von einer »Normenfalle« für Soldaten spricht.Vgl. Christa Hämmerle: »… dort wurden wir dressiert und sekiert und geschlagen…« Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen im Heer (1868–1914), in: Laurence Cole / Christa Hämmerle / Martin Scheutz (Hg.): Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918), Essen 2011, S. 31–54, hier S. 33–34. Der nahezu unbegrenzte Spielraum der Kommandanten bei der Bestimmung von strafbaren Handlungen war im Grunde nur dahingehend eingeschränkt, dass militärische und gemeine Vergehen und Verbrechen durch das Militärstrafrecht zu sanktionieren waren. Dabei überschnitten sich Militär- und Disziplinarstrafrecht dahingehend, dass Vergehen, welche nach Militärstrafrecht mit einem bis zu dreimonatlichem einfachem oder strengem Arrest bedroht waren, auch durch das Disziplinarstrafrecht geahndet werden konnten.Vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, § 86, Punkt 648. Aus Sicht des Militärs bot dies den Vorteil der unmittelbaren Sanktionierung von unerwünschten Verhalten bei gleichzeitiger Entlastung des Militärstrafapparates. Indem die Disziplinarstrafnomen der Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin im Alltag dienten, betrafen die neuen Normen einen Kernbereich der militärischen Organisation.Im Folgenden wird die Entstehung der neuen Disziplinarstrafnormen in ihrem chronologischen Verlauf untersucht, wobei nach einem externen Anstoß zur Innovation aus der Zivilgesellschaft vier Phasen der Ausgestaltung – erste Meinungsbildung, das Involvieren der mittleren und untersten Verwaltungsebene, die Inklusion der Expertenstimmen und die Beschlussfassung – identifiziert werden können. Bei der Betrachtung der einzelnen Phasen werden zunächst die Vorgänge anhand der binnenadministrativen Kommunikation dargelegt, anschließend die Akteure im Mehrebenensystem verortet und hinsichtlich ihrer Gestaltungskraft diskutiert. Den Abschluss der Untersuchung bildet die Darstellung des Zustandekommens der neuen Disziplinarvorschrift in der Öffentlichkeit und damit wieder ein Blick auf das Zusammenspiel von Militär und Zivilgesellschaft. Wie der Beitrag zeigen wird, waren die verschiedenen vertikalen und horizontalen Ebenen in der Ausgestaltung der neuen Normen in unterschiedlicher Weise involviert. Der Prozess war dabei in einem hohen Maße von Kooperation geprägt, wobei vor allem die Rolle der unteren Verwaltungsebenen der hierarchisch strukturierten Militärverwaltung durch ihre Gestaltungskraft überrascht.Aufgrund der Fokussierung des Beitrages auf die binnenadministrative Perspektive bei gleichzeitig hoher Komplexität des Mehrebenensystems der Militärverwaltung bleiben nicht-staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure in der vorliegenden Fallstudie weitgehend unberücksichtigt, da sie in den Prozess der Ausgestaltung der neuen Normen nicht direkt involviert wurden. Dies gilt jedoch nicht unbedingt für alle militärischen Innovationen, sodass die Analyse des Mehrebenensystems erweitert um nichtstaatliche Akteure in anderen Bereichen fruchtbare Erkenntnisse verspricht.So erkannten etwa Firmen der modernen Lebensmittelindustrie die Militärverpflegung als Markt für ihre innovativen Produkte und versuchten dementsprechend auf die Militärverwaltung einzuwirken. Vgl. Elisabeth Berger: Ernährung im österreichisch-ungarischen Heer. Militärwissenschaftlicher Diskurs, Ernährungsvorschriften und Ernährungspraxis (1868–1914), in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 35 (2017), S. 67–96, hier S. 69, Fußnote 10.Die Rolle von nicht-staatlichen Akteuren in der Militärverwaltung im Allgemeinen, auch abseits von Innovationen, ist nahezu unerforscht. Fruchtbare Untersuchungsgegenstände abseits von Rüstungsfirmen und Industriebetrieben könnten möglicherweise das Rote Kreuz, die Anti-Duell-Liga oder Religionsgemeinschaften sein. Die stärkere Berücksichtigung von nicht-staatlichen Akteuren in der Forschung würde interessante Einblicke hinsichtlich des zivilmilitärischen Verhältnisses im Allgemeinen versprechen.Am Anfang stand eine ResolutionAm Beginn der neuen Normen stand eine Intervention von außen: die Resolution des Delegierten Enrico Conci »die Strafe des Eisens und des Anbindens an die Säule abzuschaffen«, angenommen von der Delegation des Reichsrates am 7. Juni 1902.Vgl. Stenographisches Protokoll der Delegation des Reichsrates, 38. Session, 7. Sitzung, Budapest, 7. 6. 1902, S. 327–516, hier S. 329. Der Antrag betraf die seit beinahe dreißig Jahren unverändert in Kraft stehenden Disziplinarstrafen gegen Angehörige der Mannschaft vom Zugsführer abwärts. Wurde bei der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1868 zunächst die körperliche Züchtigung, also Stockstreiche und die Kettenstrafe des Kurz- oder Langschließens bei Arreststrafen, verboten,Im Jahr 1869 wurde eine entsprechende Disziplinarvorschrift erlassen, welche auf die körperliche Züchtigung durch Stockstreiche und das Kurz- oder Langschließen bei Arreststrafen verzichtete, im Gegenzug jedoch eine erhebliche Ausweitung der Dauer der Arreststrafen normierte. Vgl. Disciplinar-Strafvorschrift für das k. k. Heer, in: Armeeverordnungsblatt, 36. Stück, 22. 4. 1869, Zirkularverordnung vom 21. 4. 1869, Präs. Nr. 1366. normierte das Dienstreglement von 1873 als ihre Substitution das sechststündige Schließen in Spangen (»die Strafe des Eisens«) und das zweistündige Anbinden. Sie konnten als selbstständige Ordnungsstrafen verhängt werden, wobei das Schließen in Spangen bei Arreststrafen neben dem Fasten, dem harten Lager und der Verdunkelung der Zelle auch als Strafverschärfung diente.Vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, § 87 und 89. Allgemein zum komplexen System des Disziplinarstrafrechts vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, XIII. Abschnitt. Das Schließen in Spangen erfolgte, indem der rechte Arm und das linke Bein in je eine Spange gelegt, und beide Spangen mit einem Vorhängeschloss verbunden wurden. Bei der Strafe des Anbindens wurde die betroffene Person mit dem Rücken stehend an eine Wand oder Säule fixiert, wobei die am Rücken überkreuzten Arme und die Beine mittels Spangen gefesselt waren.Vgl. Dienstreglement von 1873, 1. Teil, Beilage: Bestimmungen über das Anbinden und das Schließen in Spangen.Nach Conci sei es »überflüssig, Worte zu verlieren, um zu beweisen, daß diese Strafarten, welche an die mittelalterliche Tortur erinnern, und die in keinem anderen Staate mehr vorkommen, auch nur aus Humanitätsrücksichten beseitigt werden sollen.« Dabei zeigte er sich überzeugt, dass ihm »niemand widersprechen [wird], wenn [er] sage, dass diese Strafarten mit den gegenwärtigen Kulturverhältnissen nicht in Einklang zu bringen sind, […].«Stenographisches Protokoll der Delegation des Reichsrates, 38. Session, 6. Sitzung, Budapest, 6. 6. 1902, S. 273–325, hier S. 319. Kriegsminister General der Kavallerie (GdK) Edmund Freiherr von Krieghammer verteidigte dagegen diese Strafarten vor der Delegation, indem er auf die genaue Normierung hinsichtlich ihres Einsatzes verwies. Zudem seien sie, wie er ausführte, nicht »[g]anz entbehrlich« und zwar »in Fällen, wo längere Arreststrafen wegen Mangels an Localitäten nicht vollstreckbar sind oder wenn störisch [sic] widerspenstige Elemente zur Ordnung gewiesen werden müssen«.Vgl. Stenographisches Protokoll der Delegation des Reichsrates, 38. Session, 7. Sitzung, Budapest, 7. 6. 1902, S. 327–516, hier S. 330. Von der Disziplinarstrafnorm nicht intendiert, war jedoch gerade das Schließen in Spangen eine im Alltag gängige und sehr häufige Form der Bestrafung und damit tief in der militärischen Kultur verankert.Grundlegend zur Häufigkeit der Disziplinarstrafen in der militärischen Praxis das Dissertationsprojekt der Autorin »Militärkultur und Soldatenleben in Österreich-Ungarn anhand der Garnison Graz«. Gleichzeitig korrespondierte die Forderung der Delegation zur Abschaffung dieser Formen der körperlichen Bestrafung mit der veränderten gesellschaftlichen Wahrnehmung, die sich in einer seit Jahren zunehmenden Kritik am Militär zeigte und die österreichisch-ungarische Militärverwaltung unter einen immer stärkeren Legitimationsdruck setzte.Für einen Einblick in den Diskurs über Disziplinarstrafen im Allgemeinen und den Körperstrafen im Speziellen vgl. Hämmerle: Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen, S. 35–41.Als gesamtstaatliche Einrichtung fiel das österreichisch-ungarische Heer in die Kompetenz der Delegationen, die gemäß dem Ausgleich von 1867 für die gemeinsamen Angelegenheiten der Doppelmonarchie zuständig waren und von den parlamentarischen Vertretungskörpern der österreichischen und ungarischen Reichshälfte beschickt wurden. Der Kriegsminister hatte das Recht und die Pflicht bei den einmal jährlich getrennt tagenden Sitzungen vor den Delegationen zu erscheinen, um sich zu Fragen zu äußern und die Anträge bezüglich der gemeinsamen Angelegenheiten vorzulegen. Alle Angelegenheiten betreffend den militärischen Oberbefehl, wie etwa Heeresorganisation, Ausbildung und innerer Dienstbetrieb, gehörten zu den Prärogativen der Krone, ebenso die Bestellung des Kriegsministers. Dieser wäre im Bereich der Militärverwaltung zwar grundsätzlich den Delegationen gegenüber verantwortlich gewesen, jedoch fehlten die diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen. Zudem verfügten die Delegationen über keine Gesetzgebungsbefugnisse, konnten jedoch über ihr Budgetbewilligungsrecht indirekt auf das gemeinsame Heer gestaltend einwirken. Während die Delegationen versuchten, die Erfüllung von Sonderwünschen als Gegenleistung zur Bewilligung des Budgets durchzusetzen,Vgl. Éva Somogyi: Die Delegation als Verbindungsinstitution zwischen Cis- und Transleithanien, in: Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, Teilbd. 1: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, Zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1107–1176, hier S. 1130–1149; Karin Olechowski-Hrdlicka: Die gemeinsamen Angelegenheiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Vorgeschichte – Ausgleich 1867 – Staatsrechtliche Kontroversen, Frankfurt am Main 2000, S. 266–270. war es gleichzeitig aus Sicht des Kriegsministers zielführend, sich bei Wünschen – und eine Resolution war im Grunde lediglich die Äußerung eines Wunsches – kooperativ zu zeigen, um eine positive Verhandlungsbasis zu schaffen. Als besonders schwierig gestalteten sich dabei immer wieder die Verhandlungen um die Erhöhung der Rekrutenkontingente und des Budgets, und so führte auch das Scheitern von Kriegsminister GdK Krieghammer bei der Verhandlung der Wehrvorlage von 1902 schlussendlich zu seiner Amtsenthebung im Dezember 1902.Vor seiner Berufung in das Amt des Kriegsministers 1893 diente Krieghammer durchgehend als Truppenoffizier und verfügte damit über wenig Erfahrung für diese Position. Es gelang ihm nicht, die großen Herausforderungen seiner Amtszeit, wie die waffentechnische Aufrüstung und die Wehrfrage, zu bewältigen. Zunehmend kam es zu Auseinandersetzungen mit den parlamentarischen Vertretungskörpern, wobei das Verhältnis zur ungarischen Delegation besonders angespannt war. Vgl. Rainer Egger: Krieghammer, Edmund Freiherr von (1832–1906), in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 4: Knolz–Lan, Wien 1968, S. 271–272, URL: https://biographien.ac.at/ID-0.3032232-1 (30. 06. 2021); Walter Wagner: Krieghammer, Edmund Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13: Krell–Laven, Berlin 1982, S. 44–45, URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd136534406.html#ndbcontent (30. 06. 2021). Sein Nachfolger wurde Feldmarschallleutnant (FML) Heinrich Ritter von Pitreich.Im Gegensatz zu Krieghammer diente FML Pitreich ab 1876, nur durch kurze Phasen von Truppendienst unterbrochen, auf verschiedenen Positionen im Kriegsministerium und ab 1883 in leitenden Funktionen. In seiner Amtszeit von 1902 bis 1906 gelangen ihm wesentliche Schritte zur Modernisierung der Armee, jedoch scheiterte auch er schlussendlich am Widerstand Ungarns bei einem Wehrgesetz mit einer Erhöhung des Rekrutenkontingents. Vgl. Peter Broucek: Pitreich, Heinrich Freiherr von (1841–1920), in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 8: Pet–Raz, Wien 1983, S. 105, URL: https://biographien.ac.at/ID-0.3044900-1 (30. 06. 2021); Manfried Rauchensteiner: Pitreich, Heinrich Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 20: Pagenstecher–Püterich, Berlin 2001, S. 489, URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd126639604.html#ndbcontent (30. 06. 2021).Ein erster Meinungsbildungsprozess auf ministerieller EbeneAls erste Reaktion auf die Forderung der Delegation ließ das Kriegsministerium ab Juli 1902 die Begründung, dass es bei fremden Heeren keine Körperstrafen mehr gebe, überprüfen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Bericht des Militärattachés für Frankreich und Belgien an das Kriegsministerium, Nr. 107, Paris, 6. 10. 1902. Die Erkundigungen über Militärattachés und dem Evidenzbüro bestätigten diese Information bis Ende Oktober, ergaben jedoch auch, dass es im deutschen Heer die Versetzung in Arbeiterabteilungen als Strafe gebe und in Kriegszeiten das Anbinden erlaubt sei, und in Russland im Krieg die Versetzung in Strafklassen, in denen als Disziplinarstrafe unter anderem Rutenhiebe normiert seien, möglich sei. In Frankreich und Italien gebe es wiederum Disziplinarkompagnien, in denen als momentane Zwangsmaßnahme die Fesselung erlaubt sei.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Gutachten der 4. Abteilung, Präs. Nr. 6348 ex 1902, 11. 11. 1902.Ausgestattet mit dieser Information, begann im Kriegsministerium im November 1902 ein erster Meinungsbildungsprozess mittels eines schriftlichen Rundlaufs zwischen den Ressortabteilungen.Bezüglich der einzelnen Stellungnahmen vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902). Auf das von der 4. Abteilung (Justiz) erstellte Fachgutachten äußerten sich bis Weihnachten 1902 die für Personalangelegenheiten der Unteroffiziere und Mannschaft zuständige 2. Abteilung (Rekrutierung und Stand), die für die Truppenausbildung zuständige 5. Abteilung (Generalstab und Operativer Dienst) und das Präsidialbüro; das abschließende und vermutlich entscheidende Votum wurde vom Chef des Generalstabes, Feldzeugmeister (FZM) Friedrich Freiherr von Beck, abgegeben. Dabei zeigte sich hinsichtlich des Kernthemas, der Abschaffung der Körperstrafen, ein erstaunlich einheitliches Meinungsbild: So plädierten alle, mit Ausnahme des Chefs des Generalstabes, der sich einer Position enthielt, für die Abschaffung des Schließens in Spangen und des Anbindens in Friedenszeiten, jedoch wurde erwogen, sie als Strafverschärfung im Krieg und unter besonderen Verhältnissen, wie etwa auf Fußmärschen, weiterhin zu erlauben. Zudem sollte die Möglichkeit der Fesselung als momentanes Zwangsmittel, etwa bei Wutausbrüchen oder Gewalttätigkeiten, während der Dauer des Zustands weiterhin möglich sein. Lediglich der Vorstand des Präsidialbüros, Generalmajor (GM) Joseph Freiherr von Weigl, plädierte für das vollständige Verbot des Anbindens »als eine den heutigen Zeitverhältnissen absolut nicht mehr entsprechende, entwürdigende Strafe«.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Stellungnahme des Präsidialbüros, 13. 12. 1902. Einen Bedarf für einen Ersatz dieser Disziplinarstrafen sah man im Allgemeinen nicht.Ebenfalls wurde die Einführung der bei fremden Heeren üblichen Korrektionsabteilungen diskutiert, jedoch aufgrund eigener Erfahrungen respektive Bedenken bezüglich ihrer Wirkung auf die militärische Disziplin und Kultur abgelehnt. So brachte die 5. Abteilung in ihrem Gutachten vor, dass sich Disziplinarabteilungen gemäß Aktenlage während ihres Bestehens im österreichischen Heer von 1850 bis 1868 respektive 1870 nicht bewährt hätten. Das Präsidialbüro gab zu bedenken, dass gegen sie zudem die Erfahrung spreche, dass »moralisch minderwertige Individuen bei der Unterabtheilung besser geleitet und überwacht werden können, als durch das Zusammensein mit lauter disqualificierten Personen, wobei der angestrebte Zweck moralischer Besserung meist illusorisch« sei. Bezüglich der Errichtung von Arbeitsabteilungen, also der Heranziehung von Disziplinararrestanten zu »beschwerlichen, lästigen oder niederen Diensten«, erinnerte das Präsidialbüro an ein diesbezügliches Gutachten von 1901, wonach Arbeitsabteilungen dem Wesen der meist kurzen Disziplinarstrafen widersprechen würden. Zudem müssten alle für den Dienst erforderlichen Tätigkeiten geleistet werden und »[w]as in dem einen Falle Pflicht ist, darf im anderen Falle nicht zur Strafe werden.«ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Stellungnahme des Präsidialbüros, 13. 12. 1902.In der ersten Phase des Innovationsprozesses wurde also nach einem externen Innovationsanstoß aus der Zivilgesellschaft eine gemeinsame Position gesucht, wobei Informationen über vergleichbare Organisationen, vorangegangene Erfahrungen und auch Überlegungen zur militärischen Kultur eine Rolle spielten. Der Rundlauf stellte ein Koordinierungsverfahren dar, um die unterschiedlichen Interessen jener Abteilungen, in deren Ressort die Angelegenheit fiel, zu wahren.Bezüglich der Geschäftsbereiche der Abteilungen vgl. Normalverordnungsblatt, 4. Stück ex 1877, Zirkularverordnung Präs. Nr. 494, Geschäftsordnung für das k. k. Heer, II. Abschnitt: Für das Reichskriegsministerium und dessen Hilfsorgane, Beilage: Geschäftseinteilung im Reichskriegsministerium, 23–37. Auffällig ist, dass die 14. Abteilung (Sanität) nicht involviert wurde, um ihre Fachkompetenz hinsichtlich gesundheitlicher Aspekte berücksichtigen zu können. Dass im Gegenzug der Chef des Generalstabes persönlich hinzugezogen wurde, obwohl bereits Vertreter der 5. Abteilung (Generalstab und Operativer Dienst) am Meinungsbildungsprozess beteiligt waren, begründete sich in einer ihm 1874 zugestandenen Kompetenz, die seinen persönlichen Einfluss bei allen Fragen betreffend die Schlagfertigkeit des Heeres wahren sollte.Vgl. Walter Wagner: Geschichte des k. k. Kriegsministeriums, Bd. 2: 1866–1888, Wien 1971, S. 128.Aufgrund des sehr übereinstimmenden Meinungsbildes wäre eine Abänderung der Disziplinarstrafen bereits in dieser ersten Phase naheliegend gewesen, jedoch fiel eine gänzlich andere Entscheidung, wofür das abschließende Gutachten des Chefs des Generalstabes FZM Beck ausschlaggebend gewesen sein dürfte. Er enthielt sich weitestgehend einer Position und stellte fest, dass bezüglich einer Aufhebung von Körperstrafen in Friedenszeiten, die Gutachten der Militärterritorialkommandanten und eventuell erfahrener Truppenkommandanten einzuholen wären und begründete dies damit, dass »[d]ie große Verschiedenheit der Charakter-Eigenschaften und des Bildungsgrades unserer Nationalitäten […] einen directen Vergleich dieses Strafverfahrens mit jener in den übrigen Staaten […] nicht zu[lässt].«ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Stellungnahme des Chefs des Generalstabes, Res. Nr. 2829, 23. 12. 1902. Die Option, die unteren Ebenen in die Ausgestaltung der neuen Disziplinarstrafnormen miteinzubeziehen, wurde bereits von der 4. Abteilung als mögliche Vorgehensweise vorgeschlagen, aber etwa von der 5. Abteilung als nicht unbedingt erforderlich abgelehnt. Zudem könnten durch diese Vorgehensweise ebenso Anhaltspunkte, ob ein Ersatz für diese Strafarten im Falle eines Verbotes erforderlich sei, gewonnen werden. Das Votum des Chefs des Generalstabes plädierte damit für die Öffnung des Ausgestaltungsprozesses gegenüber den vertikalen Ebenen in der Militärverwaltung.Die Diversität innerhalb des österreichischungarischen Heeres wie auch die Heterogenität des Staates waren Aspekte, die von der Militärverwaltung bei der Adaption von Innovationen in einheitlichen Standards und Normen stets bedacht werden mussten.Dieser Umstand zeigte sich nachdrücklich etwa im Bereich der Ernährung der Soldaten, vgl. Berger: Ernährung, S. 86–90. So waren nicht nur die lokalen Bedingungen der im gesamten Territorium der Habsburgermonarchie stationierten Garnisonen höchst verschieden; nach Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht 1868 spiegelte sich auch die soziale, ethnische und religiöse Vielfalt der Bevölkerung des Gesamtstaates in der Mannschaft des österreichisch-ungarischen Heeres wider.So kamen etwa auf hundert Soldaten durchschnittlich 25 Deutsche, 23 Magyaren, 13 Tschechen, neun Serben und Kroaten, je acht Polen und Ruthenen, sieben Rumänen, vier Slowaken, zwei Slowenen und ein Italiener. Vgl. Christoph Allmayer-Beck: Die bewaffnete Macht in Staat und Gesellschaft, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, S. 1–141, hier S. 93. Für das Jahr 1910 vgl. István Deák: Der k. (u.) k. Offizier 1848–1918, Wien / Köln / Weimar 1995, S. 216, Tabelle 10.4. Aufgrund der Vorstellung, dass mit einem höheren Bildungsgrad ein höheres Fein- und Ehrgefühl des Individuums einhergehe,Die Verknüpfung von Ehr- und Feingefühl mit dem Bildungsgrad war eine Vorstellung, die sich über Jahrzehnte trotz teilweise gegenteiliger Diskurse hielt. So wies etwa das Kriegsministerium bereits beim Verbot der Stockstrafe 1867 die Vorstellung zurück, dass den Personen mit geringem Bildungsgrad »nur durch den Stock aufzukommen sei«, weil auch diesen das Ehrgefühl nicht fremd sei. Vgl. Präsidialerlass des Kriegsministeriums, Nr. 218, 22. 1. 1867, verlautbart in: ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2127, Präs 82, Präsidialerlass des 3. Korpskommandos, 29. 1. 1867. wurde im Kontext von Körperstrafen häufig die Inhomogenität der Mannschaft hinsichtlich der Bildung thematisiert. Diesbezüglich gab es in der Bevölkerung der Habsburgermonarchie in der Tat enorme Unterschiede: Während in den westlichen Regionen des Gesamtstaates eine Alphabetisierungsrate von 70–80 % erreicht wurde, lag sie in den östlichen Regionen jedoch häufig unter 30 %.Vgl. Helmut Rumpler / Martin Seger (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. IX: Soziale Strukturen, Teilbd. 2: Die Gesellschaft der Habsburgermonarchie im Kartenbild. Verwaltungs-, Sozial- und Infrastrukturen. Nach dem Zensus von 1910, Wien 2010, S. 228–229. Die Diversität innerhalb des österreichisch-ungarischen Heeres wie auch die unterschiedlichen lokalen Verhältnisse mussten vonseiten der mittleren und unteren Verwaltungsebene in der Vollzugspraxis bewältigt werden.Die Involvierung der mittleren und unteren VerwaltungsebeneDie Involvierung der mittleren und unteren Verwaltungsebene in den Innovationsprozess kann als der Beginn einer neuen Phase identifiziert werden. Dabei sollte die organisationsinterne Expertise bezüglich der heterogenen Zusammensetzung des österreichisch-ungarischen Heeres und des Vollzugs der Disziplinarstrafnormen in der Praxis für die inhaltliche Ausgestaltung nutzbar gemacht werden. Zu diesem Zweck wurden die 16 Militärterritorialkommanden Ende Jänner 1903 mittels Erlasses aufgefordert, sich nach eventueller Anhörung einzelner erfahrener Truppenkommandanten bis Ende Februar zur Frage des Verbots von Körperstrafen zu äußern. Dabei wurde der Mehrheitsbeschluss des ministeriellen Rundlaufs zur Diskussion gestellt und erläutert, inwiefern dieser den Disziplinarstrafnormen bei fremden Heeren entspreche. Zudem sollten sich die Militärterritorialkommandanten auch zu jenen Punkten äußern, bei denen auf ministerieller Ebene keine eindeutige Position erzielt werden konnte, respektive es an praktischen Kenntnissen und Erfahrungen mangelte: dies betraf die Fragen, ob im Falle eines Verbotes der Körperstrafen ein Ersatz erforderlich sei und ob eine der beiden Strafen für den Krieg oder unter besonderen Verhältnisse normiert bleiben solle. Zudem wurden die Militärterritorialkommandanten explizit aufgefordert – es sei dabei an die Position des Präsidialbüros im ministeriellen Rundlauf erinnert –, »in Erwägung zu ziehen, ob das ›Anbinden‹ als eine den heutigen Zeitverhältnissen nicht mehr entsprechende, entwürdigende Maßnahme nicht ganz abzuschaffen wäre.«ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902), Erlass Präs. Nr. 6348 ex 1902 (Konzeptschreiben), 26. 1. 1903. Das Konzeptschreiben erging unverändert an die Militärterritorialkommanden, vgl. ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 247.Wie die einlangenden Gutachten der Militärterritorialkommanden zeigen, entschied sich die überwiegende Mehrheit der Kommandanten auf der mittleren Verwaltungsebene, vermutlich nahezu alle, für die Involvierung der untersten Ebene in den Meinungsbildungsprozess.Neun von 16 Militärterritorialkommandanten erwähnten, dass sie diesbezügliche Gutachten bei Truppenkommandanten einholten, wobei angenommen werden kann, dass dies auch bei den übrigen sieben der Fall war. So lässt sich etwa aus dem Gutachten des Kommandanten des 3. Militärterritorialbereichs nicht schließen, dass eine Befragung von Truppenkommandanten stattfand, jedoch befinden sich im Akt des Korpskommandos die Stellungnahmen von elf Truppenkommandanten und acht Brigade- bzw. Divisionskommandanten. Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Sammlung der Einzelgutachten der Militärterritorialkommanden; ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 98, Präsidialerlass des 3. Korpskommandos, 4. 2. 1903. Dieses Vorgehen war naheliegend, da die Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin in den Truppenkörpern und die Aufsicht der Handhabung der Disziplinarstrafnormen in den Unterabteilungen zu den Aufgaben der Truppenkommandanten gehörte.Vgl. Dienstreglement 1873, § 91, Punkt 694. Zudem konnte die maximale Dauer von Arreststrafen gegenüber Angehörigen der Mannschaft nur von den Truppenkommandanten ausgesprochen werden. Vgl. Dienstreglement 1873, § 88, Punkt 665. Damit lag die Expertise hinsichtlich der Praxis im Allgemeinen, aber auch in Bezug auf die vom Chef des Generalstabes postulierte „große Verschiedenheit der Charakter-Eigenschaften und des Bildungsgrades unserer Nationalitäten« primär auf der untersten Verwaltungsebene als Vollzugsebene. Die Stellungnahmen der Truppenkommandanten vermittelten der mittleren Verwaltungsebene sodann auch nicht nur ein Meinungsbild hinsichtlich der Frage des Verbots von Körperstrafen, sondern gaben in vielen Fällen aufgrund der argumentativen Erläuterung der Positionen, die teilweise auch mit erhobenen Daten gestützt wurden, ebenso einen generellen Einblick in die praktische Handhabung der Disziplinarstrafnormen. Sie bildeten die Basis für die Gutachten der Militärterritorialkommandanten an das Kriegsministerium, wobei sie zuvor noch eine Art Begutachtung durchliefen, indem die verschiedenen Positionen, Argumente und Vorschläge von den Brigade-und Divisionskommandanten evaluiert wurden.Vgl. hierzu die Stellungnahmen der Truppenkommandanten des 3. Militärterritorialbereichs: ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 247. Nachdem die Kommandanten des 7., 8. und 12. Militärterritorialbereichs ihren Gutachten die eingeholten Stellungnahmen der Truppenkommandanten beilegten, finden sich diese im Ministerialakt ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Sammlung der Einzelgutachten der Militärterritorialkommanden.Brigaden und Divisionen sind Teil der organisatorischen Parallelstruktur für die operative Kriegsführung; als operative Großverbände stellen sie Zusammenschlüsse von Truppenkörper zu Kampfverbänden dar.Die Herausforderung der Militärterritorialkommanden bestand nun darin, die Stimmenvielfalt der untersten Verwaltungsebene zu verarbeiten, wobei dieser Prozess einerseits eine Komplexitätsreduktion und damit einen Wissensverlust bedeutete, andererseits aber auch eine Form der Qualitätssicherung darstellte. Wie die schematische Auswertung der Berichte der Truppenkommandanten im 3. Militärterritorialbereich zeigt, wollte das Militärterritorialkommando zunächst die Mehrheitsmeinung auf der Ebene der Truppenkommandanten in Erfahrung bringen, um diese anschließend in der gutachterlichen Stellungnahme an das Ministerium widerzuspiegeln. Bei der Frage nach möglichen Strafalternativen stand dagegen die Mehrheitsmeinung nicht im Vordergrund, sondern es wurden ausgewählte Einzelvorschläge aufgegriffen, die als Grundlage für die beantragten Alternativstrafen dienten.Vgl. ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2180, Präs 247. In den Gutachten der Militärterritorialkommanden verringerten sich im Vergleich zu den Stellungnahmen der Truppenkommandanten die Informationen über die Vollzugspraxis merklich. Die oberste Verwaltungsebene erhielt damit in vielen Fällen nur mehr die Schlussfolgerungen aus der Praxis mitgeteilt, wodurch sich die Informationsasymmetrie hinsichtlich der Vollzugspraxis schlussendlich nur geringfügig verbesserte.Parallel zum Meinungsbildungsprozess auf der mittleren und unteren Ebene traten in der zweiten Phase des Ausgestaltungsprozesses erstmals die Akteure des horizontalen Mehrebenensystems, mit Ausnahme des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministeriums, in Erscheinung. So nahmen die Marine-Sektion, das kaiserlich-königliche Landesverteidigungsministerium und die Allerhöchste Militärkanzlei Einsicht in die Akten und baten um weitere Mitteilungen in dieser Angelegenheit,Vgl. die Vermerke auf dem Aktenbogen ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1142, 28-6/12 (1902). wobei die Marine-Sektion offensichtlich auch die Miteinbeziehung in den Ausgestaltungsprozess begehrte. So wurde der Hafen-Admiralat in Pola mittels eines Erlasses vom 9. Februar 1903, also neun Tage nach Einsichtnahme in die Akten durch die Marine-Sektion und damit insgesamt 14 Tage später als die Militärterritorialkommenden, aufgefordert, ebenso ein Gutachten in dieser Angelegenheit zu erstellen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Hafen-Admiralat Präs. Nr. 508 M.A., 24. 2. 1903.Die Stellung der Marine-Sektion im Mehrebenensystem war schwierig, was ihr später noch wiederholtes Begehren zur Miteinbeziehung in die Ausgestaltung der neuen Disziplinarvorschriften zeigt. Um den Anspruch der ungarischen Reichshälfte auf einen zweiten Ministerposten im gemeinsamen Ministerrat zu verhindern, wurde die Schaffung eines vierten gemeinsamen Ministeriums vermieden und die Kriegsmarine der Militärverwaltung des österreichisch-ungarischen Heeres formal als Sektion eingegliedert. Faktisch agierte sie jedoch selbstständig, so verfügte der Chef der Marine-Sektion wie ein Minister über eine eigene Präsidialkanzlei,Vgl. Lothar Höbelt: Die Marine, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. V: Die bewaffnete Macht, Wien 1987, S. 687–763, hier S. 733. Die Selbstständigkeit der Marine-Sektion zeigte sich auch in ihrer vom Kriegsministerium getrennten Unterbringung, die sich nicht allein durch die räumliche Begrenzung der Regierungsgebäude erklärt. So wurden auch beim Neubau nach 1900 je ein Gebäude für die Marine-Sektion und das Kriegsministerium errichtet. Bezüglich der Neubauten vgl. Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Bd. 4: Le–Ro, Wien 1995, S. 183 (Marinesektion) und S. 646 (Regierungsgebäude). hatte das direkte Vortragsrecht beim Kaiser und war persönlich für die Schlagfertigkeit der Flotte verantwortlich. Gegenüber den Delegationen wurde er jedoch vom Kriegsminister vertreten, dem ebenso die Allerhöchsten Vorträge des Chefs der Marine-Sektion zur Ansicht und Unterfertigung zugeleitet wurden.1885 wurde die Stellung des Chefs der Marine-Sektion noch insofern gestärkt, indem er fortan als Stellvertreter des Kriegsministers fungierte. Vgl. Wagner: Kriegsministerium, S. 40–41 und 250. Wenngleich die Marine-Sektion selbstständig agierte und etwa auch über ihre eigenen Dienstvorschriften verfügte, war sie formal Teil des vertikalen Mehrebenensystems, wodurch sie ihre Miteinbeziehung in der Ausgestaltung der neuen Disziplinarvorschrift durchsetzen konnte.Inklusion der Expertenstimmen in den ministeriellen BeschlussDie dritte Phase des Ausgestaltungsprozesses, in dessen Zentrum ein neuer und abschließender Meinungsbildungsprozess im Kriegsministerium stand, begann mit dem Einlangen der Gutachten der mittleren Verwaltungsebene Ende Februar 1903. Wie bereits in der ersten Phase übernahm die 4. Abteilung (Justiz) dabei die Federführung. Ihr oblag es, die gutachterlichen Stellungnahmen der 16 Militärterritorialkommandanten wie auch des Hafen-Admiralats von Pola inhaltlich aufzubereiten, wozu die Positionen bezüglich der einzelnen Fragen zunächst tabellarisch erfasst wurden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), zu Präs. Nr. 1260 v. 1903, Zusammenstellung der Anträge der Militär-Territorial-Commandanten und des Hafen-Admiralats zu Pola bezüglich der Aufhebung des »Anbindens« und des »Schließens in Spangen«. Diese schematische Darstellung bildete die Basis für die anschließend verfassten Gutachten der 4. Abteilung und des Präsidialbüros.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung) und Referat über beantragte Änderung der Disziplinarstrafen bei der Mannschaft (Präsidialbüro). Eine zunächst geplante Erprobung geänderter Strafnormen, für die bereits eine Allerhöchste Ermächtigung vorlag, wurde aus unbekannten Gründen kurzfristig gestoppt.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Präsidialerlass Nr. 1260 (Konzept). Im Wesentlichen entsprachen die für eine Erprobung vorgesehenen Strafnormen dem späteren kommissionellen Beschluss für Friedenszeiten.Anstelle der Erprobung neu konzipierter Disziplinarstrafnormen wurde eine kommissionelle Beratung für den 2. April 1903 unter dem Vorsitz des Stellvertretenden Kriegsministers, Sektionschef FML Arthur Ritter Pino von Friedenthal, einberufen, an der die Vorstände der 1., 2., 4. und 5. Abteilung, zudem zwei weitere Militär-Auditoren der 4. Abteilung, darunter der Schriftführer, und der Chef des Generalstabes teilnahmen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Einladung zur kommissionellen Beratung, Präs. Nr. 1942, 30. 3. 1903. Wurden bei der ersten ministeriellen Beratung Ende des Jahres 1902 das gänzliche Verbot des Anbindens und Schließens in Spangen in Friedenszeiten erwogen und die Beibehaltung des Schließens in Spangen für Kriegszeiten in Betracht gezogen, ergaben sich nun aufgrund der gutachterlichen Stellungsnahmen der mittleren Verwaltungsebene deutliche Verschiebungen, wobei das Ergebnis nicht nur komplexer, sondern auch umfangreicher wurde und über das Verbot der Körperstrafen hinausreichte. So verständigte sich die Kommission nun auf ein Verbot der Ordnungsstrafe des sechsstündigen Schließens in Spangen in Friedenzeiten und im Krieg; das zweistündige Anbinden sollte in Friedenszeiten ebenso verboten werden, jedoch einigte man sich auf dessen Beibehaltung für Kriegszeiten.Die Strafe des Anbindens soll im Ersten Weltkrieg exzessiv angewendet worden sein, vgl. Hämmerle: Vom Drill, dem Disziplinarstrafrecht und Soldatenmisshandlungen, S. 38. Dieser kommissionelle Beschluss entsprach damit den Gutachten der Militärterritorialkommandanten, die sich mit großer Mehrheit für Verbote ausgesprochen hatten und lediglich bei der Frage des Anbindens in Kriegszeiten geteilter Meinung gewesen waren. Hinsichtlich der Verwendung beider Strafen als Strafverschärfung bei Arreststrafen wurde eine ähnliche Entscheidung getroffen: Im Frieden sollten sie unter normalen Verhältnissen verboten werden, jedoch seien das Schließen in Spangen als Strafverschärfung unter besonderen Verhältnissen, wie etwa Fußmärsche, und das Anbinden für Kriegszeiten weiterhin zu normieren. Zudem sollten diese Formen der Strafen generell auf Angehörige der Mannschaft ohne Charge, zuvor waren sie vom Zugsführer abwärts erlaubt, eingeschränkt werden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen, betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen.Die Beschlüsse der Kommission veränderten sich gegenüber der ersten ministeriellen Meinungsfindung aufgrund der Einblicke in die Praxis der Disziplinarstrafen durch die Involvierung der mittleren und unteren Verwaltungsebene in den Ausgestaltungsprozess. So wurde das zweistündige Anbinden vergleichsweise selten als Strafe ausgesprochen. Dagegen wurde das sechsstündige Schließen in Spangen als Ordnungsstrafe, entgegen der Intention der Disziplinarvorschrift,Bei der Strafbemessung sollte die Anzahl der bereits erhaltenen Bestrafungen berücksichtigt werden und eine sukzessive Steigerung der Strafstrenge stattfinden, vgl. Dienstreglement 1873, § 86, Punkt 647. Nachdem das Schließen in Spangen gemeinsam mit dem Anbinden die strengste der sechs Ordnungsstrafen gegen die Mannschaft war, vgl. Dienstreglement 1873, § 87, Punkt 657, C., 2. a–f., sollte sie nach Intention der Disziplinarstrafnormen relativ selten Anwendung finden. sehr häufig angewendet und war als Strafverschärfung bei den Arreststrafen dauerpräsent.Vgl. Dienstreglement 1873, § 89, Punkt 686. Die Schlussfolgerung der 4. Abteilung (Justiz) war folglich auch, dass dem Schließen in Spangen »daher die Eigenschaften einer empfindlichen, abschreckenden Strafe nicht innewohne«, weswegen für die Kriegszeit das Anbinden als Ordnungsstrafe normiert bleiben sollte.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung), Hervorhebung im Original durch eine Unterstreichung. Der kommissionelle Beschluss, die verbliebenen Anwendungsbereiche der Körperstrafen auf Angehörige der Mannschaft ohne Chargengrad zu beschränken, basierte ebenso auf den Gutachten der Militärterritorialkommanden,Für die Beschränkung der verbliebenen Körperstrafen auf Angehörige der Mannschaft ohne Chargengrad sprachen sich das 6., 11., 13. und 15. Militärterritorialkommando aus. Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung). wobei man sich dadurch die Hebung des Ansehens der Unteroffiziere erhoffte und darin wohl auch eine Maßnahme gegen den oftmals beklagten Unteroffiziersmangel erblickte.Zudem wurde aufgrund der Gutachten der Militärterritorialkommanden eine zusätzliche Änderung beschlossen, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem geplanten Verbot der Körperstrafen stand. Während eine knappe Mehrheit der Kommandanten die Einführung neuer Disziplinarstrafen als Alternative zu den Körperstrafen für entbehrlich hielt, machten die Übrigen verschiedenste Vorschläge. Unter anderem wurde auch die Einführung der auf ministerieller Ebene bereits diskutierten und abgelehnten Korrektionsabteilungen beantragt, was von der Kommission wieder abgelehnt wurde. Dagegen griff die Kommission den Antrag der Kommandanten des 1., 3. und 4. Militärterritorialbereichs auf,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Pro domo bezüglich der Frage des »Anbindens« und »Schließen in Spangen« (4. Abteilung). und einigte sich auf eine Abänderung des verschärften Arrestes: Zukünftig sollten diese Arrestanten die Zeit von der Tagwache bis zur Befehlsausgabe nicht im Arrestlokal verbringen, sondern dem Dienst beigezogen werden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen. Dieser Antrag war von der Vorstellung motiviert, dass manche Soldaten aufgrund der Anstrengungen des militärischen Dienstes den Arrest bevorzugen würden.Vgl. etwa ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Gutachterliche Stellungnahme des 3. Korpskommandos, Präs. Nr. 247, 27. 2. 1903. Zudem bot es den Vorteil, dass die Soldaten weiterhin an der militärischen Ausbildung teilnahmen, denn ein Nachdienen für die Dauer der Disziplinararreststrafen war rechtlich nicht möglich, sodass die bis zu 30 Tage dauernden Arreststrafen die militärische Ausbildung aus Sicht der Militärs empfindlich beeinträchtigen konnten.Wie der kommissionelle Beschluss in der dritten Phase des Innovationsprozesses zeigt, wirkte sich die Befragung der mittleren und unteren Verwaltungsebene in der zweiten Phase direkt auf die inhaltliche Ausgestaltung der neuen Normen aus. Dabei ermöglichte die Aktivierung des Mehrebenensystems eine stärkere Orientierung an der Praxis, indem es das Verständnis für die Handhabung der Disziplinarstrafnormen in den Truppenkörpern vertiefte. Zudem öffnete es den Prozess gegenüber einem größeren Personenkreis und damit zu unterschiedlichen Überlegungen und Ideen. Der große Einfluss der Gutachten der Militärterritorialkommandanten auf den Kommissionsbeschluss zeigt einerseits das Vertrauen in die Expertise der unteren Ebenen und belegt andererseits ihren Gestaltungsspielraum. Das Bemühen, bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Normen die Mehrheitsmeinung zu berücksichtigen, versprach zugleich, die Zufriedenheit und Anerkennung mit den neu konzipierten Disziplinarstrafnormen auf der Vollzugsebene zu erhöhen. Das Involvieren der mittleren und untersten Verwaltungsebene machte das Kommissionsergebnis aber auch komplexer, wie es ebenso eine radikale Streichung aller Körperstrafen verhinderte. Warum die geplante und bereits von Kaiser Franz Joseph genehmigte Erprobung neuer Disziplinarstrafnormen unterblieb, kann aufgrund der Aktenlage nicht mehr geklärt werden. Es beschleunigte das Verfahren deutlich, war jedoch ungewöhnlich. So entsprach es der üblichen Vorgehensweise, Neuerungen vor ihrer endgültigen Einführung zunächst zu erproben, um ihre Praktikabilität aufgrund des heterogenen Staatsgebietes und der Diversität innerhalb des Heeres zu testen.Dies traf etwa auf den Bereich der soldatischen Ernährung zu, vgl. beispielsweise den Versuch zur Akzeptanz von Milchprodukten: Erlass, KM-Abt. 12, Nr. 1293, 25. 5. 1908, zitiert nach: A. Rubin (Hg.): Schulmeisters Normaliensammlung für das k. u. k. Heer. 2. Band (Nr. 4701–8000). 3., umgearb. und vervollst. Aufl. Wien 1913, Nr. 6552; Erlass, Abt. 12, Nr. 2089, 26. 8. 1909. Verlautbart in: Korpskommandobefehl (3. Militärterritorialbereich), Nr. 74, 14. 09. 1909, J 9755. ÖStA, KA, Terr Befehle, Kt. 36. Erprobungen und schrittweise Weiterentwicklungen waren auch im Bereich der Ausbildung häufig, vgl. etwa ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2209, Präs 2811, Berichte über probeweise Verlegung der Spezialschulen.Mit der kommissionellen Beschlussfassung endete die Meinungsbildung innerhalb des vertikalen Gefüges der Militärverwaltung und der Prozess öffnete sich nun stärker gegenüber den horizontalen Ebenen. Mitte April wurden die Landwehren beider Reichshälften erstmals offiziell über die geplante Änderung der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft informiert, wobei ihnen das Ergebnis der Beratungen der eingesetzten Kommission mitgeteilt und sie um ihre diesbezügliche »Wohlmeinung« gebeten wurden.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Zuschrift an die Landesverteidigungsminister (Konzept), Präs. Nr. 2482, 15. 4. 1903. Während der königlich-ungarische Landesverteidigungsminister FZM Géza Freiherr von Fejérváry de Komlós-Keresztes für eine stärkere Zurückdrängung der Körperstrafen eintrat,ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Wohlmeinung des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministers, 3005 szám/eln., 23. 4. 1903. sprach sich der kaiserlich-königliche Landesverteidigungsminister FZM Zeno Graf Welser von Welserheimb für ein weniger weitgehendes Verbot der Körperstrafen im Frieden aus und sah das Problem der Körperstrafen in ihrer häufigen und inkorrekten Anwendung.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Wohlmeinung des kaiserlich-königlichen Landesverteidigungsministers, Nr. 1296 Präs. VI., 27. 4. 1903. Ihre Ausführungen wurden zur Kenntnis genommen, beeinflussten jedoch nicht mehr das bestehende Ergebnis.Dass die beiden Landwehren lediglich in Form einer Anhörung in den Prozess involviert, aber nicht Teil der Verhandlungen waren, liegt in ihrer staatsrechtlichen Stellung begründet, die sie im Mehrebenensystem auf eine horizontale Ebene verwies. Mit dem Ausgleich von 1867 wurden neben dem österreichisch-ungarischen Heer als gesamtstaatliche Einrichtung die beiden Landwehren als eigenständige Institutionen der beiden Reichshälften konstituiert.In den folgenden Jahren erfolgte der sukzessive Ausbau der beiden Landwehren zu eigenständigen Truppen, bis sie schlussendlich 1912 mit dem österreichisch-ungarischen Heer hinsichtlich Ergänzung, Organisation, Ausbildung und Kriegsdienstbestimmungen gleichgestellt wurden. Zum Aufbau der Landwehren als eigenständige Heere vgl. Wagner: Armee, S. 417–430. Im Grunde bestanden damit drei Heere, die gemeinsam mit dem Landsturm die »bewaffnete Macht« bildeten.Vgl. etwa das Wehrgesetz von 1912: Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretene Königreiche und Länder, Jahrgang 1912, LIV. Stück, 8. 7. 1913, 128. Gesetz vom 5. 7. 1912 betreffend die Einführung eines neuen Wehrgesetzes, 411–439, hier 411. Ihr räumlicher Wirkungsbereich wie auch ihre staatsrechtliche Stellung unterschieden sich jedoch grundlegend. So war das österreichisch-ungarische Heer die militärische Formation des Gesamtstaates Österreich-Ungarns und gehörte als dualistische Einrichtung in den Aufgabenbereich der Delegationen. Dagegen beschränkte sich der Wirkungsbereich der Landwehren ausschließlich auf die jeweilige Reichshälfte, aus der sich ihre Truppen rekrutierten und die ihre Finanzierung bestritten; im Bereich der Militärverwaltung waren die Landesverteidigungsminister sodann auch ihrem jeweiligen parlamentarischen Vertretungskörper verantwortlich.Dies zeigt sich etwa auch darin, dass der Kriegsminister nur vor den Delegationen, jedoch nie im Reichstag oder Reichsrat erschien. Anfragen das gemeinsame Heer betreffend wurde in den parlamentarischen Vertretungskörper der beiden Reichshälften von Seiten der jeweiligen Landesverteidigungsminister beantwortet. Aufgrund dieser eigenständigen Stellung der Landwehren gegenüber dem österreichischungarischen Heer wurden sie im Ausgestaltungsprozess der neuen Vorschrift als Dritte angehört, wobei der Begriff der Wohlmeinung bereits auf den Charakter der Beziehung zwischen diesen drei Militärverwaltungen verweist. Gleichlautende Vorschriften der drei Landstreitkräfte waren aus Sicht der operativen Führung aus praktischen Gründen wünschenswert, jedoch kein Automatismus, sondern mussten von allen Parteien selbstständig erlassen werden.Das Erscheinen einer zweiten AgendaZugleich mit der Benachrichtigung über die geplanten Änderungen der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft wurden die Landesverteidigungsminister informiert, dass ebenso eine Änderung der Disziplinarstrafen wider Offiziere aufgrund der Allerhöchsten Entschließung von 2. März 1903 erwogen werde.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigster Vortrag, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903. Gemäß dem Schreiben an die Landesverteidigungsminister sei »nämlich geltend gemacht [worden], daß die Erduldung eines Arrestes einer körperlichen Züchtigung ähnlich ist und demütigt, sowie, daß durch den Zimmerarrest oft die Gesundheit geschädigt wird.«Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Zuschrift an die Landesverteidigungsminister (Konzept), Präs. Nr. 2482, 15. 4. 1903. Damit kam in der dritten Phase eine zweite Agenda hinzu, die sich der Begründung für die Abschaffung der Körperstrafen gegen Angehörige des Mannschaftsstandes bediente, wenngleich die Strafarten aus objektiver Sicht keinesfalls vergleichbar waren. Die Gleichsetzung der Strafe des Zimmerarrests für Offiziere mit den Körperstrafen gegen Angehörige des Mannschaftsstandes verweist dabei auf die Vorstellung innerhalb des Offizierskorps, dass Würde und Ehre einer Person kein universaler und absoluter, sondern ein nach Rang der Person abgestufter und zugesprochener Wert sei.Der Aushandlungsprozess der neuen Agenda lief sehr ähnlich, wenngleich beschleunigt ab: So wurden wiederum zunächst Informationen über die diesbezüglichen Regelungen in Deutschland, Russland und Frankreich eingeholt,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Auszug aus der Disziplinar-Strafordnung für das deutsche Heer vom Jahr 1872, aus dem französischen Dienst-Reglement vom Jahr 1892 und aus dem Disziplinar-Strafgesetz für die russische Armee vom Jahr 1888. jedoch erfolgte im Anschluss kein ministerieller Rundlauf zur Meinungsbildung, sondern es wurden Studien von der 4. Abteilung (Justiz) und vom Präsidialbüro erstellt, die sehr unterschiedliche Positionen zeigten. So befürwortete das Präsidialbüro die drei geplanten Änderungen – vollständige Aufhebung der Disziplinararreststrafen, Aufhebung des ProfossenarrestsOffiziere, Stabsparteien und Militärbeamte sowie Kadetten, Feldwebel und diesen gleichgestellten Chargen wurden im Gegensatz zur Mannschaft vom Korporal abwärts nicht mit Garnisonsarrest, also die Verbüßung einer Militärarreststrafe im Garnisonsgefängnis, sondern mit Profossenarrest bestraft. Die Militärarreststrafe wurde dabei auf eigene Kosten im »Quartier des Profoßen«, also dem Gefängnisaufseher, oder einem dazu »sonst gewidmeten Zimmer« abgebüßt. Vgl. Militär-Strafgesetz über Verbrechen und Vergehen vom 15. Jänner 1855 sammt den darauf bezüglichen, bis auf die neueste Zeit erschienen Verordnungen und Erläuterungen zusammengestellt von Karl Skala, Hauptmann-Auditor im k. k. Linien-Infanterie-Regimente Ludwig II., König von Baiern Nr. 5, Teschen 1881, § 55–58. im Militärstrafrecht und die Einführung einer disziplinären Entlassung von Offizieren –, weil dies für die »Hebung der Würde und des Ansehens derselben, Pflege der Berufsfreudigkeit, Festigung des Standesbewußtseins« geeignet sei.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Studie über die Änderung der Strafen für Offiziere (Präsidialbüro). Dagegen erhob die 4. Abteilung schwerwiegende rechtliche Bedenken und stand dem Vorhaben wohl auch grundsätzlich nur mäßig wohlwollend gegenüber. So könne der Profossenarrest als Teil der Militärstrafprozessordnung nur auf legislativer Ebene abgeschafft werden und die Einführung einer disziplinären Entlassung sei nicht erforderlich, da die bestehenden Normen hierfür ausreichend seien. Bezüglich der Disziplinararreststrafen sprach sich die 4. Abteilung gegen eine generelle Abschaffung aus und erinnerte, dass es analoge Strafen bei allen Großmächten gebe, wobei dies nicht hieße, »dass nicht wir mit einer Neuerung vorangehen könnten«. Nachdem jedoch das Disziplinarstrafrecht ebenso militärische und gemeine Vergehen, die im neu konzipierten Militärstrafrecht mit bis zu sechs Monaten bedroht seien, ahnde, müssten bei einer völligen Aufhebung der Disziplinararreststrafen, diese Fälle nach Militärstrafrecht sanktioniert werden, wobei dies aufgrund des »schwerfällige[n] gerichtliche[n] Apparat[s]« nicht empfehlenswert sei und der Intention des Entwurfs der neuen Militärstrafprozessordnung zuwiderlaufe. Sollte jedoch die Aufhebung der disziplinären Arreststrafen für alle anderen Fälle »als eine wünschenswerte Maßnahme in moralischer Beziehung zur Stärkung, Hebung des Selbstgefühls und des Ansehens des Officiersstandes« erachtet werden, würde die 4. Abteilung dem nicht entgegenstehen.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/1 (1903), Studie über die Änderung der Strafen für Offiziere (4. Abteilung).Aufgrund des beschleunigten Ablaufes konnte basierend auf den beiden Studien die kommissionelle Beratung in dieser Angelegenheit gemeinsam mit der Beratung über die Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft am 2. April 1903 beginnen und fand am 5. April 1903 ihren Abschluss. Die Kommission berücksichtigte die juristischen Bedenken der 4. Abteilung in ihrer Beratung, einigte sich jedoch mittels Alternativanträgen auf eine möglichst starke Einschränkung der Disziplinarstrafen: Die Disziplinararreststrafen sollten auf militärische und gemeine Vergehen beschränkt werden, die im Militärstrafrecht mit bis zu sechs Monaten bedroht seien, wobei der Zimmerarrest nur mehr von den mit der Gerichtsbarkeit betrauten Kommandanten verhängt werden dürfe. Zudem sollte den Offizieren im Stationsarrest erlaubt werden, den Mittagstisch mit ihren Kameraden in der Offiziersmesse einzunehmen. Als Ersatz sollte neben dem einfachen und strengen Verweis zusätzlich ein vor Zeugen ausgesprochener Verweis eingeführt werden. Analog zu den Bestimmungen bei den Militärbeamten beantragte die Kommission ebenso die Einführung einer Verwarnung von Offizieren durch die Militärterritorialkommandanten, die im Falle des Zuwiderhandelns zu einer strafgerichtlichen Behandlung führen sollte. Als letzten Punkt beantragte die Kommission die Gleichsetzung der Kadettoffiziersstellvertreter und Kadetten mit den Offizieren hinsichtlich der Disziplinarstrafen und die ausnahmsweise Umwandlung von Kerkerstrafen in Profossenarrest im Bereich der Militärstrafprozessordnung.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen.»[D]a eine so einschneidende Änderung des bisherigen Disziplinarstrafsystems nur auf Grund der bei Anwendung desselben gemachten Erfahrungen vorgenommen werden kann«,ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 2. April 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen. empfahl die Kommission, diesbezügliche Gutachten der Militärterritorialkommanden einzuholen, was mittels Erlasses vom 15. April 1903 auch geschah.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Sammlung der Einzelgutachten der Militärterritorialkommanden. Wie bereits bei der Befragung bezüglich der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft verlangte die Marine-Sektion auch diesmal, in der Angelegenheit durch die Stellungnahme des Hafen-Admiralats von Pola gehört zu werden.Vgl. die Vermerke auf dem Aktenbogen ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/2 (1903); ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/4 (1903), Gutachten des Hafen-Admiralats, Präs. Nr. 1195 M.A., 6. 5. 1903. Nach Einlangen der Gutachten wertete sie die 4. Abteilung (Justiz) wieder in einer schematischen Übersicht aus und erstellte ein diesbezügliches Gutachten.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1168, 28-16/3 (1903), Zusammenstellung der Anträge der Militär-Territorialkommandanten bezüglich der Änderung der Disziplinarstrafen der Offiziere, zu Präs. Nr. 3048 ex 1903; Referat (4. Abteilung), zu Präs. Nr. 3048 von 1903. Eine abschließende kommissionelle Beratung fand bereits am 13. Mai 1903 statt, an der Vertreter der 1., 2., 4. und 5. Abteilung sowie des Präsidialbüros teilnahmen. Die Kommission bestätigte im Wesentlichen den ersten kommissionellen Beschluss von Anfang April, nachdem er von der überwiegenden Mehrheit der Militärterritorialkommandanten vollinhaltlich befürwortet worden war.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/4 (1903), Protokoll über die unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerstellvertreters k. u. k. Feldmarschallleutnants Artur Pino Ritter von Friedenthal am 13. Mai 1903 stattgefundenen Beratungen betreffend Änderungen der Disziplinarstrafen.Das abschließende Ergebnis wurde wie bereits bei der Änderung der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft den Landesverteidigungsministern zur Äußerung ihrer Wohlmeinungen übermittelt,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/4 (1903), Schreiben an die Landesverteidigungsminister (Konzept), Präs. Nr. 3283, 17. 5. 1903. die Ende Mai 1903 einlangten. Beide lehnten die vorgeschlagenen Änderungen grundsätzlich ab, wobei der kaiserlich-königliche Landesverteidigungsminister FZM Welser von Welserheimb selbst das Motiv infrage stellte, da gegen die Disziplinararreststrafen gegen die Offiziere im Gegensatz zu den Körperstrafen wider die Mannschaft vom »Humanitätsstandpunkte« nichts spreche und fraglich sei, ob das Niveau des Offiziersstandes durch diese Änderung gehoben würde. Folglich sah er keinen Bedarf einer Änderung und befürwortete lediglich die Einführung einer dritten Kategorie von Verweisen und die Teilnahme von Offizieren im Zimmerarrest an den Mittagsmahlzeiten in der Offiziersmesse.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Wohlmeinung des kaiserlich-königlichen Landesverteidigungsministers, Präs. Nr. 1730/V, 24. 5. 1903. Für Letzteres sprach sich auch der königlich-ungarische Landesverteidigungsminister FZM Fejérváry de Komlós-Keresztes aus, der zudem die Gleichstellung der Kadettoffiziersstellvertreter sowie der Kadetten mit den Offizieren befürwortete.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Wohlmeinung des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministers, 3771 szám/elnöki, 30. 5. 1903.Das Erscheinen einer neuen Agenda in der dritten Phase des Ausgestaltungsprozesses zeigt, dass dieser für verschiedene Einflüsse und Interessen offen war, wie er ebenso Begehrlichkeiten verschiedener Akteure wecken konnte. Bei der Aushandlung dieser Agenda bewährte sich der inhaltliche Abstimmungsprozess zwischen den verschiedenen Ressortabteilung, indem unerwünschte Nebenwirkungen der geplanten Normen verhindert werden konnten. So hätte die Aufhebung der Disziplinararreststrafen gegen Offiziere die grundlegende Reform der Militärgerichtsbarkeit, die seit 1869 in einem langwierigen Prozess zwischen dem Kriegsministerium, den Justizministerien beider Reichshälften und den Landwehren ausgehandelt wurde und kurz vor dem Abschluss stand, gefährdet.Die Reform bezweckte die Anpassung der Militärstrafprozessordnung von 1855 an die moderne Strafrechtswissenschaft, wobei gleichzeitig die militärischen Interessen zu berücksichtigen waren. Ein endgültiger Kompromiss wurde 1911 gefunden und das Gesetz wurde 1912 erlassen. Nach einer zweijährigen Vorbereitungszeit trat es am 1. Juli 1914 in Kraft. Vgl. Olechowski-Hrdlicka: Gemeinsame Angelegenheiten, S. 268, Fußnote 125; Wagner: Armee, S. 544–557. Andererseits zeigte die neue Agenda auch die Grenzen eines kooperativen Abstimmungsprozesses auf. Die geplanten Normen begünstigten die Angehörigen des Offizierskorps und stärkten die Position der Militärterritorialkommandanten im Bereich des Disziplinarstrafrechts wie sie jene der Truppenkommandanten schwächte. Dass sich eine überwiegende Mehrheit der Militärterritorialkommandanten für die Neuerung aussprach, überraschte daher kaum und es wäre fraglich gewesen, ob eine Ausweitung der Befragung auf die unterste Verwaltungsebene aufgrund des Korpsgeistes ein anderes Resultat gebracht hätte.Das Vorgehen der Militärverwaltung bei der Ausgestaltung neuer Disziplinarstrafnormen gegen Offiziere deckte sich in auffälliger Weise mit jenem im Falle der Änderung der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft: Zunächst wurden Informationen bezüglich vergleichbarer Organisationen eingeholt, eine erste Mehrheitsmeinung auf ministerieller Ebene erarbeitet, die anschließend durch die Vollzugsebenen evaluiert wurde, um die Erfahrung aus der Praxis in das Endergebnis einfließen zu lassen. Die geringfügigen Unterschiede im Vorgehen dienten wohl einer Beschleunigung des Verfahrens. Damit war es möglich, beide Agenden gemeinsam der Allerhöchsten Sanktionierung vorzulegen und den Prozess rechtzeitig abzuschließen, um die neue Vorschrift bei der nächsten Sitzung der Delegation, die 39. Session begann erst am 15. Dezember 1903, präsentieren zu können. Die Einbeziehung des horizontalen Mehrebenensystems durch die Anhörung der beiden Landesverteidigungsminister zeigte zunächst keinen direkten Einfluss auf die Ausgestaltung der neuen Disziplinarvorschriften, jedoch gewann sie in der abschließenden Phase noch an Bedeutung.Eine neue Disziplinarvorschrift erscheint…Mit der Überreichung des Alleruntertänigsten Vortrages durch Kriegsminister FML Heinrich Ritter von Pitreich am 18. Juni 1903 begann die vierte und abschließende Phase des Innovationsprozesses. Dem 14-seitigen Vortrag waren zwanzig Beilagen, unter anderem die verschiedenen Stellungnahmen der ministeriellen Abteilungen, die Protokolle der kommissionellen Beratungen, die Zusammenstellung der Anträge der Militärterritorialkommanden und die Wohlmeinungen der Landesverteidigungsminister, angeschlossen, wodurch die Allerhöchste Militärkanzlei auch einen Einblick in das Meinungsbild erhielt. Im Alleruntertänigsten Vortrag selbst wurde das Endergebnis der kommissionellen Beratungen präsentiert, und erläutert, inwiefern sie den Positionen der Landesverteidigungsminister entsprechen. Zudem enthielt es das abschließende Gutachten von Kriegsminister FML Pitreich bezüglich der beantragten Änderung der Disziplinarstrafnormen.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigste Vortrag, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903.Kriegsminister FML Pitreich unterstützte die kommissionellen Anträge bezüglich der Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft, votierte jedoch gegen eine Änderung der Disziplinarstrafen wider Offiziere. So stellte er fest, die Kommission habe »es sich zur Aufgabe gemacht, die Strafen der Offiziere möglichst einzuschränken und hat auch die überwiegende Mehrheit der Militärterritorialkommanden den Vorschlägen der Kommission beigepflichtet«, jedoch schließe er sich den Landesverteidigungsministern an, wonach bezüglich des Zimmerarrests nichts zu ändern und die Einführung einer Verwarnung »weder nötig noch zweckmäßig« sei. Er befürwortete lediglich die Teilnahme am Mittagstisch der Offiziere während des Zimmerarrests und die Gleichstellung der Kadettoffiziersstellvertreter und der Kadetten mit den Offizieren hinsichtlich der Disziplinarstrafen und der ausnahmsweisen Umwandlung von Kerkerstrafen in Profossenarrest. Zudem beantragte er abschließend, dass die im Mannschaftsstand erhaltenen Disziplinarstrafen bei der Beförderung zum Berufsoffizier, Militärbeamten oder Gagist ohne Rangklasse gelöscht und zukünftig nicht mehr in das Offiziersstrafprotokoll übertragen werden. Dies sei, wie er anmerkte, ein geeignetes Mittel, das Ansehen und Selbstbewusstsein dieser Personengruppe zu heben.ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigste Vortrag, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903.Mit Allerhöchstem Entschluss vom 28. September 1903 genehmigte Kaiser Franz Joseph die Änderung der Disziplinarvorschriften entsprechend dem Votum des Kriegsministers FML Pitreich,Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Alleruntertänigste Vortrag Nr. 652, Präs. Nr. 3760, 18. 6. 1903. also die weitgehende Abschaffung von Körperstrafen als Disziplinarstrafen gegen die Mannschaft und die grundlegende Beibehaltung der Disziplinarstrafnormen gegen Offiziere. Die Ausarbeitung der neuen Vorschrift begann jedoch bereits zuvor, wohl unmittelbar nach der Überreichung des Alleruntertänigsten Vortrages, da bereits binnen eines Monats korrigierte Druckfahnen von der Hof- und Staatsdruckerei, datierend auf den 14. Juli 1903, vorlagen. Diese Vorgehensweise ermöglichte ein zügiges Fortschreiten der Arbeiten, sodass bereits am 10. Oktober 1903, kurz nach der Allerhöchsten Entschließung, der Druckauftrag für die neue Vorschrift an die Hof- und Staatsdruckerei erteilt werden konnte. Nachdem die korrigierten Druckfahnen inhaltlich bereits dem Votum des Kriegsministers entsprachen, legt die Vorgehensweise nahe, dass Kriegsminister FML Pitreich die Genehmigung seines Votums erwartete und möglicherweise auch von Seiten der Militärkanzlei diesbezüglich vorab informiert worden war.Zur Ausarbeitung der neuen Disziplinarvorschrift, unter anderem die Erstfassung des Textes, die Rückmeldungen der verschiedenen Fachabteilungen und Korrekturfahnen, vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/5 (1903) und 28-16/6 (1903). Nach Erteilung des Druckauftrages erfolgte die Ausarbeitung der Zirkularverordnung und des Normalverordnungsblattes, mittels derer die neue Vorschrift verlautbart wurde.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), Entwurf der Zirkularverordnung vom 24. Oktober 1903, Präs. Nr. 7500, zu Präs. Nr. 6700 von 1903; Beitrag für das Normal-Verordnungsblatt, zu Präs. Nr. 6700 von 1903. Die Militärterritorialkommanden wurden zudem bereits vorab, am 20. Oktober 1903, über die zentralen Änderungen informiert, und die neue Vorschrift trat am 15. November 1903 in Kraft.Vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/11 (1903), Abschrift des an sämtliche Militärterritorialkommanden ergangenen Reichskriegsministerial-Erlasses Präs. Nr. 7500 vom 20. Oktober 1903. Zeitgleich traten analoge Vorschriften in der kaiserlich-königlichen und königlich-ungarischen Landwehr in Kraft.Die Änderungen im militärischen Disziplinarstrafrechte, in: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 14070 (28. 10.1903), S. 8–9, hier S. 9.Dass die neue Disziplinarvorschrift damit 15 Tage später als geplant in Kraft trat, lag an den Aktivitäten des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministers FZM Fejérváry de Komlós-Keresztes. Bereits ab Mitte Juli begann er, trotz der Zusicherung von Seiten des Kriegsministers über alle Schritte rechtzeitig informiert zu werden, sich wiederholt nach dem aktuellen Stand der Arbeiten, ob eine Allerhöchste Entscheidung bereits vorliege und wann die Veröffentlichung der neuen Vorschriften geplant sei, zu erkundigen. Der Anlass seines Vorgehens war, dass das königlich-ungarische Landesverteidigungsministerium nun selbst plante, im Anschluss an die Allerhöchste Entschließung für das österreichisch-ungarische Heer, analoge Bestimmungen für die königlich-ungarische Landwehr zu erwirken, wobei er darauf drängte, dass die neuen Bestimmungen tagesgleich veröffentlicht werden.Vgl. die Korrespondenz zwischen Kriegsministerium und königlichungarischen Landesverteidigungsministerium in: ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/6 (1903), 28-16/7 (1903), 28-16/8 (1903) und 28-16/9 (1903). Die neue Disziplinarvorschriften für die königlich-ungarische Landwehr wurden mit der Allerhöchsten Entschließung vom 14. 10. 1903 sanktioniert, vgl. ÖStA, KA, ZSt, KM, Präs-Akten, Kt. 1169, 28-16/10 (1903), Schreiben des königlich-ungarischen Landesverteidigungsministeriums, 7728 szám/elnöki, 17. 10. 1903. Das Motiv hierfür dürfte wohl symbolischer Natur gewesen sein und verweist auf Konkurrenzverhältnisse im horizontalen Mehrebenensystem: Die ungarische Reichshälfte versuchte zunehmend ihre staatsrechtliche Stellung gegenüber der österreichischen Reichshälfte und dem Gesamtstaat auszubauen, wie sie auch die Magyarisierung vorantrieb. Beide Bestrebungen wurden auch im militärischen Bereich verfolgt, weshalb unter anderem die königlich-ungarische Landwehr, und als Reaktion dann ebenso die kaiserlich-königliche Landwehr, zunehmend zu eigenständigen Territorialarmeen neben dem österreichisch-ungarischen Heer ausgebaut wurden.Vgl. etwa Lázló Péter: Die Verfassungsentwicklung in Ungarn, in: Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, Teilbd. 1: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, Zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 239–540, hier S. 504–529; Wagner: Armee, S. 417–430. In diesem Konkurrenzverhältnis konnte die königlich-ungarische Landwehr der Armee des Gesamtstaates bei einer Modernisierung nicht nachstehen, wobei die tagesgleiche Publikation hinsichtlich des Anspruchs der Gleichrangigkeit von symbolischer Bedeutung war.Das horizontale Mehrebenensystem war augenscheinlich nicht nur von Kooperation, sondern auch von Konkurrenzverhältnissen geprägt. Die Interventionen der Marine-Sektion, die sich mittels Akteneinsicht stets am Laufenden hielt, bezeugen ihr aktives Bemühen, als Teil des gemeinsamen Heeres gleichrangig mit den Landstreitkräften in den Prozess involviert zu werden. Laufend Akteneinsicht nahm auch die kaiserlich-königliche Landwehr, die dabei infolge ihres Behördensitzes in Wien gegenüber der königlich-ungarischen Landwehr, die auf die Informationsübermittlung durch das Kriegsministerium angewiesen war, über einen praktischen Vorteil verfügte. Spielten die Wohlmeinungen der beiden Landesverteidigungsminister in der inhaltlichen Ausgestaltung keine Rolle, gewannen sie in der abschließenden Phase an Bedeutung: So verwendete Kriegsminister FML Pitreich die ablehnende Position der beiden Landesverteidigungsminister gegenüber den Änderungen der Disziplinarstrafen wider Offiziere als argumentative Bekräftigung seines Votums im Alleruntertänigsten Vortrag an Kaiser Franz Joseph, das in Opposition zum Kommissionsbeschluss stand.Im vertikalen Mehrebenensystem bestand ein Bemühen, die neuen Vorschriften in Kooperation mit der mittleren und unteren Verwaltungsebene auszuarbeiten, wofür pragmatische Überlegungen ausschlaggebend waren. Als Vollzugsebenen verfügten sie über einen Informationsvorsprung hinsichtlich der praktischen Handhabung der Disziplinarvorschriften, der von der obersten Verwaltungsebene auch als solcher anerkannt wurde. Dies zeigt sich nicht nur durch ihre Involvierung in den Prozess, sondern vor allem im großen Einfluss ihrer gutachterlichen Stellungnahmen auf die inhaltliche Ausgestaltung der neuen Vorschriften. Auf der anderen Seite wurde von der mittleren und unteren Verwaltungsebene vermutlich genau beobachtet, inwieweit ihre Stimmen gehört wurden. So überprüfte das 3. Militärterritorialkommando nach Bekanntgabe der neuen Vorschrift Punkt für Punkt, inwieweit sie der eigenen gutachterlichen Stellungnahme entsprach und die eigenen Anträge berücksichtigt wurden.Vgl. ÖStA, KA, Terr, GenKdo Graz, Präs-Akten, Kt. 2184, Präs 2078, Handschriftliche Auflistung: Vom Korpskommando beantragt / durchgeführt. Schlussendlich zeigen sich aber auch die Grenzen eines kooperativen Aushandlungsprozesses in einem hierarchischen System: Das ausschlaggebende Votum lag bei Kriegsminister FML Pitreich.Mit den neuen Disziplinarstrafnormen wurde der Resolution der österreichischen Delegation in der 38. Session zur Abschaffung der Körperstrafen in Form des Schließens in Spangen und des Anbindens genüge getan. Es war damit die einzige von insgesamt fünf Resolutionen die entsprechend den Wünschen der Delegation erfüllt werden konnte.Vgl. Stenographische Protokoll der Delegation des Reichsrates, 39. Session, 10. Sitzung, Budapest, 16. 2. 1904, S. 429–524, hier S. 493–495. Dass ihre Umsetzung noch rechtzeitig bis zur 39. Session gelang, war dem späten Beginn dieser Session am 15. Dezember 1903 geschuldet, aber auch Resultat der beschleunigten Vorgehensweise in der Ausarbeitung der neuen Vorschrift. Kriegsminister FML Pitreich, erst seit Dezember 1902 im Amt, konnte so bei seinem ersten Erscheinen vor der Delegation sein Bemühen um eine kooperative Zusammenarbeit mit den Delegationen ausdrücken. Zudem war diese neue Vorschrift mit keinen Opportunitätskosten für die Militärverwaltung verbunden: So sprach sich die überwiegende Mehrheit der Kommandanten für die Abschaffung der Körperstrafen aus und die Umsetzung der neuen Normen verursachte keine monetären Kosten. Im Gegenteil ermöglichte sie das Bild der Armee in der Öffentlichkeit positiver zu zeichnen, eine Chance, die von Kriegsminister FML Pitreich auch persönlich genützt wurde. So gab er nach Erscheinen der neuen Vorschrift dem Neuen Wiener Journal ein Interview, in dem er vorgab, dass die Abschaffung der Körperstrafen »schon seit langer Zeit den Gegenstand eifrigen Studiums« innerhalb der Militärverwaltung bilden würde. Zugleich betonte er, dass »man in der österreichischen Armee [stets] bestrebt gewesen [ist], die Mannschaft nach den Grundsätzen der Humanität zu behandeln« und sich nahezu alle Territorialkommandanten für die Abschaffung ausgesprochen haben. Dabei war es ihm wichtig, hervorzuheben, dass die Militärverwaltung bei diesem Schritt »keiner Pression gefolgt«, sondern es »vielmehr das Product [ihrer] Überzeugung« gewesen sei.Die moderne Armee. Ein Interview mit dem Reichskriegsminister FML R. v. Pitreich, in: Neues Wiener Journal. Unparteiisches Tagblatt, Nr. 3597 (1. 11. 1903), S. 4–5, hier S. 5. Dieser Storyline folgte auch die Neue Freie Presse, die sich dabei auf einen »in militärischen Angelegenheiten wohlinformierten Parlamentarier« berief. Dabei erläuterte sie auch das Vorgehen der Militärverwaltung bei der Ausarbeitung der neuen Disziplinarstrafnormen und die Verzögerung ihrer Publikation wurde mit »drucktechnischen Gründen« erklärt.Die Änderungen im militärischen Disziplinarstrafrechte, in: Neue Freie Presse, Morgenblatt, Nr. 14070 (28. 10. 1903), S. 8–9, hier S. 9. Obwohl die Arbeiten noch in der Amtszeit von Kriegsminister GdK Krieghammer begannen, wurde ihre Durchführung von der Presse der Amtsübernahme von FML Pietreich zugerechnet. So seien, wie das Welt-Neuigkeits-Blatt schrieb, die bisherigen Wünsche »unter dem Regime einer Kriegsverwaltung, welche überhaupt ihre Kraft hauptsächlich in der starren Negation finden zu können glaubt, ungehört verhallt.« Diese Zeit sei »gottlob vorüber und der verdienstvolle General [Pitreich], welcher heute an der Spitze der Heeresverwaltung steht, hat ein von dem vorigen grundverschiedenes System in das alte Haus ›Am Hof‹ [das Kriegsministerium] mitgebracht.«»Anbinden« und »Spangenschließen«. Milderungen im militärischen Disziplinar-Strafrechte, in: Welt-Neuigkeits-Blatt, Nr. 247 (29. 10. 1903), 4. Bogen.ConclusioDie mikrohistorische Analyse des Zustandekommens der neuen Disziplinarstrafnormen von 1903 konnte zeigen, dass Innovationen in der Organisation nicht vom Kriegsministerium als oberste Verwaltungsebene im hierarchischen Mehrebenensystem autoritär bestimmt, sondern in einem hierarchisch gesteuerten, für verschiedene Akteure offenen Prozess ausgestaltet wurden. Im Falle des österreichisch-ungarischen Heeres galt es, die Diversität der Organisationsmitglieder infolge der Allgemeinen Wehrpflicht wie auch die heterogenen lokalen Bedingungen innerhalb der Habsburgermonarchie zu berücksichtigen. Das Kriegsministerium versuchte diese Herausforderung durch die Involvierung der mittleren und unteren Verwaltungsebene zu bewältigen. Als regionale Kommandoebenen verfügten sie über das praktische Wissen hinsichtlich des Verwaltungsvollzugs auf lokaler Ebene, wie sie zugleich Adressaten des Verwaltungshandelns waren. Durch ihre Involvierung konnte ausgelotet werden, ob und inwiefern Innovationen sinnvoll und durchführbar waren, wodurch sie einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Innovationen im österreichisch-ungarischen Heer erlangten. War diese Vorgehensweise geeignet, die Zustimmung innerhalb der Organisation zu erhöhen, machte sie das Ergebnis aber auch komplexer und verhinderte zugleich eine vollständige Abschaffung von Körperstrafen.Inwiefern die hohe Gestaltungskraft der mittleren und unteren Ebene der österreichisch-ungarischen Militärverwaltung ein Resultat der spezifischen Bedingungen des österreichisch-ungarischen Heeres war oder als Kennzeichen moderner Bürokratien im Allgemeinen angenommen werden kann, muss hier als Frage offenbleiben. Die binnenadministrative Kommunikation wurde bisher primär als Steuerungs- und Kontrollinstrument hinsichtlich des Verwaltungsvollzugs wahrgenommen.Vgl. etwa Peter Collin: Die Organisation der binnenadministrativen Kommunikation in der preußischen Verwaltung des 19. Jahrhunderts, in: Peter Becker (Hg.): Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2011, S. 335–359. Wie die Analyse des Zustandekommens der neuen Disziplinarvorschrift von 1903 jedoch zeigen konnte, wurde sie auch dazu verwendet, um die interne Verwaltungsexpertise auf den unteren Verwaltungsebenen für die Ausgestaltung von Reformen und Normen oder die Implementation von Innovationen zu nutzen, wie dies etwa auch durch Anhörungsverfahren von Vertretern gesellschaftlicher Gruppen im 19. Jahrhundert gemacht wurde.Vgl. etwa Peter Becker: Der Staat als umstrittene Organisation. Die Verwaltungsreform der Habsburgermonarchie in den 1910er Jahren, in: Marcus Böick / Marcel Schmeer (Hg.): Im Kreuzfeuer der Kritik. Umstrittene Organisationen im 20 Jahrhundert, Frankfurt am Main 2020, S. 263–284. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, inwieweit diese Berücksichtigung von verschiedenen Akteuren, ihren Interessen und Positionen gemeinsam mit dem Anspruch von einheitlichen Regelungen und Stabilität die Neigung von inkrementellen Innovationen in Bürokratien erhöht und damit dem Bild von veränderungsresistenten Bürokratien Vorschub leistet. Historische Untersuchungen von verschiedenen zivilen und militärischen Verwaltungen als Mehrebenensysteme könnten hierzu Aufschluss geben, da sie den Blick für Formen der Kooperation und Aushandlungsprozesse schärfen, wie sie ebenso Rückschlüsse auf die Kultur der Verwaltung innerhalb einer Organisation im Allgemeinen erlauben. So konnte die Mikroanalyse des Zustandekommens der Disziplinarvorschrift von 1903 zeigen, dass entgegen dem Bild des österreichisch-ungarischen Heeres als eine streng hierarchische Organisation, in der nur die oberste Verwaltungsebene Gestaltungskraft besäße, der mittleren und unteren Verwaltungsebenen bei der Ausgestaltung von Innovationen in der Organisation eine bedeutende Rolle zukam.

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Published: Dec 1, 2021

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