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»Typewriting Medicine« – Bürotechnologische Innovationen und klinische Verwaltung am Beispiel der Charité Berlin, 1890–1932

»Typewriting Medicine« – Bürotechnologische Innovationen und klinische Verwaltung am Beispiel der... EinleitungSpätestens im Zuge des material turn in den Geistes- und Kulturwissenschaften Anfang des Jahrtausends haben auch Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, etwa unter dem Schlagwort der Paper Technology,Exemplarisch Volker Hess / Andrew Mendelsohn: Paper Technology und Wissensgeschichte, in: N. T. M. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 21, 1 (2013), S. 1–10.damit begonnen, sich für die materialen Bedingungen wissenschaftlichen und medizinischen Wissens und die vielfältigen Aufschreibeformate in denen es sich präsentiert zu interessieren. Darunter verstanden wird »die Summe aller Schreibverfahren«, wie Listen und Formulare, Texttechniken der Exzerpierung oder Indexierung, Papiertechniken, wie Karteikarten, Bandakten oder (Geschäfts-)Journale und der damit verbundenen Werkzeuge und Aufzeichnungstechnologien, die »beim Festhalten, Sammeln und Akkumulieren von (direkt oder vermittelt) Gesehenem und Bedachtem eingesetzt werden«.Hess / Mendelsohn: Paper Technology, S. 3.Getragen wird dieser Ansatz von der Prämisse, dass die Form des Aufschreibens auch eine spezifische Form des Wissens zeitigt – etwa im Kontext von Gutachten,Alexa Geisthövel / Volker Hess: Medizinische Gutachten. Geschichten einer neuzeitlichen Praxis, Göttingen 2017.FallgeschichtenSybille Brändli / Barbara Lüthi / Gregor Spuhler (Hg.): Zum Fall machen, zum Fall werden. Wissensproduktion und Patientenerfahrungen in Medizin und Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2009.oder buchhalterischen Aufschreibeformaten.Dazu jüngst Axel C. Hüntelmann / Oliver Falk (Hg.): Accounting for health. Calculation, paperwork and medicine, 1500–2000, Manchester University Press 2021.Kaum verwunderlich also, dass Phasen medientechnologischen Wandels, wie jenem, der um 1900 mit der Schreibmaschine als ikonografischem Symbol dieses Prozesses die bürokratische Moderne einläutete, auch in wissenschafts- und medizingeschichtlichen Kontexten das historiografische Interesse geweckt haben.Exemplarisch sei hier etwa der Beitrag des Berliner Medizinhistorikers Volker Hess genannt, der am Beispiel des Mediziners Kurt Pohlisch (1893–1955) einen Wandlungsprozess nachzeichnet, in dessen Zuge Kliniken wie die Charité epistemologisch zu einer »Paper Machine« avancierten.Kurt Pohlisch beschrieb allein auf Grundlage bereits zur Verfügung stehender, formalisierter und systematisch angelegter Krankenakten mit dem sogenannten hyperkinetischen Symptomkomplex ein gänzlich neues Syndrom, ohne dazu auch nur einen Patienten je selbst untersucht zu haben. Vgl. Volker Hess: A Paper Machine of Clinical Research in the Early Twentieth Century, in: Isis 109, 3 (2019), S. 473–493.Und zwar in dem Sinne, als Bürotechnologien im Modus formalisierter Dokumentationspraktiken medizintechnische Innovation in die Routinen der Kliniken einbanden und zu einer Vervielfältigung an klinisch-diagnostischen Befunden beitrugen, die sich wiederum mithilfe unterschiedlicher (An)Ordnungssystematiken (loose files, Karteikartensysteme, Lochkarten et cetera.) nun auch wissenschaftlich mobilisieren ließen.Im Folgenden soll allerdings weniger auf klinisch-epistemologische Effekte mechanisierter und formalisierter Schreibkulturen Anfang des 20. Jahrhunderts abgehoben, sondern unter Berücksichtigung innovationstheoretischer Gesichtspunkte der Versuch unternommen werden, konkret auf die Übertragungswege (Transfers) und Aneignungsstrategien (Adaption) von bürotechnologischen Innovationen und der Etablierung neuer büroorganisatorischer Ordnungsprinzipien in Krankenhauskontexten zu fokussieren. Konkreter, das heißt, aus praxeologischer Perspektive auf Diffusionsprozesse medientechnologischer Innovationen im Kontext von Krankenhäusern und deren Verwaltungen zu schauen, ist auch deshalb von Bedeutung, als aus medizin- und wissenschaftshistorischer Sicht zwar weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass der Wandel klinischadministrativer (Auf-)Schreibkulturen entscheidenden Anteil an der Genese der modernen Krankenhausmedizin besaß, dabei aber der konkrete praktische Transfer von sogenannten »business techniques« nicht weiter ausgeleuchtet wird und sich häufig in einer eher linearen Beschreibung von Top-Down-Prozessen (von der Verwaltung in die Klinik) erschöpft.Stellvertretend für die diese Perspektive vgl. Barbara Craig: Hospital Records and Record-keeping, c. 1850-c. 1950. Part 1: The Development of Records in Hospitals, in: Archivaria 29 (1989–1990), S. 57–80.Dabei bleiben Fragen danach, wie denn neue Bürotechnologien und Ordnungssystematiken eigentlich genau ihren Weg in die Krankenhäuser finden, unter welchen Bedingungen diese adaptiert und mit welchen ganz praktischen Konsequenzen, sowohl auf administrativer als auch klinischer Ebene, schließlich implementiert werden, zumeist unterbelichtet. Aus innovationstheoretischer Sicht indes bietet eine solche historisch-praxeologische Perspektivierung die Möglichkeit, sich von den stellenweise seltsam statisch anmutenden Modellen und Beschreibungsebenen von InnovationsprozessenEinen guten allgemeinen Überblick bietet Holger Braun-Thürmann: Innovation, Bielefeld 2005. Siehe auch Hariolf Grupp: Abriss des Stands der Innovationstheorie, in: Ders.: Messung und Erklärung des Technischen Wandels, Berlin 1997, S. 49–97.zu lösen und überdies mit Blick auf das in diesem Band adressierte Spannungsverhältnis zwischen Bürokratie und Innovation, den häufig bemühten Topos einer reformunwilligen und -fähigen Bürokratie kritisch zu hinterfragen.Nach einem kurzen Überblick über relevante medizinhistorische Perspektiven auf den Zusammenhang von Bürotechnologien und klinischer Administration Anfang des 20. Jahrhunderts soll zunächst an zwei allgemeinen Beispielen zeitgenössischer Rezeption neuer Bürotechnologien der heutzutage zumeist ex-post verwendete und häufig positiv konnotierte Begriff der Innovation kritisch beleuchtet werden. Daran anschließend sollen am Beispiel der Charité Berlin zwei übergeordnete Fragen adressiert werden. So soll erstens, danach gefragt werden, wie der Transfer neuer Bürotechnologien auf klinischer Verwaltungsebene konkret vonstatten ging, welche Akteure daran beteiligt waren und welche Technologien im besonderen Interesse standen. Darüber hinaus soll zweitens nach den bürokratischen Herausforderungen gefragt werden, die sich im Zuge der Adaption und Implementierung neuer Technologien und büroorganisatorischer Prinzipien in Verwaltungsstrukturen im Allgemeinen und klinischer Verwaltungsstrukturen im Besonderen ergaben.Dass zur Beantwortung dieser Fragen die Charité Berlin als Darstellungsgegenstand dienen soll, hat einen doppelten Hintergrund. Denn zum einen erlangte diese gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur als Zentrum naturwissenschaftlicher Medizin Weltruf, sondern gehörte nach ihrem Um- und Neubau zwischen 1897 und 1917 zu den modernsten Kliniken weltweit.Zur Geschichte der Charité allgemein vgl. Johanna Bleker / Volker Hess: Die Charité. Geschichte(n) eines Krankenhauses, Berlin 2010.In diesem Sinne spiegelt die Charité exemplarisch den Stand der Krankenhausmedizin in jener Zeit, die zugleich den Untersuchungszeitraum dieses Beitrages umfasst. Zum anderen aber unterstand die Charité als »größtes preußisches Staatskrankenhaus«Volker Hess: Wissen des Handelns. Gutachten in der Zulassung von Arzneimitteln im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts, in: Geisthövel / Hess (Hg.): Gutachten, S. 190–223. Hier S. 191.etatmäßig und weisungsgebunden der preußischen Verwaltung, genauer dem Ministerium der geistlichen, Unterrichtsund Medizinalangelegenheiten (ab 1918: Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung). Vor diesem Hintergrund, der sich im Übrigen auch im Kontext der Überlieferungssituation im positiven Sinne bemerkbar macht, lässt sich also nicht nur der interdependente Zusammenhang zwischen administrativer und klinischer Praxis nachzeichnen. Mehr noch bietet die verwaltungsstrukturelle Besonderheit der Charité zudem die Möglichkeit, den Blick auf die übergeordneten preußischen Verwaltungsebenen und deren Umgang mit den neuen Medientechnologien zu lenken. So lässt sich auf Grundlage der Akten der Charité-Direktion, die die Quellengrundlage des Beitrages bilden, der keineswegs reibungslose Prozess der Adaptierung und Implementierung am Beispiel ganz konkreter Technologien gewissermaßen in doppelter Blickrichtung nachvollziehen. Wobei sich diesbezüglich vor allem die Aktenbestände der Charité-Direktion »Die Anschaffung von Formularen, Drucksachen, Schreibutensilien, öffentlichen Blättern und Dienstsigeln«Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die Quellenangaben auf den Bestand der Charité-Direktion, Die Anschaffung von Formularen, Drucksachen, öffentlichen Blättern, Schreibutensilien, Insertionen in denselben, Führung der Dienstsiegel betreffend.betreffend als äußerst aufschlussreich erwiesen haben. Denn dabei handelt es sich um Aktenbestände, die sowohl den Blick in die Klinik als auch in die Verwaltungspraxis übergeordneter Behörden zulassen.So lassen sich am Beispiel der Charité schließlich die strukturellen und administrativen Herausforderungen, die sich aus der Übertragung und Implementierung von neuen Bürotechnologien in bestehende Ordnungssysteme ergaben, sowie die interdependenten Prozesse, in denen sich deren Innovationspotenziale manifestierten, exemplarisch verdichten. Denn Krankenhäuser wie die Charité sind nicht nur Orte der therapeutischen Behandlung und – im besten Fall – der Heilung, sondern waren und sind immer auch bürokratische Kolosse, deren Verwaltungs-, Organisations- und Kommunikationsstrukturen sich durch die allmähliche Durchsetzung innovativer Bürotechnologien und neuer Aufschreibeverfahren substanziell veränderten, wobei sich administrative, therapeutische und wissenschaftliche Dokumentationspraktiken auf besondere Weise verschränkten und gegenseitig beeinflussten.Nicht zuletzt deshalb ist die Grundannahme des vorliegenden Beitrages, dass Krankenhäuser keineswegs zufällig in genau jener Zeit zu »Modellinstitutionen« einer modernen, das heißt wissenschaftlichen und objektiven Medizin avancierten,Dazu Cornelius Borck: Medizinphilosophie zur Einführung, Hamburg 2006. Hier S. 100.die zugleich auch die Hochphase bürotechnologischer Innovationen umfasste. Innovationen, die, wie die Schreibmaschine sowie eine ganze Reihe weiterer bürotechnologischer Innovationen, etwa Kopiergeräte, Aktenstehordner, Karteisysteme oder Kohlepapier, tief in bestehende Schreib- und Verwaltungskulturen eingegriffen haben. Wobei all diese Innovationen nachfolgend als Bestandteil von Medienverbünden verstanden werden, also als Neuerungen, die ihre transformativen Effekte hin zu einer bürokratischen Moderne erst im Zusammenwirken mit jeweils korrespondierenden Technologien zu entfalten vermochten.HistoriografieAuf die Frage, welche administrativen, epistemologischen und nicht zuletzt auch sozialen Konsequenzen der Prozess des bürotechnologischen Medienwandels zwischen 1890 und 1950 auf die moderne klinische Medizin hatte und wie und aus welchen Gründen die neuen Technologien und Schreibsystematiken in den Kliniken reüssierten, hält die Medizingeschichte mehrere sich teils ergänzende, teils differierende Antworten parat. Wobei sich mindestens drei Perspektiven ausmachen lassen. So existiert erstens der Ansatz, der diese Entwicklung als Resultat eines Top-Down-Prozesses ausdeutet, in dessen Zuge sich »business techniques« im Modus von Übertragung und Anwendung von einer allgemeinen Verwaltungsebene ausgehend bis hinunter in die klinische Aktenführung verbreitet habe.Stellvertretend für die diese Perspektive vgl. Barbara Craig: Hospital Records and Record-keeping, c. 1850-c. 1950. Part 1: The Development of Records in Hospitals, in: Archivaria 29 (1989–1990), S. 57–80.Eine differenziertere und eher praxeologisch orientierte Perspektivierung bietet dagegen der Medizinhistoriker Joel D. Howell an.Joel Howell: Technology in Hospital. Transforming Patient Care in the Early Twentieth Century, Baltimore 1995.Dessen Befund eines substanziellen, nämlich 438-fachen [!] Anstiegs an verwendeten Vordrucken und Formularen in den von ihm untersuchten Kliniken, führte dieser in erster Linie auf praktische Notwendigkeiten zurück, die sich dabei aber nicht etwa aus zeitgenössischen Organisations- und Business-Theorien speisten, sondern der Professionalisierung, medizinischen Spezialisierung und nicht zuletzt einer (medizin-)technologischen Modernisierung der Krankenhäuser entsprungen seien. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie ein eher lineares Bild von Innovations- und Technologietransfers zeichnen, das auch dadurch entsteht, als diese nur unzureichend die Bedeutung sozialer Aushandlungsprozesse im Kontext medientechnologischen Wandels berücksichtigen. Dass es sich hierbei um einen kaum zu unterschätzenden Aspekt handelt, ohne den sich dieser Wandel nicht hinreichend beleuchten lässt, deutet eine dritte Perspektive an. Mit Fokus, insbesondere auf den anglo-amerikanischen Raum, führt diese das Argument einer »professionspolitischen Allianz«Volker Hess: Formalisierte Beobachtung. Die Genese der modernen Krankenakte am Beispiel der Berliner und Pariser Medizin (1725–1830), in: Medizinhistorisches Journal 45, 3/4 (2010), S. 293–340. Hier S. 298.ins Feld, die sich etwa um 1920 zwischen Ärzteschaft und deren Forderung nach Vereinheitlichung klinischer Aufschreibeformate (bspw. Krankenjournale) und dem zumeist nicht medizinisch geschulten Personal auf Verwaltungsebene aufgespannt habe.So etwa Stefan Timmermanns / Marc Berg: The Gold Standard. The challenge of Evidence-Based Medicine and standardization in health care, Philadelphia 2003. Insbesondere Kapitel 1: The Emergence of the Paper-Based Patient Record, S. 30–54.Demnach sei die Forderung unter anderem nach formaler Vereinheitlichung klinischer Dokumentation aus der Ärzteschaft, insbesondere der Chirurgie selbst, gekommen und schließlich von den Krankenhausverwaltungen dankend aufgenommen worden. Allerdings lassen sich solche Befunde mit Blick auf die unterschiedlichen und zumeist privatwirtschaftlichen Trägerschaften US-amerikanischer Kliniken sowie deren anders gelagerte Verwaltungstraditionen »nicht ohne weiteres auf den kontinentaleuropäischen Raum übertragen«, wie der Berliner Medizinhistoriker Volker Hess zu bedenken gibt.Hess: Beobachtung, S. 298.Mit Blick auf die Charité ergibt sich insofern ein anderes Bild, als Formalisierungstendenzen nicht nur in Bezug zur klinischen Dokumentation eher zu substanziellen Spannungsverhältnissen zwischen Verwaltung und Ärzteschaft geführt haben.Eric J. Engstrom / Volker Hess (Hg.): Zwischen Wissensund Verwaltungsökonomie. Zur Geschichte des Berliner Charité-Krankenhauses im 19. Jahrhundert. (Jahrbuch für Universitätsgeschichte, Bd. 3), Stuttgart 2000.Wobei diese Spannungs- und Konfliktfelder in erster Linie der verwaltungspraktischen Besonderheit der administrativen Doppelung von ärztlicher und allgemeiner Verwaltungsdirektion entsprangen, wie sie nicht nur der Charité, sondern im Grunde den meisten (deutschen) Krankenhäusern bis heute zu eigen ist. Die spannungsreiche Differenz dieser beiden Verwaltungsebenen ergibt sich dabei aus deren unterschiedlichen Rationalitäten, wie die Medizinhistoriker Eric Engstrom und Volker Hess betonen, wobei sie zwischen der Ebene einer Wissensökonomie, also »jene[m] Repertoire an Argumenten, Strategien, administrativen Strukturen, finanziellen Instrumenten und materiellen Werkzeugen, das die akademischen Ärzte mobilisierten und einsetzten, um die Produktion klinischen Wissens und seine Verteilung [...] möglichst effizient und reibungslos zu organisieren« und der Ebene einer Verwaltungsökonomie unterschieden, die jene Maßnahmen umfasst, »die in den Augen der Verwaltung eine effiziente und rationale Krankenhausadministration bezweckten.«Engstrom / Hess: Zwischen Wissens- und Verwaltungsökonomie, S. 8.Einen ähnlichen Tenor schlägt der Medizinsoziologe Bryan S. Turner an, der diese administrative Doppelung als ein »dual system of authority«Bryan S. Turner: Medical Power and Social Knowledge, London 1987. Hier S. 160.bezeichnete, das es erfordere, Krankenhäuser grundsätzlich als Institutionen »verhandelter Ordnung« (negotiated order) zu betrachten, in denen die Umsetzung von effizient organisierter Verwaltungspraxis immer auch durch die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Berufsgruppen sowie der Gleichzeitigkeit von formellen und informellen Kommunikationsstrukturen geprägt ist.Turner: Medical Power, S. 160–162.Mit Blick auf die Verbreitungswege von Bürotechnologien in die deutschen Verwaltungen im Allgemeinen und in Krankenhausadministrationen im Besondern ist es also keineswegs damit getan, allein auf bürokratische Rationalitäten im Kontext neuer bürotechnischer Organisationsdispositive zu schauen, sondern diesen Innovationsprozess als »wide-ranging and multifaceted social activity«Andrew Jamison: Technology's Theorists: Conceptions of Innovation in Relation to Science and technology Policy, in: Technology and Culture 30, 3 (1989), S. 505–533. Hier S. 505.zu verstehen. Dementsprechend zeitigte gerade der medientechnologische Wandlungsprozess in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weitaus tiefere soziale, administrative und wissensökonomische Konsequenzen, als sich mit bloßem Blick auf technologische Innovationspotenziale fassen lassen. Denn durch das Eindringen des »mechanischen Prinzips«Wilhelm Rohr: Das Aktenwesen der preußischen Regierungen, in: Archivalische Zeitschrift 45 (1939), S. 52–63. Hier S. 55., beispielsweise in das (preußische) Aktenwesen, verändert sich mit der Organisationsauch die Sozialstruktur von Verwaltung, verschieben sich potenziell konfliktträchtig Deutungs- und Entscheidungshoheiten über Ausformung und Gang von Verwaltungsprozessen.Trotz aller Unterschiedlichkeit ist es das große Verdienst der hier nur sehr schematisch angedeuteten medizinhistorischen Ansätze auf die technischen und materialen Bedingungen sowie Folgen des Wandels von (Auf-)Schreibkulturen sowohl im Kontext klinischen als auch administrativen Handelns hingewiesen zu haben. Nicht zuletzt durch eine methodische Fixierung auf die moderne Krankenakte, als prägende klinische Aufschreibesystematik, konnten diese Studien den engen Zusammenhang zwischen krankenhausmedizinischem Wandel Anfang des 20. Jahrhunderts, der sich verkürzt auf die Formel »from care to cure«Spätestens im 19. Jahrhundert entwickelten sich Hospitäler, wie etwa die Charité in Berlin, von reinen Versorgungsanstalten und Sozialasylen zu Krankenhäusern im modernen Sinne, insofern nun einzig die medizinische Behandlungsbedürftigkeit sowie die Aussicht auf Heilung als Aufnahmekriterien berücksichtigt wurden. Vgl. dazu etwa Volker Hess: Fieberbehandlung und klinische Wissenschaft (1829–1850), in: Johanna Bleker / Volker Hess (Hg.): Die Charité. Geschichte(n) eines Krankenhauses. Berlin 2010, S. 70–98. Für einen allgemeinen Übersicht nach wie vor empfehlenswert Alfons Labisch / Reinhard Spree (Hg.): »Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett«. Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1996.bringen lässt, der substanziellen Ausweitung von labor- und medizintechnologisch abgestützten Diagnosetechniken sowie ärztlichen Dokumentationspraktiken und klinischem Verwaltungshandeln verdeutlichen. Auf der anderen Seite allerdings bleiben diese Ansätze gerade aufgrund dieser spezifischen Fokussierung weitestgehend einer klinischen Binnenperspektive verhaftet, wodurch Formen externen Formalisierungsund Modernisierungsdrucks, der sich nicht zuletzt aus den Rationalisierungsdiskursen der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts speiste, weitestgehend ausgeblendet werden. Dementsprechend bleiben die konkreten Prozesse, die sich hinter den Begriffen von Übertragung und Adaption von »business techniques« verbergen, zumindest aus medizin- und wissenschaftshistorischer Sicht häufig unterbelichtet.Im Kontext innovationstheoretischer Erwägung wiederum werden zur Beschreibung von Verbreitungsprozessen technologischer Innovationen häufig Diffusionsmodelle bemüht.Das Bekannteste sicherlich Everett Rogers: Diffusion of Innovation, New York 2003.Problematisch an diesen Modellen ist allerdings, dass sie entweder einer »commercial bias«So etwa Jamison: Technology's Theorists, S. 505.unterliegen, also Innovationen am wirtschaftlichen Erfolg und somit an Faktoren wie Marktdurchdringung, Kostenminimierung und/oder Gewinnmaximierung bemessen, oder aber von einem sogenannten »Innovationspositivismus«Zur kritischen Auseinandersetzung mit solchen Diffusionsmodellen siehe Veronika Karnowski: Diffusionstheorien. Baden-Baden 20172. Insbesondere S. 73–77.getragen sind, der dabei häufig mit einem nicht nur aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive problematischen Fortschrittsbegriff in Verbindung steht.Etwa bei Roland Bantle: Determinanten der Innovation und Diffusion des medizinisch-technischen Fortschritts, Bayreuth 1996.Gegen solcherlei Verkürzungen von Innovationsprozessen hat es in der Vergangenheit allerdings auch Kritik gegeben, die unter anderem in dem Befund mündete, dass Innovation als Begriff keine Beschränkung auf rein ökonomische oder gar betriebswirtschaftliche Aspekte beinhaltet. Innovation ist somit als allgemeines Phänomen zu begreifen, welches zwar sehr wohl grob in soziale Innovation (Neuerungen im Bereich der Sozialstruktur bzw. Kultur einer Gesellschaft) und technologisch-ökonomische Innovation (Prozess- oder Produktinnovationen) unterteilt werden kann; eine allzu rigide Abgrenzung dieser beiden Begriffsverwendungen macht jedoch angesichts der engen Verwobenheit von Gesellschaft, Technologie und Ökonomie nur auf rein analytischer Ebene Sinn.Marian Adolf: Die Kultur der Innovation. Eine Herausforderung des Innovationsbegriffes als Form gesellschaftlichen Wissens, in: Reto Hilty M. / Thomas Jeager / Matthias Lamping (Hg.): Herausforderung Innovation. Eine interdisziplinäre Debatte, Berlin 2012, S. 25–43.Ganz in diesem Sinne soll auf den nachfolgenden Seiten der Versuch unternommen werden, die Übertragungswege neuer Bürotechnologien wie der Schreibmaschine und der sie begleitenden Ordnungssystematiken in einen breiteren Kontext einzubetten und neben den technologischen und administrativen Bedingungen und Herausforderungen auch die an diesem Prozess beteiligten Akteursgruppen und deren Interessen genauer in den Blick zu nehmen. Wobei sich das Interesse des Beitrags, gewissermaßen komplementär zur bestehenden Historiografie,Exemplarisch verwiesen sei hier nochmals auf Engstrom / Hess: Zwischen Wissens- und Verwaltungsökonomieweniger auf die internen Verwaltungsprozesse und Organisationsstrukturen der Charité, sondern eher auf jene externen Faktoren richten wird, von denen ein nicht unerheblicher Modernisierungsdruck auf die Charité-Administration ausging.InnovationAuf die Frage, inwieweit Bürotechnologien im Allgemeinen und die Schreibmaschine im Besonderen als Innovationen zu bewerten seien, hätte Otto Burghagen (1855–1906)Zur Person Otto Burghagen vgl. Martin Reese: Der Burghagen Verlag, in: Historische Bürowelt 93 (2013), S. 9–19.als »Lehrer des Maschinenschreibens an der Handels-Akademie in Hamburg« sicherlich mit Unverständnis reagiert. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass vor allem die Schreibmaschine als eine der größten Erfindungen der Neuzeit zu gelten habe, die in verhältnismäßig kurzer Zeit »revolutionierend [...] eine neue Ordnung der Dinge [...] überall da heraufgeführt [hat], wo bislang die Feder die unbestrittene Alleinherrschaft führte.«Otto Burghagen: Die Schreibmaschine. Ein praktisches Handbuch enthaltend alles Wissenswerte für Lernende wie für Maschinenschreiber, Hamburg 1898. Hier S. 1.Also praktisch überall dort, wo geschrieben wurde – in den Kontoren, Kanzleien, Schreibstuben, Registraturen, Büros und nicht zuletzt – oder vielleicht sogar zuvörderst – an den literarischen Schreibtischen. Und während Marc Twain 1874 mit »Tom Saywer« das vermutlich erste Typoskript der Literaturgeschichte schuf,Und – so die Legende – seinen Verlag darum bat, diesen Umstand doch bitte nicht weiter zu erwähnen, da sich niemand mehr für sein Buch interessierte, sondern ihn vor allem mit Fragen zu seiner Remington Schreibmaschine bestürmten. Vgl. Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, Hier S. 285. Siehe auch Catherine Violett: Mechanisches Schreiben, Tippräume. Einige Vorbedingungen für eine Semiologie des Typoskripts, in: Davide Giuriato / Martin Stingelin / Sandro Zanetti (Hg.): »SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN«, Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte, München 2005, S. 21–48.Friedrich Nietzsche einige Jahre später über seine »Malling-Hansen« SchreibkugelZur Geschichte der »Malling-Hansen« vgl. etwa Martin Ernst: Die Schreibmaschine und ihre Entwicklungsgeschichte, Aachen 1949.gebeugt einsiedlerisch über die physiologischen Zusammenhänge maschinellen Schreibens und poetologischen und philosophischen Denkens sinnierte,Im Kontext von Medientheorie und Kulturwissenschaften ist der Briefwechsel zwischen Heinrich Köselitz (alias Peter Gast) und Friedrich Nietzsche aus dem Jahr 1882 in die Geschichte eingegangen. In diesem lässt sich der berühmt gewordene Satz Nietzsches finden, in dem er bekundet: »SIE HABEN RECHT – UNSER SCHREIBZEUG ARBEITET MIT AN UNSEREN GEDANKEN.« Nach Dafürhalten des Philosophen Stephan Günzel, handele es sich dabei um die »erste Explizitmachung der Abhängigkeit des Denkens vom Medium seiner Artikulation« Vgl. Stephan Günzel: Nietzsches Schreibmaschinentexte, Weimar 2003. Der besagte Briefwechsel ist dokumentiert in: Friedrich Nietzsche: Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Giorgo Colli / Mazzino Montinari. Abteilung 3, Band 2. Briefe an Friedrich Nietzsche. Januar 1880 – Dezember 1884, Berlin 1981. Hier S. 229.veränderten sich in den Geschäftsschreibstuben der Wirtschaft – eher profan – die Formen der Ablagesystematiken. Denn die Schreibmaschine entfaltetet ihr revolutionäres Potenzial nicht zuletzt durch die Kombination mit weiteren fundamentalen medientechnischen Neuerungen, wie Kohlepapier, Kopiergeräten, Karteikästen oder etwa dem Stehordner, dessen Entwicklung von ähnlicher Bedeutung für die bürokratische Moderne gewesen sei, »wie die Einführung von Pflug und Steigbügel für das Mittelalter.«Cornelia Vismann: Akten. Medientechnik und Recht, Frankfurt am Main 2000. Hier S. 276f.Im Gegensatz zu den bis dahin vorherrschenden gebundenen Geschäftsbüchern – ob nun in Handelshäusern oder als Stationsjournale in Krankenhäusern – ermöglichte dieser nunmehr eine variable Form der Papierbündelung (loose files) und stellte somit der materialen/papiernen Vereinzelung des maschinellen Schreibens die entsprechende (An-)Ordnungslogik zur Seite. Kein Zweifel: Die Bürotechnologien, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts allmählich in Wirtschaft und – aus noch zu erläuternden Gründen – mit einiger Verspätung auch in staatlichen Verwaltungsapparaten ihre Verbreitung fanden, sind zweifelsohne als Innovationen zu bewerten. Auch angesichts der historiografischen Eindeutigkeit – ob nun aus medien-,Die medienhistorischen Zugänge zu Bürotechnologien Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen sich durchaus disparat und lassen sich nochmals in vielfältige Gegenstandsbereiche ausdifferenzieren. Etwa in Epistemologien mechanischen Schreibens und Medienarchäologie vgl. Knut Ebeling: Wilde Archäologien 1. Theorien materialer Kultur von Kant bis Kittler, Berlin 2012. Oder klassisch Friedrich Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900, München 2003. Zum Verhältnis von Medientechnik und Recht siehe Vismann: Akten. Und schließlich Medientechniken und Archiv, so etwa bei Markus Krajewski: Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geist der Bibliothek, Berlin 2017.wissenschafts-Hierbei vor allem im Kontext von Rationalisierungsdiskursen und dem Aufkommen neuer Organisationstheorien im Zuge des »scientific managemets« Anfang des 20. Jahrhunderts. Vgl. etwa Ursula Nienhaus: Rationalisierung und »Amerikanismus« in Büros der zwanziger Jahre, in: Alf Lüdtke / Inge Marßolek / Adelheid von Saldern: Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1996, S. 67–77. Auch Christine Schnaithmann: Das Schreibtischproblem. Amerikanische Büroorganisation um 1920, in: Lars Bluma / Karsten Uhl (Hg.): Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2012, S. 323–360. Im Kontext von Physiologie und Biopolitik(en) innerhalb der Arbeitsorganisation siehe Philipp Sarasin: Die Rationalisierung des Körpers. Über »Scientific Management« und biologische Rationalisierung, in: Ders.: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt am Main 2003, S. 61–99. Ebenso Anson Rabinbach: The Human Motor. Energy, Fatigue, and the Origins of Modernity, (University of California Press) 1992.oder sozialhistorischerMit der Gruppe der »Angestellten« entstand in der bürokratischen Moderne nicht nur eine neue, »zwischen allen Klassen« stehende soziale Schicht, sondern auch eine neue literarische Figur, wie das unter anderem in der Weimarer Republik weitverbreitete Genre der sogenannten »Angestelltenliteratur« verdeutlicht. Vgl. dazu Christa Jordan: Zwischen Zerstreuung und Berauschung. Die Angestellten in der Prosa am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1988, S. 118–131. Siehe auch Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt am Main 2001, S. 28–35.Perspektive – mit der die Folgen der medientechnologischen Neuerungen Anfang des 20. Jahrhunderts bislang bedacht wurden, kann angesichts der sich darin spiegelnden ubiquitären gesellschaftlichen Durchdringung am innovativen Potenzial dieser eigentlich kaum Zweifel bestehen.Andererseits lassen sich mit Blick auf die zeitgenössische Perzeption gelegentlich Ungereimtheiten erkennen, die diese wohlbekannten historiografischen Narrative zwar nicht grundsätzlich infrage stellen, aber doch in ihrer Eindeutigkeit herausfordern. Etwa wenn Martin Heidegger (1889–1976) die zur Ikone der bürokratischen Moderne geronnene Schreibmaschine als »unscheinbares Gerät« tituliert, dass »fast alltäglich und daher unbemerkt« Weltgeschichte gemacht habe.Martin Heidegger: Parmenides. Freiburger Vorlesung Wintersemester 1942/43, hg. von Martin S. Frings, Frankfurt am Main 1982. Hier S. 126f.Die von Heidegger konstatierte Unscheinbarkeit kontrastiert dabei auf bemerkenswerte Weise die Sicht Burghagens, für den das emsige Klappern und Hämmern [von] Metalltypen schon lange kein ungewohnter Klang mehr [ist]« und dass »gewiss wohl jeder schon selbst wahrgenommen haben [wird], wie rapide in den letzten Jahren die Zahl der einlaufenden Briefschaften mit Maschinenschrift zugenommen haben.Burghagen: Schreibmaschine, S. 2.Zugleich mischen sich aber auch in Burghagens uneingeschränkte Bejahung und Begeisterung für die neue Medientechnologie ernüchterte Zwischentöne, wenn dieser mit bewunderndem und sehnsüchtigem Blick nach Amerika und dem sich dort allmählich abzeichnenden »efficiency craze«Zum Rationalisierungshype in den USA Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts siehe etwa Bruce Kyle / Chris Nyland: Scientific Management, Institutionalism, and Business Stabilization: 1903–1923, in: Journal of Economic Issues 35, 4 (2001), S. 955–978. Ebenso JoAnne Yates: Control through Communication. The Rise of System in American Management, (Johns Hopkins University Press) Baltimore 1989. Schließlich Alfred Dupont Chandler: The Visible Hand: The Managerial Revolution in American Business. o.O., 1977. Dazu, welche Faszination die Rationalisierung der amerikanischen Gesellschaft in Deutschland hervorrief vgl. Michael Bienert: Reisen in die Zukunft. Die USA-Besuche des Berliner Magistrats 1929. (Ernst-Reuter-Hefte, Bd. 4) Berlin 2014.sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass die »Einführung der Schreibmaschine in Deutschland nicht so rasche Fortschritte mache«, da im Gegensatz zum rastlos thätigen Erfindungsgeist der Amerikaner [...] der Europäer ziemlich langsam in der Acceptierung neuer Sachen [ist], wie nützlich sich dieselben auch für jedermann erweisen mögen.Burghagen: Schreibmaschine, S. 2.Transition und widerständige AkzeptanzNun blieben Burghagen aber keineswegs die Ursachen dieser anfangs eher zögerlichen Adaption in Europa und Deutschland verborgen. Ein erster Punkt war der relativ hohe Beschaffungspreis einer Schreibmaschine. Zudem erforderte die Anschaffung einer solchen angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Systeme – Ende des 19. Jahrhunderts waren bereits mehr als 600 Schreibmaschinentypen patentiertZumindest laut Burghaben: Schreibmaschine, S. 2.– »ein eben solches Mass von Vorsicht, wie der Kauf eines Pferdes«, wie Burghagen bekundete.Burghaben: Schreibmaschine, S. 7.Im Gegensatz zum Pferdekauf aber, für den man zum Zwecke der vergleichenden Beschau den nächstgelegenen Pferdemarkt ansteuern konnte, existierten für Schreibmaschinen zunächst kaum vergleichbaren Strukturen. So gab es weder die Möglichkeit vor dem Kauf mehrere Systeme erst einmal zu testen noch existierten darüber hinaus entsprechende Servicestrukturen zur Wartung und Reparatur der in der Anfangsphase noch vergleichsweise fehleranfälligen Schreibapparate, deren »kleinen versteckten Bosheiten [...], die nur eines geringen Anstoßes bedürfen, um zum Vorschein zu kommen [...] man ohne erfahrenen Berater hülflos gegenüber« stünde, so Burghagen.Burghaben: Schreibmaschine, S. 7.Und schließlich mangelte es zunächst nicht nur an adäquaten Vertriebs- und Servicestrukturen, sondern schlicht und ergreifend an hinreichend ausgebildetem Personal zur korrekten Verwendung einer Schreibmaschine, deren Potenziale zur Arbeits- und Zeitersparnis in den »Händen ungeschickter oder gar ungebildeter Leute«Burghaben: Schreibmaschine, S. 4.nachgerade in ihre Gegenteil verkehrt zu werden drohten.Ähnliches ließ sich andernorts in Bezug zu Karteikartensystemen vernehmen. So gebe es kaum ein Werkzeug, warnte etwa Wilhelm Dux 1922 in seiner Schrift »Die Kartei des Kaufmanns«, »das in der Hand eines ungeschickten Benutzers so wertlos ist, wie gerade die Kartei.«Wilhelm Dux: Die Kartei des Kaufmanns, Stuttgart 1922, S. 6.Hinter diesen Einlassungen verbirgt sich eine Paradoxie bürotechnologischer Rationalisierung von Verwaltung, die zwar das Schreiben mechanisiert, aber ganz im Sinne der tayloristischen Logik von Arbeitsteiligkeit zugleich ein Mehr an Personal neuen Typs benötigte. Nämlich dem angestellten Büroarbeiter, vor allem aber der Büroarbeiterin, ausgebildet im Schreibemaschineschreiben und Kurzschrift, in Formularwesen und Ablagesystematik, zuständig zumeist für die Bearbeitung eines spezifischen Vorgangs im Räderwerk einer übergeordneten Verwaltungsmaschinerie.Vgl. bspw. Krajewski: Zettelwirtschaft, S. 152–155.In dem Maße also, indem sich mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert »das Organisationsdispositiv allmählich von einem verwaltungspraktischen zu einem bürotechnischen«Vismann: Akten, S. 267.wandelte, lösten sich zugleich die überkommenden sozialen Strukturen von Verwaltungsordnung auf. Auch dieser Umstand spiegelt sich in den Warnungen vor allzu schnell wechselnden und/oder nur unzureichend ausgebildetem Personal wider, das nach Ansicht des Archivars Wilhelm Rohrs zudem »die einst von den preußischen Registratoren [...] so fein geübte Kunst [der] systematische[n] Ordnung des Schreibwerks nach Sachbetreffen« verpfusche.Rohr: Aktenwesen, S. 55.Derlei Monita von Vertretern einer nun obsolet gewordenen und bislang ausschließlich männlich geprägten administrativen SchriftkulturVgl. etwa Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Insbesondere S. 273–278.ließen sich allenthalben vernehmen in denen aber neben einem Bedauern durchaus auch das Bewusstsein um deren Unwiederbringlichkeit zum Ausdruck kam. So formulierte Wilhelm Rohr mit Blick auf die sogenannte Büroreform, also dem Rationalisierungsversuch der öffentlichen Verwaltung im Verlaufe der 1920er-Jahre, dass man in dieser nicht ausschließlich den Einbruch traditionsfeindlicher, behördenfremder Bestrebungen, die ein gutes, solides System störten und zu Fall brachten« zu sehen habe, sondern dass sich »dieses System selbst [...] den Ansprüchen eines von Grund aus gewandelten Zeitalters nicht mehr gewachsen gezeigt und zuletzt sich totgelaufen [hatte].Rohr: Aktenwesen, S. 56.In Rohrs Deutung hatte demnach das Schreiben mit der Hand in Behördenkanzleien längst vor der Ankunft der neuen Schreib- und Bürotechnologien »seine Kultur eingebüßt« und erst dadurch dem »mechanischem Prinzip« einen Angriffspunkt geboten, um an »entscheidende[r] Stelle [...] in das Aktenwesen [einzudringen]« und damit ein unumkehrbarer Prozess einsetzte, in dessen Verlauf sich jenes bürotechnische Prinzip »zuerst inmitten der noch fortbestehenden alten Formen wie etwas Fremdes [...] ausnimmt, dann aber bald auch sie zu ersetzen oder zu beherrschen trachtet.«Rohr: Aktenwesen, S. 55.Es sei vor allem die Massenhaftigkeit des modernen Schreibwerks, die die alten Formen sprenge und diese illusorisch mache. So raube die bereits im 19. Jahrhundert überhandnehmende Vervielfältigung von Schriftstücken, erst recht dann die Verwendung der Schreibmaschine, die immer stärkere Durchsetzung mit Formularen, Umdrucken, Drucken aller Art [...] dem Akteninhalt den Wert der Einmaligkeit, der ihm früher anhaftete.Rohr, Aktenwesen, S. 54f.Und nicht zuletzt durch den allmählichen Wegfall der »feineren Hilfsmittel unserer alten Registratoren, die Führung der Rotuli in den Aktenstücken, die Auszeichnung der einzelnen Vorgänge, die Herstellung alphabetischer Sach- und Namensweiser« entstünden, so Rohr weiter, Spezialregistraturen von »gewaltigen Ausmaßen, aber mit engem sachlichen Radius«, wobei man die »Berge unbedeutenden Schreibwerks« nachgerade unbeholfen weiterhin »nach hergebrachter Weise treulich« hefte und schließlich erfolglos Herr zu werden versuche.Rohr: Aktenwesen, S. 55.Aus innovationsgeschichtlicher Perspektive sind die Beschreibungen Wilhelm Rohrs auch deshalb aufschlussreich, als er mit seinem Verweis des Nebeneinanders von alten und neuen Formen administrativen Handelns nicht nur die sich daraus ergebenen sozialen Spannungs- und Konfliktfelder, sondern zugleich die administrativen Dysfunktionalitäten verdeutlicht. Hierin liegt dann auch der eigentliche historiografische Gehalt der Gegenüberstellung zum einen der Begeisterung des Maschinenschreiblehrers Burghagens, zum anderen der in Anerkennung des Unausweichlichen mündenden Kritik Rohrs und schließlich des Bonmots der Schreibmaschine als »unscheinbarem Ding« des Existenzialisten Heidegger. Und zwar insofern, als deren jeweilige Auseinandersetzung mit den bürotechnologischen Neuerungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Wesentlichen den Beginn, Verlauf und Ende jenes Innovationsprozesses markieren, in dessen Zuge die Schreibmaschine und die sie begleitenden Medientechnologien Verwaltungen und Gesellschaft sukzessive durchdrungen haben. Wobei gerade das hier zu Tage tretende Spannungsverhältnis zwischen der Faszination (oder eben auch Ablehnung) des Neuen und der Unscheinbarkeit des Alltäglichen geeignet scheint, den historisierenden Blick auf Innovationsprozesse zu schärfen, da sich hierüber ein grundlegendes Problem nicht nur innovationsgeschichtlicher Perspektiven adressieren lässt. Nämlich das einer allzu präsentistischen Ausdeutung jener technologischen und/oder administrativen Neuerungen, die im Zuge ihrer breiten Durchsetzung derart zum Selbstverständlichen geworden sind, dass diese auch in der historischen Retrospektive die Gefahr bergen, gewissermaßen als self-evident wahrgenommen zu werden. Dass also ex-post die Bedeutung der Erfindung einer Technologie überbewertet und die Schwierigkeiten, Störungen, Dysfunktionalitäten und Widerstände im Prozess ihrer Implementierung, wenn überhaupt, dann weit weniger Berücksichtigung finden und somit zu historiografischen Fehldeutungen führen können. So etwa mit Blick auf das Verhältnis von Bürokratie und Innovation, das der vorliegende Band mit seinen Beiträgen unter anderem zu adressieren beabsichtigt und dem populären Topos einer reformunwilligen und reformunfähigen Bürokratie, die sich mit aller Beharrungskraft, »ideologischen Bekenntnissen gleich« überkommenden Ordnungsregimen, wie »badischer Knoten oder der preußischen Heftung«Vismann: Akten, S. 282.bürotechnologischen Neuerungen entgegenstellt. Aber die verspätete Ankunft solcher, beispielsweise in der preußischen Bürokratie, allein als traditionsversessene Widerständigkeit gegenüber dem Neuen verstehen zu wollen, mag angesichts der eben beschriebenen Schwierigkeiten ein allzu harsches Urteil sein. Denn die allenthalben kolportierte »Vereinfachung des Bureaudienstes«,Burghagen: Schreibmaschine, S. 1.der in Aussicht gestellte Zeitgewinn und die Geldersparnis durch die Verwendung neuer Bürotechnologien, war aus Sicht einer noch weitestgehend funktionalen Verwaltung wie der preußischen keineswegs evident. Mögen den einzelnen Administratoren oder Beamten die Vorteile von Schreibmaschine & Co durchaus unmittelbar eingeleuchtet haben, so waren die organisatorischen, materiellen, personellen und juridischen Herausforderungen im Maßstab einer staatlichen Verwaltung wie der preußischen immens. Denn die Einführung neuer Medientechnologien und damit verbundener Ordnungsprinzipien bedeutete paradoxerweise erstmal eines – noch mehr Bürokratie!Transfer – Aneignung – RegulierungDas galt nicht zuletzt auch für die Verwaltungen von Krankenhäusern. Geht man davon aus, dass sich die Verbreitung von Bürotechnologien in Kliniken weder über einfache Übertragung von »business techniques« noch über deren Adaption und Einführung aus den Zwängen klinischer Praxis heraus hinreichend erklären lässt, stellt sich die Frage, wie genau, durch wen, auf welchen Wegen und aufgrund welcher Umstände Bürotechnologien ihren Weg in die Kliniken fanden. Wenn man vor dem Hintergrund dieser Frage die klinische Binnenperspektive verlässt, wird deutlich, dass sich eine ganze Reihe externer Faktoren und Akteure identifizieren lassen, die einen erheblichen Modernisierungsdruck auf Kliniken wie die Charité ausübten – auch und vor allem im Kontext der (materialen) Modernisierung ihrer Verwaltungsstrukturen. So spielten erstens Versicherungsanstalten und Genossenschaften im Kontext medizinischer Begutachtungspraktiken eine wesentliche Rolle bei der Etablierung neuer Bürotechnologien und der Realisierung formalisierter Aufschreibepraktiken. In diesem Zusammenhang, werden zweitens zudem Fragen der Beschaffung zentral, wobei einer kaum überschaubaren Produktvielfalt auf dem Bürobedarfmarktes ein Mangel an Erfahrung im Umgang und den technischen Spezifika der neuen Technologien gegenüberstand, der eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Klinikverwaltungen darstellte. Wodurch den Herstellern und deren Vertriebspartnern als weiterer Akteursgruppe eine entscheidende, wenn naturgemäß auch nicht ganz uneigennützige Vermittlerrolle zukam, die diese auch deshalb einnehmen konnten, weil erst mit Beginn der 1930er zentrale Beschaffungsstrukturen etabliert wurden. In diesen vergleichsweise späten Zentralisierungsbemühungen spiegelt sich drittens das Problem einer nur schleppend verlaufenden Regulierung und Bestimmung der zu verwendenden Büromaterialien und -systeme durch übergeordnete Behörden, die aber häufig nur auf Probleme und Fragen reagierten, die der praktischen Anwendung selbst entsprangen. Was in der Konsequenz zu einer Verwaltungen übergreifenden materialen Heterogenität führte, die dem eigentlichen Ziel der bürokratischen Rationalisierung und Vereinheitlichung entgegenstand. Es sind diese drei Aspekte und die mit diesen verbundenen Spannungsfelder, die nachfolgend genauer beleuchtet werden sollen, um die ganz praktischen Herausforderungen, denen sich die Charité-Verwaltung gegenübersah, genauer zu konturieren.Genossenschaften und VersicherungsanstaltenNicht erst im Zuge sozialstaatlicher Verdichtung umfassten gutachterliche Tätigkeiten einen Teil des medizinischen und klinischen Aufgabenspektrums. Zumeist von Kassen oder Genossenschaften als entsprechende Kostenträger in Auftrag gegeben, transportierten Gutachten als spezifische Kommunikationsform handlungsanleitendes Wissens im Kontext der Überprüfung von Ansprüchen zur Kostenübernahme von Behandlungen oder der Gewährung von Rentenzahlungen.Zur Geschichte und Vielfältigkeit medizinischer Gutachten vgl. Geisthövel / Hess (Hg.): Gutachten.Zugleich aber verbanden medizinische Gutachten in ihrer Funktion als kommunikative Schnittstelle zwischen Klinik und Versicherungen zwei Teilsysteme, denen eine jeweils spezifische Funktionslogik zugrunde lag, was in der Folge zu einem beständigen Spannungsverhältnis zwischen beiden Bereichen führte. So trafen ökonomische Versicherungs- und Verwaltungslogik auf der einen, auf ärztliches Ethos und der Verpflichtung zu Methoden der wissenschaftlichen Objektivität, die sich nicht zuletzt auf apparative Diagnosetechnologien stütze, auf der anderen Seite. An einem Beispiel aus der Charité lässt sich dieses grundsätzliche Problem verdeutlichen.So erging 1902 an den Geheimen Medizinalrat Professor Dr. Köhler an der chirurgischen Abteilung der Berliner Charité der Auftrag für die Königliche Eisenbahn-Direktion in Berlin ein Unfallgutachten von Arbeiter Hermann S. anzufertigen. Für die im Zuge des Gutachtens angefertigten zwei Röntgenaufnahmen verlangte die Charité 24 Mark. Eine enorme Summe für ein einzelnes Gutachten, die in der Folge zu Klärungsbedarf zwischen der Charité und dem Kostenträger führte. Zur Klärung des Sachverhalts erbat man sich diesbezüglich eine Stellungnahme des Medizinalrats, der daraufhin folgende Aufstellung der Kosten mitteilte:Für die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen und für die Herstellung von Röntgenbildern [...] kann man im Durchschnitt [annehmen], dass die Herstellung und Entwicklung zweier Platten (nur ganz ausnahmsweise genügt eine Platte für die Diagnose) 2 Stunden, die Herstellung einer Kopie 1 Stunde erfordern; dazu ist die Tätigkeit und Mitwirkung eines Ober- oder Unterarztes und einer Schwester, sowie die Hülfe mehrerer Wärter und Wärterinnen nötig. [...] Dieser Aufwand [...] ist [...] mit 3 Mark pro Aufnahme [...] zu berechnen. Dazu kommen dann die wirklichen Unkosten; die Kosten des Materials, der Platten, der Röhren, der Neben-Apparate; die Verzinsung der ganzen Anlage, die Abnutzung der einzelnen Teile.Schreiben vom 6. Januar 1903 (Abschrift), Humboldt-Universität Berlin (HU), Universitätsarchiv (UA), Charité-Direktion Nr. 1239, Ausstellung von ärztlichen Attesten und Gutachten über Kranke in der Charité, 1828–1929, Bl. 167. [Hervorhebung im Original]Ganz abgesehen davon, dass es angesichts des hier dargelegten enormen personellen und materiellen Aufwandes einer Röntgenaufnahme kaum verwundern kann, dass solche innovativen bildgebenden Diagnoseverfahren Anfang des 20. Jahrhunderts noch keineswegs zur klinischen Routine gehörten, deutet dieses Beispiel ein Konfliktfeld zwischen der Charité und den Versicherungen und Genossenschaften an, das schließlich in einem von Seiten der Kostenträger angestoßenen Formalisierungsprozess gutachterlicher Praxis mündete, der sowohl die apparative als auch formelle, das heißt schriftliche Verfahrensweise umfasste und dem sich die Charité kaum entziehen konnte. Beispielhaft dafür ist ein Schreiben der Ziegelei-Berufsgenossenschaft, das am 18. April 1911 an die Charité-Direktion erging.Von unserem Genossenschaftsvorstand sind für sämtliche Sektionen unserer Genossenschaft gleichlautende Formulare zu Arztgutachten eingeführt und einheitlich vorgeschrieben worden. Wir übersenden Ihnen beifolgend einer Anzahl dieser Formulare zum Gebrauch bei Begutachtungen von uns Ihnen überwiesener Unfallverletzter mit der Bitte, für uns bestimmte Gutachten fortan gefl. ausnahmslos auf diesem Formular – und zwar entweder mit Kopiertinte geschrieben, oder in doppelter Ausführung – auszufertigen [...]. Gleichzeitig benachrichtigen wir Sie ergebenst, daß seit langen Jahren mit den unserer Verletzten behandelnden Heilanstalten [...] als Honorar für solche Formulararztgutachten der Betrag von 10 M von uns vereinbart worden ist. Wir fragen daher hiermit ergebenst an, ob Sie ebenfalls bereit sind, fortan den gleichen Betrag für Gutachten [...] uns in Anrechnung zu bringen.HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 269. [Hervorhebungen im Original]Die allmähliche Durchsetzung von Pauschalbeträgen für gutachterliche Leistungen schloss gewissermaßen en passant teure apparative Untersuchungsverfahren bei der Erstellung von Gutachten aus, was sich auch darin äußerte, dass die Erstattung der Nebenkosten, zu denen eben auch Röntgen- und Laboruntersuchungen gezählt wurden, zu einem ständigen Streitpunkt zwischen der Charité und den Krankenkassen wurde, wobei diese sich konsequent auf die Praxis städtischer Krankenhäuser beriefen, keine »Nebenkosten« aufzustellen, und eine Zahlung solcher fortan verweigerten.Vgl. Ursula Jakobi: Patientenzugänge der Charité zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Regelungen und Probleme der Krankenaufnahme unter dem Aspekt der Kostenträgerschaft. (Diss) Charité – Universitätsmedizin 2012, S. 103.Gleichzeitig stieg vonseiten der Kassen der Druck zu formalisierten Schreibverfahren, wobei diese vor allem die Ordnung ihrer eigenen Ablagesysteme im Blick hatten. So erbat sich etwa die Norddeutsche-Holz-Berufsgenossenschaft in einem Schreiben an die Charité-Direktion 1913, dass Gutachten, sollten diese nicht mit Schreibmaschine in 2-facher Ausfertigung hergestellt werden, bei handschriftlicher Ausfertigung stets mit Kopiertinte zu verfassen seien. Grund der Bitte war aus Sicht der Genossenschaft das Ärgernis, dass »in letzter Zeit die oft sehr langen Gutachten immer wieder mit Buchtinte geschrieben worden sind, sodass die Abnahme einer Kopie für unsere Akten leider nicht möglich war.«Schreiben vom 8. November 1913, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 294.Dieses Nebeneinander verschiedener Formate, Materialien, Schriftverfahren, das sich durch neue Bürotechnologien zunächst sogar noch verschärfte, war aus büroorganisatorischer Sicht auch deshalb problematisch, als es jedes Unterfangen bürokratischer Rationalisierung erheblich erschwerte. Aber das galt im gleichen Maße auch für die Charité-Verwaltung höchst selbst. So dürfen die ständig wiederkehrenden Anmahnungen der Versicherungen zur Einhaltung eines materialen und formellen Standards nicht als Indiz einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Krankenhausverwaltung missverstanden werden. Das Problem lag vielmehr an anderer Stelle. So wurden zum einen derlei Verwaltungsvorgaben in der ärztlichen Belegschaft nicht unbedingt begeistert aufgenommen, wähnten diese nicht selten einen bürokratischen Eingriff in ihre ärztliche Autonomie und vor allem Kompetenzen. Es ist sicherlich nicht übertrieben, der Ärzteschaft allgemein ein eher angespanntes Verhältnis zur Bürokratie zu unterstellen, auch wenn es eher selten in dem Verdikt der »Todfeindin Bureaukratie!«So der Titel eines erzürnten Beitrages bezüglich des Entwurfs einer neuen Reichsversicherungsordnung (RVO), der 1909 in den Ärztlichen Mitteilungen des »Verbands der Ärzte Deutschlands zu Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen« abgedruckt wurden. Vgl. Ärztliche Mitteilungen 5, 24 (1909), S. 442–444.aufgegangen sein dürfte. Aus den Akten zur »Regelung des Aufnahmedienstes«HU UA, Charité Direktion, Nr. 88 bis 91.geht jedenfalls hervor, dass die ärztliche Belegschaft der Charité häufig nicht im geforderten Maße und mit der entsprechenden Sorgfalt den Verwaltungsvorgaben nachkam. Das Nichteinhalten von Entlassungsfristen von Patient:innen etwa, unvollständig oder falsch ausgefüllte Formulare oder unzureichende geführte Büro- und/oder Stationsjournale waren aus Sicht der Verwaltung dabei nicht nur ein stetes Ärgernis, sondern konnten im Zweifelsfall zu erheblichen Schwierigkeiten etwa bei gerichtlichen AnfragenDarauf wies bereits 1898 der ärztliche Generaldirektor Hermann Schaper (bis 1904) hin. Vgl. HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 112f.oder eben im Kontext von Kostenübernahme durch die Krankenkassen führen.Siehe Schreiben der Landesversicherungsanstalt Berlin, 31.12.1900, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Die Ausstellung von ärztlichen Attesten und Gutachten über Kranke in der Charité, Bl. 133.BeschaffungWeitaus schwerwiegender wog indes der Druck, der von den Versicherungen und Genossenschaften auf die Charité-Verwaltung in Bezug zu Beschaffungsfragen ausging. Denn deren Verlangen zur Verwendung klar bestimmter Formulare, Materialien sowie die kaum verhohlene Aufforderung, die bislang noch häufig handschriftlichen verfassten Gutachten doch am besten auf der Schreibmaschine abzufassen, konnte die Charité-Verwaltung auf Grund der Gefahr verzögerter oder gar unterlassener Zahlungen nicht ohne weiteres übergehen und zwang diese wohl oder übel bürotechnisch aufund nachzurüsten. Allerdings war dies aus mindestens zwei Gründen für Krankenhausverwaltungen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine durchaus aufwendige Aufgabe. Zum einen, da anfallende Mehrkosten durch Beschaffung, allfällige Wartungen, passende Materialien sowie ausreichend geschultes Personal et cetera. nicht auf die Krankenkassen umgelegt werden konnten. Zumal auch das Reichs-Versicherungsamt in Absprache mit dem Ministerium des Innern verdeutlichte, dass »die Benutzung der Schreibmaschine [...] grundsätzlich [nicht] zu einer Verteuerung der Schreibarbeit führen« dürfe.Schreiben des Präsidenten des Reichs-Versicherungsamtes an die Königliche Charité-Direktion vom 19. Januar 1909 (Abschrift). HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 228.Und zum anderen, da sich die Charité-Verwaltung selbständig auf dem überbordenden Markt für Bürotechnologien orientieren musste, was noch zusätzlich dadurch erschwert wurde, dass es von übergeordneten Ministerialbehörden kaum Empfehlungen oder Anordnungen der zu verwendenden Materialien gab. Von einer systematischen Beschaffungsstrategie war man jedenfalls noch meilenweit entfernt und so begnügte man sich einstweilen mit zwei Vorgehensweisen: erstens mit dem Einholen und Vergleichen von Angeboten der diversen Hersteller respektive den lizensierten Vertriebspartnern und zweitens, der proaktiven Anfrage bei anderen Behörden bezüglich deren Erfahrungswerten mit bestimmten Büro- und Schreibsystemen. Krankenhäuser, so wird mit Blick auf die vielfältigen Werbebroschüren von Herstellern und Vertriebsfirmen, die an die Charité-Verwaltung ergingen, deutlich, stellten für einschlägige Firmen lukrative Vertragspartner dar.Aber der Transfer von Bürotechnologien in die Verwaltungen lässt sich nicht einfach in den Kategorien Angebot, Nachfrage und Verkauf erschöpfend erklären. Vielmehr offenbart sich hier ein Feld sozialer Beziehungen, das sich von der Entwicklung erster moderner und passgenauer MarketingstrategienZur Geschichte des Marketings allgemein siehe etwa Hartmut Berghoff (Hg.): Marketinggeschichten. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt am Main 2007. Im Kontext Marketing und Medizin vgl. Jeremy Greene: Keeping Modern in Medicine: Pharmaceutical Promotion and Physician Education in Postwar America, in: Bulletin of the History of Medicine 83, 2 (2009), S. 331–377.auf einem sich zunehmend stärker segmentierenden Markt seitens der Hersteller bis hin zu Aneignungsstrategien neuer Produkte und Technologien auf Konsumentenseite erstreckte, die dabei Produktvorführungen, Erfahrungsaustausch, Messebesuche und nicht zuletzt Informationsreisen, wie jener des Berliner Magistrats in den 1920er-Jahren,Bienert: Reisen in die Zukunft.umfassen konnten. Unabhängig davon, ob es sich nun um einfache Bleistifte oder um komplizierte Hilfsmaschinen, wie Kassen, Rechen- oder Schreibmaschine handelte – als potenzielle Großabnehmer waren »sämtliche Behörden [...] willkommene Interessenten auf dem Markt der Bürobedarfsbranche«, wie es 1922 in der Zeitschrift für Staats- und Selbstverwaltung hieß.Behörden als Messebesucher, in: Staats- und Selbstverwaltung. Zeitschrift für Stadt- und Gemeindeverordnete, Ehrenbeamte der kommunalen Selbstverwaltung, Staats- und Kommunalverwaltungen und -beamte, Freie Vereinigung für Rechts- und Verwaltungskunde 10, 3 (1922), S. 215f.Die durchaus interessante Frage danach, inwieweit sich die konkreten Beschaffungspraktiken von Bürotechnologien durch Verwaltungen auf dem freien Markt als Aneignungsund Transferstrategien fassen und diskutieren lassen, muss an dieser Stelle nachfolgenden Untersuchungen vorbehalten bleiben. Hier sei einstweilen nur der Hinweis angebracht, dass bezüglich der Frage nach Übertragungswegen von Business- und Bürotechniken in Krankenhaus- und andere Verwaltungen auch das durchaus ausdifferenzierte soziale Beziehungsgefüge unterschiedlicher Akteursgruppen (Ärzteschaft, Vereinigungen von Verwaltungsbeamten, Hersteller, Vertreter, Firmen, Betriebe, Einzelbehörden et cetera.) auf dem Markt der Bürobedarfsbranche berücksichtigt werden sollte. Angesichts der Vielfältigkeit nicht nur bürotechnologischer Produkte für den Krankenhausbedarf war es aus Sicht der verschiedenen Krankenhausverwaltungen, die sich ab 1903 zu einer Vereinigung der Verwaltungsbeamten größerer Krankenanstalten zusammenschlossen, jedenfalls angezeigt, Kaufentscheidungen und Vertragsabschlüsse auf eine breite Informationsbasis zu stellen und sich nicht allein auf die Angaben der Herstellerfirmen oder Prokuristen zu verlassen. Diese wurden unterdessen nicht müde, in vielfältigen Broschüren, Anzeigen und persönlichen Briefen an die Verwaltungsdirektionen die Vorzüge ihrer Produkte in höchsten Tönen anzupreisen, wobei es gängige Praxis war, vor Kauf Probebenutzungen anzubieten und zu vereinbaren. Wie etwa die Berliner Firma RONEO, die 1906 in einem Schreiben an die Charité-Direktion deren Aufmerksamkeit auf »unserer RONEO Maschine [...], die auf dem Gebiete des Vervielfältigungswesen eine völlige Umwälzung bedeutet« zu lenken beabsichtigte.Schreiben vom 1. September 1906, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 50, Bl. 86f.Mit Erfolg! Nach einer unverbindlichen Probevorführung des »neuesten Modell«, wurde wenige Tage später das RONEO Kopiergerät No. 8 erworben. Die Bestellung umfasste dabei:1 RONEO No. 8Mk.260.001 S Zubehör“18.00“278.00ab für 1 Mimeographen“45.00Mk.235.00netto1 Abonnement auf 10 Kart. Wachspapier quartaMk.5.50Abonnement auf 24 Tuben schwarze FarbeaMk.2.50Überhaupt zeigte sich die Charité-Verwaltung schon relativ früh sehr umtriebig bei Kauf neuer Bürotechnik, wobei alles noch einen sehr eklektischen und suchenden Eindruck vermittelt. Allein im Jahr 1905 wurden demnach unter anderem ein »Tintograph« der Firma Emil Lehmann (45-, Mark), eine »Burrough's Additions Machine« (ein dazu passender Tisch wird nicht gekauft), eine Remington Schreibmaschine (Standard Typewriter No. 7), ein Stift mit Additionsfunktion (6 Mark) et cetera. erworben.HU UA, Charité-Direktion, Nr. 50, Bl. 1–107.Über deren konkreten Einsatz lässt sich indes nur wenig aus den Akten herauslesen, in denen die einzelnen Geräte zumeist erst dann wiederauftauchten, wenn es um Fragen der Reparatur oder Wartung der durchaus defektanfälligen Apparaturen ging. Zur Vermeidung solcher durchaus substanziellen Servicekosten versuchte man vorrangig solche Modelle zu identifizieren, die ihre Zuverlässigkeit im täglichen Arbeiten bereits unter Beweis gestellt hatten. Zu diesem Zwecke verließ man sich nicht allein auf die Anpreisungsschreiben und praktischen Vorführungen der Büromaschinenvertreter, sondern orientierte sich an den Erfahrungen anderer Behörden, die die Alltagsfunktionalität der eben nicht günstigen Apparaturen über einen längeren Zeitraum der Benutzung einzuschätzen vermochten. So erging beispielweise am 13. März 1904 ein Schreiben des damaligen Verwaltungsdirektors der Charité, Ernst Pütter, an den Magistrat von Halle, in dem dieser um Mitteilung ersuchte, »welches System [sich] in den dortigen Bureaus am besten bewährt« habe.Schreiben von Ernst Pütter an den Hallenser Magistrat, 13.3.1904, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 49, Die Anschaffung von Formularen, Drucksachen, öffentlichen Blättern, Schreibutensilien, Insertionen in denselben, Führung der Dienstsiegel, 1883–1904, Bl. 310.Man habe mehrere Systeme in Verwendung (Hammond, Remington, Yost und Ideal), wobei aber keine dieser Maschinen solide Bauart und Billigkeit so zufriedenstellend vereine, wie die Ideal-Schreibmaschine, so die Antwort des Hallenser Magistrat.Schreiben von Ernst Pütter an den Hallenser Magistrat.Auch anhand dieser Aufzählung lässt sich ermessen, dass sich Behörden angesichts der Vielfalt existierender Schreibmaschinensysteme gewissermaßen in einer trial-and-error-Praxis ergingen. Eine Praxis, die erst 1932 [!] mit der Gründung einer zentralen Beschaffungsstelle ihr Ende fand, der es von diesem Zeitpunkt an oblag, dafür zu Sorge zu tragen,a)[daß] auf Anfrage bekanntzugeben [sei], mit welchen Büromaschinen (Schreibmaschinen, Vervielfältigungsapparaten, Schnellheftern und sonstigen Büro- und Registraturartikeln) [...] die besten Erfahrungen gemacht worden sind.b)[…] zu verhindern, daß von den Gleichen Dienststellen verschiedene Preise für gleiche Maschinen gezahlt werdenc)daß von den Lieferfirmen höhere Serienermäßigungen auf die Preise erzielt werden.Erlass der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. HU UA, Charité-Direktion, Nr. 53, Bl. 143f.Die Schaffung der Zentralstelle war, wie die Gründung des Deutschen Instituts für die wirtschaftliche Arbeit in der öffentlichen Verwaltung (Diwiv) einige Jahre zuvor auch, der späte Versuch, Aufklärungs- und Beschaffungsstrukturen zu etablieren, über die einzelnen Verwaltungen die Möglichkeit an die Hand gegeben werden sollte, sich mit den Prinzipien der Büroreform in den 1920er- und 1930er-Jahren sowie mit der »Mechanisierung der Verwaltung« vertraut zu machen.Vgl. dazu etwa Herrmann Haußmann: Büroreformen in der preußischen Verwaltung, in: Schriftenreihe des DIWIV, Bd. 2: Büroreformen in den einzelnen Verwaltungen, Berlin 1927, S. 1–.13.Damit verbunden war die Hoffnung, dass sich zukünftig eine Verwaltungen übergreifende organisatorische und preisliche Einheitlichkeit gewährleisten ließe.Vgl. HU UA, Charité-Direktion Nr. 53, Anschaffung von Formularen, Drucksachen, Schreibutensilien, 1930–1932, Bl. 143f.Im Kontext der Frage nach der Innovationsfähigkeit von Bürokratie und Verwaltung lohnt es sich also durchaus, auf die konkreten Herausforderungen im Kontext von Beschaffungspraktiken zu schauen. Denn in dem Umstand, dass zwischen Serienreife technologischer Neuerungen und systematisierter Beschaffungspraxis und somit auch einer verwaltungsübergreifenden Vereinheitlichung mehr als dreißig Jahre lagen, spiegelt sich ein weiteres grundsätzliches Problem. Nämlich die nur unzureichende Regulierung und Bestimmung darüber, welche Behörde welche Systeme und Materialien, wie und zu welchen Zwecken verwenden darf und soll, was nicht nur eine systematische Beschaffung erschwerte, sondern gleichsam verwaltungsrechtliche Fragen heraufbeschwor.Nun besteht aus administrativer Sicht eine grundsätzliche Schwierigkeit darin, dass sich solche Probleme häufig erst aus der Praxis selbst ergeben. Einer Praxis, die überdies zu verwaltungspraktischen Paradoxien führen konnte.Regulierung und Bürokratische WidersprücheDer Rationaliserungs- und Formalisierungsdruck, der angesichts einer insgesamt steigenden gesellschaftlichen Komplexität und einer damit verbundenen Aktenflut auf den Verwaltungen lastete, konnte in der Folge zu bisweilen seltsamen verwaltungspraktischen Paradoxien führen, die aber keineswegs als Kapriolen einer sich in Selbstbeschäftigung ergehenden Bürokratie missdeutet werden sollten. Denn dass die reformerischen Versuche den wachsenden Aktenbergen Anfang des 20. Jahrhunderts durch vereinfachte Geschäftsordnungen zumindest teilweise Herr zu werden ihrerseits erst einmal zu einem Mehr an bürokratischen Aufwand führten, verweist auf die widersprüchliche innere Logik einer Bürokratie, die die Maßnahmen zu Reduzierung der Aktenberge aktenförmig verhandelt. Bezeichnend und in der Rückschau fast schon amüsant zu lesen sind in diesem Kontext die vielstimmigen Beschwerden aus deutschen Beamtenstuben, dass »Die Akten btr. ›Verminderung des Schreibwerks‹ [...] einen beängstigen Umfang erreicht« hätten.Zitiert nach Vismann: Akten, S. 270.Diese Widersprüchlichkeit im Zuge der Reformbemühungen von 1910 war im gewissen Sinne auch den Versuchen der Implementierung neuer Bürotechnologien inhärent. Als technische Möglichkeit zur Reduzierung und Rationalisierung des Schriftverkehrs verursachte deren Implementierung in die bestehenden Strukturen zunächst einmal einen bürokratischen Mehraufwand. Nicht zuletzt auch deshalb, als der grundsätzlichen Bejahung der neuen Medientechnologien keine konkreten Handlungsanweisungen folgten. So wurde zwar in einer Verfügung des damaligen Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe vom 17. Juli 1897 Schreibmaschinenschrift im Verkehr mit der Regierung als grundsätzlich zulässig erachtetWerner von Eye: Kurzgefasste Geschichte der Schreibmaschine und des Maschinenschreibens, Berlin 1958. S. 69 und 80. Zitiert nach Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Hier S. 318.und im Dezember desselben Jahres in einer weiteren Anordnung über den Geschäftsverkehr der preußischen Staats- und Kommunalbehörden der ausgiebige Gebrauch »von mechanischen Hülfsmitteln (Schreibmaschinen, Stempeln, Kopirpressen u. dgl.)«Erlass des Staatssekretärs des Inneren vom 24.12.1897, in: HU UA, Charité-Direktion, Nr. 44, Geschäftsgang bei der Königlichen Charité-Direktion, 1896–1913, Bl. 46.empfohlen. Weitere Bestimmungen, vor allem materiale Konkretisierung, blieben indes aus. So ging mit der durch diese Anordnungen hervorgerufenen Pluralisierung der Aufschreibeformate eine materiale Heterogenität einher, die nicht zuletzt aus verwaltungsrechtlicher Sicht neue Probleme mit sich brachten. Denn während beispielsweise die Versicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften zum Zwecke der Einheitlichkeit, Kopierfähigkeit und Ablagesystematik bereits konkrete materiale Anforderungen an die Erstellung medizinischer Gutachten stellten, drangen Fragen nach der Rechtsförmigkeit und Rechtsgültigkeit maschinell erstellter Dokumente, wie Beglaubigungen, Urkunden, Gutachten, und damit auch Fragen nach Manipulationspotenzialen, die sich durch die Verwendung der neuen Bürotechnologien ergaben, erst allmählich ins behördliche Bewusstsein vor. Im Kontext bürokratischer Ordnungslogiken waren solche Fragen keine Petitessen, sondern erforderten weitere Bestimmung und Regularien, denen allerdings zunächst einmal eine ausgiebige Prüfung der in Frage kommenden Materialien (Papier, Farbbänder, Farbkissen, Schreibsysteme et cetera.) vorauszugehen hatten. So beauftragte der preußische Justizminister erst 1905, also ganze acht Jahre nach der oben zitierten grundsätzlichen Empfehlung, das königliche Materialprüfungsamt in Großlichterfelde, eine größere Anzahl an Farbbändern und Farbkissen daraufhin zu prüfen, ob diese zur Benutzung bei der Herstellung von Urkunden mit der Schreibmaschine geeignet seien.Auf Grund des Ergebnisses dieser Prüfung hat der Herr Justizminister den Justizbehörden durch die abschriftlich beiligende, im Justiz=Ministerialblatte Seite 41/42 abgedruckte Verfügung vom 11. Februar d. J. die geeignet befundenen Bänder (:Kissen:) näher bezeichnet [und] die Gerichte dazu ermächtigt, die Herstellung von Urkunden mittels der Schreibmaschine fernerhin nicht mehr grundsätzlich auszuschliessen.Schreiben des Ministers der geistlichen, Unterrichts und Medizinalangelegenheiten vom 7. März 1905, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 50, Bl. 12.Allein an diesem kleinen Beispiel lässt sich der bürokratische, rechtliche, materiale Aufwand erahnen, den die Implementierung neuer Schreibtechnologien in eine schwerfällige, wenn auch funktionale Verwaltung bedeutete und wie dadurch der eigentliche Zweck eines Innovationsprozesses stellenweise konterkariert wurde.Auch die Charité-Direktion wurde durch den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten von dieser Verfügung mit dem Hinweis in Kenntnis gesetzt, dass diese »auch innerhalb des diesseitigen Geschäftsbereiches sinngemäß zur Verfügung zu bringen« sei.Schreiben des Ministers der geistlichen, Unterrichts und Medizinalangelegenheiten.Ein umseitiger vom damaligen ärztlichen Direktor Prof. Otto Scheibe unterschriebener handschriftlicher Vermerk, verfügte diesbezüglich, dass künftig das Farbband Official Record der Firma Remington zu beziehen sei, was umgehend zum kritischen Einwand des damaligen Verwaltungsdirektor Ernst Pütter führt, warum man denn nun ausgerechnet ein amerikanisches statt eines deutschen Produktes verwenden wolle? Diese Anekdote ist auch deshalb aufschlussreich, da sie als Indiz für die häufig ausgeblendete kulturpolitische Dimension von Innovationsprozessen gewertet werden kann, die aber durchaus Effekte im (administrativen) Alltagshandeln zeitigen konnte. So etwa im Kontext der, nicht ganz zufällig vom Bürobedarfshersteller und Erfinder des Aktenordners, Friedrich Soennecken, mitangestoßenen öffentlichen Debatte, die als Fraktur-Antiqua-Schriftenstreit in die Geschichte eingegangen ist.Vgl. dazu Sylvia Hartmann: Fraktur oder Antiqua. Der Schriftstreit von 1881–1941, Frankfurt am Main 1998.Die 1911 darüber hitzig geführte Reichstagsdebatte brachte keine Entscheidung, sodass beide Schrifttypen weiterhin regulär verwendet wurden. Was beispielsweise in der Charité mitunter zu einer Verdopplung des Schriftguts führen konnte. So hat Ole Dohrmann in seiner Dissertation über die Entwicklung der medizinischen Dokumentation in der Charité festgestellt, dass in den 1920er-Jahren schreibmaschinenverfasste Sektionsberichte häufig in identischer Ausführung, einmal in Fraktur und einmal in Antiqua in die klinische Dokumentation eingingen.Ole Dohrmann: Die Entwicklung der medizinischen Dokumentation im Charité-Krankenhaus zu Berlin am Beispiel der psychiatrischen Krankenakten von 1866 bis 1945. (Diss) Berlin 2014. Hier S. 318.In welchen weiteren klinischen und administrativen Kontexten diese Praxis noch verbreitet war, lässt sich an dieser Stelle zwar nicht genau sagen. Und dennoch vermittelt sie einen Eindruck von den Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten, die durch Innovationsprozesse hervorgerufen werden können.Aber nicht nur offene oder nur zögerlich behandelte Organisationsfragen in Bezug zu Bürotechnologien und zu verwendender Materialen oder kulturpolitische Kontroversen erschwerten die Implementierung neuer Bürotechnologien in den klinischen Verwaltungsalltag. Auch personell geriet die Charité an ihre Grenzen, wobei der funktionale Wandel des Krankenhauses selbst und das damit erhöhte Aufkommen an zu bewältigenden Formularen und Schriftverkehr, etwa mit den Kassen oder im Kontext der Registratur, mitursächlich war. Die händeringende Suche und Einstellungsbemühungen von gut ausgebildetem Personal seitens der Charité-Direktion standen dabei in scharfem Kontrast zu den Vorstellungen des Ministeriums, das aus Sparsamkeitsgründen beharrlich die weitere Reduzierung des Büropersonals anmahnte und sich bei der Bewilligung neuen Personals häufig quer stellte. Überhaupt trieben die von ministerieller Seite beständig ins Feld geführten »Sparsamkeitsgründe« mitunter seltsame Blüten. So wurden angesichts einer nahezu permanenten (materialen) Ressourcenknappheit in der Zwischenkriegszeit paradoxerweise selbst die einer bürokratischen Rationalisierung Vorschub leistenden Schreibsysteme zum Gegenstand von Rationalisierung.Siehe Rundschreiben des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 18. Februar 1924. HU UA, Charité-Direktion, Nr. 51, Bl. 315.Die Charité-Direktion jedenfalls sah sich auch ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkrieges dem Dilemma gegenüber, zwischen der beständigen Suche nach geeignetem Personal und dem zähen Ringen um Bewilligung neugeschaffener Stellen durch die übergeordnete Ministerialbehörde manövrieren zu müssen. In eindringlichem Ton heißt es in einem Schreiben vom 5.9.1919 »an den Herrn Minister«:In unserem Bericht vom 14.6.19 haben wird darauf hingewiesen, daß für den Kanzleidienst 2 Bürogehilfen bzw. Bürogehilfinnen auf die Dauer voraussichtlich nicht genügen würden. Die bisher gemachten Erfahrungen haben diese Annahme bestätigt. Die beiden Hilfskräfte reichen nicht einmal aus, um die Schreibarbeiten der Männer- und Frauenregistratur zu erledigen, die in den letzten Monaten eine sehr erhebliche Steigerung durch die Aufhebung der Charité als Vereinslazarett und die um rd. 500 Personen vermehrte Aufnahme von Zivilpatienten erfahren haben. Zur Vermeidung von Kurkostenausfällen ist die Einschränkung des Schreibwerks in diesen Fällen leider nicht möglich, vielmehr brauchen wir für die Krankkassenregistratur, die erweiterte Lohnpersonal- und Generalregistratur 3 Hilfsarbeiter. Die übrigen 8 Bürohilfsarbeiter sind voll beschäftigt und können zur Erledigung dieser Arbeiten nicht herangezogen werden. Um empfindliche Störungen in unserem Geschäftsbereich zu vermeiden, waren wir genötigt, Anfang August eine Bürogehilfin einzustellen. Wir bitten die Annahme nachträglich zu genehmigen und gestatten uns im Anschluss hieran die [...] vorgeschlagene Lohnskala für die Bürogehilfinnen festsetzen zu wollen.HU UA, Charité Direktion, Nr. 165, Blatt 250.Die enge Personaldecke brachte also eine konkrete finanzielle Gefahr für die Charité mit sich. Aber neben der beständigen Auseinandersetzung mit den Versicherungsanstalten und Genossenschaften, die schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einer erheblichen Steigerung des zu bewältigenden Verwaltungsaufwandes geführt hatte,Jakobi: Patientenzugänge, S. 161.deutet sich in dem hier zitierten Schreiben der paradoxe Gehalt von Formalisierung und Einführung neuer Schreib- und Vervielfältigungssysteme auch im Kontext klinischer Dokumentationspraktiken an. Denn was auf Seiten der Administration zu mehr Effizienz führen sollte, brachte auf klinischer Seite eine wahre Formularflut hervor, nicht zuletzt, weil die bürotechnologischen Innovationen um 1900 in der Folge zu einem neuen epistemologischen Gefüge in der Medizin beitrugen. Mitursächlich dafür war die im Zuge des bürotechnologischen Wandels zu beobachtenden Tendenzen des Auf- und Ausbaus arbeitsteiliger Organisationsstrukturen, die der seit dem 19. Jahrhunderts ohnehin zunehmenden Spezialisierung medizinischer Handlungsfelder noch zusätzlich Vorschub verlieh und darüber die administrative Komplexität von Krankenhäusern im Gesamten erheblich steigerte.FazitIn Medizin- und Wissenschaftsgeschichte mangelt es nicht an Studien, die den epistemologischen Zusammenhang zwischen Bürotechnologien und Verwaltungsorganisation in Krankenhäusern und medizinischer Praxis und Forschung adressieren. Auch an der Bedeutung dieser Technologien und den mit diesen verbundenen neuen büroorganisatorischen Prinzipien sowohl für die administrative als auch klinische Praxis bestehen historiografisch gesehen keine Zweifel. Darüber hinaus allerdings sind die konkreten Verbreitungswege sowie die Implementierung neuer Bürotechnologien in administrative und klinische Krankenhausstrukturen und -routinen bislang zu einem großen Teil unterbelichtet geblieben. Dass ist auch insofern problematisch, als hierbei die Gefahr droht, die Bewertung von Innovationen, ob nun technologischer oder struktureller Natur, einzig an ihren Effekten auf spezifische Praktiken auszurichten, also »[...] to overemphasize the importance of the invention of a technology and underemphasize the process by which use of technology becomes standard practice.«Howell: Technology, S. 11.Vor diesem Hintergrund wurde dagegen im vorliegenden Beitrag am Beispiel der Charité-Direktion als Teil der preußischen Behördenstruktur der Versuch unternommen, aus praxeologischer Perspektive nach den konkreten Schwierigkeiten bei der Implementierung der als medientechnologischen Innovationen verstandenen Bürotechnologien um 1900 zu fragen. Das ist auch deshalb von Bedeutung, als sich mit Blick sowohl auf die qualitative Ausdifferenzierung klinisch-administrativer Dokumentationspraktiken als auch auf deren enorme quantitative Ausweitung Anfang des 20. Jahrhunderts beispielhaft verdeutlichen ließ, inwieweit neue Medientechnologien im Allgemeinen zu einer Steigerung administrativer Komplexität führten – und zwar sowohl in Bezug auf die Effekte von (bürotechnologischen) Innovationen im Verwaltungshandeln, als auch auf den Prozess deren Implementierung in bestehende Verwaltungsstrukturen selbst. Wobei neben der Bedeutung externer Faktoren und Akteure, von denen, wie gezeigt werden konnte, stellenweise ein erheblicher Modernisierungsdruck auf Kliniken ausging, vor allem die Frage danach im Mittelpunkt stand, wie und welche innovativen Technologien eigentlich beschafft und in eine bestehende funktionslogische Ordnung integriert wurden. So konnte verdeutlicht werden, dass sich aus den nur scheinbar trivialen Aspekten von Beschaffung, technischen Spezifika, Wartung und Reparatur und nicht zuletzt personalen Fragen im Kontext der Anwendung neuer Bürotechnologien eine ganze Reihe praktischer Unwägbarkeiten ergaben, die den zeitgenössischen normativen Vorstellungen von Verwaltungsrationalisierung entgegenstanden, da sie paradoxerweise zunächst einmal zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand führten. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass dem externen Modernisierungsdruck, wie er etwa von den Krankenkassen und Genossenschaften auf die Charité-Verwaltung ausgeübt wurde, keine handlungsanleitenden Empfehlungen oder Anordnungen der übergeordneten preußischen Ministerialbehörden gegenüberstanden, die eine einheitliche Beschaffungs- und Anwendungspraxis neuer Bürotechnologien hätten gewährleisten können. Die Folge war unter anderem eine Pluralisierung der Aufschreibeformate und eine damit verbundene materiale Heterogenität, die nicht nur Krankenhausverwaltungen vor immense praktische Schwierigkeiten stellte, sondern insgesamt verwaltungsrechtliche Fragen heraufbeschwor, beispielsweise mit Blick auf die Feststellung der Rechtsgültigkeit schreibmaschinenverfasster Dokumente, der Normierung materialer Formate oder in Bezug auf sich daraus ergebenen strukturellen Konsequenzen. Wobei aus administrativer Sicht die Schwierigkeit nicht zuletzt darin bestand, dass sich solche Fragen häufig erst aus der Praxis selbst ergaben und sich dementsprechend nur schwer antizipieren ließen. Diese Feststellung ist gerade in Bezug auf den häufig ins Feld geführten Vorwurf einer systemimmanenten Reform- und Innovationsunfähigkeit oder gar -unwilligkeit von Verwaltungen von Bedeutung, da sie verdeutlicht, dass Technologietransfers in bestehende Verwaltungsstrukturen von einer ganzen Reihe komplexer Fragen begleitet werden, für die erst einmal verwaltungskonforme Antworten gefunden werden müssen. Das galt für die Schreibmaschine als Teil bürotechnologischer Medienverbünde Anfang des 20. Jahrhunderts gleichermaßen, wie es für die Etablierung digitaler Verwaltungsstrukturen heute gilt. Letztlich konnte am Beispiel der Charité-Verwaltung verdeutlicht werden, dass sich das zweifelsohne nicht immer ganz spannungsfreie Verhältnis zwischen Innovationen und Bürokratie unter Berücksichtigung der komplexen praktischen Herausforderung, die sich aus der Implementierung medientechnologischer Neuerungen ergeben können, jenseits der Unterstellung einer Innovationsunfähigkeit und -unwilligkeit, deutlich differenzierter ausleuchten lässt.About the authorOliver Falk is historian by training and currently Postdoctoral Research Fellow at the Institute for History of Medicine at the Charité Medical School in Berlin. From 2013 to 2017 he was doctoral student within the ERC research project “Ways of Knowing: How Physicians Know”. Between 2017 to 2020 he was working as research assistant at the Chair of History of Medicine, Institute of Biomedical Ethics and History of Medicine at the University of Zurich. In 2021 he finished his dissertation on Physicians, patients and medical knowledge in diabetes therapy, 1900–1960. Together with Axel Hüntelmann he recently edited the collective volume “Accounting for Health. Calculation, paperwork and medicine, 1500–2000”. http://www.deepdyve.com/assets/images/DeepDyve-Logo-lg.png Administory de Gruyter

»Typewriting Medicine« – Bürotechnologische Innovationen und klinische Verwaltung am Beispiel der Charité Berlin, 1890–1932

Administory , Volume 6 (1): 20 – Dec 1, 2021

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© 2022 Oliver Falk, published by Sciendo
eISSN
2519-1187
DOI
10.2478/adhi-2022-0004
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Abstract

EinleitungSpätestens im Zuge des material turn in den Geistes- und Kulturwissenschaften Anfang des Jahrtausends haben auch Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, etwa unter dem Schlagwort der Paper Technology,Exemplarisch Volker Hess / Andrew Mendelsohn: Paper Technology und Wissensgeschichte, in: N. T. M. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 21, 1 (2013), S. 1–10.damit begonnen, sich für die materialen Bedingungen wissenschaftlichen und medizinischen Wissens und die vielfältigen Aufschreibeformate in denen es sich präsentiert zu interessieren. Darunter verstanden wird »die Summe aller Schreibverfahren«, wie Listen und Formulare, Texttechniken der Exzerpierung oder Indexierung, Papiertechniken, wie Karteikarten, Bandakten oder (Geschäfts-)Journale und der damit verbundenen Werkzeuge und Aufzeichnungstechnologien, die »beim Festhalten, Sammeln und Akkumulieren von (direkt oder vermittelt) Gesehenem und Bedachtem eingesetzt werden«.Hess / Mendelsohn: Paper Technology, S. 3.Getragen wird dieser Ansatz von der Prämisse, dass die Form des Aufschreibens auch eine spezifische Form des Wissens zeitigt – etwa im Kontext von Gutachten,Alexa Geisthövel / Volker Hess: Medizinische Gutachten. Geschichten einer neuzeitlichen Praxis, Göttingen 2017.FallgeschichtenSybille Brändli / Barbara Lüthi / Gregor Spuhler (Hg.): Zum Fall machen, zum Fall werden. Wissensproduktion und Patientenerfahrungen in Medizin und Psychiatrie des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2009.oder buchhalterischen Aufschreibeformaten.Dazu jüngst Axel C. Hüntelmann / Oliver Falk (Hg.): Accounting for health. Calculation, paperwork and medicine, 1500–2000, Manchester University Press 2021.Kaum verwunderlich also, dass Phasen medientechnologischen Wandels, wie jenem, der um 1900 mit der Schreibmaschine als ikonografischem Symbol dieses Prozesses die bürokratische Moderne einläutete, auch in wissenschafts- und medizingeschichtlichen Kontexten das historiografische Interesse geweckt haben.Exemplarisch sei hier etwa der Beitrag des Berliner Medizinhistorikers Volker Hess genannt, der am Beispiel des Mediziners Kurt Pohlisch (1893–1955) einen Wandlungsprozess nachzeichnet, in dessen Zuge Kliniken wie die Charité epistemologisch zu einer »Paper Machine« avancierten.Kurt Pohlisch beschrieb allein auf Grundlage bereits zur Verfügung stehender, formalisierter und systematisch angelegter Krankenakten mit dem sogenannten hyperkinetischen Symptomkomplex ein gänzlich neues Syndrom, ohne dazu auch nur einen Patienten je selbst untersucht zu haben. Vgl. Volker Hess: A Paper Machine of Clinical Research in the Early Twentieth Century, in: Isis 109, 3 (2019), S. 473–493.Und zwar in dem Sinne, als Bürotechnologien im Modus formalisierter Dokumentationspraktiken medizintechnische Innovation in die Routinen der Kliniken einbanden und zu einer Vervielfältigung an klinisch-diagnostischen Befunden beitrugen, die sich wiederum mithilfe unterschiedlicher (An)Ordnungssystematiken (loose files, Karteikartensysteme, Lochkarten et cetera.) nun auch wissenschaftlich mobilisieren ließen.Im Folgenden soll allerdings weniger auf klinisch-epistemologische Effekte mechanisierter und formalisierter Schreibkulturen Anfang des 20. Jahrhunderts abgehoben, sondern unter Berücksichtigung innovationstheoretischer Gesichtspunkte der Versuch unternommen werden, konkret auf die Übertragungswege (Transfers) und Aneignungsstrategien (Adaption) von bürotechnologischen Innovationen und der Etablierung neuer büroorganisatorischer Ordnungsprinzipien in Krankenhauskontexten zu fokussieren. Konkreter, das heißt, aus praxeologischer Perspektive auf Diffusionsprozesse medientechnologischer Innovationen im Kontext von Krankenhäusern und deren Verwaltungen zu schauen, ist auch deshalb von Bedeutung, als aus medizin- und wissenschaftshistorischer Sicht zwar weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass der Wandel klinischadministrativer (Auf-)Schreibkulturen entscheidenden Anteil an der Genese der modernen Krankenhausmedizin besaß, dabei aber der konkrete praktische Transfer von sogenannten »business techniques« nicht weiter ausgeleuchtet wird und sich häufig in einer eher linearen Beschreibung von Top-Down-Prozessen (von der Verwaltung in die Klinik) erschöpft.Stellvertretend für die diese Perspektive vgl. Barbara Craig: Hospital Records and Record-keeping, c. 1850-c. 1950. Part 1: The Development of Records in Hospitals, in: Archivaria 29 (1989–1990), S. 57–80.Dabei bleiben Fragen danach, wie denn neue Bürotechnologien und Ordnungssystematiken eigentlich genau ihren Weg in die Krankenhäuser finden, unter welchen Bedingungen diese adaptiert und mit welchen ganz praktischen Konsequenzen, sowohl auf administrativer als auch klinischer Ebene, schließlich implementiert werden, zumeist unterbelichtet. Aus innovationstheoretischer Sicht indes bietet eine solche historisch-praxeologische Perspektivierung die Möglichkeit, sich von den stellenweise seltsam statisch anmutenden Modellen und Beschreibungsebenen von InnovationsprozessenEinen guten allgemeinen Überblick bietet Holger Braun-Thürmann: Innovation, Bielefeld 2005. Siehe auch Hariolf Grupp: Abriss des Stands der Innovationstheorie, in: Ders.: Messung und Erklärung des Technischen Wandels, Berlin 1997, S. 49–97.zu lösen und überdies mit Blick auf das in diesem Band adressierte Spannungsverhältnis zwischen Bürokratie und Innovation, den häufig bemühten Topos einer reformunwilligen und -fähigen Bürokratie kritisch zu hinterfragen.Nach einem kurzen Überblick über relevante medizinhistorische Perspektiven auf den Zusammenhang von Bürotechnologien und klinischer Administration Anfang des 20. Jahrhunderts soll zunächst an zwei allgemeinen Beispielen zeitgenössischer Rezeption neuer Bürotechnologien der heutzutage zumeist ex-post verwendete und häufig positiv konnotierte Begriff der Innovation kritisch beleuchtet werden. Daran anschließend sollen am Beispiel der Charité Berlin zwei übergeordnete Fragen adressiert werden. So soll erstens, danach gefragt werden, wie der Transfer neuer Bürotechnologien auf klinischer Verwaltungsebene konkret vonstatten ging, welche Akteure daran beteiligt waren und welche Technologien im besonderen Interesse standen. Darüber hinaus soll zweitens nach den bürokratischen Herausforderungen gefragt werden, die sich im Zuge der Adaption und Implementierung neuer Technologien und büroorganisatorischer Prinzipien in Verwaltungsstrukturen im Allgemeinen und klinischer Verwaltungsstrukturen im Besonderen ergaben.Dass zur Beantwortung dieser Fragen die Charité Berlin als Darstellungsgegenstand dienen soll, hat einen doppelten Hintergrund. Denn zum einen erlangte diese gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur als Zentrum naturwissenschaftlicher Medizin Weltruf, sondern gehörte nach ihrem Um- und Neubau zwischen 1897 und 1917 zu den modernsten Kliniken weltweit.Zur Geschichte der Charité allgemein vgl. Johanna Bleker / Volker Hess: Die Charité. Geschichte(n) eines Krankenhauses, Berlin 2010.In diesem Sinne spiegelt die Charité exemplarisch den Stand der Krankenhausmedizin in jener Zeit, die zugleich den Untersuchungszeitraum dieses Beitrages umfasst. Zum anderen aber unterstand die Charité als »größtes preußisches Staatskrankenhaus«Volker Hess: Wissen des Handelns. Gutachten in der Zulassung von Arzneimitteln im Preußen des frühen 19. Jahrhunderts, in: Geisthövel / Hess (Hg.): Gutachten, S. 190–223. Hier S. 191.etatmäßig und weisungsgebunden der preußischen Verwaltung, genauer dem Ministerium der geistlichen, Unterrichtsund Medizinalangelegenheiten (ab 1918: Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung). Vor diesem Hintergrund, der sich im Übrigen auch im Kontext der Überlieferungssituation im positiven Sinne bemerkbar macht, lässt sich also nicht nur der interdependente Zusammenhang zwischen administrativer und klinischer Praxis nachzeichnen. Mehr noch bietet die verwaltungsstrukturelle Besonderheit der Charité zudem die Möglichkeit, den Blick auf die übergeordneten preußischen Verwaltungsebenen und deren Umgang mit den neuen Medientechnologien zu lenken. So lässt sich auf Grundlage der Akten der Charité-Direktion, die die Quellengrundlage des Beitrages bilden, der keineswegs reibungslose Prozess der Adaptierung und Implementierung am Beispiel ganz konkreter Technologien gewissermaßen in doppelter Blickrichtung nachvollziehen. Wobei sich diesbezüglich vor allem die Aktenbestände der Charité-Direktion »Die Anschaffung von Formularen, Drucksachen, Schreibutensilien, öffentlichen Blättern und Dienstsigeln«Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die Quellenangaben auf den Bestand der Charité-Direktion, Die Anschaffung von Formularen, Drucksachen, öffentlichen Blättern, Schreibutensilien, Insertionen in denselben, Führung der Dienstsiegel betreffend.betreffend als äußerst aufschlussreich erwiesen haben. Denn dabei handelt es sich um Aktenbestände, die sowohl den Blick in die Klinik als auch in die Verwaltungspraxis übergeordneter Behörden zulassen.So lassen sich am Beispiel der Charité schließlich die strukturellen und administrativen Herausforderungen, die sich aus der Übertragung und Implementierung von neuen Bürotechnologien in bestehende Ordnungssysteme ergaben, sowie die interdependenten Prozesse, in denen sich deren Innovationspotenziale manifestierten, exemplarisch verdichten. Denn Krankenhäuser wie die Charité sind nicht nur Orte der therapeutischen Behandlung und – im besten Fall – der Heilung, sondern waren und sind immer auch bürokratische Kolosse, deren Verwaltungs-, Organisations- und Kommunikationsstrukturen sich durch die allmähliche Durchsetzung innovativer Bürotechnologien und neuer Aufschreibeverfahren substanziell veränderten, wobei sich administrative, therapeutische und wissenschaftliche Dokumentationspraktiken auf besondere Weise verschränkten und gegenseitig beeinflussten.Nicht zuletzt deshalb ist die Grundannahme des vorliegenden Beitrages, dass Krankenhäuser keineswegs zufällig in genau jener Zeit zu »Modellinstitutionen« einer modernen, das heißt wissenschaftlichen und objektiven Medizin avancierten,Dazu Cornelius Borck: Medizinphilosophie zur Einführung, Hamburg 2006. Hier S. 100.die zugleich auch die Hochphase bürotechnologischer Innovationen umfasste. Innovationen, die, wie die Schreibmaschine sowie eine ganze Reihe weiterer bürotechnologischer Innovationen, etwa Kopiergeräte, Aktenstehordner, Karteisysteme oder Kohlepapier, tief in bestehende Schreib- und Verwaltungskulturen eingegriffen haben. Wobei all diese Innovationen nachfolgend als Bestandteil von Medienverbünden verstanden werden, also als Neuerungen, die ihre transformativen Effekte hin zu einer bürokratischen Moderne erst im Zusammenwirken mit jeweils korrespondierenden Technologien zu entfalten vermochten.HistoriografieAuf die Frage, welche administrativen, epistemologischen und nicht zuletzt auch sozialen Konsequenzen der Prozess des bürotechnologischen Medienwandels zwischen 1890 und 1950 auf die moderne klinische Medizin hatte und wie und aus welchen Gründen die neuen Technologien und Schreibsystematiken in den Kliniken reüssierten, hält die Medizingeschichte mehrere sich teils ergänzende, teils differierende Antworten parat. Wobei sich mindestens drei Perspektiven ausmachen lassen. So existiert erstens der Ansatz, der diese Entwicklung als Resultat eines Top-Down-Prozesses ausdeutet, in dessen Zuge sich »business techniques« im Modus von Übertragung und Anwendung von einer allgemeinen Verwaltungsebene ausgehend bis hinunter in die klinische Aktenführung verbreitet habe.Stellvertretend für die diese Perspektive vgl. Barbara Craig: Hospital Records and Record-keeping, c. 1850-c. 1950. Part 1: The Development of Records in Hospitals, in: Archivaria 29 (1989–1990), S. 57–80.Eine differenziertere und eher praxeologisch orientierte Perspektivierung bietet dagegen der Medizinhistoriker Joel D. Howell an.Joel Howell: Technology in Hospital. Transforming Patient Care in the Early Twentieth Century, Baltimore 1995.Dessen Befund eines substanziellen, nämlich 438-fachen [!] Anstiegs an verwendeten Vordrucken und Formularen in den von ihm untersuchten Kliniken, führte dieser in erster Linie auf praktische Notwendigkeiten zurück, die sich dabei aber nicht etwa aus zeitgenössischen Organisations- und Business-Theorien speisten, sondern der Professionalisierung, medizinischen Spezialisierung und nicht zuletzt einer (medizin-)technologischen Modernisierung der Krankenhäuser entsprungen seien. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie ein eher lineares Bild von Innovations- und Technologietransfers zeichnen, das auch dadurch entsteht, als diese nur unzureichend die Bedeutung sozialer Aushandlungsprozesse im Kontext medientechnologischen Wandels berücksichtigen. Dass es sich hierbei um einen kaum zu unterschätzenden Aspekt handelt, ohne den sich dieser Wandel nicht hinreichend beleuchten lässt, deutet eine dritte Perspektive an. Mit Fokus, insbesondere auf den anglo-amerikanischen Raum, führt diese das Argument einer »professionspolitischen Allianz«Volker Hess: Formalisierte Beobachtung. Die Genese der modernen Krankenakte am Beispiel der Berliner und Pariser Medizin (1725–1830), in: Medizinhistorisches Journal 45, 3/4 (2010), S. 293–340. Hier S. 298.ins Feld, die sich etwa um 1920 zwischen Ärzteschaft und deren Forderung nach Vereinheitlichung klinischer Aufschreibeformate (bspw. Krankenjournale) und dem zumeist nicht medizinisch geschulten Personal auf Verwaltungsebene aufgespannt habe.So etwa Stefan Timmermanns / Marc Berg: The Gold Standard. The challenge of Evidence-Based Medicine and standardization in health care, Philadelphia 2003. Insbesondere Kapitel 1: The Emergence of the Paper-Based Patient Record, S. 30–54.Demnach sei die Forderung unter anderem nach formaler Vereinheitlichung klinischer Dokumentation aus der Ärzteschaft, insbesondere der Chirurgie selbst, gekommen und schließlich von den Krankenhausverwaltungen dankend aufgenommen worden. Allerdings lassen sich solche Befunde mit Blick auf die unterschiedlichen und zumeist privatwirtschaftlichen Trägerschaften US-amerikanischer Kliniken sowie deren anders gelagerte Verwaltungstraditionen »nicht ohne weiteres auf den kontinentaleuropäischen Raum übertragen«, wie der Berliner Medizinhistoriker Volker Hess zu bedenken gibt.Hess: Beobachtung, S. 298.Mit Blick auf die Charité ergibt sich insofern ein anderes Bild, als Formalisierungstendenzen nicht nur in Bezug zur klinischen Dokumentation eher zu substanziellen Spannungsverhältnissen zwischen Verwaltung und Ärzteschaft geführt haben.Eric J. Engstrom / Volker Hess (Hg.): Zwischen Wissensund Verwaltungsökonomie. Zur Geschichte des Berliner Charité-Krankenhauses im 19. Jahrhundert. (Jahrbuch für Universitätsgeschichte, Bd. 3), Stuttgart 2000.Wobei diese Spannungs- und Konfliktfelder in erster Linie der verwaltungspraktischen Besonderheit der administrativen Doppelung von ärztlicher und allgemeiner Verwaltungsdirektion entsprangen, wie sie nicht nur der Charité, sondern im Grunde den meisten (deutschen) Krankenhäusern bis heute zu eigen ist. Die spannungsreiche Differenz dieser beiden Verwaltungsebenen ergibt sich dabei aus deren unterschiedlichen Rationalitäten, wie die Medizinhistoriker Eric Engstrom und Volker Hess betonen, wobei sie zwischen der Ebene einer Wissensökonomie, also »jene[m] Repertoire an Argumenten, Strategien, administrativen Strukturen, finanziellen Instrumenten und materiellen Werkzeugen, das die akademischen Ärzte mobilisierten und einsetzten, um die Produktion klinischen Wissens und seine Verteilung [...] möglichst effizient und reibungslos zu organisieren« und der Ebene einer Verwaltungsökonomie unterschieden, die jene Maßnahmen umfasst, »die in den Augen der Verwaltung eine effiziente und rationale Krankenhausadministration bezweckten.«Engstrom / Hess: Zwischen Wissens- und Verwaltungsökonomie, S. 8.Einen ähnlichen Tenor schlägt der Medizinsoziologe Bryan S. Turner an, der diese administrative Doppelung als ein »dual system of authority«Bryan S. Turner: Medical Power and Social Knowledge, London 1987. Hier S. 160.bezeichnete, das es erfordere, Krankenhäuser grundsätzlich als Institutionen »verhandelter Ordnung« (negotiated order) zu betrachten, in denen die Umsetzung von effizient organisierter Verwaltungspraxis immer auch durch die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Berufsgruppen sowie der Gleichzeitigkeit von formellen und informellen Kommunikationsstrukturen geprägt ist.Turner: Medical Power, S. 160–162.Mit Blick auf die Verbreitungswege von Bürotechnologien in die deutschen Verwaltungen im Allgemeinen und in Krankenhausadministrationen im Besondern ist es also keineswegs damit getan, allein auf bürokratische Rationalitäten im Kontext neuer bürotechnischer Organisationsdispositive zu schauen, sondern diesen Innovationsprozess als »wide-ranging and multifaceted social activity«Andrew Jamison: Technology's Theorists: Conceptions of Innovation in Relation to Science and technology Policy, in: Technology and Culture 30, 3 (1989), S. 505–533. Hier S. 505.zu verstehen. Dementsprechend zeitigte gerade der medientechnologische Wandlungsprozess in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weitaus tiefere soziale, administrative und wissensökonomische Konsequenzen, als sich mit bloßem Blick auf technologische Innovationspotenziale fassen lassen. Denn durch das Eindringen des »mechanischen Prinzips«Wilhelm Rohr: Das Aktenwesen der preußischen Regierungen, in: Archivalische Zeitschrift 45 (1939), S. 52–63. Hier S. 55., beispielsweise in das (preußische) Aktenwesen, verändert sich mit der Organisationsauch die Sozialstruktur von Verwaltung, verschieben sich potenziell konfliktträchtig Deutungs- und Entscheidungshoheiten über Ausformung und Gang von Verwaltungsprozessen.Trotz aller Unterschiedlichkeit ist es das große Verdienst der hier nur sehr schematisch angedeuteten medizinhistorischen Ansätze auf die technischen und materialen Bedingungen sowie Folgen des Wandels von (Auf-)Schreibkulturen sowohl im Kontext klinischen als auch administrativen Handelns hingewiesen zu haben. Nicht zuletzt durch eine methodische Fixierung auf die moderne Krankenakte, als prägende klinische Aufschreibesystematik, konnten diese Studien den engen Zusammenhang zwischen krankenhausmedizinischem Wandel Anfang des 20. Jahrhunderts, der sich verkürzt auf die Formel »from care to cure«Spätestens im 19. Jahrhundert entwickelten sich Hospitäler, wie etwa die Charité in Berlin, von reinen Versorgungsanstalten und Sozialasylen zu Krankenhäusern im modernen Sinne, insofern nun einzig die medizinische Behandlungsbedürftigkeit sowie die Aussicht auf Heilung als Aufnahmekriterien berücksichtigt wurden. Vgl. dazu etwa Volker Hess: Fieberbehandlung und klinische Wissenschaft (1829–1850), in: Johanna Bleker / Volker Hess (Hg.): Die Charité. Geschichte(n) eines Krankenhauses. Berlin 2010, S. 70–98. Für einen allgemeinen Übersicht nach wie vor empfehlenswert Alfons Labisch / Reinhard Spree (Hg.): »Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett«. Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1996.bringen lässt, der substanziellen Ausweitung von labor- und medizintechnologisch abgestützten Diagnosetechniken sowie ärztlichen Dokumentationspraktiken und klinischem Verwaltungshandeln verdeutlichen. Auf der anderen Seite allerdings bleiben diese Ansätze gerade aufgrund dieser spezifischen Fokussierung weitestgehend einer klinischen Binnenperspektive verhaftet, wodurch Formen externen Formalisierungsund Modernisierungsdrucks, der sich nicht zuletzt aus den Rationalisierungsdiskursen der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts speiste, weitestgehend ausgeblendet werden. Dementsprechend bleiben die konkreten Prozesse, die sich hinter den Begriffen von Übertragung und Adaption von »business techniques« verbergen, zumindest aus medizin- und wissenschaftshistorischer Sicht häufig unterbelichtet.Im Kontext innovationstheoretischer Erwägung wiederum werden zur Beschreibung von Verbreitungsprozessen technologischer Innovationen häufig Diffusionsmodelle bemüht.Das Bekannteste sicherlich Everett Rogers: Diffusion of Innovation, New York 2003.Problematisch an diesen Modellen ist allerdings, dass sie entweder einer »commercial bias«So etwa Jamison: Technology's Theorists, S. 505.unterliegen, also Innovationen am wirtschaftlichen Erfolg und somit an Faktoren wie Marktdurchdringung, Kostenminimierung und/oder Gewinnmaximierung bemessen, oder aber von einem sogenannten »Innovationspositivismus«Zur kritischen Auseinandersetzung mit solchen Diffusionsmodellen siehe Veronika Karnowski: Diffusionstheorien. Baden-Baden 20172. Insbesondere S. 73–77.getragen sind, der dabei häufig mit einem nicht nur aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive problematischen Fortschrittsbegriff in Verbindung steht.Etwa bei Roland Bantle: Determinanten der Innovation und Diffusion des medizinisch-technischen Fortschritts, Bayreuth 1996.Gegen solcherlei Verkürzungen von Innovationsprozessen hat es in der Vergangenheit allerdings auch Kritik gegeben, die unter anderem in dem Befund mündete, dass Innovation als Begriff keine Beschränkung auf rein ökonomische oder gar betriebswirtschaftliche Aspekte beinhaltet. Innovation ist somit als allgemeines Phänomen zu begreifen, welches zwar sehr wohl grob in soziale Innovation (Neuerungen im Bereich der Sozialstruktur bzw. Kultur einer Gesellschaft) und technologisch-ökonomische Innovation (Prozess- oder Produktinnovationen) unterteilt werden kann; eine allzu rigide Abgrenzung dieser beiden Begriffsverwendungen macht jedoch angesichts der engen Verwobenheit von Gesellschaft, Technologie und Ökonomie nur auf rein analytischer Ebene Sinn.Marian Adolf: Die Kultur der Innovation. Eine Herausforderung des Innovationsbegriffes als Form gesellschaftlichen Wissens, in: Reto Hilty M. / Thomas Jeager / Matthias Lamping (Hg.): Herausforderung Innovation. Eine interdisziplinäre Debatte, Berlin 2012, S. 25–43.Ganz in diesem Sinne soll auf den nachfolgenden Seiten der Versuch unternommen werden, die Übertragungswege neuer Bürotechnologien wie der Schreibmaschine und der sie begleitenden Ordnungssystematiken in einen breiteren Kontext einzubetten und neben den technologischen und administrativen Bedingungen und Herausforderungen auch die an diesem Prozess beteiligten Akteursgruppen und deren Interessen genauer in den Blick zu nehmen. Wobei sich das Interesse des Beitrags, gewissermaßen komplementär zur bestehenden Historiografie,Exemplarisch verwiesen sei hier nochmals auf Engstrom / Hess: Zwischen Wissens- und Verwaltungsökonomieweniger auf die internen Verwaltungsprozesse und Organisationsstrukturen der Charité, sondern eher auf jene externen Faktoren richten wird, von denen ein nicht unerheblicher Modernisierungsdruck auf die Charité-Administration ausging.InnovationAuf die Frage, inwieweit Bürotechnologien im Allgemeinen und die Schreibmaschine im Besonderen als Innovationen zu bewerten seien, hätte Otto Burghagen (1855–1906)Zur Person Otto Burghagen vgl. Martin Reese: Der Burghagen Verlag, in: Historische Bürowelt 93 (2013), S. 9–19.als »Lehrer des Maschinenschreibens an der Handels-Akademie in Hamburg« sicherlich mit Unverständnis reagiert. Für ihn bestand kein Zweifel daran, dass vor allem die Schreibmaschine als eine der größten Erfindungen der Neuzeit zu gelten habe, die in verhältnismäßig kurzer Zeit »revolutionierend [...] eine neue Ordnung der Dinge [...] überall da heraufgeführt [hat], wo bislang die Feder die unbestrittene Alleinherrschaft führte.«Otto Burghagen: Die Schreibmaschine. Ein praktisches Handbuch enthaltend alles Wissenswerte für Lernende wie für Maschinenschreiber, Hamburg 1898. Hier S. 1.Also praktisch überall dort, wo geschrieben wurde – in den Kontoren, Kanzleien, Schreibstuben, Registraturen, Büros und nicht zuletzt – oder vielleicht sogar zuvörderst – an den literarischen Schreibtischen. Und während Marc Twain 1874 mit »Tom Saywer« das vermutlich erste Typoskript der Literaturgeschichte schuf,Und – so die Legende – seinen Verlag darum bat, diesen Umstand doch bitte nicht weiter zu erwähnen, da sich niemand mehr für sein Buch interessierte, sondern ihn vor allem mit Fragen zu seiner Remington Schreibmaschine bestürmten. Vgl. Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, Hier S. 285. Siehe auch Catherine Violett: Mechanisches Schreiben, Tippräume. Einige Vorbedingungen für eine Semiologie des Typoskripts, in: Davide Giuriato / Martin Stingelin / Sandro Zanetti (Hg.): »SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN«, Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte, München 2005, S. 21–48.Friedrich Nietzsche einige Jahre später über seine »Malling-Hansen« SchreibkugelZur Geschichte der »Malling-Hansen« vgl. etwa Martin Ernst: Die Schreibmaschine und ihre Entwicklungsgeschichte, Aachen 1949.gebeugt einsiedlerisch über die physiologischen Zusammenhänge maschinellen Schreibens und poetologischen und philosophischen Denkens sinnierte,Im Kontext von Medientheorie und Kulturwissenschaften ist der Briefwechsel zwischen Heinrich Köselitz (alias Peter Gast) und Friedrich Nietzsche aus dem Jahr 1882 in die Geschichte eingegangen. In diesem lässt sich der berühmt gewordene Satz Nietzsches finden, in dem er bekundet: »SIE HABEN RECHT – UNSER SCHREIBZEUG ARBEITET MIT AN UNSEREN GEDANKEN.« Nach Dafürhalten des Philosophen Stephan Günzel, handele es sich dabei um die »erste Explizitmachung der Abhängigkeit des Denkens vom Medium seiner Artikulation« Vgl. Stephan Günzel: Nietzsches Schreibmaschinentexte, Weimar 2003. Der besagte Briefwechsel ist dokumentiert in: Friedrich Nietzsche: Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Giorgo Colli / Mazzino Montinari. Abteilung 3, Band 2. Briefe an Friedrich Nietzsche. Januar 1880 – Dezember 1884, Berlin 1981. Hier S. 229.veränderten sich in den Geschäftsschreibstuben der Wirtschaft – eher profan – die Formen der Ablagesystematiken. Denn die Schreibmaschine entfaltetet ihr revolutionäres Potenzial nicht zuletzt durch die Kombination mit weiteren fundamentalen medientechnischen Neuerungen, wie Kohlepapier, Kopiergeräten, Karteikästen oder etwa dem Stehordner, dessen Entwicklung von ähnlicher Bedeutung für die bürokratische Moderne gewesen sei, »wie die Einführung von Pflug und Steigbügel für das Mittelalter.«Cornelia Vismann: Akten. Medientechnik und Recht, Frankfurt am Main 2000. Hier S. 276f.Im Gegensatz zu den bis dahin vorherrschenden gebundenen Geschäftsbüchern – ob nun in Handelshäusern oder als Stationsjournale in Krankenhäusern – ermöglichte dieser nunmehr eine variable Form der Papierbündelung (loose files) und stellte somit der materialen/papiernen Vereinzelung des maschinellen Schreibens die entsprechende (An-)Ordnungslogik zur Seite. Kein Zweifel: Die Bürotechnologien, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts allmählich in Wirtschaft und – aus noch zu erläuternden Gründen – mit einiger Verspätung auch in staatlichen Verwaltungsapparaten ihre Verbreitung fanden, sind zweifelsohne als Innovationen zu bewerten. Auch angesichts der historiografischen Eindeutigkeit – ob nun aus medien-,Die medienhistorischen Zugänge zu Bürotechnologien Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen sich durchaus disparat und lassen sich nochmals in vielfältige Gegenstandsbereiche ausdifferenzieren. Etwa in Epistemologien mechanischen Schreibens und Medienarchäologie vgl. Knut Ebeling: Wilde Archäologien 1. Theorien materialer Kultur von Kant bis Kittler, Berlin 2012. Oder klassisch Friedrich Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900, München 2003. Zum Verhältnis von Medientechnik und Recht siehe Vismann: Akten. Und schließlich Medientechniken und Archiv, so etwa bei Markus Krajewski: Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geist der Bibliothek, Berlin 2017.wissenschafts-Hierbei vor allem im Kontext von Rationalisierungsdiskursen und dem Aufkommen neuer Organisationstheorien im Zuge des »scientific managemets« Anfang des 20. Jahrhunderts. Vgl. etwa Ursula Nienhaus: Rationalisierung und »Amerikanismus« in Büros der zwanziger Jahre, in: Alf Lüdtke / Inge Marßolek / Adelheid von Saldern: Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1996, S. 67–77. Auch Christine Schnaithmann: Das Schreibtischproblem. Amerikanische Büroorganisation um 1920, in: Lars Bluma / Karsten Uhl (Hg.): Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2012, S. 323–360. Im Kontext von Physiologie und Biopolitik(en) innerhalb der Arbeitsorganisation siehe Philipp Sarasin: Die Rationalisierung des Körpers. Über »Scientific Management« und biologische Rationalisierung, in: Ders.: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt am Main 2003, S. 61–99. Ebenso Anson Rabinbach: The Human Motor. Energy, Fatigue, and the Origins of Modernity, (University of California Press) 1992.oder sozialhistorischerMit der Gruppe der »Angestellten« entstand in der bürokratischen Moderne nicht nur eine neue, »zwischen allen Klassen« stehende soziale Schicht, sondern auch eine neue literarische Figur, wie das unter anderem in der Weimarer Republik weitverbreitete Genre der sogenannten »Angestelltenliteratur« verdeutlicht. Vgl. dazu Christa Jordan: Zwischen Zerstreuung und Berauschung. Die Angestellten in der Prosa am Ende der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1988, S. 118–131. Siehe auch Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt am Main 2001, S. 28–35.Perspektive – mit der die Folgen der medientechnologischen Neuerungen Anfang des 20. Jahrhunderts bislang bedacht wurden, kann angesichts der sich darin spiegelnden ubiquitären gesellschaftlichen Durchdringung am innovativen Potenzial dieser eigentlich kaum Zweifel bestehen.Andererseits lassen sich mit Blick auf die zeitgenössische Perzeption gelegentlich Ungereimtheiten erkennen, die diese wohlbekannten historiografischen Narrative zwar nicht grundsätzlich infrage stellen, aber doch in ihrer Eindeutigkeit herausfordern. Etwa wenn Martin Heidegger (1889–1976) die zur Ikone der bürokratischen Moderne geronnene Schreibmaschine als »unscheinbares Gerät« tituliert, dass »fast alltäglich und daher unbemerkt« Weltgeschichte gemacht habe.Martin Heidegger: Parmenides. Freiburger Vorlesung Wintersemester 1942/43, hg. von Martin S. Frings, Frankfurt am Main 1982. Hier S. 126f.Die von Heidegger konstatierte Unscheinbarkeit kontrastiert dabei auf bemerkenswerte Weise die Sicht Burghagens, für den das emsige Klappern und Hämmern [von] Metalltypen schon lange kein ungewohnter Klang mehr [ist]« und dass »gewiss wohl jeder schon selbst wahrgenommen haben [wird], wie rapide in den letzten Jahren die Zahl der einlaufenden Briefschaften mit Maschinenschrift zugenommen haben.Burghagen: Schreibmaschine, S. 2.Zugleich mischen sich aber auch in Burghagens uneingeschränkte Bejahung und Begeisterung für die neue Medientechnologie ernüchterte Zwischentöne, wenn dieser mit bewunderndem und sehnsüchtigem Blick nach Amerika und dem sich dort allmählich abzeichnenden »efficiency craze«Zum Rationalisierungshype in den USA Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts siehe etwa Bruce Kyle / Chris Nyland: Scientific Management, Institutionalism, and Business Stabilization: 1903–1923, in: Journal of Economic Issues 35, 4 (2001), S. 955–978. Ebenso JoAnne Yates: Control through Communication. The Rise of System in American Management, (Johns Hopkins University Press) Baltimore 1989. Schließlich Alfred Dupont Chandler: The Visible Hand: The Managerial Revolution in American Business. o.O., 1977. Dazu, welche Faszination die Rationalisierung der amerikanischen Gesellschaft in Deutschland hervorrief vgl. Michael Bienert: Reisen in die Zukunft. Die USA-Besuche des Berliner Magistrats 1929. (Ernst-Reuter-Hefte, Bd. 4) Berlin 2014.sein Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass die »Einführung der Schreibmaschine in Deutschland nicht so rasche Fortschritte mache«, da im Gegensatz zum rastlos thätigen Erfindungsgeist der Amerikaner [...] der Europäer ziemlich langsam in der Acceptierung neuer Sachen [ist], wie nützlich sich dieselben auch für jedermann erweisen mögen.Burghagen: Schreibmaschine, S. 2.Transition und widerständige AkzeptanzNun blieben Burghagen aber keineswegs die Ursachen dieser anfangs eher zögerlichen Adaption in Europa und Deutschland verborgen. Ein erster Punkt war der relativ hohe Beschaffungspreis einer Schreibmaschine. Zudem erforderte die Anschaffung einer solchen angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Systeme – Ende des 19. Jahrhunderts waren bereits mehr als 600 Schreibmaschinentypen patentiertZumindest laut Burghaben: Schreibmaschine, S. 2.– »ein eben solches Mass von Vorsicht, wie der Kauf eines Pferdes«, wie Burghagen bekundete.Burghaben: Schreibmaschine, S. 7.Im Gegensatz zum Pferdekauf aber, für den man zum Zwecke der vergleichenden Beschau den nächstgelegenen Pferdemarkt ansteuern konnte, existierten für Schreibmaschinen zunächst kaum vergleichbaren Strukturen. So gab es weder die Möglichkeit vor dem Kauf mehrere Systeme erst einmal zu testen noch existierten darüber hinaus entsprechende Servicestrukturen zur Wartung und Reparatur der in der Anfangsphase noch vergleichsweise fehleranfälligen Schreibapparate, deren »kleinen versteckten Bosheiten [...], die nur eines geringen Anstoßes bedürfen, um zum Vorschein zu kommen [...] man ohne erfahrenen Berater hülflos gegenüber« stünde, so Burghagen.Burghaben: Schreibmaschine, S. 7.Und schließlich mangelte es zunächst nicht nur an adäquaten Vertriebs- und Servicestrukturen, sondern schlicht und ergreifend an hinreichend ausgebildetem Personal zur korrekten Verwendung einer Schreibmaschine, deren Potenziale zur Arbeits- und Zeitersparnis in den »Händen ungeschickter oder gar ungebildeter Leute«Burghaben: Schreibmaschine, S. 4.nachgerade in ihre Gegenteil verkehrt zu werden drohten.Ähnliches ließ sich andernorts in Bezug zu Karteikartensystemen vernehmen. So gebe es kaum ein Werkzeug, warnte etwa Wilhelm Dux 1922 in seiner Schrift »Die Kartei des Kaufmanns«, »das in der Hand eines ungeschickten Benutzers so wertlos ist, wie gerade die Kartei.«Wilhelm Dux: Die Kartei des Kaufmanns, Stuttgart 1922, S. 6.Hinter diesen Einlassungen verbirgt sich eine Paradoxie bürotechnologischer Rationalisierung von Verwaltung, die zwar das Schreiben mechanisiert, aber ganz im Sinne der tayloristischen Logik von Arbeitsteiligkeit zugleich ein Mehr an Personal neuen Typs benötigte. Nämlich dem angestellten Büroarbeiter, vor allem aber der Büroarbeiterin, ausgebildet im Schreibemaschineschreiben und Kurzschrift, in Formularwesen und Ablagesystematik, zuständig zumeist für die Bearbeitung eines spezifischen Vorgangs im Räderwerk einer übergeordneten Verwaltungsmaschinerie.Vgl. bspw. Krajewski: Zettelwirtschaft, S. 152–155.In dem Maße also, indem sich mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert »das Organisationsdispositiv allmählich von einem verwaltungspraktischen zu einem bürotechnischen«Vismann: Akten, S. 267.wandelte, lösten sich zugleich die überkommenden sozialen Strukturen von Verwaltungsordnung auf. Auch dieser Umstand spiegelt sich in den Warnungen vor allzu schnell wechselnden und/oder nur unzureichend ausgebildetem Personal wider, das nach Ansicht des Archivars Wilhelm Rohrs zudem »die einst von den preußischen Registratoren [...] so fein geübte Kunst [der] systematische[n] Ordnung des Schreibwerks nach Sachbetreffen« verpfusche.Rohr: Aktenwesen, S. 55.Derlei Monita von Vertretern einer nun obsolet gewordenen und bislang ausschließlich männlich geprägten administrativen SchriftkulturVgl. etwa Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Insbesondere S. 273–278.ließen sich allenthalben vernehmen in denen aber neben einem Bedauern durchaus auch das Bewusstsein um deren Unwiederbringlichkeit zum Ausdruck kam. So formulierte Wilhelm Rohr mit Blick auf die sogenannte Büroreform, also dem Rationalisierungsversuch der öffentlichen Verwaltung im Verlaufe der 1920er-Jahre, dass man in dieser nicht ausschließlich den Einbruch traditionsfeindlicher, behördenfremder Bestrebungen, die ein gutes, solides System störten und zu Fall brachten« zu sehen habe, sondern dass sich »dieses System selbst [...] den Ansprüchen eines von Grund aus gewandelten Zeitalters nicht mehr gewachsen gezeigt und zuletzt sich totgelaufen [hatte].Rohr: Aktenwesen, S. 56.In Rohrs Deutung hatte demnach das Schreiben mit der Hand in Behördenkanzleien längst vor der Ankunft der neuen Schreib- und Bürotechnologien »seine Kultur eingebüßt« und erst dadurch dem »mechanischem Prinzip« einen Angriffspunkt geboten, um an »entscheidende[r] Stelle [...] in das Aktenwesen [einzudringen]« und damit ein unumkehrbarer Prozess einsetzte, in dessen Verlauf sich jenes bürotechnische Prinzip »zuerst inmitten der noch fortbestehenden alten Formen wie etwas Fremdes [...] ausnimmt, dann aber bald auch sie zu ersetzen oder zu beherrschen trachtet.«Rohr: Aktenwesen, S. 55.Es sei vor allem die Massenhaftigkeit des modernen Schreibwerks, die die alten Formen sprenge und diese illusorisch mache. So raube die bereits im 19. Jahrhundert überhandnehmende Vervielfältigung von Schriftstücken, erst recht dann die Verwendung der Schreibmaschine, die immer stärkere Durchsetzung mit Formularen, Umdrucken, Drucken aller Art [...] dem Akteninhalt den Wert der Einmaligkeit, der ihm früher anhaftete.Rohr, Aktenwesen, S. 54f.Und nicht zuletzt durch den allmählichen Wegfall der »feineren Hilfsmittel unserer alten Registratoren, die Führung der Rotuli in den Aktenstücken, die Auszeichnung der einzelnen Vorgänge, die Herstellung alphabetischer Sach- und Namensweiser« entstünden, so Rohr weiter, Spezialregistraturen von »gewaltigen Ausmaßen, aber mit engem sachlichen Radius«, wobei man die »Berge unbedeutenden Schreibwerks« nachgerade unbeholfen weiterhin »nach hergebrachter Weise treulich« hefte und schließlich erfolglos Herr zu werden versuche.Rohr: Aktenwesen, S. 55.Aus innovationsgeschichtlicher Perspektive sind die Beschreibungen Wilhelm Rohrs auch deshalb aufschlussreich, als er mit seinem Verweis des Nebeneinanders von alten und neuen Formen administrativen Handelns nicht nur die sich daraus ergebenen sozialen Spannungs- und Konfliktfelder, sondern zugleich die administrativen Dysfunktionalitäten verdeutlicht. Hierin liegt dann auch der eigentliche historiografische Gehalt der Gegenüberstellung zum einen der Begeisterung des Maschinenschreiblehrers Burghagens, zum anderen der in Anerkennung des Unausweichlichen mündenden Kritik Rohrs und schließlich des Bonmots der Schreibmaschine als »unscheinbarem Ding« des Existenzialisten Heidegger. Und zwar insofern, als deren jeweilige Auseinandersetzung mit den bürotechnologischen Neuerungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Wesentlichen den Beginn, Verlauf und Ende jenes Innovationsprozesses markieren, in dessen Zuge die Schreibmaschine und die sie begleitenden Medientechnologien Verwaltungen und Gesellschaft sukzessive durchdrungen haben. Wobei gerade das hier zu Tage tretende Spannungsverhältnis zwischen der Faszination (oder eben auch Ablehnung) des Neuen und der Unscheinbarkeit des Alltäglichen geeignet scheint, den historisierenden Blick auf Innovationsprozesse zu schärfen, da sich hierüber ein grundlegendes Problem nicht nur innovationsgeschichtlicher Perspektiven adressieren lässt. Nämlich das einer allzu präsentistischen Ausdeutung jener technologischen und/oder administrativen Neuerungen, die im Zuge ihrer breiten Durchsetzung derart zum Selbstverständlichen geworden sind, dass diese auch in der historischen Retrospektive die Gefahr bergen, gewissermaßen als self-evident wahrgenommen zu werden. Dass also ex-post die Bedeutung der Erfindung einer Technologie überbewertet und die Schwierigkeiten, Störungen, Dysfunktionalitäten und Widerstände im Prozess ihrer Implementierung, wenn überhaupt, dann weit weniger Berücksichtigung finden und somit zu historiografischen Fehldeutungen führen können. So etwa mit Blick auf das Verhältnis von Bürokratie und Innovation, das der vorliegende Band mit seinen Beiträgen unter anderem zu adressieren beabsichtigt und dem populären Topos einer reformunwilligen und reformunfähigen Bürokratie, die sich mit aller Beharrungskraft, »ideologischen Bekenntnissen gleich« überkommenden Ordnungsregimen, wie »badischer Knoten oder der preußischen Heftung«Vismann: Akten, S. 282.bürotechnologischen Neuerungen entgegenstellt. Aber die verspätete Ankunft solcher, beispielsweise in der preußischen Bürokratie, allein als traditionsversessene Widerständigkeit gegenüber dem Neuen verstehen zu wollen, mag angesichts der eben beschriebenen Schwierigkeiten ein allzu harsches Urteil sein. Denn die allenthalben kolportierte »Vereinfachung des Bureaudienstes«,Burghagen: Schreibmaschine, S. 1.der in Aussicht gestellte Zeitgewinn und die Geldersparnis durch die Verwendung neuer Bürotechnologien, war aus Sicht einer noch weitestgehend funktionalen Verwaltung wie der preußischen keineswegs evident. Mögen den einzelnen Administratoren oder Beamten die Vorteile von Schreibmaschine & Co durchaus unmittelbar eingeleuchtet haben, so waren die organisatorischen, materiellen, personellen und juridischen Herausforderungen im Maßstab einer staatlichen Verwaltung wie der preußischen immens. Denn die Einführung neuer Medientechnologien und damit verbundener Ordnungsprinzipien bedeutete paradoxerweise erstmal eines – noch mehr Bürokratie!Transfer – Aneignung – RegulierungDas galt nicht zuletzt auch für die Verwaltungen von Krankenhäusern. Geht man davon aus, dass sich die Verbreitung von Bürotechnologien in Kliniken weder über einfache Übertragung von »business techniques« noch über deren Adaption und Einführung aus den Zwängen klinischer Praxis heraus hinreichend erklären lässt, stellt sich die Frage, wie genau, durch wen, auf welchen Wegen und aufgrund welcher Umstände Bürotechnologien ihren Weg in die Kliniken fanden. Wenn man vor dem Hintergrund dieser Frage die klinische Binnenperspektive verlässt, wird deutlich, dass sich eine ganze Reihe externer Faktoren und Akteure identifizieren lassen, die einen erheblichen Modernisierungsdruck auf Kliniken wie die Charité ausübten – auch und vor allem im Kontext der (materialen) Modernisierung ihrer Verwaltungsstrukturen. So spielten erstens Versicherungsanstalten und Genossenschaften im Kontext medizinischer Begutachtungspraktiken eine wesentliche Rolle bei der Etablierung neuer Bürotechnologien und der Realisierung formalisierter Aufschreibepraktiken. In diesem Zusammenhang, werden zweitens zudem Fragen der Beschaffung zentral, wobei einer kaum überschaubaren Produktvielfalt auf dem Bürobedarfmarktes ein Mangel an Erfahrung im Umgang und den technischen Spezifika der neuen Technologien gegenüberstand, der eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für Klinikverwaltungen darstellte. Wodurch den Herstellern und deren Vertriebspartnern als weiterer Akteursgruppe eine entscheidende, wenn naturgemäß auch nicht ganz uneigennützige Vermittlerrolle zukam, die diese auch deshalb einnehmen konnten, weil erst mit Beginn der 1930er zentrale Beschaffungsstrukturen etabliert wurden. In diesen vergleichsweise späten Zentralisierungsbemühungen spiegelt sich drittens das Problem einer nur schleppend verlaufenden Regulierung und Bestimmung der zu verwendenden Büromaterialien und -systeme durch übergeordnete Behörden, die aber häufig nur auf Probleme und Fragen reagierten, die der praktischen Anwendung selbst entsprangen. Was in der Konsequenz zu einer Verwaltungen übergreifenden materialen Heterogenität führte, die dem eigentlichen Ziel der bürokratischen Rationalisierung und Vereinheitlichung entgegenstand. Es sind diese drei Aspekte und die mit diesen verbundenen Spannungsfelder, die nachfolgend genauer beleuchtet werden sollen, um die ganz praktischen Herausforderungen, denen sich die Charité-Verwaltung gegenübersah, genauer zu konturieren.Genossenschaften und VersicherungsanstaltenNicht erst im Zuge sozialstaatlicher Verdichtung umfassten gutachterliche Tätigkeiten einen Teil des medizinischen und klinischen Aufgabenspektrums. Zumeist von Kassen oder Genossenschaften als entsprechende Kostenträger in Auftrag gegeben, transportierten Gutachten als spezifische Kommunikationsform handlungsanleitendes Wissens im Kontext der Überprüfung von Ansprüchen zur Kostenübernahme von Behandlungen oder der Gewährung von Rentenzahlungen.Zur Geschichte und Vielfältigkeit medizinischer Gutachten vgl. Geisthövel / Hess (Hg.): Gutachten.Zugleich aber verbanden medizinische Gutachten in ihrer Funktion als kommunikative Schnittstelle zwischen Klinik und Versicherungen zwei Teilsysteme, denen eine jeweils spezifische Funktionslogik zugrunde lag, was in der Folge zu einem beständigen Spannungsverhältnis zwischen beiden Bereichen führte. So trafen ökonomische Versicherungs- und Verwaltungslogik auf der einen, auf ärztliches Ethos und der Verpflichtung zu Methoden der wissenschaftlichen Objektivität, die sich nicht zuletzt auf apparative Diagnosetechnologien stütze, auf der anderen Seite. An einem Beispiel aus der Charité lässt sich dieses grundsätzliche Problem verdeutlichen.So erging 1902 an den Geheimen Medizinalrat Professor Dr. Köhler an der chirurgischen Abteilung der Berliner Charité der Auftrag für die Königliche Eisenbahn-Direktion in Berlin ein Unfallgutachten von Arbeiter Hermann S. anzufertigen. Für die im Zuge des Gutachtens angefertigten zwei Röntgenaufnahmen verlangte die Charité 24 Mark. Eine enorme Summe für ein einzelnes Gutachten, die in der Folge zu Klärungsbedarf zwischen der Charité und dem Kostenträger führte. Zur Klärung des Sachverhalts erbat man sich diesbezüglich eine Stellungnahme des Medizinalrats, der daraufhin folgende Aufstellung der Kosten mitteilte:Für die Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen und für die Herstellung von Röntgenbildern [...] kann man im Durchschnitt [annehmen], dass die Herstellung und Entwicklung zweier Platten (nur ganz ausnahmsweise genügt eine Platte für die Diagnose) 2 Stunden, die Herstellung einer Kopie 1 Stunde erfordern; dazu ist die Tätigkeit und Mitwirkung eines Ober- oder Unterarztes und einer Schwester, sowie die Hülfe mehrerer Wärter und Wärterinnen nötig. [...] Dieser Aufwand [...] ist [...] mit 3 Mark pro Aufnahme [...] zu berechnen. Dazu kommen dann die wirklichen Unkosten; die Kosten des Materials, der Platten, der Röhren, der Neben-Apparate; die Verzinsung der ganzen Anlage, die Abnutzung der einzelnen Teile.Schreiben vom 6. Januar 1903 (Abschrift), Humboldt-Universität Berlin (HU), Universitätsarchiv (UA), Charité-Direktion Nr. 1239, Ausstellung von ärztlichen Attesten und Gutachten über Kranke in der Charité, 1828–1929, Bl. 167. [Hervorhebung im Original]Ganz abgesehen davon, dass es angesichts des hier dargelegten enormen personellen und materiellen Aufwandes einer Röntgenaufnahme kaum verwundern kann, dass solche innovativen bildgebenden Diagnoseverfahren Anfang des 20. Jahrhunderts noch keineswegs zur klinischen Routine gehörten, deutet dieses Beispiel ein Konfliktfeld zwischen der Charité und den Versicherungen und Genossenschaften an, das schließlich in einem von Seiten der Kostenträger angestoßenen Formalisierungsprozess gutachterlicher Praxis mündete, der sowohl die apparative als auch formelle, das heißt schriftliche Verfahrensweise umfasste und dem sich die Charité kaum entziehen konnte. Beispielhaft dafür ist ein Schreiben der Ziegelei-Berufsgenossenschaft, das am 18. April 1911 an die Charité-Direktion erging.Von unserem Genossenschaftsvorstand sind für sämtliche Sektionen unserer Genossenschaft gleichlautende Formulare zu Arztgutachten eingeführt und einheitlich vorgeschrieben worden. Wir übersenden Ihnen beifolgend einer Anzahl dieser Formulare zum Gebrauch bei Begutachtungen von uns Ihnen überwiesener Unfallverletzter mit der Bitte, für uns bestimmte Gutachten fortan gefl. ausnahmslos auf diesem Formular – und zwar entweder mit Kopiertinte geschrieben, oder in doppelter Ausführung – auszufertigen [...]. Gleichzeitig benachrichtigen wir Sie ergebenst, daß seit langen Jahren mit den unserer Verletzten behandelnden Heilanstalten [...] als Honorar für solche Formulararztgutachten der Betrag von 10 M von uns vereinbart worden ist. Wir fragen daher hiermit ergebenst an, ob Sie ebenfalls bereit sind, fortan den gleichen Betrag für Gutachten [...] uns in Anrechnung zu bringen.HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 269. [Hervorhebungen im Original]Die allmähliche Durchsetzung von Pauschalbeträgen für gutachterliche Leistungen schloss gewissermaßen en passant teure apparative Untersuchungsverfahren bei der Erstellung von Gutachten aus, was sich auch darin äußerte, dass die Erstattung der Nebenkosten, zu denen eben auch Röntgen- und Laboruntersuchungen gezählt wurden, zu einem ständigen Streitpunkt zwischen der Charité und den Krankenkassen wurde, wobei diese sich konsequent auf die Praxis städtischer Krankenhäuser beriefen, keine »Nebenkosten« aufzustellen, und eine Zahlung solcher fortan verweigerten.Vgl. Ursula Jakobi: Patientenzugänge der Charité zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Regelungen und Probleme der Krankenaufnahme unter dem Aspekt der Kostenträgerschaft. (Diss) Charité – Universitätsmedizin 2012, S. 103.Gleichzeitig stieg vonseiten der Kassen der Druck zu formalisierten Schreibverfahren, wobei diese vor allem die Ordnung ihrer eigenen Ablagesysteme im Blick hatten. So erbat sich etwa die Norddeutsche-Holz-Berufsgenossenschaft in einem Schreiben an die Charité-Direktion 1913, dass Gutachten, sollten diese nicht mit Schreibmaschine in 2-facher Ausfertigung hergestellt werden, bei handschriftlicher Ausfertigung stets mit Kopiertinte zu verfassen seien. Grund der Bitte war aus Sicht der Genossenschaft das Ärgernis, dass »in letzter Zeit die oft sehr langen Gutachten immer wieder mit Buchtinte geschrieben worden sind, sodass die Abnahme einer Kopie für unsere Akten leider nicht möglich war.«Schreiben vom 8. November 1913, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 294.Dieses Nebeneinander verschiedener Formate, Materialien, Schriftverfahren, das sich durch neue Bürotechnologien zunächst sogar noch verschärfte, war aus büroorganisatorischer Sicht auch deshalb problematisch, als es jedes Unterfangen bürokratischer Rationalisierung erheblich erschwerte. Aber das galt im gleichen Maße auch für die Charité-Verwaltung höchst selbst. So dürfen die ständig wiederkehrenden Anmahnungen der Versicherungen zur Einhaltung eines materialen und formellen Standards nicht als Indiz einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Krankenhausverwaltung missverstanden werden. Das Problem lag vielmehr an anderer Stelle. So wurden zum einen derlei Verwaltungsvorgaben in der ärztlichen Belegschaft nicht unbedingt begeistert aufgenommen, wähnten diese nicht selten einen bürokratischen Eingriff in ihre ärztliche Autonomie und vor allem Kompetenzen. Es ist sicherlich nicht übertrieben, der Ärzteschaft allgemein ein eher angespanntes Verhältnis zur Bürokratie zu unterstellen, auch wenn es eher selten in dem Verdikt der »Todfeindin Bureaukratie!«So der Titel eines erzürnten Beitrages bezüglich des Entwurfs einer neuen Reichsversicherungsordnung (RVO), der 1909 in den Ärztlichen Mitteilungen des »Verbands der Ärzte Deutschlands zu Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen« abgedruckt wurden. Vgl. Ärztliche Mitteilungen 5, 24 (1909), S. 442–444.aufgegangen sein dürfte. Aus den Akten zur »Regelung des Aufnahmedienstes«HU UA, Charité Direktion, Nr. 88 bis 91.geht jedenfalls hervor, dass die ärztliche Belegschaft der Charité häufig nicht im geforderten Maße und mit der entsprechenden Sorgfalt den Verwaltungsvorgaben nachkam. Das Nichteinhalten von Entlassungsfristen von Patient:innen etwa, unvollständig oder falsch ausgefüllte Formulare oder unzureichende geführte Büro- und/oder Stationsjournale waren aus Sicht der Verwaltung dabei nicht nur ein stetes Ärgernis, sondern konnten im Zweifelsfall zu erheblichen Schwierigkeiten etwa bei gerichtlichen AnfragenDarauf wies bereits 1898 der ärztliche Generaldirektor Hermann Schaper (bis 1904) hin. Vgl. HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 112f.oder eben im Kontext von Kostenübernahme durch die Krankenkassen führen.Siehe Schreiben der Landesversicherungsanstalt Berlin, 31.12.1900, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Die Ausstellung von ärztlichen Attesten und Gutachten über Kranke in der Charité, Bl. 133.BeschaffungWeitaus schwerwiegender wog indes der Druck, der von den Versicherungen und Genossenschaften auf die Charité-Verwaltung in Bezug zu Beschaffungsfragen ausging. Denn deren Verlangen zur Verwendung klar bestimmter Formulare, Materialien sowie die kaum verhohlene Aufforderung, die bislang noch häufig handschriftlichen verfassten Gutachten doch am besten auf der Schreibmaschine abzufassen, konnte die Charité-Verwaltung auf Grund der Gefahr verzögerter oder gar unterlassener Zahlungen nicht ohne weiteres übergehen und zwang diese wohl oder übel bürotechnisch aufund nachzurüsten. Allerdings war dies aus mindestens zwei Gründen für Krankenhausverwaltungen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine durchaus aufwendige Aufgabe. Zum einen, da anfallende Mehrkosten durch Beschaffung, allfällige Wartungen, passende Materialien sowie ausreichend geschultes Personal et cetera. nicht auf die Krankenkassen umgelegt werden konnten. Zumal auch das Reichs-Versicherungsamt in Absprache mit dem Ministerium des Innern verdeutlichte, dass »die Benutzung der Schreibmaschine [...] grundsätzlich [nicht] zu einer Verteuerung der Schreibarbeit führen« dürfe.Schreiben des Präsidenten des Reichs-Versicherungsamtes an die Königliche Charité-Direktion vom 19. Januar 1909 (Abschrift). HU UA, Charité-Direktion, Nr. 1239, Bl. 228.Und zum anderen, da sich die Charité-Verwaltung selbständig auf dem überbordenden Markt für Bürotechnologien orientieren musste, was noch zusätzlich dadurch erschwert wurde, dass es von übergeordneten Ministerialbehörden kaum Empfehlungen oder Anordnungen der zu verwendenden Materialien gab. Von einer systematischen Beschaffungsstrategie war man jedenfalls noch meilenweit entfernt und so begnügte man sich einstweilen mit zwei Vorgehensweisen: erstens mit dem Einholen und Vergleichen von Angeboten der diversen Hersteller respektive den lizensierten Vertriebspartnern und zweitens, der proaktiven Anfrage bei anderen Behörden bezüglich deren Erfahrungswerten mit bestimmten Büro- und Schreibsystemen. Krankenhäuser, so wird mit Blick auf die vielfältigen Werbebroschüren von Herstellern und Vertriebsfirmen, die an die Charité-Verwaltung ergingen, deutlich, stellten für einschlägige Firmen lukrative Vertragspartner dar.Aber der Transfer von Bürotechnologien in die Verwaltungen lässt sich nicht einfach in den Kategorien Angebot, Nachfrage und Verkauf erschöpfend erklären. Vielmehr offenbart sich hier ein Feld sozialer Beziehungen, das sich von der Entwicklung erster moderner und passgenauer MarketingstrategienZur Geschichte des Marketings allgemein siehe etwa Hartmut Berghoff (Hg.): Marketinggeschichten. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt am Main 2007. Im Kontext Marketing und Medizin vgl. Jeremy Greene: Keeping Modern in Medicine: Pharmaceutical Promotion and Physician Education in Postwar America, in: Bulletin of the History of Medicine 83, 2 (2009), S. 331–377.auf einem sich zunehmend stärker segmentierenden Markt seitens der Hersteller bis hin zu Aneignungsstrategien neuer Produkte und Technologien auf Konsumentenseite erstreckte, die dabei Produktvorführungen, Erfahrungsaustausch, Messebesuche und nicht zuletzt Informationsreisen, wie jener des Berliner Magistrats in den 1920er-Jahren,Bienert: Reisen in die Zukunft.umfassen konnten. Unabhängig davon, ob es sich nun um einfache Bleistifte oder um komplizierte Hilfsmaschinen, wie Kassen, Rechen- oder Schreibmaschine handelte – als potenzielle Großabnehmer waren »sämtliche Behörden [...] willkommene Interessenten auf dem Markt der Bürobedarfsbranche«, wie es 1922 in der Zeitschrift für Staats- und Selbstverwaltung hieß.Behörden als Messebesucher, in: Staats- und Selbstverwaltung. Zeitschrift für Stadt- und Gemeindeverordnete, Ehrenbeamte der kommunalen Selbstverwaltung, Staats- und Kommunalverwaltungen und -beamte, Freie Vereinigung für Rechts- und Verwaltungskunde 10, 3 (1922), S. 215f.Die durchaus interessante Frage danach, inwieweit sich die konkreten Beschaffungspraktiken von Bürotechnologien durch Verwaltungen auf dem freien Markt als Aneignungsund Transferstrategien fassen und diskutieren lassen, muss an dieser Stelle nachfolgenden Untersuchungen vorbehalten bleiben. Hier sei einstweilen nur der Hinweis angebracht, dass bezüglich der Frage nach Übertragungswegen von Business- und Bürotechniken in Krankenhaus- und andere Verwaltungen auch das durchaus ausdifferenzierte soziale Beziehungsgefüge unterschiedlicher Akteursgruppen (Ärzteschaft, Vereinigungen von Verwaltungsbeamten, Hersteller, Vertreter, Firmen, Betriebe, Einzelbehörden et cetera.) auf dem Markt der Bürobedarfsbranche berücksichtigt werden sollte. Angesichts der Vielfältigkeit nicht nur bürotechnologischer Produkte für den Krankenhausbedarf war es aus Sicht der verschiedenen Krankenhausverwaltungen, die sich ab 1903 zu einer Vereinigung der Verwaltungsbeamten größerer Krankenanstalten zusammenschlossen, jedenfalls angezeigt, Kaufentscheidungen und Vertragsabschlüsse auf eine breite Informationsbasis zu stellen und sich nicht allein auf die Angaben der Herstellerfirmen oder Prokuristen zu verlassen. Diese wurden unterdessen nicht müde, in vielfältigen Broschüren, Anzeigen und persönlichen Briefen an die Verwaltungsdirektionen die Vorzüge ihrer Produkte in höchsten Tönen anzupreisen, wobei es gängige Praxis war, vor Kauf Probebenutzungen anzubieten und zu vereinbaren. Wie etwa die Berliner Firma RONEO, die 1906 in einem Schreiben an die Charité-Direktion deren Aufmerksamkeit auf »unserer RONEO Maschine [...], die auf dem Gebiete des Vervielfältigungswesen eine völlige Umwälzung bedeutet« zu lenken beabsichtigte.Schreiben vom 1. September 1906, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 50, Bl. 86f.Mit Erfolg! Nach einer unverbindlichen Probevorführung des »neuesten Modell«, wurde wenige Tage später das RONEO Kopiergerät No. 8 erworben. Die Bestellung umfasste dabei:1 RONEO No. 8Mk.260.001 S Zubehör“18.00“278.00ab für 1 Mimeographen“45.00Mk.235.00netto1 Abonnement auf 10 Kart. Wachspapier quartaMk.5.50Abonnement auf 24 Tuben schwarze FarbeaMk.2.50Überhaupt zeigte sich die Charité-Verwaltung schon relativ früh sehr umtriebig bei Kauf neuer Bürotechnik, wobei alles noch einen sehr eklektischen und suchenden Eindruck vermittelt. Allein im Jahr 1905 wurden demnach unter anderem ein »Tintograph« der Firma Emil Lehmann (45-, Mark), eine »Burrough's Additions Machine« (ein dazu passender Tisch wird nicht gekauft), eine Remington Schreibmaschine (Standard Typewriter No. 7), ein Stift mit Additionsfunktion (6 Mark) et cetera. erworben.HU UA, Charité-Direktion, Nr. 50, Bl. 1–107.Über deren konkreten Einsatz lässt sich indes nur wenig aus den Akten herauslesen, in denen die einzelnen Geräte zumeist erst dann wiederauftauchten, wenn es um Fragen der Reparatur oder Wartung der durchaus defektanfälligen Apparaturen ging. Zur Vermeidung solcher durchaus substanziellen Servicekosten versuchte man vorrangig solche Modelle zu identifizieren, die ihre Zuverlässigkeit im täglichen Arbeiten bereits unter Beweis gestellt hatten. Zu diesem Zwecke verließ man sich nicht allein auf die Anpreisungsschreiben und praktischen Vorführungen der Büromaschinenvertreter, sondern orientierte sich an den Erfahrungen anderer Behörden, die die Alltagsfunktionalität der eben nicht günstigen Apparaturen über einen längeren Zeitraum der Benutzung einzuschätzen vermochten. So erging beispielweise am 13. März 1904 ein Schreiben des damaligen Verwaltungsdirektors der Charité, Ernst Pütter, an den Magistrat von Halle, in dem dieser um Mitteilung ersuchte, »welches System [sich] in den dortigen Bureaus am besten bewährt« habe.Schreiben von Ernst Pütter an den Hallenser Magistrat, 13.3.1904, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 49, Die Anschaffung von Formularen, Drucksachen, öffentlichen Blättern, Schreibutensilien, Insertionen in denselben, Führung der Dienstsiegel, 1883–1904, Bl. 310.Man habe mehrere Systeme in Verwendung (Hammond, Remington, Yost und Ideal), wobei aber keine dieser Maschinen solide Bauart und Billigkeit so zufriedenstellend vereine, wie die Ideal-Schreibmaschine, so die Antwort des Hallenser Magistrat.Schreiben von Ernst Pütter an den Hallenser Magistrat.Auch anhand dieser Aufzählung lässt sich ermessen, dass sich Behörden angesichts der Vielfalt existierender Schreibmaschinensysteme gewissermaßen in einer trial-and-error-Praxis ergingen. Eine Praxis, die erst 1932 [!] mit der Gründung einer zentralen Beschaffungsstelle ihr Ende fand, der es von diesem Zeitpunkt an oblag, dafür zu Sorge zu tragen,a)[daß] auf Anfrage bekanntzugeben [sei], mit welchen Büromaschinen (Schreibmaschinen, Vervielfältigungsapparaten, Schnellheftern und sonstigen Büro- und Registraturartikeln) [...] die besten Erfahrungen gemacht worden sind.b)[…] zu verhindern, daß von den Gleichen Dienststellen verschiedene Preise für gleiche Maschinen gezahlt werdenc)daß von den Lieferfirmen höhere Serienermäßigungen auf die Preise erzielt werden.Erlass der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. HU UA, Charité-Direktion, Nr. 53, Bl. 143f.Die Schaffung der Zentralstelle war, wie die Gründung des Deutschen Instituts für die wirtschaftliche Arbeit in der öffentlichen Verwaltung (Diwiv) einige Jahre zuvor auch, der späte Versuch, Aufklärungs- und Beschaffungsstrukturen zu etablieren, über die einzelnen Verwaltungen die Möglichkeit an die Hand gegeben werden sollte, sich mit den Prinzipien der Büroreform in den 1920er- und 1930er-Jahren sowie mit der »Mechanisierung der Verwaltung« vertraut zu machen.Vgl. dazu etwa Herrmann Haußmann: Büroreformen in der preußischen Verwaltung, in: Schriftenreihe des DIWIV, Bd. 2: Büroreformen in den einzelnen Verwaltungen, Berlin 1927, S. 1–.13.Damit verbunden war die Hoffnung, dass sich zukünftig eine Verwaltungen übergreifende organisatorische und preisliche Einheitlichkeit gewährleisten ließe.Vgl. HU UA, Charité-Direktion Nr. 53, Anschaffung von Formularen, Drucksachen, Schreibutensilien, 1930–1932, Bl. 143f.Im Kontext der Frage nach der Innovationsfähigkeit von Bürokratie und Verwaltung lohnt es sich also durchaus, auf die konkreten Herausforderungen im Kontext von Beschaffungspraktiken zu schauen. Denn in dem Umstand, dass zwischen Serienreife technologischer Neuerungen und systematisierter Beschaffungspraxis und somit auch einer verwaltungsübergreifenden Vereinheitlichung mehr als dreißig Jahre lagen, spiegelt sich ein weiteres grundsätzliches Problem. Nämlich die nur unzureichende Regulierung und Bestimmung darüber, welche Behörde welche Systeme und Materialien, wie und zu welchen Zwecken verwenden darf und soll, was nicht nur eine systematische Beschaffung erschwerte, sondern gleichsam verwaltungsrechtliche Fragen heraufbeschwor.Nun besteht aus administrativer Sicht eine grundsätzliche Schwierigkeit darin, dass sich solche Probleme häufig erst aus der Praxis selbst ergeben. Einer Praxis, die überdies zu verwaltungspraktischen Paradoxien führen konnte.Regulierung und Bürokratische WidersprücheDer Rationaliserungs- und Formalisierungsdruck, der angesichts einer insgesamt steigenden gesellschaftlichen Komplexität und einer damit verbundenen Aktenflut auf den Verwaltungen lastete, konnte in der Folge zu bisweilen seltsamen verwaltungspraktischen Paradoxien führen, die aber keineswegs als Kapriolen einer sich in Selbstbeschäftigung ergehenden Bürokratie missdeutet werden sollten. Denn dass die reformerischen Versuche den wachsenden Aktenbergen Anfang des 20. Jahrhunderts durch vereinfachte Geschäftsordnungen zumindest teilweise Herr zu werden ihrerseits erst einmal zu einem Mehr an bürokratischen Aufwand führten, verweist auf die widersprüchliche innere Logik einer Bürokratie, die die Maßnahmen zu Reduzierung der Aktenberge aktenförmig verhandelt. Bezeichnend und in der Rückschau fast schon amüsant zu lesen sind in diesem Kontext die vielstimmigen Beschwerden aus deutschen Beamtenstuben, dass »Die Akten btr. ›Verminderung des Schreibwerks‹ [...] einen beängstigen Umfang erreicht« hätten.Zitiert nach Vismann: Akten, S. 270.Diese Widersprüchlichkeit im Zuge der Reformbemühungen von 1910 war im gewissen Sinne auch den Versuchen der Implementierung neuer Bürotechnologien inhärent. Als technische Möglichkeit zur Reduzierung und Rationalisierung des Schriftverkehrs verursachte deren Implementierung in die bestehenden Strukturen zunächst einmal einen bürokratischen Mehraufwand. Nicht zuletzt auch deshalb, als der grundsätzlichen Bejahung der neuen Medientechnologien keine konkreten Handlungsanweisungen folgten. So wurde zwar in einer Verfügung des damaligen Preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe vom 17. Juli 1897 Schreibmaschinenschrift im Verkehr mit der Regierung als grundsätzlich zulässig erachtetWerner von Eye: Kurzgefasste Geschichte der Schreibmaschine und des Maschinenschreibens, Berlin 1958. S. 69 und 80. Zitiert nach Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Hier S. 318.und im Dezember desselben Jahres in einer weiteren Anordnung über den Geschäftsverkehr der preußischen Staats- und Kommunalbehörden der ausgiebige Gebrauch »von mechanischen Hülfsmitteln (Schreibmaschinen, Stempeln, Kopirpressen u. dgl.)«Erlass des Staatssekretärs des Inneren vom 24.12.1897, in: HU UA, Charité-Direktion, Nr. 44, Geschäftsgang bei der Königlichen Charité-Direktion, 1896–1913, Bl. 46.empfohlen. Weitere Bestimmungen, vor allem materiale Konkretisierung, blieben indes aus. So ging mit der durch diese Anordnungen hervorgerufenen Pluralisierung der Aufschreibeformate eine materiale Heterogenität einher, die nicht zuletzt aus verwaltungsrechtlicher Sicht neue Probleme mit sich brachten. Denn während beispielsweise die Versicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften zum Zwecke der Einheitlichkeit, Kopierfähigkeit und Ablagesystematik bereits konkrete materiale Anforderungen an die Erstellung medizinischer Gutachten stellten, drangen Fragen nach der Rechtsförmigkeit und Rechtsgültigkeit maschinell erstellter Dokumente, wie Beglaubigungen, Urkunden, Gutachten, und damit auch Fragen nach Manipulationspotenzialen, die sich durch die Verwendung der neuen Bürotechnologien ergaben, erst allmählich ins behördliche Bewusstsein vor. Im Kontext bürokratischer Ordnungslogiken waren solche Fragen keine Petitessen, sondern erforderten weitere Bestimmung und Regularien, denen allerdings zunächst einmal eine ausgiebige Prüfung der in Frage kommenden Materialien (Papier, Farbbänder, Farbkissen, Schreibsysteme et cetera.) vorauszugehen hatten. So beauftragte der preußische Justizminister erst 1905, also ganze acht Jahre nach der oben zitierten grundsätzlichen Empfehlung, das königliche Materialprüfungsamt in Großlichterfelde, eine größere Anzahl an Farbbändern und Farbkissen daraufhin zu prüfen, ob diese zur Benutzung bei der Herstellung von Urkunden mit der Schreibmaschine geeignet seien.Auf Grund des Ergebnisses dieser Prüfung hat der Herr Justizminister den Justizbehörden durch die abschriftlich beiligende, im Justiz=Ministerialblatte Seite 41/42 abgedruckte Verfügung vom 11. Februar d. J. die geeignet befundenen Bänder (:Kissen:) näher bezeichnet [und] die Gerichte dazu ermächtigt, die Herstellung von Urkunden mittels der Schreibmaschine fernerhin nicht mehr grundsätzlich auszuschliessen.Schreiben des Ministers der geistlichen, Unterrichts und Medizinalangelegenheiten vom 7. März 1905, HU UA, Charité-Direktion, Nr. 50, Bl. 12.Allein an diesem kleinen Beispiel lässt sich der bürokratische, rechtliche, materiale Aufwand erahnen, den die Implementierung neuer Schreibtechnologien in eine schwerfällige, wenn auch funktionale Verwaltung bedeutete und wie dadurch der eigentliche Zweck eines Innovationsprozesses stellenweise konterkariert wurde.Auch die Charité-Direktion wurde durch den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten von dieser Verfügung mit dem Hinweis in Kenntnis gesetzt, dass diese »auch innerhalb des diesseitigen Geschäftsbereiches sinngemäß zur Verfügung zu bringen« sei.Schreiben des Ministers der geistlichen, Unterrichts und Medizinalangelegenheiten.Ein umseitiger vom damaligen ärztlichen Direktor Prof. Otto Scheibe unterschriebener handschriftlicher Vermerk, verfügte diesbezüglich, dass künftig das Farbband Official Record der Firma Remington zu beziehen sei, was umgehend zum kritischen Einwand des damaligen Verwaltungsdirektor Ernst Pütter führt, warum man denn nun ausgerechnet ein amerikanisches statt eines deutschen Produktes verwenden wolle? Diese Anekdote ist auch deshalb aufschlussreich, da sie als Indiz für die häufig ausgeblendete kulturpolitische Dimension von Innovationsprozessen gewertet werden kann, die aber durchaus Effekte im (administrativen) Alltagshandeln zeitigen konnte. So etwa im Kontext der, nicht ganz zufällig vom Bürobedarfshersteller und Erfinder des Aktenordners, Friedrich Soennecken, mitangestoßenen öffentlichen Debatte, die als Fraktur-Antiqua-Schriftenstreit in die Geschichte eingegangen ist.Vgl. dazu Sylvia Hartmann: Fraktur oder Antiqua. Der Schriftstreit von 1881–1941, Frankfurt am Main 1998.Die 1911 darüber hitzig geführte Reichstagsdebatte brachte keine Entscheidung, sodass beide Schrifttypen weiterhin regulär verwendet wurden. Was beispielsweise in der Charité mitunter zu einer Verdopplung des Schriftguts führen konnte. So hat Ole Dohrmann in seiner Dissertation über die Entwicklung der medizinischen Dokumentation in der Charité festgestellt, dass in den 1920er-Jahren schreibmaschinenverfasste Sektionsberichte häufig in identischer Ausführung, einmal in Fraktur und einmal in Antiqua in die klinische Dokumentation eingingen.Ole Dohrmann: Die Entwicklung der medizinischen Dokumentation im Charité-Krankenhaus zu Berlin am Beispiel der psychiatrischen Krankenakten von 1866 bis 1945. (Diss) Berlin 2014. Hier S. 318.In welchen weiteren klinischen und administrativen Kontexten diese Praxis noch verbreitet war, lässt sich an dieser Stelle zwar nicht genau sagen. Und dennoch vermittelt sie einen Eindruck von den Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten, die durch Innovationsprozesse hervorgerufen werden können.Aber nicht nur offene oder nur zögerlich behandelte Organisationsfragen in Bezug zu Bürotechnologien und zu verwendender Materialen oder kulturpolitische Kontroversen erschwerten die Implementierung neuer Bürotechnologien in den klinischen Verwaltungsalltag. Auch personell geriet die Charité an ihre Grenzen, wobei der funktionale Wandel des Krankenhauses selbst und das damit erhöhte Aufkommen an zu bewältigenden Formularen und Schriftverkehr, etwa mit den Kassen oder im Kontext der Registratur, mitursächlich war. Die händeringende Suche und Einstellungsbemühungen von gut ausgebildetem Personal seitens der Charité-Direktion standen dabei in scharfem Kontrast zu den Vorstellungen des Ministeriums, das aus Sparsamkeitsgründen beharrlich die weitere Reduzierung des Büropersonals anmahnte und sich bei der Bewilligung neuen Personals häufig quer stellte. Überhaupt trieben die von ministerieller Seite beständig ins Feld geführten »Sparsamkeitsgründe« mitunter seltsame Blüten. So wurden angesichts einer nahezu permanenten (materialen) Ressourcenknappheit in der Zwischenkriegszeit paradoxerweise selbst die einer bürokratischen Rationalisierung Vorschub leistenden Schreibsysteme zum Gegenstand von Rationalisierung.Siehe Rundschreiben des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 18. Februar 1924. HU UA, Charité-Direktion, Nr. 51, Bl. 315.Die Charité-Direktion jedenfalls sah sich auch ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkrieges dem Dilemma gegenüber, zwischen der beständigen Suche nach geeignetem Personal und dem zähen Ringen um Bewilligung neugeschaffener Stellen durch die übergeordnete Ministerialbehörde manövrieren zu müssen. In eindringlichem Ton heißt es in einem Schreiben vom 5.9.1919 »an den Herrn Minister«:In unserem Bericht vom 14.6.19 haben wird darauf hingewiesen, daß für den Kanzleidienst 2 Bürogehilfen bzw. Bürogehilfinnen auf die Dauer voraussichtlich nicht genügen würden. Die bisher gemachten Erfahrungen haben diese Annahme bestätigt. Die beiden Hilfskräfte reichen nicht einmal aus, um die Schreibarbeiten der Männer- und Frauenregistratur zu erledigen, die in den letzten Monaten eine sehr erhebliche Steigerung durch die Aufhebung der Charité als Vereinslazarett und die um rd. 500 Personen vermehrte Aufnahme von Zivilpatienten erfahren haben. Zur Vermeidung von Kurkostenausfällen ist die Einschränkung des Schreibwerks in diesen Fällen leider nicht möglich, vielmehr brauchen wir für die Krankkassenregistratur, die erweiterte Lohnpersonal- und Generalregistratur 3 Hilfsarbeiter. Die übrigen 8 Bürohilfsarbeiter sind voll beschäftigt und können zur Erledigung dieser Arbeiten nicht herangezogen werden. Um empfindliche Störungen in unserem Geschäftsbereich zu vermeiden, waren wir genötigt, Anfang August eine Bürogehilfin einzustellen. Wir bitten die Annahme nachträglich zu genehmigen und gestatten uns im Anschluss hieran die [...] vorgeschlagene Lohnskala für die Bürogehilfinnen festsetzen zu wollen.HU UA, Charité Direktion, Nr. 165, Blatt 250.Die enge Personaldecke brachte also eine konkrete finanzielle Gefahr für die Charité mit sich. Aber neben der beständigen Auseinandersetzung mit den Versicherungsanstalten und Genossenschaften, die schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einer erheblichen Steigerung des zu bewältigenden Verwaltungsaufwandes geführt hatte,Jakobi: Patientenzugänge, S. 161.deutet sich in dem hier zitierten Schreiben der paradoxe Gehalt von Formalisierung und Einführung neuer Schreib- und Vervielfältigungssysteme auch im Kontext klinischer Dokumentationspraktiken an. Denn was auf Seiten der Administration zu mehr Effizienz führen sollte, brachte auf klinischer Seite eine wahre Formularflut hervor, nicht zuletzt, weil die bürotechnologischen Innovationen um 1900 in der Folge zu einem neuen epistemologischen Gefüge in der Medizin beitrugen. Mitursächlich dafür war die im Zuge des bürotechnologischen Wandels zu beobachtenden Tendenzen des Auf- und Ausbaus arbeitsteiliger Organisationsstrukturen, die der seit dem 19. Jahrhunderts ohnehin zunehmenden Spezialisierung medizinischer Handlungsfelder noch zusätzlich Vorschub verlieh und darüber die administrative Komplexität von Krankenhäusern im Gesamten erheblich steigerte.FazitIn Medizin- und Wissenschaftsgeschichte mangelt es nicht an Studien, die den epistemologischen Zusammenhang zwischen Bürotechnologien und Verwaltungsorganisation in Krankenhäusern und medizinischer Praxis und Forschung adressieren. Auch an der Bedeutung dieser Technologien und den mit diesen verbundenen neuen büroorganisatorischen Prinzipien sowohl für die administrative als auch klinische Praxis bestehen historiografisch gesehen keine Zweifel. Darüber hinaus allerdings sind die konkreten Verbreitungswege sowie die Implementierung neuer Bürotechnologien in administrative und klinische Krankenhausstrukturen und -routinen bislang zu einem großen Teil unterbelichtet geblieben. Dass ist auch insofern problematisch, als hierbei die Gefahr droht, die Bewertung von Innovationen, ob nun technologischer oder struktureller Natur, einzig an ihren Effekten auf spezifische Praktiken auszurichten, also »[...] to overemphasize the importance of the invention of a technology and underemphasize the process by which use of technology becomes standard practice.«Howell: Technology, S. 11.Vor diesem Hintergrund wurde dagegen im vorliegenden Beitrag am Beispiel der Charité-Direktion als Teil der preußischen Behördenstruktur der Versuch unternommen, aus praxeologischer Perspektive nach den konkreten Schwierigkeiten bei der Implementierung der als medientechnologischen Innovationen verstandenen Bürotechnologien um 1900 zu fragen. Das ist auch deshalb von Bedeutung, als sich mit Blick sowohl auf die qualitative Ausdifferenzierung klinisch-administrativer Dokumentationspraktiken als auch auf deren enorme quantitative Ausweitung Anfang des 20. Jahrhunderts beispielhaft verdeutlichen ließ, inwieweit neue Medientechnologien im Allgemeinen zu einer Steigerung administrativer Komplexität führten – und zwar sowohl in Bezug auf die Effekte von (bürotechnologischen) Innovationen im Verwaltungshandeln, als auch auf den Prozess deren Implementierung in bestehende Verwaltungsstrukturen selbst. Wobei neben der Bedeutung externer Faktoren und Akteure, von denen, wie gezeigt werden konnte, stellenweise ein erheblicher Modernisierungsdruck auf Kliniken ausging, vor allem die Frage danach im Mittelpunkt stand, wie und welche innovativen Technologien eigentlich beschafft und in eine bestehende funktionslogische Ordnung integriert wurden. So konnte verdeutlicht werden, dass sich aus den nur scheinbar trivialen Aspekten von Beschaffung, technischen Spezifika, Wartung und Reparatur und nicht zuletzt personalen Fragen im Kontext der Anwendung neuer Bürotechnologien eine ganze Reihe praktischer Unwägbarkeiten ergaben, die den zeitgenössischen normativen Vorstellungen von Verwaltungsrationalisierung entgegenstanden, da sie paradoxerweise zunächst einmal zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand führten. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass dem externen Modernisierungsdruck, wie er etwa von den Krankenkassen und Genossenschaften auf die Charité-Verwaltung ausgeübt wurde, keine handlungsanleitenden Empfehlungen oder Anordnungen der übergeordneten preußischen Ministerialbehörden gegenüberstanden, die eine einheitliche Beschaffungs- und Anwendungspraxis neuer Bürotechnologien hätten gewährleisten können. Die Folge war unter anderem eine Pluralisierung der Aufschreibeformate und eine damit verbundene materiale Heterogenität, die nicht nur Krankenhausverwaltungen vor immense praktische Schwierigkeiten stellte, sondern insgesamt verwaltungsrechtliche Fragen heraufbeschwor, beispielsweise mit Blick auf die Feststellung der Rechtsgültigkeit schreibmaschinenverfasster Dokumente, der Normierung materialer Formate oder in Bezug auf sich daraus ergebenen strukturellen Konsequenzen. Wobei aus administrativer Sicht die Schwierigkeit nicht zuletzt darin bestand, dass sich solche Fragen häufig erst aus der Praxis selbst ergaben und sich dementsprechend nur schwer antizipieren ließen. Diese Feststellung ist gerade in Bezug auf den häufig ins Feld geführten Vorwurf einer systemimmanenten Reform- und Innovationsunfähigkeit oder gar -unwilligkeit von Verwaltungen von Bedeutung, da sie verdeutlicht, dass Technologietransfers in bestehende Verwaltungsstrukturen von einer ganzen Reihe komplexer Fragen begleitet werden, für die erst einmal verwaltungskonforme Antworten gefunden werden müssen. Das galt für die Schreibmaschine als Teil bürotechnologischer Medienverbünde Anfang des 20. Jahrhunderts gleichermaßen, wie es für die Etablierung digitaler Verwaltungsstrukturen heute gilt. Letztlich konnte am Beispiel der Charité-Verwaltung verdeutlicht werden, dass sich das zweifelsohne nicht immer ganz spannungsfreie Verhältnis zwischen Innovationen und Bürokratie unter Berücksichtigung der komplexen praktischen Herausforderung, die sich aus der Implementierung medientechnologischer Neuerungen ergeben können, jenseits der Unterstellung einer Innovationsunfähigkeit und -unwilligkeit, deutlich differenzierter ausleuchten lässt.About the authorOliver Falk is historian by training and currently Postdoctoral Research Fellow at the Institute for History of Medicine at the Charité Medical School in Berlin. From 2013 to 2017 he was doctoral student within the ERC research project “Ways of Knowing: How Physicians Know”. Between 2017 to 2020 he was working as research assistant at the Chair of History of Medicine, Institute of Biomedical Ethics and History of Medicine at the University of Zurich. In 2021 he finished his dissertation on Physicians, patients and medical knowledge in diabetes therapy, 1900–1960. Together with Axel Hüntelmann he recently edited the collective volume “Accounting for Health. Calculation, paperwork and medicine, 1500–2000”.

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Published: Dec 1, 2021

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